Donnerstag, 8. August 2024

ESSAY - Ein Psalm im Pulverdampf. Gordon D. Shirreffs

ein psalm im pulverdampf

DER WESTERN-AUTOR GORDON D. SHIRREFFS

Michael Stemmer, Berlin



Gewidmet dem Andenken meiner Eltern.

For a moment he stood there, as though groping for words, and then he spoke in a soft fine voice that speech: »The Lord is my shepherd; I shall not want. He maketh me to lie down in green pastures: he leadeth me beside the still waters … «
When he had finished it was dark and the wind was stronger.” (The Border Guidon)

Er war ein hochproduktiver Western-Schriftsteller, ein vielgelesener Vielschreiber, und die Einsamkeit der staubigen Einöde des amerikanischen Mittel- und Südwestens war bevorzugte Kulisse seiner Werke mit üppig ausgemaltem Zeitkolorit und großer Aufmerksamkeit für die Details der Sujets, die durchaus auch religiöse Züge tragen: GORDON D. SHIRREFFS

Ich erzähle eine sehr persönliche Geschichte: Während ich mitten im Endlossommer der Dürre 2018 beginne, meine gedankliche Vorarbeit zu Papier zu bringen, respektive die Finger über die Tastatur meines Computers tanzen lasse, herrscht in meiner Vaterstadt Berlin gegenwärtig brüllende Hitze von + 35 °C im Schatten und damit genau die richtige Tageshöchsttemperatur, um die an der Authentizität der geschichtlichen Rekonstruktion orientierten Wildwestromane eben dieses US-amerikanischen Autors mit schottischen Wurzeln – die er auch dem Protagonisten der vier Bände umfassenden Quint-Kershaw-Saga mit Ausflügen zum historischen Roman angedeiht –,neuerlich in den Blick zu nehmen. Was Shirreffs literarische Szenarien hervorstechend macht, ist die große Detailtiefe und Kohärenz der Erzählungen. Gerät der Bücherfreund doch bei deren Lektüre, folgt er mit Spannung dem bitteren Weg der jeweiligen Heldenfigur mit seinen dramatischen Zuspitzungen durch die weiten, unberührten Naturlandschaften der US-Bundesstaaten Arizona, Kalifornien und Neu Mexiko, fast selbst gehörig mit ins Schwitzen: Menschenleere, ausgedörrte Umwelt zwischen teils rostroten, staubigen Terrains und strohgelben Gras, Felsgestein, hier wie da ein paar Bäume, Sand und Kakteen, wo Kojoten, Klapperschlangen, Pumas und Skorpione beheimatet sind, das Individuum aber verlorengeht.

Aus der Rückschau betrachtet ist man seitens unserer German Association for the Study of the Western (Deutsche Gesellschaft zum Studium des Western e.V.) bereits 2013 an mich herangetreten, meine Affinität zu Shirreffs, dessen Stoffe, ich wiederhole, eine historisch annähernd exakte Interpretation von der Geschichte des Westens vermitteln, im Kontext mit meiner gesprächsweise angeklungenen Familiengeschichte dem geneigten Leser versuchen näherzubringen. In ebendieser Zeit nehme ich die Arbeit an dem Manuskript wieder auf, das ich bereits mehrfach zur Seite gepackt, aber nie gänzlich verworfen habe. Ich führte immer wieder Gespräche und sammelte Material, Briefe, Notizen, Texte. Aber ich fand den rechten Einstieg nicht. Und so reise ich denn heuer, unter Zuhilfenahme von an den Ecken schon etwas abgegriffener, leicht angegilbter Taschenkalender aus dem früheren Besitz meiner Mutter in den Lebenserinnerungen gut fünf Dezennien zurück …

Sonnabend, 29. Juli meines Konfirmationsjahrs 1967. Ich, ein einzelgängerischer, fantasievoll-belesener Charakter Jahrgang 1953 – Gründungsjahr des Schriftstellerverbands Western Writers of America (WWA); im Kino laufen u.a. „Man nennt mich Hondo“ (Hondo), „Mein großer Freund Shane“ (Shane), „Wenn Frauen hassen“ (Johnny Guitar) –, sitze zusammen mit meinen Eltern Gerhard (1920–1987) und Ella Stemmer (1920–2015) im Interzonenzug Berlin-Zoologischer Garten–Halle/Leipzig–Saalfeld–Nürnberg. Wir befinden uns auf der Reise in die Ferien im Norden Bayerns, in der Marktgemeinde Steinwiesen im oberfränkischen Landkreis Kronach. Und während draußen zunächst noch ausgedehnte Kiefernwälder der Mark Brandenburg am Abteilfenster der II. Klasse vorbeiziehen und Schleier von Kohlenrauch und Wasserdampf – nicht verbrennungstechnisch falsch, pechschwarze Qualmwolken, wie man sie in erster Linie von Western-Filmen um des optischen Effekts willen her kennt –, aus einer Lokomotive der DR (Deutsche Reichsbahn) im Fahrtwind zerflattern, nehme ich ein Paperback aus dem Wilhelm-Heyne-Verlag, München, zur Hand, mache es mir auf meinem Platz bequem und schlage die erste Seite des Western-Romans „Lohn der Hölle“ (Judas Gun) besagten Unterhaltungsschriftstellers auf.

Die bemerkenswert realitätsnah aufbereiteten Erzählstränge, verbunden mit der in gewisser Weise an Karl May (1842–1912) erinnernde prächtig gezeichnete Kulisse der Naturwelt im sonnendurchglühten Arizona, nehmen mich für die als kongenial zu bezeichnende Übertragung auf Deutsch von Gerd Leetz wesentlich ein. Zumal ein hierin geschilderter Eisenbahnüberfall auf einstmals betriebene Southern Pacific Railroad als Ausgangspunkt für den weiteren Ablauf der mit schlüssigen Genre-Motiven durchsetzten Story in steinerner Wüste, Hitze und Staub, nicht nur im D-Zug gelesen, ein stimmiges Pendant darstellt, sondern im speziellen meiner Schwäche für amerikanische Dampfrösser der Pionierzeit außerordentlich entgegenkommt. So, wie ich sie Anno dazumal in „Winnetou – 1. Teil“ [Fake, Jugoslovenske Železnice; zu deutsch: Jugoslawische Eisenbahn] und „12 Uhr mittags“ (Sierra Railroad Company) vernehmbar pfeifend und läutend über die Projektionswand habe schnaufen sehen. Die bloße Erwähnung einer von R.J. Gatling‘s Revolving Battery Guns – gewissermaßen ein Vorläufer des sMG (Schweres Maschinengewehr –, freilich nicht ohne kurze mechanische Charakteristik der Repetierkanone mit Handkurbelantrieb, was deren Schußfolge, Kaliber etc. anbelangt, auf dem Hauptwachturm des Zuchthauses von Yuma (heute Yuma Territorial Prison State Historic Park), ruft mein, wenn auch nur temporäres Interesse an der Technologie mehrläufiger Schnellfeuerwaffen hervor. Django grüßt hier in etwa aus der Ferne. Jahrzehnte danach sollte es in anderem Konnex neuerlich aufflammen.

