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Donnerstag, 1. Mai 2025

STORY: Bis zum Hals (Sharon Frame Gay)


Bis zum Hals

von Sharon Frame Gay


(Orig.: „The Wrong End of a Bullet“, 2019; Übers.: Reinhard Windeler))


Sharon Frame Gay lebt derzeit im äußersten Nordwesten der USA, im Staat Washington, im Großraum Seattle. Die Jahre davor verbrachte sie in Montana, Arizona, Nevada, North Dakota und Oregon. Als Verfasserin von Short Stories ist sie in den unterschiedlichsten Genres zuhause, allerdings mit einer Vorliebe für den Western. Ihre Geschichten wurden in vielen verschiedenen Literaturmagazinen (u.a.
Lowestoft Chronicle, Thrice Fiction, Crannóg) und Anthologien veröffentlicht.
Die vorliegende Story erschien erstmals 2019 im Online-Magazin Rope and Wire und wurde im selben Jahr in der Herbst/Winter-Ausgabe von Saddlebag Dispatches nachgedruckt. Sie bildet auch den Auftakt der gleichnamigen Kurzgeschichtensammlung aus dem Jahre 2023, die sechzehn Western Short Stories der Autorin versammelt.

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Lassen Sie mich Ihnen gleich zu Beginn sagen, dass ich kein rechtschaffener Mensch bin. Ich habe nicht zu knapp betrogen und gestohlen, natürlich auch gelogen, und das eine oder andere Mal habe ich es bedauert. Meistens jedoch habe ich nichts bereut und mir auch nicht viele Gedanken um die Menschen gemacht, denen ich dabei wehgetan habe.

Aber das hier habe ich ganz sicher nicht verdient.

Die Sonne brennt so heiß, dass man auf meinem Kopf ein Spiegelei braten können. Dieser Gedanke geht mir durch den Kopf, während ich in einem Loch stehe, bis zum Hals im Sand eingegraben. Ich kann mich nicht bewegen, außer meinen Kopf von einer Seite zur anderen zu drehen oder nach oben in den Himmel zu starren. Als ich ein Junge war, erzählte mir meine Mutter, dass dort oben hinter den Wolken Engel lebten. Aber nicht jetzt. Der Himmel ist so blau wie der Unterrock einer Hure. Zwischen dem Himmel und mir gibt es nichts, abgesehen von den Geiern, die über mir kreisen und darauf warten, sich an meinem Gesicht gütlich zu tun. 

Das Erdreich erdrückt allmählich meinen Oberkörper und raubt mir den Atem. Ich bete, dass ich bald ohnmächtig werde, damit ich von meinem Tod nichts mitbekomme. Tränen rinnen mir über die Wangen und trocknen, ehe sie an meine Lippen kommen, obwohl ich versuche, sie mit meiner Zunge zu erreichen. Ich muss mir etwas von der Seele reden, bevor die Sonne sie mir raubt.

Illustration: AI modified by Karl Jürgen Roth


***

Ich wurde im verschlafenen Teil von Texas geboren, auf einem widerspenstigen Stück Land. An jenem Aprilmorgen trat mein Vater aus unserer Hütte und erzählte seinen drei Töchtern, dass ihr Bruder Burke geboren war. Das bedeutete ein bisschen weniger Essen auf jedem Teller, daher bezweifle ich, dass sie vor Freude in die Luft gesprungen sind.

Ich bin als ganz gewöhnlicher Junge in einer staubigen Stadt aufgewachsen, mit einem roten Haarschopf, als wäre er eine brennende Kerze, mit dünnen Beinen und tiefgrünen Augen, von denen die Leute sagten, sie seien das Ansehnlichste an mir. Wenn ich jetzt an diese Augen denke, als einen kleinen Happen im Schnabel eines Bussards, muss ich wieder weinen.

