Ed Kurtz, dessen gruselige Story „Wölfe“ wir schon im AKWA Journal präsentieren durften, hat ein Faible für die Filme mit Bud Spencer und Terence Hill, die in den 1970er Jahren in Europa die Zuschauer in Mengen anzogen und auch in den USA nicht gänzlich unbekannt blieben. In seiner Hommage an die beiden schlagkräftigen Akteure bedient er sich des deutschstämmigen Edward Splettstoesser als Ich-Erzähler.
Das tat der Autor zuvor auch in seiner Trilogie um Boonsri Angchuan. Sie ist gemeint, wenn Splettstoesser an Boon denkt; ihr verdankte er sein Leben, und er hatte sie auf der Suche nach ihrem Vater begleitet, den zu töten sie sich vorgenommen hatte.
Hier jedoch steht der gute Edward zwei Italienern bei, deren Namen uns bekannt vorkommen und die von Männern verfolgt werden, die ihnen nach dem Leben trachten. Letztendlich geht aber nichts über die italienische Art, ein Problem zu lösen.
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Teil 1: 1876
Als mir Carlo und Mario zum ersten Mal unter die Augen kamen, hatte ich sie für Brüder gehalten. Sie sahen sich nicht sehr ähnlich, aber beide plapperten in einer Sprache, bei der ich kein Wort verstand, und sie prügelten mit so geübter Wut aufeinander ein, dass ich an Verwandtschaft denken musste. Die Sprache war, wie ich erfuhr, Italienisch – was viel Ähnlichkeit mit Spanisch hatte, wenn Spanisch Französisch gewesen wäre –, und die beiden Burschen, die sie sprachen, waren überhaupt nicht blutsverwandt, sondern waren nur Reisegefährten aus einem weit entfernten Land. Die meisten meiner Freunde zu jener Zeit schienen aus dem einen oder anderen Grunde von irgendwo anders als Amerika herzukommen, obwohl ich eigentlich nicht sagen konnte, dass Carlo und Mario mich jemals als echten Freund betrachteten oder ich sie. Andererseits konnten diese beiden Blödmänner sich grün und blau schlagen, als wären sie die erbittertsten Feinde seit Hamilton und Burr, und wenn man sie reden hörte, waren sie migliori amici, was, wie ich mir zusammengereimt habe, so etwas wie „beste Freunde“ bedeutete.
Niemals habe ich einen besser aussehenden Mann als Mario Girotti gesehen, mit sandblondem Haar, einem kantigen Kinn wie Granit und kornblumenblauen Augen, die funkelten, wenn er lächelte, und das tat er die meiste Zeit. Die Unterschiede zu seinem Kumpel Carlo Pedersoli hätten kaum größer sein können — er überragte Mario um eineinhalb Köpfe, war oben kahl, während große Büschel lockiger, dunkler Haare auf beiden Seiten abstanden, und hatte einen schwarzen Bart, der fast so lang war wie meiner. Mario war dünn und fröhlich, Carlo dick und übellaunig. Und als ich sie das erste Mal sah, war Mario gerade damit beschäftigt, einen Stuhl auf Carlos Kopf in Kleinholz zu verwandeln, und er lachte dabei, als wäre er nicht bei Sinnen.
Nach Striker’s Gulch kam ich etwa sechs Monate, nachdem ein Herumtreiber namens Shorty Lazar seinem Maultier das Verdienst zugeschrieben hatte, in einem Wasserlauf, aus dem es trank, etwas glitzern gesehen zu haben, wodurch ein Goldrausch im Kleinformat ausgelöst und eine meistens unbeachtet gelassene Schlucht in eine wimmelnde Zeltstadt hoffnungsfroher Minenarbeiter verwandelt wurde. Striker war der Name des Maultiers oder zumindest hieß es so, nachdem sein Besitzer in diesem Bach zu Reichtum gekommen war. Das ließ mich völlig kalt, denn ich war sowieso nicht wegen der Bodenschätze hergekommen. Genau genommen war ich in jenen Tagen selbst nichts weiter als ein hungriger Herumtreiber, und ich war nur der Nase nach unterwegs, um etwas Essbares und etwas Hochprozentiges zu finden. Und gleich nach Gold waren Schnaps und Futter in jedem Bergbaulager das Wichtigste, unabhängig davon, welche Ausmaße das Edelmetall hatte oder von welcher Sorte es war. Mir schien, Striker’s Gulch würde mich damit versorgen, und damit lag ich nicht falsch.
