ein
psalm im pulverdampf
DER
WESTERN-AUTOR GORDON D. SHIRREFFS
Michael Stemmer, Berlin
Gewidmet dem Andenken meiner
Eltern.
„For
a moment he stood there, as though groping for words, and then he
spoke in a soft fine voice that speech: »The
Lord is my shepherd; I shall not want. He maketh me to lie down in
green pastures: he leadeth me beside the still waters … «
When
he had finished it was dark and the wind was stronger.” - The
Border Guidon
Er war ein hochproduktiver
Western-Schriftsteller, ein vielgelesener Vielschreiber, und die
Einsamkeit der staubigen Einöde des amerikanischen Mittel- und
Südwestens war bevorzugte Kulisse seiner Werke mit üppig
ausgemaltem Zeitkolorit und großer Aufmerksamkeit für die Details
der Sujets, die durchaus auch religiöse Züge tragen:
GORDON
D. SHIRREFFS
Ich
erzähle eine sehr persönliche Geschichte:
Während ich mitten im Endlossommer der Dürre meines Pensionsjahres 2018 beginne, meine
gedankliche Vorarbeit zu Papier zu bringen, respektive die Finger
über die Tastatur meines Computers tanzen lasse, herrscht in meiner
Vaterstadt Berlin gegenwärtig brüllende Hitze von + 35 °C im
Schatten und damit genau die richtige Tageshöchsttemperatur, um die
an der Authentizität der geschichtlichen Rekonstruktion orientierten
Wildwestromane eben dieses US-amerikanischen Autors mit schottischen
Wurzeln – die er auch dem Protagonisten der vier Bände umfassenden
Quint-Kershaw-Saga mit Ausflügen zum historischen Roman angedeiht
–,neuerlich in den Blick zu nehmen. Was Shirreffs literarische
Szenarien hervorstechend macht, ist die große Detailtiefe und
Kohärenz der Erzählungen. Gerät der Bücherfreund doch bei deren
Lektüre, folgt er mit Spannung dem bitteren Weg der jeweiligen
Heldenfigur mit seinen dramatischen Zuspitzungen durch die weiten,
unberührten, aber auch schroffen und abweisenden Naturlandschaften der US-Bundesstaaten Arizona,
Kalifornien und Neu Mexiko, fast selbst gehörig mit ins Schwitzen:
Menschenleere, ausgedörrte Umwelt zwischen teils rostroten,
staubigen Terrains und strohgelben Gras, Felsgestein, hier wie da ein
paar Bäume, Sand und Kakteen, wo Kojoten, Klapperschlangen, Pumas
und Skorpione beheimatet sind, das Individuum aber verlorengeht.
Aus der Rückschau betrachtet ist
man seitens unserer German Association for the Study of the Western
(Deutsche Gesellschaft zum Studium des Western e.V.) bereits 2013 an
mich herangetreten, meine Affinität zu Shirreffs, dessen Stoffe, ich
wiederhole, eine historisch annähernd exakte Interpretation von der
Geschichte des Westens vermitteln, im Kontext mit meiner
gesprächsweise angeklungenen Familiengeschichte dem geneigten Leser
versuchen näherzubringen. In ebendieser Zeit nehme ich die Arbeit
an dem Manuskript wieder auf, das ich bereits mehrfach zur Seite
gepackt, aber nie gänzlich verworfen habe. Ich führte immer wieder
Gespräche und sammelte Material, Briefe, Notizen, Texte. Aber ich
fand den rechten Einstieg nicht. Und so reise ich denn heuer, unter
Zuhilfenahme von an den Ecken schon etwas abgegriffener, leicht
angegilbter Taschenkalender aus dem früheren Besitz meiner Mutter in
den Lebenserinnerungen gut fünf Dezennien zurück …
Sonnabend,
29. Juli meines Konfirmationsjahrs 1967.
Ich, ein einzelgängerischer, fantasievoll-belesener Charakter
Jahrgang 1953 – Gründungsjahr des Schriftstellerverbands Western
Writers of America (WWA); im Kino laufen u.a. Hondo („Man nennt mich
Hondo“, Shane („Mein großer Freund Shane“), Johnny Guitar („Wenn Frauen hassen“) –, sitze
zusammen mit meinen Eltern Gerhard (1920–1987) und Ella Stemmer
(1920–2015) im Interzonenzug Berlin-Zoologischer
Garten–Halle/Leipzig–Saalfeld–Nürnberg. Wir befinden uns auf
der Reise in die Ferien im Norden Bayerns, in der Marktgemeinde
Steinwiesen im oberfränkischen Landkreis Kronach. Und während
draußen zunächst noch ausgedehnte Kiefernwälder der Mark
Brandenburg am Abteilfenster der II. Klasse vorbeiziehen und Schleier
von Kohlenrauch und Wasserdampf – nicht verbrennungstechnisch
falsch, pechschwarze Qualmwolken, wie man sie in erster Linie von
Western-Filmen um des optischen Effekts willen her kennt –, aus
einer Lokomotive der DR (Deutsche Reichsbahn) im Fahrtwind
zerflattern, nehme ich ein Paperback aus dem Wilhelm-Heyne-Verlag,
München, zur Hand, mache es mir auf meinem Platz bequem und schlage
die erste Seite des Western-Romans Judas Gun („Lohn der Hölle“ identisch mit „In den Stiefeln eines Toten“) besagten
Unterhaltungsschriftstellers auf.
Die
bemerkenswert realitätsnah aufbereiteten Erzählstränge, verbunden
mit der in gewisser Weise an Karl May (1842–1912) erinnernde
prächtig gezeichnete Kulisse der Naturwelt im sonnendurchglühten
Arizona, nehmen mich für die als kongenial zu bezeichnende
Übertragung auf Deutsch von Gerd Leetz wesentlich ein. Zumal ein
hierin geschilderter Eisenbahnüberfall auf einstmals betriebene
Southern Pacific Railroad als Ausgangspunkt für den weiteren Ablauf
der mit schlüssigen Genre-Motiven durchsetzten Story in steinerner
Wüste, Hitze und Staub, nicht nur im D-Zug gelesen, ein stimmiges
Pendant darstellt, sondern im speziellen meiner Schwäche für
amerikanische Dampfrösser der Pionierzeit außerordentlich
entgegenkommt. So, wie ich sie Anno dazumal in „Winnetou – 1.