Es war Tansy Clark, die den Verlauf meines Lebens veränderte, so wie ein Regenschauer ein trockenes Bachbett in eine reißende Flut verwandelt. Ich konnte nicht anders, als das Schwingen ihres Rocks zu bemerken oder wie ihre Brüste sich gegen ihr selbstgemachtes Kleid drückten und der fiebrigen Fantasie wenig Platz ließen. Tansy hatte Augen, die so blau waren wie texanische Lupinen, und ein Lächeln, das mein Herz höher schlagen ließ. Sie wohnte in der Nähe eines Sonnenblumenfeldes, in einem weißen Haus, umgeben von Platanen. Ihr Vater war der örtliche Leichenbestatter, seine Scheune voller Kiefernholzkisten – eine schweigende Mahnung an das Jenseits.

Ich warb um Tansys Gunst, brachte ihr Blumen aus dem Garten meiner Mutter und fuhr in unserem alten Kutschwagen mit ihr zu Picknicks. So oft wir Zeit erübrigen konnten, verbrachten wir sie miteinander.

Es dauerte nicht lange, bis ich diese Brüste in diesem verblichenen Kleid streichelte. Tansys Herz schlug wie wild unter meiner Hand. Ich sehnte mich danach, es aufzuschnüren, hineinzugreifen, die Wärme einzufangen und sie an meinen Mund zu führen. Was wir taten, war nicht richtig, aber es gab einfach kein Halten mehr.

Tansy und ich waren eines Nachmittags in der Scheune ihres Vaters zugange, als wir erwischt wurden. Jemand hob mich direkt von ihr hoch und schleuderte mich gegen die Wand. Ich sackte zusammen. Tansy zog ihren Rock herunter und heulte.

„Du wirst dir eines Tages eine Kugel einfangen, Burke Hays“, sagte ihr Vater. Speichel lief ihm übers Kinn, sein Gesicht war rot vor Wut. Er griff nach der Pistole an seiner Hüfte. Als er zielte, bedeckte ich meine edelsten Teile mit zitternden Händen und sah auf all diese leeren Särge. „Aber jetzt heiratest du erst ’mal meine Tochter. Danach werden wir entscheiden, ob du es verdienst zu leben oder nicht. Mach’, dass du hier ’rauskommst, geh’ nach Hause und sag’ deiner Familie, dass du morgen heiratest.“ Sein Stiefel traf mein nacktes Bein. Es gab ein schmerzhaftes Knacken, als wollte ein Knochen nachgeben. Ich humpelte heim, setzte mich auf die Stufen hinter dem Haus und überlegte, was ich tun sollte.

Um ehrlich zu sein, war ich nicht der erste junge Mann, der sich in Tansys Armen wiederfand. Hatte nur das Pech, der letzte zu sein. Eine Menge anderer Jungs kannte sich in ihrer Scheune aus. Ich spürte einen Anflug von Verärgerung. Ich wäre an eine Frau gebunden und würde für immer aussichtslos in dieser Stadt festsitzen.

Das wollte ich nicht.

Also sattelte ich zu meiner Schande, aber auch zu meiner Erleichterung, Hank, das Pferd meines Vaters, und brach sofort auf. Ich wusste nicht, wohin, also ritten wir nach Westen, bis das nächste Dorf aus der Ebene auftauchte. Ich hielt an und suchte Arbeit.

Jetzt, zehn Jahre später, bin ich bis zum Hals eingegraben und warte auf den Tod.

***

Vor einer Weile schlängelte sich eine Diamantklapperschlange durch den Sand und glitt direkt auf mein Gesicht zu; sie züngelte, während sie näher kam. Mein Herzschlag setzte aus. Ich hielt die Luft an. Blinzelte nicht. Pisse lief mein Bein hinunter und versickerte im Erdreich. Nach einer gefühlten Ewigkeit setzte sie ihren Weg woanders hin fort und hinterließ eine gewundene Spur auf dem Erdboden; zum Abschied streifte ihre Rassel meine Wange.