Am Urlaubsort im Naturpark Frankenwald erwerbe ich bei einem Friseurladen [sic] mit angeschlossenen Buch- und Zeitschriftenhandel vom gleichen Romanschreiber „Die Legion der Verdammten“ (Massacre Creek) und später noch „Lexikon des Wilden Westens. Geschichte, Geschichten, Filme“ von Ernest Prodolliet (1925–2009).

Der Autor dieses Artikels, damals vierzehn Jahre alt, kann sich zum erstgenannten Titel noch gut an folgende Anekdote erinnern: Donnerstag, 17. August 1967, abends, Besuch beim damaligen Dienstvorgesetzten meines Vaters, als KOM (Kriminalobermeister) Ermittler für Delikte der Wirtschaftskriminalität, in dessen Urlaubsdomizil im entfernter gelegenen Erholungsort Nagel im Naturpark Fichtelgebirge. In feuchtfröhlicher Runde im Dorfgasthaus gelingt es mir, den dort befindlichen, schon leicht angejahrten Geldspielautomaten so zu manipulieren, daß er mir exakt den für mich ‘horrenden’ Gewinn von ganzen 2,40 DM (Durchschnittspreis eines kartonierten Buchs) ausspuckt; genug, um mir tags darauf ursprünglich anvisiertes Bastei-Western-Taschenbuch „Die letzte Patrouille“ von Rex Hayes (d.i. Günter Rexhaus; 1919–2004) kaufen zu können. Da dieses zwischenzeitlich in Steinwiesen aber nicht mehr zu kriegen ist, weiche ich auf obigen Kavallerie-Western von Shirreffs aus, was ich späterhin mitnichten bereue; eine dramatische Synthese aus Dichtung und Historie tut sich auf, detailreich recherchiert und sehr anschaulich in ihrer Beschreibung des Soldatenwesens im nordamerikanischen Südwesten nach Beendigung des Sezessionskriegs 1861 bis 1865 – Rücktitel an anderer Stelle: Nur wenige Schriftsteller verstehen es, den Armeealltag im amerikanischen Südwesten so lebensnah zu schildern wie er –, was ich von meiner Seite aus nur unterschreiben kann. Man mag dies als reine Heldenepik beiseite tun, trotz dieser Gründlichkeit und detaillierten Beleuchtung spiegelt Shirreffs‘ Schreibstil die vielen Facetten und Abgründe, Hoffnungen und Träume des Menschseins wider.

Erst ein Jahr anschließend, 1968, ergattere ich erwähnten Erkundungsritt der Reitertruppe zusammen mit Bastei-Western-Taschenbuch „Höllenfahrt nach El Paso“, einem Eisenbahn-Western geschrieben von Tom Harper (d.i. Helmuth Richartz; 19??–), deutschsprachiger Autor mit wie üblich amerikanisch klingenden, weil verkaufsfördernden Pseudonym, im ehemaligen Charlottenburger Kaufhaus Neckermann. Wenn nicht alles trügt, habe ich mir auch das Romanheft „Der Eisenweg nach Santa Fè“ aus der zweiten Auflage „Die Wyatt-Earp-Story“ von William Mark (d.i. Dr. Albrecht Peter Kann; 1923–1996) damals aus dem Frankenwald mit nach Hause gebracht.

Anfänglich ist es sicher eher als Walten des Schicksals zu betrachten, ausgerechnet Shirreffs für mich entdeckt zu haben. Doch wenn einem als Bücherwurm die erste Prosadichtung gefangen nimmt, behält man den Namen des Verfassers im Gedächtnis. Trifft auch den zweiten geschichtsträchtigen Roman, der im Wilden Westen spielt, den persönlichen Geschmack, bleibt die Erinnerung haften. Noch dazu, wenn der Nachname passend so ähnlich klingt, wie die Bezeichnung des höchsten Vollzugsbeamten einer Stadt in den USA. Einerlei wann, suche ich gezielt nach den Western-Romanen meines nunmehr Lieblingsautors, weil ich mir annähernd sicher sein kann, daß sie so gut wie alle meinen Gefallen finden. Wenngleich auch sie nicht frei von gängigen Klischees, Vorhersehbarkeiten im Handlungsablauf und mitunter recht blutrünstigen Szenen. Sogar das Gefühl, daß man selbst mit den Romanfiguren ein Stück des gefahrvollen Trails mitreiten täte, stellt sich beim Lesen des öfteren ein. Denn jede seiner Heroen mit ihren Entbehrungen, Wagnissen und Schmerzen, wohnt daneben auch eine zutiefst menschliche Tragik inne, bleiben über den gesamten Lesestoff hinweg betont einsame Figuren. Dies wird anschaulich in Titeln, wie „Eine Kugel für Tascosa Kid“ (
Now He Is Legend), dargelegt mit ihren Düsterheiten wie Schwäche, Angst, Verlust, Tod. Aber auch Liebe, Sehnsucht, Entsagung und Leidenschaft; bisweilen gepaart mit im genreimmanenten Duktus breit ausgemalter Gewaltmotive, explizit bei den obligaten Faustkämpfen.

Doch dabei stelle ich beim Schreibprozeß fest, je länger ich aufzeichne und über das Geschriebene nachzudenken beginne, desto mehr entsinne ich mich, was immer auch als Grundlage für mancherlei Subtexte dient. Zum Beispiel: Überhaupt nichts mehr in dieser Hinsicht an Lesestoff selber zu kaufen brauche ich mir darauf 1970, wieder in den Sommerferien, diesmal im nordhessischen Urlaubsort Lippoldsberg im Weserbergland. Ein Pensionsgast, Rentier und eifrige Western-Leseratte, überläßt mir, als kleine Geste bezüglich unseres beiderseitigen Faibles für dieses literarische Segment, bei der Abreise seine am Ort beschaffte Urlaubsschmöker an Western-Romanen als Heyne-Taschenbücher, die späterhin den Grundstock meiner umfangreichen Literatursammlung bilden. Darunter Shirreffs’ „Ein Grab in Montana“ (The Lone Rifle) sowie „Der Überfall“ (The Last Man Alive).