Vor dem Lokal, das ich entdeckte, steckte ein Schild im Morast, auf dem in Englisch „Karo-Ass“ stand, und daneben befand sich ein Haltegeländer, an dem zwei schlappe Esel sich einen Wettbewerb mit ihrer Pisse lieferten, die bis zu den vorderen Klappen des Zeltsaloons floss. Ich band mein Pferd neben ihnen an, stieg über den Strom und ging hinein, wo ich auf ein Abendessen und einen Schlummertrunk hoffte.
Die einzige Mahlzeit auf der Speisekarte war Ziegeneintopf mit Zwiebeln, und die einzige Spirituose war Maisschnaps aus einer Brennerei, die sich auf der anderen Seite der Berge befand – für den Fall, dass der gesamte Betrieb in Flammen aufging, wie ich annahm. Ich setzte mich auf einen Stuhl vor einem aus einem Mehlfass fabrizierten Tisch und hob zwei Finger, um anzuzeigen, dass ich von beidem jeweils eines haben wollte: einen Eintopf und einen Drink. Der Barmann nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und drei Sekunden danach zerschmetterte Mario den besagten Stuhl auf dem Schädel des guten Carlo.
„Stronzo stupido!“ brüllte Carlo.
Mario gackerte, aber seine Heiterkeit fand ein jähes Ende, als der Barmann, der sich gestört fühlte, als er gerade mein Essen holen wollte, den Italiener herumwirbelte und ihm einen Kinnhaken verpasste. Der hübsche Bursche ging zu Boden, und ich dachte, damit wäre die Sache erledigt, aber dem war nicht so — Carlo brüllte und schlug mit einer seiner Fäuste von der Größe eines Schinkens dem Barmann von oben auf den Kopf, sodass dieser auf dem Boden liegen blieb.
Jemand brüllte: „Hurensohn!“ Ich verrenkte meinen Hals, um zu sehen, wer es war, und ein anderer Mann kam von hinter der Bar hervorgerannt, mit einem Holzhammer in der Hand und mit der offensichtlichen Absicht, dem großen Mann damit den Schädel einzuschlagen. Carlo sah ihn kommen, und sobald der Mann den Holzhammer über seinen Kopf hob, verpasste Carlo ihm eine Ohrfeige auf die linke Wange, sofort gefolgt von einer zweiten harten Watsche auf die rechte Wange. Der Kumpel des Barmanns ließ seine Waffe fallen, sein Gesicht war rot wie ein Radieschen, und er setzte sich wie betäubt auf den Boden.
Mario stand wieder auf, rieb sich das Kinn und grinste, als hätte er sich so gut amüsiert wie nie zuvor in seinem Leben. Er drehte sich zu Carlo um, klopfte ihn auf den Arm, und mit einem ausgeprägten Akzent sagte er: „Danke, Partner.“
Carlos Antwort war ein Brummen, dann schnappte er sich das nächstbeste Glas und leerte es in einem Zug. Das Glas war nicht einmal sein eigenes.
Ich entschied, dass mir diese Burschen gefielen, aber es gab da ein eklatantes Problem, das ich ihnen umgehend erklärte.
„Das war eine tolle Vorstellung, Freunde“, sagte ich. „Aber woher kriege ich jetzt mein Abendessen?“
„Was, diese Pampe?“ sagte Mario und zeigte mit einem Daumen auf eine Schüssel, die vor einem anderen Mann auf einem Fasstisch stand. „Die sollten nicht einmal Hunde fressen müssen.“
„Probabilmente è fatto di cani“, sagte Carlo.