Ich weiß, Sie denken, dass ich in diese Lage geraten bin, weil ich meine Finger nicht von einem Indianermädchen lassen konnte, und teilweise haben Sie recht. Nur, dass ich nicht derjenige war, der sie am Bach entdeckt und ihr die Kleider vom Leib gerissen hat. Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass ich es nicht getan habe. Wie viele rothaarige Männer gibt es hier draußen mitten in der Wüste? Ich sage Ihnen, es gibt mehr als einen, und ich bin unschuldig. Aber vielleicht kümmert es Gott nicht, denn ich habe ganz sicher in meinem Leben genug getan, dass mir der Himmel verwehrt bleibt. Ich habe Angst, dass Gott seinen Entschluss nicht ändern wird, egal, wieviel ich bete. Der Herrgott könnte dies als eine gute Möglichkeit ansehen, einen seiner Sünder loszuwerden.

Vielleicht wissen Sie auch, dass ich einen Mann getötet habe. Daher nehme ich an, dass ich auf die schlimmste Art und Weise gesündigt habe.

Genau wie ich war er nicht viel wert. Er war ein gemeiner alter Bastard, ein Falschspieler – und ein verdammt guter dazu. Erst als ich meinen ganzen Lohn verloren hatte, wurde mir klar, dass er sich von der vollbusigen Frau am Tisch hinter mir helfen ließ.

Sie fiel mir auf, als ich den Saloon betrat. Blonde Haare flossen wie ein Wasserfall ihren Rücken hinunter. Augen so braun, dass Männer in sie eintauchen, aber nicht mehr herausschwimmen können. Sie trug ein enges rotes Kleid, und ihre Brüste quollen aus dem Oberteil wie Teig auf einem Küchentisch. Sie lächelte, sagte Hallo und wedelte mit einem Federfächer in der abendlichen Hitze.

Geschmeichelt von der Aufmerksamkeit, blieb ich wie angenagelt an dem Tisch vor ihr, nur um ihr nahe zu sein. Parfüm wehte über meine Schulter. Es duftete wie damals die Rosen aus dem Garten in Texas, und ich fragte mich, ob ich nach dem Kartenspiel vielleicht ein paar Blütenblätter unter ihrem Rock finden würde. Es fiel mir schwer, mich auf das Spiel zu konzentrieren. Ich schätze, deshalb war ich so dumm und merkte nicht, dass ich über den Tisch gezogen wurde, bis sie mich ausgenommen hatten.

Ich drehte mich um, um ihr ein kurzes Lächeln zu schenken, und ertappte sie dabei, wie sie mit dem Fächer winkte, einmal, zweimal und dann sechs Mal, passend zu den Karten in meiner Hand. Sie erstarrte, und ich stand auf, wütend wie eine Hornisse.

Ich stieß den Tisch um, packte den Betrüger an seinem graubehaarten Hals und schüttelte ihn, wie ein Hund eine Ratte schüttelt, die er in einem Heuhaufen findet. „Du mieser Dreckskerl!“ brüllte ich. Er kippte mit seinem Stuhl um und landete auf dem Rücken. Ich hob so viel Geld, wie ich konnte, vom Fußboden auf und rannte los.

Ich hörte ein Klicken, griff nach meinem Revolver und wirbelte herum, als er feuerte. Das Geschoss streifte mein Bein. In blinder Wut drückte ich ab. Er fiel um wie eine leere Flasche und stürzte auf den Gehsteig, halb im Saloon und halb draußen, während die Türen über seinem Kopf noch hin und her schwangen. Ich zog mich auf Hank hinauf und jagte davon, die Schultern in der Erwartung angespannt, dass ich eine Kugel in meinen Rücken bekommen würde, aber das geschah nicht. Wir ritten in die Nacht hinein, bis die Sterne verblassten, dann zügelte ich Hank, stieg ab und untersuchte das Bein. Es tat höllisch weh, war empfindlich und blutete, aber nicht so schlimm, dass ich daran hätte sterben können. Es war dasselbe Bein, gegen das Tansys Vater getreten hatte. Das wäre witzig gewesen, wenn es nicht so tragisch gewesen wäre. Zweimal bin ich vor etwas geflohen und davongekommen.