Die anderen Titel stammen aus der Reihe „Heyne Western Classics“ mit u.a. „Die Grenzlegion“ (The Border Legion) und „Der Löwe von Arizona“ (Arizona Ames); Buchtitel wohlgemerkt, die auch meinem Vater noch von seiner Jugend her geläufig sind. In seinem 1943 total ausgebombten Elternhaus, Bezirk Steglitz, verbrennen nicht allein seine und seines Bruders Hans-Joachims (1914–1984) olivgrüne Karl-May-Bände aus Radebeul, sondern auch die Ausgaben eben jenes früheren Dentisten und nachher Bestsellerautors Zane Grey (d.i. Pearl Zane Grey; 1872–1939), so z.B. „Der verlorene Fluß“ (Forlorn River) oder auch „Betty Zane“ (Betty Zane), wie ich vermute aus dem Verlag von Th. Knaur Nachf., welche er sich um 1966 als Heyne-Buch in Neuauflage wiederbeschafft. Damit beginnt es wohl seinerzeit, das definitive Comeback des Westerns im Hause des Schreibers dieses Aufsatzes, und zwar in Wort und Bild gleichermaßen.


Ein kurzer Einschub:
Zudem auch musikalisch beflügelt durch künftig lebenslanges Faible für (Western-)Film-musik, im besonderen die Karl-May-Soundtracks des gebürtigen Berliners Martin Böttcher (1927–2019), die Partitur zu „12 Uhr mittags“ (High Noon) aus der Feder vom russisch-amerikanischen Filmkomponisten Dimitri Tiomkin (1894–1979) und last, not least die ab 1964 oft im Rundfunk zu hörende Western-Ballade „Ringo“ (He lay face down in the desert sand / Clutching his six-gun in his hand …) intoniert vom kanadischen Schauspieler (TV-Serie „Bonanza“) und Sänger Lorne Greene (1915–1987); beziehungsweise in der deutschen Fassung (Er lag regungslos im heißen Sand, die Pistole fest in seiner Hand …) ein Jahr darauf vorgetragen von Ferdy (d.i. Waldemar Müller; 1918–2001), ehedem Hörfunkmoderator bei Radio Luxemburg; indes mit umgemodelter 7. Strophe. Der Ich-Erzähler zieht hier im Saloon mit tödlicher Sicherheit gegen den einstigen Weggefährten, nicht wie im Original vorgetragen, wo die draußen wartende Posse (Aufgebot) den Outlaw gemeinschaftlich niederschießt. Die in beiden Liedtexten daraus abzuleitende Ethik in puncto unverzichtbaren Werts von Freundschaft an und für sich (So wurde im letzten Augenblick erst klar, daß auch ein guter Kern in der rauhen Schale war von Ringo.) könnte hierbei genausogut auch von Shirreffs‘ herrühren. Nämlich, daß Menschen auf höchst unterschiedliche Art und Weise verbunden sein können.

Aber ich schweife ab.
Um diese goldene Zeit eines erneuten Auflebens von Karl Mays Gesammelten Werken zwischen Buchdeckeln wie auf der Kinoleinwand also, in der der Wilde Westen ohnehin schon en vogue ist, etabliert sich der Wilhelm-Heyne-Verlag, München, ab 1962 auf dem sich rasch entwickelnden deutschen Markt kleiner, broschierter Bücher massiv mit einer stetig anwachsenden Zahl an Neuerscheinungen dieses ur-amerikanischen Genres, beginnend mit Clay Fishers (d.i. Henry Wilson Allen; 1912–1991) Little Big Horn-Story „Der letzte Mann“ (No Survivors). Aber bereits im März 1960 kommt in der „Allgemeinen Reihe“ mit Shirreffs’ „Der letzte Zug von Gun Hill“ (Last Train From Gun Hill) der erste Western-Roman überhaupt des im 1945 in Dresden zerbombten Verlags heraus. Zu damaliger Zeit mit sein größter Erfolg. Ein (Film-)Titel, der seither, wann immer sein Name fällt, in Klammern dahintersteht.

Die Übersetzungen der meisten Werke, nicht nur die von Shirreffs, kranken leider allzuoft an den im Interesse der Seitenzahl einer Taschenbuchausgabe stellenweise etwas komprimierten Fassungen nach Verlagsvorgaben, was mir beispielhaft anhand eines Kontinuitätsfehlers im Verlauf des voraussehbaren Geschehens in „Die letzte Patrone“, Kap. 20, (Renegade’s Trail), einer von sechs Abenteuergeschichten um die ganz eigene, sich zuweilen humanitären Prinzipien verpflichtet fühlenden literarischen Figur als Typus des Menschen- nicht Kopfgeldjägers Lee Kershaw (Enkel des Protagonisten Quint Kershaw), jenseits der Genremuster des Westerns qua Definition ins Auge springt – Verlagswerbung auf dem Klappentext: „Mit Lee Kershaw schuf er die Figur eines Antihelden, der sich wohltuend vom Klischee vieler anderer Serienhelden abhebt.“ Die Handlungsfäden werden schlüssig zusammengeführt und die Figurenzeichnung der rauhen, unverfälschten Charaktere weiß in der Tat zu überzeugen. Das Motiv der Endlichkeit durchzieht immer wieder den Roman.

Beiläufig erkennt das geschulte Auge aber beim Titelbild von Heyne Western-Reihe Bd. 2422 eine Divergenz hinsichtlich Anbringung der Ladeöffnung des dargestellten Unterhebel-Repetiergewehrs. Eine Winchester, gedacht für Linkshänder, hat es nie gegeben; aus diesem Grunde auch keine Patroneneinführung für das Röhrenmagazin auf der linken, anstatt rechten Seite des Systemkastens. Entweder handelt es sich hierbei um rein künstlerische Freiheit oder eher seitenverkehrte Darstellung. Korrekt wäre an dieser Stelle der Sattelring zum Einhaken der Langwaffe am Knauf des Reitsitzes angebracht. Dieser befindet sich (vom Rechtsschützen gesehen) linkerhand.