Mario lachte. „Er sagt, sie ist wahrscheinlich aus Hunden gemacht.“
„Der Kerl, den er umgehauen hat, hat gesagt, es ist Ziegeneintopf“, sagte ich.
„Hast du hier irgendwo Ziegen gesehen?“ fragte Mario mich.
Da war etwas dran. Tatsächlich hatte ich keine einzige Ziege gesehen, aber es gab jede Menge streunende Köter, die sich überall in Striker’s Gulch herumtrieben. Plötzlich war ich nicht mehr halb so hungrig. Ich hatte gehört, dass Apachen eine Vorliebe für Hundefleisch hatten, was ihnen gegönnt sein mochte, aber ich verzichtete lieber darauf. Zur Hölle, ich hatte gehört, dass die Tonkawa und Karankawa in Texas ihre Feinde verspeisten, aber das hieß ums Verrecken nicht, dass ich anfangen würde, jeden Kerl, der mir blöd gekommen war, anzuknabbern. Ich war nicht wählerisch, was Essen anbelangt, aber ein Mann musste auch Grenzen ziehen.
„Gibt’s in diesem Camp noch eine andere Kneipe?“ fragte ich.
„Zwei“, antwortete Mario. „Aber die sind noch schlimmer als diese. Du kannst mit uns kommen, auf unserer Schürfstelle haben wir Bohnen und Wein.“
„Ihr beide habt eine Schürfstelle zusammen?“ Ich war mehr als nur ein bisschen überrascht, wo doch einer dieser Männer, als ich sie erste Mal gesehen hatte, dabei gewesen war, den anderen zu verprügeln.
„Machst du Witze?“ sagte Mario. „Wir sind praktisch Brüder.“
Carlo verzog das Gesicht und zuckte die Achseln. „Fagioli e vino.“
„Si Fratello. Vino e fagioli“, sagte Mario und klopfte Carlo auf den Rücken. „Auch die Engel essen Bohnen, oder nicht?“
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Bei AUCH DIE ENGEL ESSEN BOHNEN handelt es sich um eine Kriminalkomödie - Hauptdarsteller waren Bud Spencer und Giuliano Gemma. |
Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was das bedeuten sollte, aber Bohnen und Wein klangen um Welten besser als Hundeeintopf und Fusel — oder gar nichts —, also folgte ich diesen italienischen Jungs mitten durch Striker’s Gulch, aus der Zeltstadt hinaus und in die Berge.
***
Unterwegs machten wir uns miteinander bekannt, und Mario erklärte, wie zwei Jungs aus einer Hafenstadt namens Nahpulli oder so ähnlich dazu kamen, mit Schaufeln, Spitzhacken und einer gehörigen Portion Optimismus neben einem Wasserlauf Löcher zu graben. Es stellte sich heraus, dass es nicht das gelbe Metall war, hinter dem sie her waren, zumindest nicht am Anfang; der gute Mario Girotti hatte zufällig bei einem Mädchen einen Volltreffer gelandet und auf seinen Kumpel Carlo gehört, als der dickere Mann empfahl, sich nach Amerika abzusetzen. Ich hielt das nicht für das Netteste, was ich je gehört hatte, aber in meiner eigenen Vergangenheit gab es jede Menge unerfreulicher Dinge, wenn auch nicht dazu gehörte, ein schwangeres Mädchen sitzen zu lassen. Jedenfalls kamen sie in New York City an, ließen sich aber von Geschichten über Goldfunde blenden und wanderten weiter nach Westen. Jetzt saßen sie da, über Blechteller gebeugt, an einem jämmerlichen Lagerfeuer, und verschlangen geröstete Bohnen ohne Zuhilfenahme von Gabeln oder Löffeln, als gäbe es nichts Besseres auf der ganzen Welt.