Teil“ [Fake, Jugoslovenske Železnice; zu deutsch: Jugoslawische
Eisenbahn] und „12 Uhr mittags“ (Sierra Railroad Company)
vernehmbar pfeifend und läutend über die Projektionswand habe
schnaufen sehen. Die bloße Erwähnung einer von R.J. Gatling‘s
Revolving Battery Guns – gewissermaßen ein Vorläufer des sMG
(Schweres Maschinengewehr –, freilich nicht ohne kurze mechanische
Charakteristik der Repetierkanone mit Handkurbelantrieb, was deren
Schußfolge, Kaliber etc. anbelangt, auf dem Hauptwachturm des
Zuchthauses von Yuma (heute Yuma Territorial Prison State Historic
Park), ruft mein, wenn auch nur temporäres Interesse an der
Technologie mehrläufiger Schnellfeuerwaffen hervor. Django grüßt
hier in etwa aus der Ferne. Jahrzehnte danach sollte es in anderem
Konnex neuerlich aufflammen.
Am Urlaubsort im Naturpark
Frankenwald erwerbe ich bei einem Friseurladen [sic] mit
angeschlossenen Buch- und Zeitschriftenhandel vom gleichen
Romanschreiber Massacre Creek („Die Legion der Verdammten“) und später
noch „Lexikon des Wilden Westens. Geschichte, Geschichten, Filme“
von Ernest Prodolliet (1925–2009).
Der
Autor dieses Artikels, damals vierzehn Jahre alt, kann sich zum
erstgenannten Titel noch gut an folgende Anekdote erinnern:
Donnerstag, 17. August 1967, abends, Besuch beim damaligen
Dienstvorgesetzten meines Vaters, als KOM (Kriminalobermeister)
Ermittler für Delikte der Wirtschaftskriminalität, in dessen
Urlaubsdomizil im entfernter gelegenen Erholungsort Nagel im
Naturpark Fichtelgebirge. In feuchtfröhlicher Runde im Dorfgasthaus
gelingt es mir, den dort befindlichen, schon leicht angejahrten
Geldspielautomaten so zu manipulieren, daß er mir exakt den für
mich ‘horrenden’ Gewinn von ganzen 2,40 DM (Durchschnittspreis
eines kartonierten Buchs) ausspuckt; genug, um mir tags darauf
ursprünglich anvisiertes Bastei-Western-Taschenbuch „Die letzte
Patrouille“ von Rex Hayes (d.i. Günter Rexhaus; 1919–2004)
kaufen zu können. Da dieses zwischenzeitlich in Steinwiesen aber
nicht mehr zu kriegen ist, weiche ich auf obigen Kavallerie-Western
von Shirreffs aus, was ich späterhin mitnichten bereue; eine
dramatische Synthese aus Dichtung und Historie tut sich auf,
detailreich recherchiert und sehr anschaulich in ihrer Beschreibung
des Soldatenwesens nach Beendigung
des Sezessionskriegs 1861 bis 1865 – Rücktitel an anderer Stelle:
Nur wenige Schriftsteller verstehen es, den Armeealltag im
amerikanischen Südwesten so lebensnah zu schildern wie er –, was
ich von meiner Seite aus nur unterschreiben kann. Man mag dies als
reine Heldenepik beiseite tun, trotz dieser Gründlichkeit und
detaillierten Beleuchtung spiegelt Shirreffs‘ Schreibstil die
vielen Facetten und Abgründe, Hoffnungen und Träume des Menschseins
wider.
Erst ein Jahr anschließend,
1968, ergattere ich erwähnten Erkundungsritt der Reitertruppe
zusammen mit Bastei-Western-Taschenbuch „Höllenfahrt nach El
Paso“, einem Eisenbahn-Western geschrieben von Tom Harper (d.i.
Helmuth Richartz; 19??–), deutschsprachiger Autor mit wie üblich
amerikanisch klingenden, weil verkaufsfördernden Pseudonym, im
ehemaligen Charlottenburger Kaufhaus Neckermann. Wenn nicht alles
trügt, habe ich mir auch das Romanheft „Der Eisenweg nach Santa
Fè“ aus der zweiten Auflage „Die Wyatt-Earp-Story“ von William
Mark (d.i. Dr. Albrecht Peter Kann; 1923–1996) damals aus dem
Frankenwald mit nach Hause gebracht.
Anfänglich ist es sicher eher
als Walten des Schicksals zu betrachten, ausgerechnet Shirreffs für
mich entdeckt zu haben. Doch wenn einem als Bücherwurm die erste
Prosadichtung gefangen nimmt, behält man den Namen des Verfassers im
Gedächtnis. Trifft auch den zweiten geschichtsträchtigen Roman,
der im Wilden Westen spielt, den persönlichen Geschmack, bleibt die
Erinnerung haften. Noch dazu, wenn der Nachname passend so ähnlich
klingt, wie die Bezeichnung des höchsten Vollzugsbeamten einer Stadt
in den USA. Einerlei wann, suche ich gezielt nach den
Western-Romanen meines nunmehr Lieblingsautors, weil ich mir
annähernd sicher sein kann, daß sie so gut wie alle meinen Gefallen
finden. Wenngleich auch sie nicht frei von gängigen Klischees,
Vorhersehbarkeiten im Handlungsablauf und mitunter recht
blutrünstigen Szenen. Sogar das Gefühl, daß man selbst mit den
Romanfiguren ein Stück des gefahrvollen Trails mitreiten täte,
stellt sich beim Lesen des öfteren ein. Denn jede seiner Heroen mit
ihren Entbehrungen, Wagnissen und Schmerzen, wohnt daneben auch eine
zutiefst menschliche Tragik inne, bleiben über den gesamten
Lesestoff hinweg betont einsame Figuren. Dies wird anschaulich in
Titeln, wie Now He Is Legend („Eine Kugel für Tascosa Kid“, identisch mit „Tascosa Kid“),
dargelegt mit ihren Düsterheiten wie Schwäche, Angst, Verlust, Tod.
Aber auch Liebe, Sehnsucht, Entsagung und Leidenschaft; bisweilen
gepaart mit im genreimmanenten Duktus breit ausgemalter Gewaltmotive,
explizit bei den obligaten Faustkämpfen.
Doch
dabei stelle ich beim Schreibprozeß fest, je länger ich aufzeichne
und über das Geschriebene nachzudenken beginne, desto mehr entsinne
ich mich, was immer auch als Grundlage für mancherlei Subtexte
dient. Zum Beispiel: Überhaupt nichts mehr in dieser Hinsicht an
Lesestoff selber zu kaufen brauche ich mir darauf 1970, wieder in den
Sommerferien, diesmal im nordhessischen Urlaubsort Lippoldsberg im
Weserbergland. Ein Pensionsgast, Rentier und eifrige
Western-Leseratte, überläßt mir, als kleine Geste bezüglich
unseres beiderseitigen Faibles für dieses literarische Segment, bei
der Abreise seine am Ort beschaffte Urlaubsschmöker an
Western-Romanen als Heyne-Taschenbücher, die späterhin den
Grundstock meiner umfangreichen Literatursammlung bilden. Darunter
Shirreffs’ The Lone Rifle („Ein Grab in Montana“) sowie The Last Man Alive („Der Überfall“; identisch mit „Nur einer überlebte“).