Aber nicht heute.

Jetzt bin ich hier in dieser von Menschenhand geschaffenen Hölle, und ich bin nicht allein. Drei Kojoten trotteten mit lockerem Gang in der sengenden Hitze auf mich zu, die Ohren gespitzt, die Schnauzen auf den Boden gerichtet. Ich schrie sie an. Sie erschraken, ließen ihre Schwänze sinken, machten einen Bogen um mich und verständigten sich hinter mir mit leisen kehligen Lauten. Ich schrie weiter und schüttelte meinen Kopf in der Hoffnung, dass sie wegbleiben würden. Der Gedanke daran, dass sie ihre Zähne in meinen Nacken graben oder mir die Ohren abknabbern könnten, ließ mich erschaudern. Sie wichen zurück, setzten sich auf ihre Hinterläufe und beobachteten mich aus einiger Entfernung. Wir starrten uns gegenseitig an, während ich mir in Erinnerung rief, was mich überhaupt hierher gebracht hatte. 

***

Vor zwei Tagen bin ich auf dem Weg nach Kalifornien durch die Wüste geritten. Ich hatte vor, meine Vergangenheit hinter mir zu lassen. Einen kleinen Außenposten in den Bergen aufmachen, mir ein besseres Leben aufbauen.

Um bei der Wahrheit zu bleiben, ich war auf der Flucht. Ich hatte eine Bank ausgeraubt.

Es war kinderleicht. Monatelang war ich auf der Suche nach Arbeit umhergezogen. Ein Mann im örtlichen Gemischtwarenladen erzählte mir, dass die Four Bars Ranch Viehtreiber brauchte. Ich ritt dorthin und sprach mit dem Vormann. Er stellte mich auf der Stelle ein und schickte mich nach Osten, um die Herde einzuholen. Ich reihte mich bei den anderen Männern ein, schlug mit einem Seil gegen mein Bein und trieb das Vieh vorwärts.

Am Zahltag holte ich meinen Lohn ab und ritt in die Stadt, um zu feiern. Ich wollte die Scheine in Münzen umtauschen und im örtlichen Saloon spielen. Man sollte meinen, ich hätte meine Lektion in Sachen Kartenspiele gelernt, aber mich juckte es nach ein bisschen Unterhaltung.

An diesem schwülen Nachmittag war auf der Hauptstraße nichts los. Zwei Jungen, die einen Reif vor sich hertrieben, liefen vorbei, wobei sie Staub aufwirbelten, der Hank zum Schnauben brachte. Ein dürrer Hund trabte den hölzernen Gehsteig entlang und kroch dann unter eine Veranda. Aus der Ferne war der blecherne Klang von Musik aus dem örtlichen Saloon zu hören. Ich band Hank vor der Bank an und schaute mich um. Die ganze Stadt schien ein Nickerchen zu machen.

Eine alte Frau, die hinter dem Käfig für den Kassierer stand, war die einzige Person im Gebäude. Meine Schritte hallten auf dem Holzboden wider. Das Sonnenlicht strömte durch ein Fenster herein, in einem Lichtstrahl tanzten Staubkörnchen. Die Frau schrieb etwas und blickte auf, als ich hereinkam. Ihr weißes Haar auf ihrem Kopf war hochgesteckt, und sie trug ein silbernes Medaillon um ihren Hals.

„Wo sind denn alle?“ fragte ich.

„Ach, mein Herr, mein Mann ist krank und liegt zu Hause im Bett. Außer mir ist heute keiner da, um auszuhelfen. Nach dem Mittagessen ist es hier immer ruhig. Besonders bei dieser Hitze.“ Sie zupfte an ihren Haaren, strich ihre Bluse glatt und sah mich mit rheumatischem Blick an. „Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“ 

Ohne lange nachzudenken, zog ich meine Pistole und sagte: „Geben Sie mir Ihr ganzes Geld.“ Ich konnte es kaum glauben, als sie es tat. Sie zitterte wie Espenlaub, als sie den Safe ausräumte. „Tun Sie mir nichts“, flehte sie immer wieder, während ich händeweise Geld in meine Satteltasche stopfte. Ich ging rückwärts zur Tür hinaus, als hätte ich das alles nur geträumt.