Mario erklärte: „So haben wir in Italien nie gegessen.“ Ich wurde nicht ganz schlau daraus, ob das gut oder schlecht war. Für meinen Gaumen waren diese Bohnen eher mittelmäßig, allerdings war der Wein richtig lecker. Das sagte ich auch, und Mario nahm das zum Anlass, alle Becher bis zum Rand nachzufüllen. Anschließend verkündete er, dass der Heilige Gennaro höchstpersönlich uns drei — zwei Italiener und den Sohn deutscher Einwanderer namens Splettstößer — um einer Sache willen zusammengeführt habe, die als triplice alleanza zwischen Deutschland, Italien und Österreich-Ungarn bezeichnet wurde. Wieder einmal hatte ich keinen blassen Schimmer, als es darum ging zu verstehen, wovon zum Teufel er sprach, aber ich nickte, pflichtete ihm bei und hielt ihm meinen Becher zum Nachschenken hin.
„Saluti“, sagte Carlo.
„Prost“, sagte ich.
Und falls Mario etwas hinzufügen wollte, so wurde er durch das Krachen eines Schusses aus einem Gewehr von den Ponderosa-Kiefern östlich des Baches davon abgehalten. Die Kugel schlug auf dem Boden ein, keine zwei Fuß von Carlos rechter Stiefelspitze entfernt, und wir drei sahen schleunigst zu, dass wir in Deckung gingen.
In der Nähe eines florierenden Bergbaulagers war es keineswegs ungewöhnlich, zu jeder beliebigen Tages- oder Nachtzeit Schüsse zu hören, aber es war so klar wie Klärchen, dass diese Waffe auf einen von uns zielte — oder auf uns alle.
„Vielleicht sind die aus Österreich-Ungarn“, versuchte ich mich hinter einem Buchsbaumgebüsch an einer Erklärung. „Sind sauer, dass wir sie nicht auf einen Schluck eingeladen haben.“
„Nein“, sagte Mario, der am Bachufer flach im Schilf lag. „Das sind Amerikaner.“
„Woher weißt du das?“
„Weil Mack Ireland und Spanish George Armbruster die einzigen Männer sind, die auf uns schießen würden“, sagte er, „und die sind Amerikaner.“
„Du hättest mich ’reinlegen können“, sagte ich. „Das klingt, als wären das ein Ire und ein Spanier.“
„Parli come un crucco“, sagte Carlo. Ich konnte nicht sehen, wohin er verschwunden war, aber er war in der Nähe.
„Er sagt, du hörst dich an wie ein Dummkopf“, übersetzte Mario. „Er meint, wie ein Deutscher.“
„Ich komme aus Arkansas“, erklärte ich.
„Dann Arkansas crucco.“
Ich sagte: „Ich denke“, und schon kamen zwei weitere Schüsse aus den Kiefern. Ireland und Armbruster, falls sie es waren, feuerten gleichzeitig, aber sie waren nicht näher daran, jemanden tödlich zu treffen. Es wurde schon dunkel, und wir drei waren alle ziemlich gut versteckt, Carlo wahrscheinlich am besten, da selbst ich nicht wusste, wo zum Teufel er war.
„Ich weiß, dass ihr italienischen Hurensöhne immer noch da unten seid“, brüllte einer der Schützen. „Diesmal kommt ihr nicht lebend ’raus.“
„Herrgott nochmal“, sagte ich. „Diese Jungs wollen euch offenbar wirklich umbringen. Warum, zum Teufel?“
„Immer noch sauer wegen einer kleinen Auseinandersetzung in einer Bar in Nebraska“, sagte Mario.
„Herrje, ihr Jungs prügelt euch aber gerne.“
„Oh, die haben damit angefangen“, versicherte er mir. „Aber Carlo hat einen von ihnen ein bisschen zu hart getroffen, und jetzt ist er ein bisschen durcheinander im Kopf. Diese Männer da draußen? Die sind immer noch sauer deswegen.“
„Ich vermute, das ist nicht das erste Mal, dass sie es seitdem auf euch abgesehen haben.“
„Nein“, gab Mario zu. „Sie haben auch in Ogallala versucht, uns umzubringen.“
„Und ihr denkt, sie wären danach nicht mehr hinter euch her gewesen?“
Mario versuchte, mit den Achseln zu zucken, aber flach auf dem Bauch liegend klappte es nicht wirklich, also grinste er mich nur an.