Die anderen Titel stammen aus der
Reihe „Heyne Western Classics“ mit u.a. The Border Legion („Die Grenzlegion“) und Arizona Ames („Der Löwe von Arizona“); Buchtitel
wohlgemerkt, die auch meinem Vater noch von seiner Jugend her
geläufig sind. In seinem 1943 total ausgebombten Elternhaus, Bezirk
Steglitz, verbrennen nicht allein seine und seines Bruders
Hans-Joachims (1914–1984) olivgrüne Karl-May-Bände aus Radebeul,
sondern auch die Ausgaben eben jenes früheren Dentisten und nachher
Bestsellerautors Zane Grey (d.i. Pearl Zane Grey; 1872–1939), so
z.B. Forlorn River („Der verlorene Fluß“) oder auch Betty Zane („Betty Zane“), wie ich vermute
aus dem Verlag von Th. Knaur Nachf., welche er sich um 1966 als
Heyne-Buch in Neuauflage wiederbeschafft. Damit beginnt es wohl
seinerzeit, das definitive Comeback des Westerns im Hause des
Schreibers dieses Aufsatzes, und zwar in Wort und Bild gleichermaßen.
Ein
kurzer Einschub:
Zudem auch musikalisch beflügelt
durch künftig lebenslanges Faible für (Western-)Film-musik, im
besonderen die Karl-May-Soundtracks des gebürtigen Berliners Martin
Böttcher (1927–2019), die Partitur zu High Noon („12 Uhr mittags“) aus der Feder
vom russisch-amerikanischen Filmkomponisten Dimitri Tiomkin
(1894–1979) und last, not least die ab 1964 oft im Rundfunk zu
hörende Western-Ballade „Ringo“ (He
lay face down in the desert sand / Clutching his six-gun in his hand
…) intoniert vom
kanadischen Schauspieler (TV-Serie „Bonanza“) und Sänger Lorne
Greene (1915–1987); beziehungsweise in der deutschen Fassung (Er
lag regungslos im heißen Sand, die Pistole fest in seiner Hand …)
ein Jahr darauf vorgetragen von Ferdy (d.i. Waldemar Müller;
1918–2001), ehedem Hörfunkmoderator bei Radio Luxemburg; indes mit
umgemodelter 7. Strophe. Der Ich-Erzähler zieht hier im Saloon mit
tödlicher Sicherheit gegen den einstigen Weggefährten, nicht wie im
Original vorgetragen, wo die draußen wartende Posse (Aufgebot) den
Outlaw gemeinschaftlich niederschießt. Die in beiden Liedtexten
daraus abzuleitende Ethik in puncto unverzichtbaren Werts von
Freundschaft an und für sich (So
wurde im letzten Augenblick erst klar, daß auch ein guter Kern in
der rauhen Schale war von Ringo.)
könnte hierbei genausogut auch von Shirreffs‘ herrühren.
Nämlich, daß Menschen auf höchst unterschiedliche Art und Weise
verbunden sein können.
Aber
ich schweife ab.Um diese goldene Zeit eines
erneuten Auflebens von Karl Mays Gesammelten Werken zwischen
Buchdeckeln wie auf der Kinoleinwand also, in der der Wilde Westen
ohnehin schon en vogue ist, etabliert sich der Wilhelm-Heyne-Verlag,
München, ab 1962 auf dem sich rasch entwickelnden deutschen Markt
kleiner, broschierter Bücher massiv mit einer stetig anwachsenden
Zahl an Neuerscheinungen dieses ur-amerikanischen Genres, beginnend
mit Clay Fishers (d.i. Henry Wilson Allen; 1912–1991) Little Big
Horn-Story No Survivors („Der letzte Mann“). Aber
bereits im März 1960 kommt in der „Allgemeinen Reihe“ mit
Shirreffs’ Last Train From Gun Hill („Der letzte Zug von Gun Hill“)
der erste Western-Roman überhaupt des im 1945 in Dresden zerbombten
Verlags heraus. Zu damaliger Zeit mit sein größter Erfolg. Ein
(Film-)Titel, der seither, wann immer sein Name fällt, in Klammern
dahintersteht.
Bei dieser Gelegenheit:
Die
Übersetzungen der meisten Werke, nicht nur die von Shirreffs,
kranken leider allzuoft an den im Interesse der Seitenzahl einer
Taschenbuchausgabe stellenweise etwas komprimierten Fassungen nach
Verlagsvorgaben, was mir beispielhaft anhand eines
Kontinuitätsfehlers im Verlauf des voraussehbaren Geschehens in Renegade's Trail („Die
letzte Patrone“, Kap. 20; identisch mit „Der Halblutmann“, „Queho, das Halbblut“, „Der Ausgestoßene“), einer von
sechs Abenteuergeschichten um die ganz eigene, sich zuweilen
humanitären Prinzipien verpflichtet fühlenden literarischen Figur
als Typus des Menschen- nicht
Kopfgeldjägers Lee Kershaw (Enkel des Protagonisten Quint Kershaw),
jenseits der Genremuster des Westerns qua Definition ins Auge springt
– Verlagswerbung auf dem Klappentext: „Mit Lee Kershaw schuf er
die Figur eines Antihelden, der sich wohltuend vom Klischee vieler
anderer Serienhelden abhebt.“ Die Handlungsfäden werden schlüssig
zusammengeführt und die Figurenzeichnung der rauhen, unverfälschten
Charaktere weiß in der Tat zu überzeugen. Das Motiv der
Endlichkeit durchzieht immer wieder den Roman.
Beiläufig
erkennt das geschulte Auge aber beim Titelbild von Heyne
Western-Reihe Bd. 2422 eine Divergenz hinsichtlich Anbringung der
Ladeöffnung des dargestellten Unterhebel-Repetiergewehrs. Eine
Winchester, gedacht für Linkshänder, hat es nie gegeben; aus diesem
Grunde auch keine Patroneneinführung für das Röhrenmagazin auf der
linken, anstatt rechten Seite des Systemkastens. Entweder handelt es
sich hierbei um rein künstlerische Freiheit oder eher
seitenverkehrte Darstellung. Korrekt wäre an dieser Stelle der
Sattelring zum Einhaken der Langwaffe am Knauf des Reitsitzes
angebracht. Dieser befindet sich (vom Rechtsschützen gesehen)
linkerhand.