Ich war schon einen halben Tagesritt entfernt, als ich die Tasche öffnete und nachzählte. Achthundert Dollar. Mehr Geld, als ich jemals gesehen hatte. Wenn ich schon beichte, kann ich Ihnen auch sagen, dass ich kein bisschen Reue empfunden habe. 

Wenn ich meinen Verstand benutzt hätte, hätte ich mich vielleicht gefragt, warum überhaupt kein Aufgebot hinter mir her war, als ich allein die Wüste durchquerte. Erst als ich von Hank gestoßen wurde, während wir auf dem Weg durch eine schmale Schlucht waren, wurde mir klar, dass dies feindliches Apachengebiet war. Ich war von Indianern umgeben, die nicht gerade erfreut wirkten, mich zu sehen. Sie starrten auf meinen Kopf, und ich fragte mich, ob meine Haare Feuer gefangen hatten. Ich streckte eine Hand aus, um sie anzufassen, und bekam einen Tritt in die Rippen.

Ein Indianer stieß einen überraschten Schrei aus, als er in meine Satteltasche schaute und das ganze Geld sah. Sie banden ein Seil um meinen Hals und zwangen mich, hinter ihren Pferden herzulaufen. Ich stürzte zweimal, das Seil zog sich zu, und ich rappelte mich auf und trottete hinter ihnen her. Wir passierten einen kleinen Canyon und erreichten ein Dorf. Die Apachen scharten sich um uns, schrien und hoben ihre Fäuste. Sie holten eine junge Frau aus einem Wickiup. Sie zeigte auf mein rotes Haar, nickte und brach in Tränen aus. Aus wütenden Worten und Gesten reimte ich mir zusammen, was passiert war.

Ich trat einen Schritt vor und schüttelte meinen Kopf. „Ich war das nicht!“ schrie ich, aber sie hörten nicht zu. Und dann hörte auch ich nichts mehr, denn jemand schlug mir seitlich gegen den Kopf, und meine Knie gaben nach.

Als ich wieder zu mir kam, saß ich gefesselt auf dem Rücken des alten Hank, umgeben von Kriegern auf ihren Pferden. Wir machten uns auf den Weg durch die Wüste, bis einer von ihnen seinen Arm hob und wir anhielten. Die Indianer glitten von ihren Reittieren und gruben mit Stöcken, Lanzen und den eigenen Händen im Sand. Zuerst begriff ich nicht, was sie vorhatten. Dann versuchte ich, Hank zum Gehen zu bewegen, indem ich hin und her rutschte und wackelte, aber ihm war es recht, einfach da zu stehen und zuzusehen, wie sie mein Grab aushoben. Sie zerrten mich vom Pferd, stießen mich in das Loch, füllten es mit Sand auf und ritten davon.

Die Sonne knallte mir sofort auf den Kopf. Ein Schweißtropfen perlte von meinem Kinn und rann mir den Hals hinunter. Es ist erstaunlich, wie ein Mensch für die einfachsten Dinge beten kann, nachdem er sich ein Leben lang etwas mehr gewünscht hat. Alles, was ich in diesem Moment wollte, war, mich an meinem juckenden Hals zu kratzen oder meine Beine zu bewegen. Die glühende Hitze versengte mein Gesicht und verursachte Blasen an meinen Ohrenspitzen. Ich lernte schnell, dass der Sand nur noch tiefer sackte, wenn ich mich anstrengte und versuchte, meinen Hals zu strecken oder mich mit den Schultern aus der Grube zu drängen. Die Stunden zogen sich hin. Ich betete, dass die Sonne untergehen möge, obwohl ich die Morgendämmerung nicht überleben würde.