Dem Erfolg der ansonsten anspruchsvollen Reihe ist dies allem Anschein nach keineswegs abträglich – Werbeslogan: Heyne Western ist mehr als locker sitzende Colts –, denn wer unter den deutschen Durchschnittslesern kennt schließlich schon die jeweils zugrunde liegenden englischsprachigen Originaltexte und stört sich demzufolge an logischen Ungereimtheiten. Ich selbst habe letztendlich erst Jahrzehnte später per Zufall Judas Gun (Gold Medal Book), Last Train From Gun Hill und The Border Guidon (beide Leisure Books) im Urtext gelesen.
Drehbare Verkaufsständer von Heyne-Taschenbüchern, auf den Verkaufsflächen anfänglich noch frei beweglich platziert, darauffolgend in den Buchabteilungen großer Kaufhäuser und Bahnhofsbuchhandlungen im Ladenausbau fest integriert, finden sich bald schon überall dort, wo letztlich Gedrucktes in jedweder Form zu kaufen gibt. Als Kaufanreiz dient nicht zuletzt die adäquate Titelbildgestaltung, die von den US-Verlagen als Lizenzgeber vorgegeben und lediglich mit deutscher Betitelung versehen wird. Nicht von ungefähr erinnern daher etliche Motive an Darstellungen von Kunstmalern und Graphikern wie Charles M. Russell (1864–1926), John Clymer (1907–1989), Frederic Remington (1861–1909), Frank C. McCarthy (1924–2002), James Bama (1926–2022) oder auch Harold von Schmidt (1893–1992), der einstmals die Illustrationen für die Western-Stories von James Warner Bellah (1899–1976) lieferte.

Es hieße im besten Wortsinn doch eher ’Wyatt Earp nach Tombstone zu tragen’, will man an dieser Stelle einen, wenn auch nur kurzen Abriß zu Shirreffs‘ Leben und Schaffen erwarten. Immerhin fließen mehr als 150 Kurzgeschichten aus seiner Feder, die in den USA oft zunächst in Pulp Magazines (Zeitschriftenmagazine) erschienen und danach in Buchform, parallel dazu auch Scripts zu vier Spielfilmen und einer Fernsehserie sowie über 80 Romane aus seiner Schreibwerkstatt, wenige davon unter Künstlernamen. Neben Western für eine in erster Linie erwachsene Leserschaft publiziert der Autor eine ganze Reihe von Jugendbüchern, deren Inhalte nicht notwendigerweise an der Frontier spielen. Kein Diskurs in akademischer Prosa also. Ich bedaure.

Hierzu sei vielmehr auf die lesenswerte Biografie von Dr. phil. Karl Jürgen Roth in dem inzwischen leider kommentarlos eingestellten Loseblattwerk „Lexikon der Reise- und Abenteuerliteratur“ (mit 68 Ergänzungslieferungen in 11 Ordnern editiert 1989 bis 2016 im Corian-Verlag), das Interview „Ich liebe den amerikanischen Südwesten“ von Thomas Jeier (1947–) im „Heyne Western Magazin 5“, darüber hinaus dutzender Vitae und Werksanalysen anderer hierzu Berufener in Deutsch wie in Englisch, namentlich im Internet, verwiesen. Die genannten Autoren sind obendrein rührige Mitglieder unserer literarischen Gesellschaft. Es mag als ein Charakteristikum der Quellenlage festgestellt sein, daß Dr. phil. Roth vor geraumer Zeit schon in seinem Essay „Der weite Himmel – Der Wilde Westen im deutschsprachigen Taschenbuch“, für „Studies in the Western, Vol. IV, 1995“ völlig zu Recht bemängelte (Zitat): „Eine Publikations- und Rezeptionsgeschichte des Westernromans in Deutschland ist ein Desiderat der Forschung. Generell ist vor allem die bibliographische Erforschung dieses Genres der Unterhaltungsliteratur unzureichend.“

Shirreffs, lebenslang Mitglied unterschiedlicher Institutionen, u.a. Western Writers of America (WWA), Authors Guild, National Rifle Association (NRA), veröffentlicht, abgesehen von an der geschichtlichen Wahrheit ausgerichteten Western-Romane, neben diesen auch ebensolche pointierten Kurzgeschichten, verwendet hier wie dort gleichweise meist fünf ständig wiederkehrende Handlungsmuster:
  1. Das Ranger-Motiv: „Ein Ranger gibt nicht auf“ (Rangers Don’t Quit) u.a.m.

  2.    Das Schatzsucher-Motiv: „Die verschollene Mine“ (Gold Trouble) u.a.m.

  3.    Das Cavalry-Motiv: „Die Patrouille“ (Sabers West) u.a.m.

  4.    Das Ranch-Motiv: „Weidekrieg im Spanish Valley“ (Watch Your Back, Cowboy!) u.a.m.

  5.    Das Marshal-Motiv: „Terror in Bitter Wells“ (Town Tamer) u.a.m.

Alle literarischen Darstellungen folgen annähernd gleichen Vorgaben, bei denen es um Männerstoffe und -welten geht, die Menschen zum Wunschbild und Helden stilisieren. Die Gegenwelt des amerikanischen Western als Erzählform ein Raum der Weite, der Phantasie und Freiheit.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Das wiederkehrende Thema abenteuerlicher Schatzsucher-Melodramen im Teufelskreis von brutaler Gewalt und Opfermut, exemplarisch dargestellt vom Erzähler in „Der Silberschatz von La Barranca“ (Barranca; span.: Enges, tief eingeschnittenes Tal), Ausdruck seines Blicks auf die Abgründe der menschlichen Natur, konfrontiert mit kriegerischen Apachen, Berglöwen und Giftschlangen in dem von der Sonne verbrannten, unwirtlichen Felsengebirge. Womit er sich in etwa den großen europäischen Erzähltraditionen des 19. und 20. Jahrhunderts annähert. Vor allem anderen sei an dieser Stelle Karl May (1842–1912) mit seinen Klassikern der Abenteuerliteratur „Der Schatz im Silbersee“ (Heilige Gefäße eines ausgestorbenen Indianervolks im Bergsee), „Winnetou I“ (Goldader der Apachen am Berg Nugget Tsil in Texas), „Das Waldröschen (Bd. 51 der Ges. Werke: „Schloß Rodriganda“; Königsschatz der Mixtekas in unterirdischer Grotte des heiligen Bergs El Reparo der Perichnol-Gruppe) und „Das Vermächtnis des Inka“ (Schatzkammer des Inka-Goldes in einer Felsenhöhle der Barranca del Homicidio; zu deutsch: Mordschlucht) in Sonderheit hervorgehoben.