Dem Erfolg der ansonsten
anspruchsvollen Reihe ist dies allem Anschein nach keineswegs
abträglich – Werbeslogan: Heyne Western ist mehr als locker
sitzende Colts –, denn wer unter den deutschen Durchschnittslesern
kennt schließlich schon die jeweils zugrunde liegenden
englischsprachigen Originaltexte und stört sich demzufolge an
logischen Ungereimtheiten. Ich selbst habe letztendlich erst
Jahrzehnte später per Zufall Judas
Gun (Gold Medal Book),
Last Train From Gun
Hill und The
Border Guidon (beide
Leisure Books) im Urtext gelesen.
Drehbare Verkaufsständer von
Heyne-Taschenbüchern, auf den Verkaufsflächen anfänglich noch frei
beweglich platziert, darauffolgend in den Buchabteilungen großer
Kaufhäuser und Bahnhofsbuchhandlungen im Ladenausbau fest
integriert, finden sich bald schon überall dort, wo letztlich
Gedrucktes in jedweder Form zu kaufen gibt. Als Kaufanreiz dient
nicht zuletzt die adäquate Titelbildgestaltung, die von den
US-Verlagen als Lizenzgeber vorgegeben und lediglich mit deutscher
Betitelung versehen wird. Nicht von ungefähr erinnern daher etliche
Motive an Darstellungen von Kunstmalern und Graphikern wie Charles M.
Russell (1864–1926), John Clymer (1907–1989), Frederic Remington
(1861–1909), Frank C. McCarthy (1924–2002), James Bama
(1926–2022) oder auch Harold von Schmidt (1893–1992), der
einstmals die Illustrationen für die Western-Stories von James
Warner Bellah (1899–1976) lieferte.
Es hieße im besten Wortsinn doch
eher ’Wyatt Earp nach Tombstone zu tragen’, will man an dieser
Stelle einen, wenn auch nur kurzen Abriß zu Shirreffs‘ Leben und
Schaffen erwarten. Immerhin fließen mehr als 150 Kurzgeschichten
aus seiner Feder, die in den USA oft zunächst in Pulp Magazines
(Zeitschriftenmagazine) erschienen und danach in Buchform, parallel
dazu auch Scripts zu vier Spielfilmen und einer Fernsehserie sowie
über 80 Romane aus seiner Schreibwerkstatt, wenige davon unter
Künstlernamen. Neben Western für eine in erster Linie erwachsene
Leserschaft publiziert der Autor eine ganze Reihe von Jugendbüchern,
deren Inhalte nicht notwendigerweise an der Frontier spielen. Kein
Diskurs in akademischer Prosa also. Ich bedaure.
Hierzu sei vielmehr auf die
lesenswerte Biografie von Dr. phil. Karl Jürgen Roth in dem
inzwischen leider kommentarlos eingestellten Loseblattwerk „Lexikon
der Reise- und Abenteuerliteratur“ (mit 68 Ergänzungslieferungen
in 11 Ordnern editiert 1989 bis 2016 im Corian-Verlag), das Interview
„Ich liebe den amerikanischen Südwesten“ von Thomas Jeier
(1947–) im „Heyne Western Magazin 5“, darüber hinaus dutzender
Vitae und Werksanalysen anderer hierzu Berufener in Deutsch wie in
Englisch, namentlich im Internet, verwiesen. Die genannten Autoren
sind obendrein rührige Mitglieder unserer literarischen
Gesellschaft. Es mag als ein Charakteristikum der Quellenlage
festgestellt sein, daß Dr. phil. Roth vor geraumer Zeit schon in
seinem Essay „Der weite Himmel – Der Wilde Westen im
deutschsprachigen Taschenbuch“, für „Studies in the Western,
Vol. IV, 1995“ völlig zu Recht bemängelte (Zitat): „Eine
Publikations- und Rezeptionsgeschichte des Westernromans in
Deutschland ist ein Desiderat der Forschung. Generell ist vor allem
die bibliographische Erforschung dieses Genres der
Unterhaltungsliteratur unzureichend.“
Shirreffs, lebenslang Mitglied
unterschiedlicher Institutionen, u.a. Western Writers of America
(WWA), Authors Guild, National Rifle Association (NRA),
veröffentlicht, abgesehen von an der geschichtlichen Wahrheit
ausgerichteten Western-Romane, neben diesen auch ebensolche
pointierten Kurzgeschichten, verwendet hier wie dort gleichweise
meist fünf ständig wiederkehrende Handlungsmuster:
Das
Ranger-Motiv: Rangers don't quit („Ein Ranger gibt nicht auf“) u.a.m.
Das Schatzsucher-Motiv: Gold Trouble („Die
verschollene Mine“) u.a.m.
Das Cavalry-Motiv: Sabers West („Die
Patrouille“) u.a.m.
Das Ranch-Motiv: Watch Your Back, Cowboy! („Weidekrieg
im Spanish Valley“)
u.a.m.
Das Marshal-Motiv: Town Tamer („Terror in
Bitter Wells“) u.a.m.
Alle literarischen Darstellungen
folgen annähernd gleichen Vorgaben, bei denen es um Männerstoffe
und -welten geht, die Menschen zum Wunschbild und Helden stilisieren.
Die Gegenwelt des amerikanischen Western als Erzählform ein Raum
der Weite, der Phantasie und Freiheit.
Um nur ein Beispiel zu nennen:
Das wiederkehrende Thema abenteuerlicher Schatzsucher-Melodramen im
Teufelskreis von brutaler Gewalt und Opfermut, exemplarisch
dargestellt vom Erzähler in Barranca („Der Silberschatz von La Barranca“; Barranca;
span.: Enges, tief eingeschnittenes Tal), Ausdruck seines Blicks auf
die Abgründe der menschlichen Natur, konfrontiert mit kriegerischen
Apachen, Berglöwen und Giftschlangen in dem von der Sonne
verbrannten, unwirtlichen Felsengebirge. Womit er sich in etwa den
großen europäischen Erzähltraditionen des 19. und 20. Jahrhunderts
annähert. Vor allem anderen sei an dieser Stelle Karl May
(1842–1912) mit seinen Klassikern der Abenteuerliteratur „Der
Schatz im Silbersee“ (Heilige Gefäße eines ausgestorbenen
Indianervolks im Bergsee), „Winnetou I“ (Goldader der Apachen am
Berg Nugget Tsil in Texas), „Das Waldröschen“ (Bd. 51 der Ges.
Werke: „Schloß Rodriganda“; Königsschatz der Mixtekas in
unterirdischer Grotte des heiligen Bergs El Reparo der
Perichnol-Gruppe) und „Das Vermächtnis des Inka“ (Schatzkammer
des Inka-Goldes in einer Felsenhöhle der Barranca del Homicidio; zu
deutsch: Mordschlucht) in Sonderheit hervorgehoben.