Ein stickiger Wind wehte über den Wüstenboden und wirbelte Sand und Tumbleweeds auf, Staubteufel, die sich wie Tänzer drehten. Der Staub traf mich im Gesicht und brannte in meinen Augen. Ein kleiner Vogel flatterte vorbei, gefangen von der Laune des Windes, und ich schätze, das bin auch ich. Vom Schicksal gepackt und in dieses verdammte Loch gesteckt.

Hinter mir hörte ich Hufgetrappel, und ich erstarrte in meinem schwelenden Grab. Ein Pferd kam von der Seite und blieb dann vor mir stehen. Es streckte seinen Hals nach unten, sein warmer Atem strich über meine verbrühte Wange.

Ich blickte zu einem rothaarigen Mann auf. Er war ungefähr in meinem Alter, das Haar feuerrot, die Augen grün und kühl wie ein See. Auf seiner Wange war ein dunkles Muttermal von der Größe einer Schmeißfliege. Seine Hände waren zerkratzt und blutig, als hätte er mit einer Wildkatze gekämpft. Er spuckte einen Schwall Tabaksaft durch schadhafte, gelbe Zähne, und ich wünschte mir sehnlichst, dass ich in meinem eigenen Mund genug Spucke hätte, um überhaupt schlucken zu können.

Das allein reichte, dass ich ihn hasste.

„Du hast dem Apache-Mädchen Gewalt angetan!“ brüllte ich wutbebend. Winzige Sandkörner gerieten in Bewegung und drückten mich fester. Wie gerne wäre ich aus diesem Loch geklettert, hätte ihn vom Pferd gestoßen und ihn erwürgt.

Seine Augen waren ausdruckslos, der grüne See zugefroren. Ein Hauch von Grausamkeit lag in seinen Mundwinkeln, gewunden wie eine schlafende Schlange. Er legte seinen Kopf zur Seite und blinzelte mich an.

„Kann schon sein. Aber es sieht so aus, als hättest du die Quittung dafür gekriegt.“ Er spuckte wieder in den Staub, griff nach einer Feldflasche und nahm einen Schluck. Ich wurde beinahe ohnmächtig.

„Hör ’mal“, sagte ich, „ich war nicht dabei, und ich weiß nicht, was passiert ist. Aber was ich weiß, ist, dass ich wegen dir in diesem elenden Loch hier stecke! Hol’ mich hier raus, und wir sind beide frei.“

Er blickte in die Ferne, als würde er seine Optionen abwägen. Ich hielt die Luft an, soweit ich dazu noch in der Lage war.

„Tut mir leid, das kann ich nicht“, sagte er, zog die Zügel seines Wallachs an und ließ ihn ein Stück rückwärts gehen. Das Pferd scharrte mit den Hufen. „Ich habe mich seit Tagen versteckt gehalten und auf eine Gelegenheit gewartet, um aus diesem Tal herauszukommen, und jetzt ist es soweit. Ich werde das Tageslicht nicht damit verschwenden, dich auszubuddeln. Außerdem kann ich mich nicht darauf verlassen, dass du den Spieß nicht umdrehst.“ Er rieb sich das Kinn, als würde er nachdenken. Diese grünen Augen wurden noch kälter. „Aber ich glaube, ich kann dir einen Dienst erweisen.“ Er zog seinen Revolver aus dem Holster.

Das wird ein Segen sein, sagte ich mir und machte mich auf die Kugel gefasst, die ich mir, wie Tansys Vater gesagt hatte, eines Tages einfangen würde.

Etwas flog über meinen Kopf hinweg, als wäre es eine Wespe. Der rothaarige Fremde sah überrascht aus, fiel gleich darauf von seinem Pferd und landete vor mir. Ich starrte in sein Gesicht, das nur Zentimeter von meinem eigenen entfernt war. Ein Pfeil ragte aus seinem Rücken. Auf dem Wüstenboden sammelte sich Blut und versickerte im Sand.