„Kommt ’raus und holt euch eure Medizin“, rief der andere Mann. „Dan kann nur noch Suppe essen, wisst ihr das? Und er brabbelt wie ein Baby. Dafür müsst ihr bezahlen, und genau das wird auch passieren!“
„Die haben angefangen“, sagte Mario.
„Ma’ va te ne a fanculo“, brüllte Carlo.
Mario übersetzte nicht, aber ich konnte mir denken, dass es nicht sehr nett war, was auch immer er sagte. Jedenfalls glaubte ich nicht, dass diese Kerle demnächst vergeben und vergessen würden, egal wer die Rauferei angefangen hatte, was uns dreien zwei Möglichkeiten ließ — kämpfen oder weglaufen. Und Weglaufen würde das Unvermeidliche nur hinauszögern, sodass meiner Meinung nach nur eine wirkliche Option übrig blieb, nämlich die Stellung zu halten und zu kämpfen.
„Was hast du für Waffen?“ fragte ich Mario.
„Im Lager ein Spencer-Gewehr“, sagte er. Als wir auseinandergespritzt waren, hatte keiner daran gedacht, sich den Karabiner zu schnappen.
Ich hatte einen Colt Paterson am Mann, aber ich glaubte nicht, dass ich damit so weit schießen konnte, wie diese beiden Kerle entfernt waren. Aber vielleicht wussten sie das nicht, also sagte ich: „Ich gebe dir Deckung, also beweg’ deinen Arsch zu der Spencer da drüben, wenn ich anfange zu schießen.“
Mario sagte: „Gute Idee, Partner“, aber er lief schon los in Richtung Lager, bevor ich den Revolver überhaupt gezogen hatte. Einer der Jungs auf dem Kamm gab einen Schuss auf ihn ab, und die Kugel schlug nur Zentimeter von seiner Ferse entfernt in den Boden. Dann riss ich meinen Colt Paterson heraus und fing an, Kugeln auf sie abzufeuern. Das führte dazu, dass sie ihr Feuer einstellten, und es gab Mario die Zeit und die gewisse Sicherheit, die er brauchte, um das Repetiergewehr zu erreichen. Es war auch gut, dass er so schnell war, weil ich meine Pistole ungefähr zur gleichen Zeit leergeschossen hatte, als er die Langwaffe am Feuer in seine Hände bekam.
Ich lief, so schnell ich konnte, dorthin, wo er am Feuer stand, und Mario hebelte eine Patrone in den Verschluss, bevor er sorgfältig auf etwas zielte, das ich nicht sehen konnte, und darauf schoss.
Einer der Männer auf dem Kamm schrie auf: „Gottverdammt, mich hat’s erwischt.“
„Ireland“, sagte Mario, und er beförderte eine frische Patrone in den Verschluss. „Jetzt Armbruster.“
Armbruster brüllte wie ein bösartiger alter Bär und kam die Anhöhe herunter- und aus der Dunkelheit herausgerannt. Dabei feuerte er sein Henry-Gewehr wahllos ab und schrie er in einem fort. Eine Kugel flog hoch über unsere Köpfe hinweg, während eine andere weit links von uns in den Bach klatschte. Mario visierte ihn an, der Lauf hob und senkte sich, als er sich an das Muster von Armbrusters Bewegung gewöhnte, und dann schoss er dem Mann direkt zwischen die Augen. Der Kopf des Mannes fiel vornüber, seine Augen waren weit aufgerissen und glasig wie Murmeln, aber seine Beine machten noch ein paar Schritte, bevor sie unter ihm wegknickten und er im Kurzgras zu einem Haufen aus Gliedmaßen zusammenbrach.
„Heiliges Kanonenrohr, Sohn“, sagte ich, „das war ein toller Schuss.“
„Schade, dass ich das tun musste“, sagte Mario und schüttelte traurig den Kopf.