Der Routinier des Genres bezieht sich, neben anderen, auf die Quellen um die Lost Dutchman’s Gold Mine, mutmaßlich ausfindig zu machen im zerklüfteten Felsmassiv der Superstition Mountains (zu deutsch: Berge des Aberglaubens; heute Lost Dutchman State Park) in den unwirtlichen Weiten Arizonas. Die Rede ist von der verlorenen Goldader des sachverständigen deutschen Bergwerksingenieurs Jakob Waltz (d.i. Jakob v. Walzer; 1808–1891), angesiedelt vor dem überlieferten Hintergrund der von Jesuitenpadres vor deren Verbannung 1776 per Dekret der hispanischen Krone unter König Carlo III. (1716–1788) im einstigen Neu-Spanien geschürften Erzvorkommen in alten Missionen an unzugänglichen Orten verstecken oder außer Landes bringen, wie auch die Mundlöcher der aufgelassenen Gold- und Silberminen durch Renaturierung und ähnlichem nicht mehr greifbar machen. Daraufhin verliert sich den Angaben zufolge die Spur der Schätze in der Neuen Welt. Wo sie eigentlich waren und was aus ihnen geworden ist, weiß heute niemand.

Noch ein Wort am Rande, diesmal zur erstaunlicherweise äußerst dürftig ausfallenden Anzahl Verfilmungen seiner Stoffe: 1955 wird durch Lippert Pictures Shirreffs’ Erzählung Silent Beckoning als „The Lonesome Trail“ von Regisseur Richard Bartlett (1922–1994) für die Leinwand adaptiert, findet jedoch, eventuell wegen des hierzulande so gut wie unbekannten Cowboydarstellers Wayne Morris (d.i. Bert de Wayne Morris; 1914–1959) keinen deutschen Verleih. Noch dazu, da der groß herausgestellte Star in dieser Schwarzweißproduktion lediglich einen Bartender mimt. Zwei Jahre später bringt Allied Artists in Farbe und CinemaScope sein Erstlingswerk Rio Bravo („Die Tapferen vom Rio Bravo“) unter dem Titel „Oregon Passage“ („Oregon-Passage“/„Tal der Gewalt“), Regie: Paul Landres (1912–2001), mit dem 1926 in Düsseldorf geborenen und 2020 in Santa Fè verstorbenen John Ericson (d.i. Joseph Meibes) als Hauptfigur Seite an Seite mit Schauspielerin und Sängerin Lola Albright (1924–2017) in die Kinos. Letztere wurde bekannt als Interpretin mit Liedern von Komponist Henry Mancini (1924–1994).

Es entbehrt vielleicht nicht einer gewissen Ironie, daß der Arbeitstitel während der Produktion noch so wie der des Buchs gelautet hat. Literarische Vorlage, wie auch diesem klassischen B-Militärwestern gemeinsam sind Topoi etwa anhaltender Kompetenzstreitereien zwischen erfahrenem Indianerkämpfer im Leutnantsrang und ignorantem Fort-Kommandanten; Kameradschaft, Heroismus, Pferdesoldaten, Waffen und Befehle, Angriffe und Niederlagen, Zurückweichen und Flucht unter glühender Sonne, umgeben von Wildnis und Gefahr. In wechselnden Vorahnungen zwischen Verwundungen und Tod sowie Einbeziehung einer angerissenen Liebesgeschichte, kommt es zum spannungsgeladenen Showdown.

In unserer Zeit ist der Low-Budget-Streifen auf DVD im Handel erhältlich (Supreme Film). Für etliche Filmkritiker hat „Oregon Passage“ gleichwohl kaum cineastische Qualitäten aufzuweisen.

1959 bringt Shirreffs die mit vier Nachdrucken von 1960 bis 1986 auflagenstärkste deutschsprachige Buchversion des Paramount-Pictures-Films „Der letzte Zug von Gun Hill“ (Last Train From Gun Hill) in Romanform, in welchem Kirk Douglas (1916–2020) und Anthony Quinn (1915–2001) im blutigen Finale aufeinanderprallen und der das Drehbuch von James Poe (1921–1980) nach der Story „Showdown“ von Les Crutchfield (1916–1966) zugrunde liegt. Letztgenannter einer der Hauptautoren der amerikanischen Kultserie Gunsmoke („Rauchende Colts“) im Fernsehen und Radio gleichermaßen, wofür er allein 81 Episoden zur Version im Äther beisteuert, in diesem Land ausschließlich über die Rundfunkanstalt der US-Streitkräfte AFN (American Forces Network) einstig regelmäßig zu verfolgen. Neun Jahre darauf wird das europäische Kommerzkino in Gestalt des sogenannten Spaghetti-Westerns auf Shirreffs‘ literarisches Schaffen aufmerksam und so entsteht 1968 aus seinem Epos Judas Gun („Lohn der Hölle“), das von der Rache eines fälschlich des Bahnraubs bezichtigten Ausbrechers vom Yuma Territorial Prison, heute Museum, erzählt, der äußerst brutale Streifen „Vivo per la tua morte“ („Ich bin ein entflohener Kettensträfling“/„Zum Tode begnadigt“/„Killer auf der Flucht“) unter der Regie von Alex Burks (d.i. Camillo Bazzoni; 1934–2020) mit US-amerikanischen Filmschauspieler und Bodybuilder Steve Reeves (1926–2000) in der Hauptrolle, welcher auch die Verfilmungsrechte hält. Zugegeben hätte sich der Rezensent eine strenger an der Vorlage orientierte Umsetzung gewünscht. Wo letztendlich nicht … Betitelt „A Long Ride From Hell“ ist das Elaborat, in dem die Identifikationsfigur mit jedem denkbaren Abklatsch des heroischen Rächers – filmtypisch schier unbegrenzte Trommelkapazitäten aller abgefeuerten Coltmodelle inbegriffen –, verklärt wird, erst einmal als englischsprachige DVD verfügbar (Wild East, The Spaghetti Western Collection). Kurios: Neuer deutscher Titelzusatz „Django [sic] – Ich bin ein entflohener Kettensträfling“); hiermit erschienen 2012 als DVD bei Cinema Classic Collection.