Der
Routinier des Genres bezieht sich, neben anderen, auf die Quellen um
die Lost Dutchman’s Gold Mine, mutmaßlich ausfindig zu machen im
zerklüfteten Felsmassiv der Superstition Mountains (zu deutsch:
Berge des Aberglaubens; heute Lost Dutchman State Park) in den
unwirtlichen Weiten Arizonas. Die Rede ist von der verlorenen
Goldader des sachverständigen deutschen Bergwerksingenieurs Jakob
Waltz (d.i. Jakob v. Walzer; 1808–1891), angesiedelt vor dem
überlieferten Hintergrund der von Jesuitenpadres vor deren
Verbannung 1776 per Dekret der hispanischen Krone unter König Carlo
III. (1716–1788) im einstigen Neu-Spanien geschürften Erzvorkommen
in alten Missionen an unzugänglichen Orten verstecken oder außer
Landes bringen, wie auch die Mundlöcher der aufgelassenen Gold- und
Silberminen durch Renaturierung und ähnlichem nicht mehr greifbar
machen. Daraufhin verliert sich den Angaben zufolge die Spur der
Schätze in der Neuen Welt. Wo sie eigentlich waren und was aus
ihnen geworden ist, weiß heute niemand.
Noch ein Wort am Rande, diesmal
zur erstaunlicherweise äußerst dürftig ausfallenden Anzahl
Verfilmungen seiner Stoffe: 1955 wird durch Lippert Pictures
Shirreffs’ Erzählung Silent
Beckoning als The
Lonesome Trail von Regisseur Richard Bartlett (1922–1994) für
die Leinwand adaptiert, findet jedoch, eventuell wegen des
hierzulande so gut wie unbekannten Cowboydarstellers Wayne Morris
(d.i. Bert de Wayne
Morris; 1914–1959)
keinen deutschen Verleih. Noch dazu, da der groß herausgestellte
Star in dieser Schwarzweißproduktion lediglich einen Bartender mimt.
Zwei Jahre später bringt Allied Artists in Farbe und CinemaScope
sein Erstlingswerk Rio
Bravo („Die Tapferen
vom Rio Bravo“) unter dem Titel Oregon Passage („Oregon-Passage“/„Tal der Gewalt“), Regie: Paul Landres
(1912–2001), mit dem 1926 in Düsseldorf geborenen und 2020 in
Santa Fè verstorbenen John Ericson (d.i. Joseph Meibes) als
Hauptfigur Seite an Seite mit Schauspielerin und Sängerin Lola
Albright (1924–2017) in die Kinos. Letztere wurde bekannt als
Interpretin mit Liedern von Komponist Henry Mancini (1924–1994).
Es
entbehrt vielleicht nicht einer gewissen Ironie, dass der
Arbeitstitel während der Produktion noch so wie der des Buchs
gelautet hat. Literarische Vorlage, wie auch diesem klassischen
B-Militärwestern gemeinsam sind Topoi etwa anhaltender
Kompetenzstreitereien zwischen erfahrenem Indianerkämpfer im
Leutnantsrang und ignorantem Fort-Kommandanten; Kameradschaft,
Heroismus, Pferdesoldaten, Waffen und Befehle, Angriffe und
Niederlagen, Zurückweichen und Flucht unter glühender Sonne,
umgeben von Wildnis und Gefahr. In wechselnden Vorahnungen zwischen
Verwundungen und Tod sowie Einbeziehung einer angerissenen
Liebesgeschichte, kommt es zum spannungsgeladenen Showdown. Auch das hört sich nach altem, tradiertem Muster an.
In unserer Zeit ist der
Low-Budget-Streifen auf DVD im Handel erhältlich (Supreme Film).
Für etliche Filmkritiker hat Oregon Passage („Oregon Passage“ / „Tal der Gewalr“) gleichwohl kaum
cineastische Qualitäten aufzuweisen.
1959 bringt Shirreffs die mit
vier Nachdrucken von 1960 bis 1986 auflagenstärkste deutschsprachige
Buchversion des Paramount-Pictures-Films Last Train From Gun Hill („Der letzte Zug von Gun
Hill“) in
Romanform, in welchem Kirk Douglas (1916–2020) und Anthony Quinn
(1915–2001) im blutigen Finale aufeinanderprallen und der das
Drehbuch von James Poe (1921–1980) nach der Story Showdown von Les Crutchfield (1916–1966) zugrunde liegt. Letztgenannter
einer der Hauptautoren der amerikanischen Kultserie Gunsmoke
(„Rauchende Colts“) im Fernsehen und Radio gleichermaßen, wofür
er allein 81 Episoden zur Version im Äther beisteuert, in diesem
Land ausschließlich über die Rundfunkanstalt der US-Streitkräfte
AFN (American Forces Network) einstig regelmäßig zu verfolgen.
Neun Jahre darauf wird das europäische Kommerzkino in Gestalt des
sogenannten Spaghetti-Westerns auf Shirreffs‘ literarisches
Schaffen aufmerksam und so entsteht 1968 aus seinem Epos Judas
Gun („Lohn der
Hölle“; auch „In den Stiefeln eines Toten“), das von der Rache eines fälschlich des Bahnraubs
bezichtigten Ausbrechers vom Yuma Territorial Prison, heute Museum,
erzählt, der äußerst brutale Streifen Vivo per la tua morte („Ich bin ein entflohener Kettensträfling“/„Zum Tode
begnadigt“/„Killer auf der Flucht“) unter der Regie von Alex
Burks (d.i. Camillo Bazzoni; 1934–2020) mit US-amerikanischen
Filmschauspieler und Bodybuilder Steve Reeves (1926–2000) in der
Hauptrolle, welcher auch die Verfilmungsrechte hält. Zugegeben
hätte sich der Rezensent eine strenger an der Vorlage orientierte
Umsetzung gewünscht. Wo letztendlich nicht … Betitelt A Long
Ride From Hell ist das Elaborat, in dem die Identifikationsfigur
mit jedem denkbaren Abklatsch des heroischen Rächers – filmtypisch
schier unbegrenzte Trommelkapazitäten aller abgefeuerten Coltmodelle
inbegriffen –, verklärt wird, erst einmal als englischsprachige
DVD verfügbar (Wild East, The Spaghetti Western Collection).
Kurios: Neuer deutscher Titelzusatz „Django [sic] – Ich bin ein
entflohener Kettensträfling“); hiermit erschienen 2012 als DVD bei
Cinema Classic Collection.