Hinter ihm tauchte Carlo aus der einsetzenden Dunkelheit auf und ging seelenruhig zu dem Platz, den er zuvor eingenommen hatte. Dort setzte er sich mit seinem massigen Körper hin und machte sich wieder über seine Bohnenmahlzeit her, als wäre überhaupt nichts geschehen.
„Da liebt aber jemand seine Bohnen“, sagte ich.
„Schade, dass ich das tun musste“, sagte Mario noch einmal. Er legte die Spencer ab, hockte sich Carlo gegenüber ans Feuer und verbarg sein Gesicht in seinen Händen.
Ich sagte zu Carlo: „Was hat er denn?“
Carlo zuckte die Achseln und schaufelte sich einen weiteren Löffel Bohnen in den Mund. Ich wusste nicht, ob das bedeutete, dass er nicht verstand, was ich gesagt hatte, oder ob er einfach zu sehr in seine Bohnen vertieft war, als dass es ihn kümmern würde.
Später, als es keine Bohnen und keinen Wein mehr gab, half ich den Männern, die Leichen von Ireland und Armbruster einzusammeln, und mit einer Schaufel, die wir drei uns teilten, wechselten wir uns dabei ab, ein frisches Loch in einem Tal auszuheben, das voller Löcher war, nur dass dieses Loch dafür gedacht war, etwas hineinzulegen anstatt etwas herauszuholen. Wir begruben die Männer aus Kansas, schütteten den Erdboden wieder auf sie und legten ihre Gewehre am Lagerfeuer zu Marios Spencer. Carlo schnarchte, kaum dass er sich hingelegt hatte, aber Mario blieb wach, nippte heißen Kaffee aus einem Zinnbecher und starrte blicklos auf die verlöschende Glut.
„Zum ersten Mal jemanden getötet?“ fragte ich.
„Nein“, sagte er mit einem Kopfschütteln. „Nein. Aber das erste Mal, dass ich den Sohn eines Marshals getötet habe.“
„Sohn eines Marshals“, sagte ich. Ich war erstaunt. „Welcher?“
„Ireland“, sagte Mario. „Wäre es jemand anderes gewesen, irgendein Niemand wie wir, dann hätten wir uns nicht so lange verfolgen lassen. Aber ihn wollte ich nicht töten. Er hat mich dazu gezwungen, Edward. Er hat mir keine andere Wahl gelassen, aber das Gesetz wird es nicht so sehen.“
„Verdammt“, sagte ich. „Vielleicht ist es ja schon vorbei. Der schien mir ein wirklich übler Bursche zu sein, dieser Junge. Könnte sein, dass sein Vater es weiß und die Sache auf sich beruhen lässt.“
„Auf keinen Fall. Erinnerst du dich an den Mann, den Carlo in Nebraska geschlagen hat?“
„Klar, Dan, der jetzt nur noch Suppe essen kann.“
„Dan Ireland“, sagte er. „Der andere Sohn desselben Marshals.“
„Verdammt nochmal“, sagte ich. „Was werdet ihr jetzt tun?“
„Abhauen. In der Schlucht ist sowieso kein Gold mehr.“
Mit Abhauen kannte ich mich aus, und ich kannte Gesetzeshüter, die nicht aufgaben, selbst wenn sie im Unrecht waren. Es war kein Leben, das ich empfehlen würde, aber für mich sah es eindeutig so aus, dass Mario und Carlo diese besondere Bruderschaft bereits mit mir teilten. Und soweit ich das beurteilen konnte, gab es kein Zurück mehr, wenn ein Mann einmal darin aufgenommen war. Diese Jungs waren jetzt Gesetzlose.
Am Morgen erwartete ich, alleine aufzuwachen, aber zu meiner Überraschung waren die Italiener noch da und packten ihre Habseligkeiten zusammen, einschließlich der beiden neu erworbenen Gewehre. Ich bediente mich am lauwarmen Rest des morgendlichen Kaffees im Topf, und Carlo schüttete den Bodensatz weg. Er verstaute auch den Topf, ohne sich die Mühe zu machen, ihn im Bach auszuspülen. Da ich sah, dass er es äußerst eilig hatte, aus Striker’s Gulch zu verschwinden, trank ich den Kaffee in einem Zug aus und warf ihm den Becher zu.