Bliebe anzumerken, daß sich Irritationen bezüglich eines Episodentitels The Judas Gun der längst auch bei uns klassisch zu nennenden Fernsehserie Gunsmoke („Rauchende Colts“) auftun, bezieht man im Englischen nicht das bestimmende Artikelwort ‘The’ mit ein. Das Treatment von Harry Kronman (1901–1979) über eine Familienfehde in Sendefolge 511 („Die Streithähne“) aus dem Jahre 1970 hat ganz und gar nichts mit Shirreffs’ Erzählung gemein. Selbiges ließe sich als erstes auch 1962 über den Romantitel The Judas Gun von Wayne D. Overholser (1906–1996) sagen; bis dahin nicht ins Deutsche übersetzt.

In der Bundesrepublik nicht gelaufen ist der Plot von Massacre Creek („Die Legion der Verdammten“) für die US-TV-Serie „Playhouse 90“ als Episode „Galvanized Yankee“. Aus dem gleichen Grunde kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, ob das Skript für die Pilotfolge zur hier nie ausgestrahlten Kavallerie-Western-Serie „Boots and Saddles“ von Shirreffs‘ stammen könnte. Wenn ja, dürfte es sich um ein für sein favorisiertes Sujet passendes Motiv handeln, nämlich die erste Folge „The Gatling Gun“ über bereits erwähnte mehrläufige Feuerwaffe.

Warum die US-Majors von Shirreffs’ Werken nur in so verschwindend geringem Maße als Vorlagen für Kino- und TV-Western Gebrauch machten, entzieht sich meiner Kenntnis. Seine Stoffe aus den einschlägigen Versatzstücken des B-Movies jedenfalls erscheinen selbst noch aus heutiger Sicht geradezu prädestiniert für gleichsam Italo-Western; die zweckentsprechenden Szenenhintergründe, also Motive mit Sandwüsten unter erbarmungslos brennender Sonne, schroffen Gebirgsformationen, in denen sich die Figuren nahezu verlieren, sind im Süden Spaniens, dem Hinterland der Hafenstadt Almería, für atmosphärisch dichte Inszenierungen in kargen Landschaftsszenerien von unendlicher Weite als Projektionsflächen noch immer irgendwo zu finden.

Erwähnenswert ist, wie der von Howard Hawks (1896–1977) inszenierte Western „Rio Bravo“ („Rio Bravo“), verliehen von Warner Brothers, in Wirklichkeit zu seinem Filmtitel kam, hat er doch nicht das mindeste mit dem gleichnamigen weiter vorn zitierten Roman nach bewährten Genremustern von Shirreffs („Die Tapferen vom Rio Bravo“) zu tun. Die belletristische Ausarbeitung zu diesem John-Wayne-Klassiker stammt von der Schriftstellerin und Drehbuchautorin Leigh Brackett (1915–1978), welche diese später zu einem Buch verarbeitet, erschienen in deutscher Erstauflage bei Heyne. Es geht die Legende, dem ‘Duke’ gefiel seinerzeit der Titel von Shirreffs‘ Prosadichtung so gut, daß er die Rechte an den Vokabeln ‘Rio’ und ‘Bravo’ für eben diesen Spielfilm erwarb. Nach Darstellung des Romanciers selbst erhielt er eine solch‘ hohe Summe für lumpige zwei Worte, wie später nie mehr in seinem weiteren Schriftstellerleben. Auf die zwangsläufig sich hieraus ergebene Widersprüchlichkeit zwischen Handlungsort Rio Bravo im Film und Grenzfluß Rio Grande (USA) oder Río Bravo del Norte, kurz: Río Bravo (Mexiko) in der Literatur, soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.

Am Ende bleibt die Frage: Wie verhält sich nun das in der Überschrift genannte biblische Gebet von Psalm 23, Der gute Hirte, aus dem Buch der Psalmen im Alten Testament, ich kündigte es an, mit all‘ dem? Hier ein ganz persönlich gehaltenes Wort in eigener Sache:

Meine Eltern vollziehen ihre Standesamtliche Trauung am Sonnabend, den 2. Juni 1945, somit sechsundzwanzig Tage nach der Bedingungslosen Kapitulation Deutschlands im Zweiten Weltkrieg und einen Tag vor dem fünfundzwanzigsten Geburtstag meiner Mutter, in damaliger Bezirksbürgermeisterei Berlin-Friedrichshain, anschließend sakrale Eheschließung in der Evangelischen Samariter-Kirche im gleichen Berliner Innenstadtbezirk. Ihr Trauspruch, mit einer der bekanntesten alten Bibeltexte für größtes Glück und Freude wie auch Verlusterfahrungen, Tod und Trauer gesprochen, lautet:

»Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen … «

Fünfzehn Jahre später (1960) ist es der Leitspruch meines Schulanfänger-Gottesdienstes, noch zehn Jahre weiter Predigttext zur Silberhochzeit meiner Eltern (1970), beides in der Evangelischen Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche, Bezirk Tiergarten, Ortsteil Hansaviertel, sodann fünfundfünfzig Jahre darauf (2015) letztendlich auch Grabspruch meiner Mutter wie in Dezennien dazwischen gleich anderer Angehörigen, so 1987 meines Vaters.

Und genau an dieser Stelle beginnt eine geistige Verbindung mit Shirreffs’ Œvre, bietet sie mir doch die Möglichkeit, für mehrere Stunden in seine regionalhistorisch orientierte US-Prosa abzutauchen. Vorherrschend in jenen Western-Romanen, in denen er das Soldatenleben der U.S. Cavalry im Grenzgebiet veranschaulicht, läßt er den Psalmbeter als Handlungsträger, wenn Reiter seiner Schwadron während eines Feldzugs gegen Indianer auf dem Kriegspfad durch Feindeshand gefallen sind, an deren Totenhügeln mitten im Nirgendwo, drapiert mit grob zusammengezimmerten Holzkreuzen zwischen aufgeschichtetem Gestein, eben jene Worte aus der Heiligen Schrift rezitieren, mit denen die blauen Dragoner ihren Kameraden die letzte Ehre erweisen. So etwa nachzulesen in: „Die Legion der Verdammten“, Kap. 2, (Massacre Creek) [erwähnt], „Kershaw, der Kämpfer“, Kap. 17, (Glorieta Pass) [verballhornt], „Einer blieb zurück“, Kap. 8, (The Border Guidon), „Ritt in die Hölle“, Kap. 2, (The Valiant Bugles), „Die Letzten vom Broken Bow“, Kap. 1, (Slaughter at Broken Bow) und „Kershaw, der Scout“, Kap. 18, (Ghost Dancers) [alle gebetet], wobei stets die genehmigten Taschenbuchausgaben mit Copyright beim Heyne-Verlag zu Grunde liegen.