Bliebe anzumerken, daß sich
Irritationen bezüglich eines Episodentitels The
Judas Gun der längst
auch bei uns klassisch zu nennenden Fernsehserie Gunsmoke
(„Rauchende Colts“)
auftun, bezieht man im Englischen nicht das bestimmende Artikelwort
‘The’ mit ein. Das Treatment von Harry Kronman (1901–1979)
über eine Familienfehde in Sendefolge 511 („Die Streithähne“)
aus dem Jahre 1970 hat ganz und gar nichts mit Shirreffs’ Erzählung
gemein. Selbiges ließe sich als erstes auch 1962 über den
Romantitel The Judas
Gun von Wayne D.
Overholser (1906–1996) sagen; bis dahin nicht ins Deutsche
übersetzt.
In der Bundesrepublik nicht
gelaufen ist der Plot von Massacre
Creek („Die Legion
der Verdammten“; identisch mit „Die verlorene Kompagnie“, „Unter dem Rebellenwimpel“) für die US-TV-Serie Playhouse 90 als
Episode Galvanized Yankee. Aus dem gleichen Grunde kann nicht
mit Bestimmtheit gesagt werden, ob das Skript für die Pilotfolge zur
hier nie ausgestrahlten Kavallerie-Western-Serie Boots and
Saddles von Shirreffs‘ stammen könnte. Wenn ja, dürfte es
sich um ein für sein favorisiertes Sujet passendes Motiv handeln,
nämlich die erste Folge The Gatling Gun über bereits erwähnte
mehrläufige Feuerwaffe.
Warum die US-Majors von
Shirreffs’ Werken nur in so verschwindend geringem Maße als
Vorlagen für Kino- und TV-Western Gebrauch machten, entzieht sich
meiner Kenntnis. Seine Stoffe aus den einschlägigen Versatzstücken
des B-Movies jedenfalls erscheinen selbst noch aus heutiger Sicht
geradezu prädestiniert für gleichsam Italo-Western; die
zweckentsprechenden Szenenhintergründe, also Motive mit Sandwüsten
unter erbarmungslos brennender Sonne, schroffen Gebirgsformationen,
in denen sich die Figuren nahezu verlieren, sind im Süden Spaniens,
dem Hinterland der Hafenstadt Almería, für atmosphärisch dichte
Inszenierungen in kargen Landschaftsszenerien von unendlicher Weite
als Projektionsflächen noch immer irgendwo zu finden.
Erwähnenswert ist, wie der von
Howard Hawks (1896–1977) inszenierte Western Rio Bravo („Rio
Bravo“), verliehen von Warner Brothers, in Wirklichkeit zu seinem
Filmtitel kam, hat er doch nicht das mindeste mit dem gleichnamigen
weiter vorn zitierten Roman nach bewährten Genremustern von
Shirreffs Rio Bravo („Die Tapferen vom Rio Bravo“) zu tun. Die
belletristische Ausarbeitung zu diesem John-Wayne-Klassiker stammt
von der Schriftstellerin und Drehbuchautorin Leigh Brackett
(1915–1978), welche diese später zu einem Buch verarbeitet,
erschienen in deutscher Erstauflage bei Heyne. Es geht die Legende,
dem ‘Duke’ gefiel seinerzeit der Titel von Shirreffs‘
Prosadichtung so gut, daß er die Rechte an den Vokabeln ‘Rio’
und ‘Bravo’ für eben diesen Spielfilm erwarb. Nach Darstellung
des Romanciers selbst erhielt er eine solch‘ hohe Summe für
lumpige zwei Worte, wie später nie mehr in seinem weiteren
Schriftstellerleben. Auf die zwangsläufig sich hieraus ergebene
Widersprüchlichkeit zwischen Handlungsort Rio Bravo im Film und
Grenzfluß Rio Grande
(USA)
oder Río Bravo del Norte,
kurz: Río Bravo
(Mexiko)
in der Literatur, soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen
werden.
Am Ende bleibt die Frage: Wie
verhält sich nun das in der Überschrift genannte biblische Gebet
von Psalm 23, Der gute Hirte, aus dem Buch der Psalmen im Alten
Testament, ich kündigte es an, mit all‘ dem? Hier ein ganz
persönlich gehaltenes Wort in eigener Sache:
Meine Eltern vollziehen ihre
Standesamtliche Trauung am Sonnabend, den 2. Juni 1945, somit
sechsundzwanzig Tage nach der Bedingungslosen Kapitulation
Deutschlands im Zweiten Weltkrieg und einen Tag vor dem
fünfundzwanzigsten Geburtstag meiner Mutter, in damaliger
Bezirksbürgermeisterei Berlin-Friedrichshain, anschließend sakrale
Eheschließung in der Evangelischen Samariter-Kirche im gleichen
Berliner Innenstadtbezirk. Ihr Trauspruch, mit einer der
bekanntesten alten Bibeltexte für größtes Glück und Freude wie
auch Verlusterfahrungen, Tod und Trauer gesprochen, lautet:
»Der
HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf
einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket
meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens
willen … «
Fünfzehn Jahre später (1960)
ist es der Leitspruch meines Schulanfänger-Gottesdienstes, noch zehn
Jahre weiter Predigttext zur Silberhochzeit meiner Eltern (1970),
beides in der Evangelischen Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche,
Bezirk Tiergarten, Ortsteil Hansaviertel, sodann fünfundfünfzig
Jahre darauf (2015) letztendlich auch Grabspruch meiner Mutter wie in
Dezennien dazwischen gleich anderer Angehörigen, so 1987 meines
Vaters.
Und genau an dieser Stelle
beginnt eine geistige Verbindung mit Shirreffs’ Œvre, bietet sie
mir doch die Möglichkeit, für mehrere Stunden in seine
regionalhistorisch orientierte US-Prosa abzutauchen. Vorherrschend
in jenen Western-Romanen, in denen er das Soldatenleben der U.S.
Cavalry im Grenzgebiet veranschaulicht, läßt er den Psalmbeter als
Handlungsträger, wenn Reiter seiner Schwadron während eines
Feldzugs gegen Indianer auf dem Kriegspfad durch Feindeshand gefallen
sind, an deren Totenhügeln mitten im Nirgendwo, drapiert mit grob
zusammengezimmerten Holzkreuzen zwischen aufgeschichtetem Gestein,
eben jene Worte aus der Heiligen Schrift rezitieren, mit denen die
blauen Dragoner ihren Kameraden die letzte Ehre erweisen. So etwa
nachzulesen in: Massacre Creek („Die Legion der Verdammten“, Kap. 2; identisch mit „Die verlorene Kompagnie", „Unter dem Rebellenwimpel") [erwähnt], Glorieta Pass („Kershaw, der Kämpfer“, Kap. 17) [verballhornt], The Border Guidon („Einer blieb zurück“, Kap. 8), The Valiant Bugles („Ritt
in die Hölle“, Kap. 2), Slaughter at Broken Bow („Die
Letzten vom Broken Bow“, Kap. 1) und Ghost Dancers („Kershaw, der Scout“, Kap. 18) [alle
gebetet], wobei stets die genehmigten Taschenbuchausgaben mit
Copyright beim Heyne-Verlag zu Grunde liegen.