Ein Apache kam in mein Blickfeld, hob den Kopf des Toten an und starrte lange auf sein Gesicht. Dann ließ er los, und der Kopf knallte mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden.

„Das da ist der Mann, der das eurer Frau angetan hat!“ sagte ich mit einer Stimme, die kaum noch ein Flüstern war. „Er ist es, er hat’s getan!“

Der Indianer runzelte die Stirn. Ich wusste nicht, ob er Englisch sprach. Wenn ich Hank oder meine achthundert Dollar noch hätte, könnte ich ihn vielleicht bestechen, aber jetzt schien es hoffnungslos zu sein. Dann fing ich an zu plappern. Was ich noch an Tränen übrig hatte, lief mir übers Gesicht. „Guck’ dir die Kratzer an, an seinen Händen und seinen Armen!“ Ich deutete mit meiner Nase und meinem Kinn auf ihn. „Da ist euer Mann!“

Der Apache trat einen Schritt zurück. Starrte auf die Leiche, dann auf mich. Er beugte sich herunter, hob wieder den Kopf, betrachtete das Muttermal des Fremden, die Kratzer an seinen Armen. Schürzte die Lippen. Ging hinüber zum Pferd.

Er griff nach der Feldflasche, hielt sie mir an den Mund und ließ dann den Inhalt über meinen Kopf fließen, meine Wangen, meinen Hals hinab. Ich keuchte, würgte und schluckte schwer. Die Flüssigkeit traf meinen Magen wie eine Kugel aus Blei. Er ließ den letzten Tropfen heraus und warf die Flasche auf den Boden.

Dann schwang er sich auf sein Pony, machte eine Kehrtwende und galoppierte davon. Das Pferd des Toten schloss sich ihm mit fliegenden Hufen an. Ich lauschte, bis der letzte Hufschlag verklungen war, und schloss dann müde und erschöpft meine Augen. Eine Fliege landete auf meinem Gesicht und erkundete ein Ohr. Ich warf meinen Kopf zurück, und sie hob ab, flog zum Leichnam hinüber und kroch ihm in die Nase.

***

Der Apache ist schon lange weg. Hier ist es totenstill. Sogar die Vögel, die über mir kreisen, sind andächtig. Alles, was ich höre, ist das ungeduldige Rascheln ihrer Flügel, wenn sie sich hierhin und dorthin tragen lassen und wieder zurückkommen. Die Kojoten haben es sich im Schatten eines Yucca-Baums gemütlich gemacht und warten darauf, dass die Sonne untergeht.

Ich bete, dass der Indianer zu den anderen zurückgeritten ist und ihnen erzählt hat, was passiert ist. Ich hoffe, dass das Wasser, das er mir gegeben hat, ein gutes Zeichen war, dass er Hilfe bringen wird, damit ich aus diesem Loch herausklettern und mein jämmerliches Leben fortsetzen kann.

Mit jeder Stunde, die vergeht, werde ich schwächer. Ich verliere an Kraft wie die Sonne, die in der Ferne hinter einem Hügel verschwindet. Ich kann nichts anderes tun, als zu warten und zu beten. Ich hoffe, dass Gott mich erhört, obwohl ich in meinem glühenden Grab schon auf halbem Weg in die Hölle bin.

Eine kümmerliche Wolke erhebt sich vom Rand des Horizonts und macht sich auf ihren Weg über die Wüste. Ich starre in den Himmel und frage mich, ob die Geier über meinem Kopf die Engel sind, von denen meine Mutter mir erzählt hat, und kommen, um mich nach Hause zu holen.


© für die deutsche Übersetzung: Reinhard Windeler, 2025

Wir danken der Verfasserin für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieser Übersetzung.

Eine Homepage hat sie zwar nicht eingerichtet. Aber ein paar neuere Stories von und ein Interview mit ihr findet man auf ihrer Autoren-Seite bei Spillwords: https://spillwords.com/author/sharon-framegay/