Zieht man darüber hinaus noch die Romanheftabdrucke mit mehr oder minder veränderter Titelei hinzu, entdeckt man nicht nur teils entstellte Inhalte, was auf mögliche Urheberrechtsvorgaben hindeutet, sondern hin und wieder auch das Weglassen christlicher Anleihen in den relevanten Textpassagen. Wie es scheint, ein frühes Indiz für das fortschreitend säkularisierte Weltbild der 1960er Jahre.

Shirreffs hingegen erweist sich demgegenüber als durchaus bibelfestes Mitglied des textproduzierenden Gewerbes. Wie anders ließe sich erklären, daß er in „Kershaw, der Trapper“ (The Untamed Breed) den katholischen Pelzjäger mit, wie gesagt, schottischer Herkunft, während langer Winternächte seiner blutjungen Shoshoni-Squaw aus dem Alten Testament vorlesen läßt. Er begegnet ihr mit Respekt und ohne christlichen Missionarseifer – ein wahrer Mountain Man eben. Das erste Buch Mose, Die Schöpfung, „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“, mit daraus resultierenden tieferen, fast schon religionsphilosophischen Gesprächen der Beiden nimmt alle elf Seiten von Kapitel 16 der Heyne-Ausgabe in Anspruch. Eine beachtenswerte Episode aller interkultureller Unterschiede zum Trotz, gut und lesbar erzählt, die viel über den religiösen Glauben des geschichtskundigen Schriftstellers selbst aussagt, verdichtet sich zu einem berührenden Gesamtbild.

Wer darauf achtet, findet hervorgehobenes geistliches Lied auch in so manchen Western-Filmen als Nekrolog wieder, bei denen Leichenbegängnisse auf dem Boot Hill (Stiefelhügel) abgehalten werden. Aber es gibt noch mehr zu berichten. Den Leser erwartet bei der Lektüre des 1972 erschienenen Kelter Taschenbuch-Western 580, „Geier über Fort Massac“, auf Seite 76 von neuem das Bibelzitat »Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln … « Was Wunder, verschafft die Romanexposition von Peter Dubina (1940–1990) mit Co-Autor H.C. Nagel (d.i. Herbert Christian Nagel; 1924–2016) ein bisschen ein Déjà-vu in punkto Ausdrucksweisen, Militärtaktiken und -strukturen in der direkten Gegenüberstellung mit dem Bürgerkriegsepos „Die Legion der Verdammten“ (Massacre Creek) von Gordon D. Shirreffs.

So tritt beispielsweise ein kriegsgefangener, später füsilierter Südstaatler in Erscheinung, dessen Namen ‘Sabin Shay’ unser Dichter schon vierzehn Jahre vorher in besagtes Buch an seinen Heros vergab. Der Erzählduktus hat auch sonst einiges mit der amerikanischen Vorlage gemein; der Handlungsablauf hebt aber eher die Ressentiments der Konföderierten gegen die Überläufer aus ihren Reihen an die Unions-Armee hervor, verknüpft mit daraus resultierendem Rassenhass zwischen Schwarz und Weiß, Nord und Süd.

In diesem Zusammenhang kann auch die Benennung des Armeepostens, ‘Massac’, als Anagramm von ‘Massacre’ (Massaker) aufgefaßt werden, genauso gut aber auch direkt vom geschichtlichen Fort Massac am Mississippi im US-Bundesstaat Illinois entliehen sein. Summa summarum dürften Büchermenschen diese Art des Erzählens anhand der teils fast schon klischeehaften Figuren auch nach 48 Jahren in weiten Teilen bestenfalls als Surrogat betrachten.

Sei’s drum.
Fraglos ist Shirreffs nicht der Einzige, der sich in seinen Werken der Psalter bedient, was in der voranstehenden Geschichte zu lesen ist. Ein 1956 von C. William Harrison (1913–1994) erschienener Western-Roman „Das einsame Fort“ (The Guns of Fort Petticoat), darauf verfilmt mit Audie Murphy (1925–1971) in der Heldenrolle (dt. Verleihtitel „Das Fort der mutigen Frauen“), steht sinngemäß dafür. Am frisch aufgeworfenen Grabhügel für den Leichnam einer von aufständischen Comanchen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten weißen Frau verkündet in Kapitel 12 der Heyne-Ausgabe von 1968 eine fromme Siedlerin die schlichte Botschaft: „… und ich werde sein im Hause des Herrn für jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.“ Doch Hoffnung oder Erlösung, etwaigen Halt kann es auch hier nicht geben.

   Wenn nun diese, meine Zeilen sich im Druck befinden sollten, blickte ich Ende 2019 bereits auf eine zehnjährige Mitgliedschaft in unserer literarischen Gesellschaft zurück und nenne in der Zwischenzeit eine so gut wie komplette Bibliothek an Taschenbüchern wie auch Romanheften von Shirreffs‘ Gesamtwerk mein Eigen (siehe Anhang deutschsprachige Bibliografie). Trennen kann ich mich von keinem. Noch nicht. Oder vielleicht auch nie. Denn diese waren — Ich. Drei Pabel-Western-Großbände wurden speziell der antiquarischen Erhaltung wegen, letzten Endes gemeinsam zu einem Buch gebunden.




   Ich würde mir wünschen, daß meine vorgelegte, bewußt en famille gehaltene Abhandlung, die vielleicht nicht immer ganz wissenschaftliche Standards, was literarischen Wert, den Stil oder die Ausdrucksmöglichkeiten angeht, erfüllen mag, als das aufgenommen wird, was sie allein sein will: Ein kurzes Streiflicht durch meine Biographie, nicht mehr und nicht weniger, verknüpft mit den Berührungspunkten unseres Hangs zum gemeinsamen unterhaltungsliterarischen Gebiet des geschriebenen Wortes im Hinblick auf einen seiner herausragenden Vertreter

GORDON DONALD SHIRREFFS

1914–1996


So weit, so gut. Zum Schluß möchte ich den Blick noch auf jenes bewegend zu lesende Stück Western-Prosa mit einer ernsthaften Botschaft lenken, daß der Schriftsteller hier publiziert hat und mir nachhaltig haften geblieben ist: „Der Gnadenlose“ (Blood Justice), verlegt bei Heyne, erschienen in drei Auflagen, und als Romanheft im Marken-Verlag, in dem Schmerz und Menschlichkeit ebenso ihren Platz haben wie exzessive Gewalttätigkeit, an deren Ende sozusagen eine Form von Gerechtigkeit hergestellt wird.