Zieht man darüber hinaus noch
die Romanheftabdrucke mit mehr oder minder veränderter Titelei
hinzu, entdeckt man nicht nur teils entstellte Inhalte, was auf
mögliche Urheberrechtsvorgaben hindeutet, sondern hin und wieder
auch das Weglassen christlicher Anleihen in den relevanten
Textpassagen. Wie es scheint, ein frühes Indiz für das
fortschreitend säkularisierte Weltbild der 1960er Jahre.
Shirreffs hingegen erweist sich
demgegenüber als durchaus bibelfestes Mitglied des
textproduzierenden Gewerbes. Wie anders ließe sich erklären, daß
er in The Untamed Breed („Kershaw, der Trapper“) den
katholischen Pelzjäger mit, wie gesagt, schottischer Herkunft,
während langer Winternächte seiner blutjungen Shoshoni-Squaw aus
dem Alten Testament vorlesen läßt. Er begegnet ihr mit Respekt und
ohne christlichen Missionarseifer – ein wahrer Mountain Man eben.
Das erste Buch Mose, Die Schöpfung, „Am Anfang schuf Gott Himmel
und Erde“, mit daraus resultierenden tieferen, fast schon
religionsphilosophischen Gesprächen der Beiden nimmt alle elf Seiten
von Kapitel 16 der Heyne-Ausgabe in Anspruch. Eine beachtenswerte
Episode aller interkultureller Unterschiede zum Trotz, gut und lesbar
erzählt, die viel über den religiösen Glauben des
geschichtskundigen Schriftstellers selbst aussagt, verdichtet sich zu
einem berührenden Gesamtbild.
Wer
darauf achtet, findet hervorgehobenes geistliches Lied auch in so
manchen Western-Filmen als Nekrolog wieder, bei denen
Leichenbegängnisse auf dem Boot Hill (Stiefelhügel) abgehalten
werden.
Aber es gibt noch mehr zu berichten. Den Leser erwartet bei der
Lektüre des 1972 erschienenen Kelter Taschenbuch-Western 580, „Geier
über Fort Massac“, auf Seite 76 von neuem das Bibelzitat »Der
Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln … « Was Wunder,
verschafft die Romanexposition von Peter Dubina (1940–1990) mit
Co-Autor H.C. Nagel (d.i. Herbert Christian Nagel; 1924–2016) ein
bisschen ein Déjà-vu in punkto Ausdrucksweisen, Militärtaktiken
und -strukturen in der direkten Gegenüberstellung mit dem
Bürgerkriegsepos Massacre Creek („Die Legion der Verdammten“) von Gordon D.
Shirreffs.
So tritt beispielsweise ein
kriegsgefangener, später füsilierter Südstaatler in Erscheinung,
dessen Namen ‘Sabin Shay’ unser Dichter schon vierzehn Jahre
vorher in besagtes Buch an seinen Heros vergab. Der Erzählduktus
hat auch sonst einiges mit der amerikanischen Vorlage gemein; der
Handlungsablauf hebt aber eher die Ressentiments der Konföderierten
gegen die Überläufer aus ihren Reihen an die Unions-Armee hervor,
verknüpft mit daraus resultierendem Rassenhass zwischen Schwarz und
Weiß, Nord und Süd.
In diesem Zusammenhang kann auch
die Benennung des Armeepostens, ‘Massac’, als Anagramm von
‘Massacre’ (Massaker) aufgefaßt werden, genauso gut aber auch
direkt vom geschichtlichen Fort Massac am Mississippi
im US-Bundesstaat
Illinois
entliehen sein. Summa summarum dürften Büchermenschen diese Art
des Erzählens anhand der teils fast schon klischeehaften Figuren
auch nach 48 Jahren in weiten Teilen bestenfalls als Surrogat
betrachten.
Sei’s drum.Fraglos ist Shirreffs nicht der
Einzige, der sich in seinen Werken der Psalter bedient, was in der
voranstehenden Geschichte zu lesen ist. Ein 1956 von C. William
Harrison (1913–1994) erschienener Western-Roman The Guns of Fort Petticoat („Das einsame
Fort“t),
darauf verfilmt mit Audie Murphy (1925–1971) in der Heldenrolle
(dt. Verleihtitel „Das Fort der mutigen Frauen“), steht sinngemäß
dafür. Am frisch aufgeworfenen Grabhügel für den Leichnam einer
von aufständischen Comanchen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten
weißen Frau verkündet in Kapitel 12 der Heyne-Ausgabe von 1968 eine
fromme Siedlerin die schlichte Botschaft: „… und ich werde sein
im Hause des Herrn für jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.“ Doch
Hoffnung oder Erlösung, etwaigen Halt kann es auch hier nicht geben.
Wenn nun diese, meine Zeilen sich
im Druck befinden sollten, blickte ich Ende 2019 bereits auf eine
zehnjährige Mitgliedschaft in unserer literarischen Gesellschaft
zurück und nenne in der Zwischenzeit eine so gut wie komplette
Bibliothek an Taschenbüchern wie auch Romanheften von Shirreffs‘
Gesamtwerk mein Eigen (siehe Anhang deutschsprachige Bibliografie).
Trennen kann ich mich von keinem. Noch nicht. Oder vielleicht auch
nie. Denn diese waren — Ich. Drei Pabel-Western-Großbände wurden
speziell der antiquarischen Erhaltung wegen, letzten Endes gemeinsam
zu einem Buch gebunden.
Ich
würde mir wünschen, daß meine vorgelegte, bewußt en famille
gehaltene Abhandlung, die vielleicht nicht immer ganz
wissenschaftliche Standards, was literarischen Wert, den Stil oder
die Ausdrucksmöglichkeiten angeht, erfüllen mag, als das
aufgenommen wird, was sie allein sein will: Ein kurzes Streiflicht
durch meine Biographie, nicht mehr und nicht weniger, verknüpft mit
den Berührungspunkten unseres Hangs zum gemeinsamen
unterhaltungsliterarischen Gebiet des geschriebenen Wortes im
Hinblick auf einen seiner herausragenden Vertreter
GORDON DONALD SHIRREFFS
1914–1996
So weit, so gut. Zum Schluß
möchte ich den Blick noch auf jenes bewegend zu lesende Stück
Western-Prosa mit einer ernsthaften Botschaft lenken, daß der
Schriftsteller hier publiziert hat und mir nachhaltig haften
geblieben ist: Blood Justice („Der Gnadenlose“), verlegt bei
Heyne, erschienen in drei Auflagen, und als Romanheft gleichen Titels im
Marken-Verlag, in dem Schmerz und Menschlichkeit ebenso ihren Platz
haben wie exzessive Gewalttätigkeit, an deren Ende sozusagen eine
Form von Gerechtigkeit hergestellt wird.
Der
düstere Handlungsstoff über Lynchjustiz und die emotionale Tragödie
eines Menschen, den es umtreibt, die Hinterbliebenen unschuldig
Gehängter ausfindig zu machen, getragen von unendlicher Bitterkeit
und Melancholie, hat mich in gewissem Maße betroffen gemacht. Er
kämpft quasi gegen seine eigenen Dämonen. Dabei tritt die
charakterlich gut herausgearbeitete Hauptperson nicht etwa als
hasserfüllter Rächer auf, wie man vielleicht aufgrund des deutschen
Titels stark annehmen könnte. Die Assoziation mit existentiellen
Fragen nach Schuld und Sühne macht daraus vielmehr ein starkes, eindringliches, ungewöhnlichesWestern-Epos.
Wenn auch Fiktionalität jedweder
Art letzten Endes der Unterhaltung dienen soll, so kann sie dem
Bücherfreund dennoch für mehrere Stunden das Gefühl geben, mit
seinen traurig-resignativen Momenten der Verlassenheit nicht allein
in der Welt zu sein. Die Wüste als ein lebensfeindlicher Ort ist
auch sehr gottverlassen.
Shirreffs‘ Gestalten sind fast
immer auf irgendeine Art meist Verlorene. Er beginnt in seinem Buch Shadow Valley („Kugeln aus dem Hinterhalt“; identisch mit „Rustler-Killer“, „Zuletzt sprechen die Colts“) gleich das
erste Kapitel mit den Sätzen: „Der
ferne Pfiff der abfahrenden Lokomotive wurde von den kahlen Hügeln
rund um die Stadt als Echo zurückgeworfen. Einer der drei
einsamsten Laute der Welt, dachte Holt Cooper, als er vom Bahnsteig
zum Zentrum von Rockyhill ging. Die beiden anderen waren das
melancholische Heulen eines Coyoten und das Knirschen von Stiefeln,
wenn ein Fremder durch die Straßen einer neuen Stadt geht.“
Leben
ist einsam sein.
Und dann die Momente, wenn man Blood Justice („Der Gnadenlose“) zu Ende und nach vertrauter Dramaturgie
durchgelesen hat und kurz beiseitelegt, und es setzt das Nachdenken
ein. Es ist der Eindruck von gewesenem Leben, der den
Roman-Charakter anrührt und beim Leser seinerseits existenzielle
Fragen aufwirft, die das Buch stellt. Nach den Spuren, die von einem
Menschen bleiben. Nach dem, wofür jemand gekämpft hat oder auch
nicht. Dennoch ist Blood
Justice („Der Gnadenlose“) keine
‘schwere’ oder am Ende gar niederdrückende Lektüre und daher
nicht bloß Insidern anempfohlen. Anders ausgedrückt: Ein Stoff,
der nach Verfilmung schreit.
Die sozialkritische Aussage weist
dessen ungeachtet erkennbar Parallelen zu den Lynchmorden in Walter
van Tilburg Clarks (1909–1971) Roman The Ox-Bow Incident („Ritt zum Ox-Bow“) auf.
Womit gleich noch eine Volte zum gleichnamigen bedeutenden
Western-Film der 20th Century Fox von 1943 mit Henry Fonda
(1905–1982) und Anthony Quinn (1915–2001) unter der Spielleitung
von William A. Wellman (1896–1975) geschlagen wird.
Wie bestärkte mich doch unser
ehemaliger 2. Vorsitzender und kommissarischer Schatzmeister in
Personalunion, Dr. phil. Peter Bischoff, M.A. (1942–2019), vor mehr
als fünf Jahren (Stand: 2018); ich zitiere aus dem Schreiben wie
folgt: „Könnten Sie für unsere Zeitschrift [Studies in the Western, KJR] einen unprätentiösen
Artikel über Ihre lange Begeisterung von den deutschsprachigen
Western (als Roman oder Heft-Story etc.) Gordon D. Sherriffs‘
verfassen? Sollte durchaus persönlich gehalten sein ohne langen
„wissenschaftlichen“ und „tiefgründenden“ Umstand. Nur ein
bisschen Mut: Schreiben Sie so, als erzählten Sie einem befreundeten
Menschen, was Sie so sehr an Shirreffs‘ Western begeistert.“
Das ist an dieser Stelle versucht
worden.
Nur kann er es leider nicht mehr
lesen. Ich glaube, die en passant gewährten, ungewöhnlich privaten
Einblicke hätten ihm nichtsdestoweniger gefallen … Möge die
letzte Belegstelle, die gleichbedeutend zurückschaut auf ihn, den
Spiritus rector unserer Vereinigung, dem persönlich zu begegnen, mir
nur ein einziges Mal 2018 in Berlin kurz vergönnt gewesen ist, den
Kreis der Geschichte beschließen, die hier niedergeschrieben ist:
„Als sie
bei Sonnenaufgang den Paß erreichten, strich der sanfte Wind über
das Plateau. Leise, ganz leise erklang das Läuten der Glocke hinter
ihnen.“ - Eine Kugel für Tascosa Kid
Gemeint ist die im Buch
vorkommende Geisterglocke des kleinen halbverfallenen Kirchleins in
der alten Placita von Puerta de Luna (zu deutsch: Tür zum Mond), in
trostloser Einsamkeit der rauhen, zerklüfteten Berge New Mexicos.
Sie ertönt, wenngleich seit Menschengedenken längst keine Seele
mehr dort zu finden ist, die etwa noch am Glockenstrang ziehen
könnte.
Ein letztes ehrendes Gedenken:
Desgleichen schlug sie 2022 im
besten Sinn des Wortes zum Tode unseres Ersten Vorsitzenden, Dr.
phil. Peter Noçon (geb. 1943) an. Unter diesen Umständen geht
mangels geeigneter Nachfolger die 1990 gegründete und seit 1993 als
Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften in
Deutschland e.V. geführte GASW wohl
ihrer Auflösung entgegen
…
TRAIL’S END
"Ich habe immer
allein gehandelt. Amerikaner
lieben einen Cowboy,
der einsam auf
seinem Pferd reitet."
Henry (Heinz Alfred) Kissinger (1923-2023),
ehemaliger Außenminister der Vereinigten Staaten
über die Gründe seiner Popularität
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Vom Autor revidierte Textfassung: Dezember 2024