   Der düstere Handlungsstoff über Lynchjustiz und die emotionale Tragödie eines Menschen, den es umtreibt, die Hinterbliebenen unschuldig Gehängter ausfindig zu machen, getragen von unendlicher Bitterkeit und Melancholie, hat mich in gewissem Maße betroffen gemacht. Er kämpft quasi gegen seine eigenen Dämonen. Dabei tritt die charakterlich gut herausgearbeitete Hauptperson nicht etwa als hasserfüllter Rächer auf, wie man vielleicht aufgrund des deutschen Titels stark annehmen könnte. Die Assoziation mit existentiellen Fragen nach Schuld und Sühne macht daraus vielmehr ein tragisches Epos.

Wenn auch Fiktionalität jedweder Art letzten Endes der Unterhaltung dienen soll, so kann sie dem Bücherfreund dennoch für mehrere Stunden das Gefühl geben, mit seinen traurig-resignativen Momenten der Verlassenheit nicht allein in der Welt zu sein. Die Wüste als ein lebensfeindlicher Ort ist auch sehr gottverlassen.

Shirreffs‘ Gestalten sind fast immer auf irgendeine Art meist Verlorene. Er beginnt in seinem Buch „Kugeln aus dem Hinterhalt“ (Shadow Valley) gleich das erste Kapitel mit den Sätzen: „Der ferne Pfiff der abfahrenden Lokomotive wurde von den kahlen Hügeln rund um die Stadt als Echo zurückgeworfen. Einer der drei einsamsten Laute der Welt, dachte Holt Cooper, als er vom Bahnsteig zum Zentrum von Rockyhill ging. Die beiden anderen waren das melancholische Heulen eines Coyoten und das Knirschen von Stiefeln, wenn ein Fremder durch die Straßen einer neuen Stadt geht.“

Leben ist einsam sein.

Und dann die Momente, wenn man „Der Gnadenlose“ zu Ende und nach vertrauter Dramaturgie durchgelesen hat und kurz beiseitelegt, und es setzt das Nachdenken ein. Es ist der Eindruck von gewesenem Leben, der den Roman-Charakter anrührt und beim Leser seinerseits existenzielle Fragen aufwirft, die das Buch stellt. Nach den Spuren, die von einem Menschen bleiben. Nach dem, wofür jemand gekämpft hat oder auch nicht. Dennoch ist Blood Justice keine ‘schwere’ oder am Ende gar niederdrückende Lektüre und daher nicht bloß Insidern anempfohlen. Anders ausgedrückt: Ein Stoff, der nach Verfilmung schreit.
Die sozialkritische Aussage weist dessen ungeachtet erkennbar Parallelen zu den Lynchmorden in Walter van Tilburg Clarks (1909–1971) Roman „Ritt zum Ox-Bow“ (The Ox-Bow Incident) auf. Womit gleich noch eine Volte zum gleichnamigen bedeutenden Western-Film der 20th Century Fox von 1943 mit Henry Fonda (1905–1982) und Anthony Quinn (1915–2001) unter der Spielleitung von William A. Wellman (1896–1975) geschlagen wird.

***

Wie bestärkte mich doch unser ehemaliger 2. Vorsitzender und kommissarischer Schatzmeister in Personalunion, Dr. phil. Peter Bischoff, M.A. (1942–2019), vor mehr als fünf Jahren (Stand: 2018); ich zitiere aus dem Schreiben wie folgt: „Könnten Sie für unsere Zeitschrift [Studies in the Western, KJR] einen unprätentiösen Artikel über Ihre lange Begeisterung von den deutschsprachigen Western (als Roman oder Heft-Story etc.) Gordon D. Sherriffs‘ verfassen? Sollte durchaus persönlich gehalten sein ohne langen „wissenschaftlichen“ und „tiefgründenden“ Umstand. Nur ein bisschen Mut: Schreiben Sie so, als erzählten Sie einem befreundeten Menschen, was Sie so sehr an Shirreffs‘ Western begeistert.“

Das ist an dieser Stelle versucht worden.

Nur kann er es leider nicht mehr lesen. Ich glaube, die en passant gewährten, ungewöhnlich privaten Einblicke hätten ihm nichtsdestoweniger gefallen … Möge die letzte Belegstelle, die gleichbedeutend zurückschaut auf ihn, den Spiritus rector unserer Vereinigung, dem persönlich zu begegnen, mir nur ein einziges Mal 2018 in Berlin kurz vergönnt gewesen ist, den Kreis der Geschichte beschließen, die hier niedergeschrieben ist:

Als sie bei Sonnenaufgang den Paß erreichten, strich der sanfte Wind über das Plateau. Leise, ganz leise erklang das Läuten der Glocke hinter ihnen.“ (Eine Kugel für Tascosa Kid)

Gemeint ist die im Buch vorkommende Geisterglocke des kleinen halbverfallenen Kirchleins in der alten Placita von Puerta de Luna (zu deutsch: Tür zum Mond), in trostloser Einsamkeit der rauhen, zerklüfteten Berge New Mexicos. Sie ertönt, wenngleich seit Menschengedenken längst keine Seele mehr dort zu finden ist, die etwa noch am Glockenstrang ziehen könnte.

Ein letztes ehrendes Gedenken:

Desgleichen schlug sie 2022 im besten Sinn des Wortes zum Tode unseres Ersten Vorsitzenden, Dr. phil. Peter Noçon (geb. 1943) an. Unter diesen Umständen geht mangels geeigneter Nachfolger die 1990 gegründete und seit 1993 als Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften in Deutschland e.V. geführte GASW wohl ihrer Auflösung entgegen …

TRAIL’S END

Anhang deutschsprachige Bibliografie [in einem gesonderten Beitrag , KJR].

[Gesetzt nach der alten Rechtschreibung unter Verzicht auf die Gendersprache] [Unterstreichungen markieren Kursivschrift]

Im übrigen wird auf die noch immer existente Webside des Westernforschungszentrums Münster, letzter Bearbeitungsstand 2018, hingewiesen: http://www.westernforschungszentrum.de/

Michael Stemmer
Bartningallee 20
10557 Berlin
(0 30) 3 91 62 56




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