„Grazie“, sagte er.
„Wohin geht es als nächstes für euch beide?“ fragte ich.
„Wer weiß das schon?“ antwortete Mario. „Vielleicht überlassen wir San Gennaro die Entscheidung. Und vielleicht wird unser Bruder Edward für uns beten, oder?“
„Bin nicht gerade einer, der betet, mein Freund.“
Er lächelte, und seine kornblumenblauen Augen funkelten im Morgenlicht. „Dann wird ein Gebet von dir noch mehr Gewicht haben, amico.“
„Ich verstehe, was du meinst“, sagte ich.
Und als ich an diesem Abend mein Lager aufschlug, etwa fünfundzwanzig oder dreißig Meilen südlich von jenem ausgebeuteten alten Bergbaulager, sprach ich natürlich ein Gebet für Mario und Carlo. Ich bat den gemeinen alten Mann da oben, doch einmal jemandem Gerechtigkeit widerfahren und diese Jungs vom Haken zu lassen. Ich sagte ihm, ich wäre bestenfalls ein ungläubiger Thomas und schlimmstenfalls durch und durch ein Ketzer, sodass es etwas wert sein müsste, dass ich mich überhaupt mit einer solchen Sache an ihn wendete. Es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass ich betete, und das letzte Mal, dass ich es jemals tun würde. Natürlich hat es letzten Endes aber auch rein gar nichts genützt — doch das erfuhr ich erst nach weiteren fünf Jahren mit absoluter Gewissheit.
Teil 2: 1881
„Na, da laust mich doch der Affe“, krächzte ich. Meine Kehle war vom Staub des Trails belegt, und meine Händen zitterten, weil ich zuviel Zeit in nüchternem Zustand verbracht hatte. In einer Wüstenstadt, in der die Luft voller Sand war, hatte ich einen einsamen Adobe-Saloon aufgespürt, auf ähnliche Weise, wie eine Wünschelrute Wasser findet, und ich betrat das Lokal mit unbändigem Durst. Das kleine Wunder von Stadt nannte sich Little Miracle, und die cantina war einfallsreich „Cantina“ getauft worden. Die überschaubare Zahl der Gäste drinnen bestand hauptsächlich aus Mexikanern mit ausladenden Sombreros, die für mich Fremde waren, aber zwei Gesichter an der Bar stachen mir sofort ins Auge wie ein Paar wunde Daumen. „Mario und Carlo.“
Mit einem Zischen gab mir Carlo zu verstehen, ich sollte still sein. Mario gluckste leutselig und klopfte auf den Barhocker zu seiner Linken.
„Sie müssen sich irren, mein Freund“, sagte er mit einem Augenzwinkern. „Unsere Namen sind Denver Dave Hill“ – er zeigte auf sich selbst – „und Big Bill Spencer“ – dabei zeigte er mit einem Daumen auf Carlo, der noch dicker war als beim letzten Mal.
„Ach herrje, aber Sie haben recht“, sagte ich und setzte mich auf den Hocker. „Zu viel Sonne in die Augen gekriegt an diesem scheußlichen Ort; ich kann das Gesicht eines Mannes kaum richtig erkennen. Ich bin Edward Splettstoesser, und ich schätze, ich gebe euch Jungs eine Runde aus, um mich zu entschuldigen.“
Der Barkeeper reagierte, indem er drei beinahe saubere Gläser hinstellte und in jedes von ihnen ein paar Zoll Taos Lightning goss. Wir stießen an — saluti, prost — und kippten unsere Drinks gleichzeitig hinunter. Mit dieser angenehmen Wärme in unseren Bäuchen und dem Brennen in unseren Kehlen fragte ich: „Also, was führt euch Jungs in die Wüste?“
„Silber!“ antwortete Mario. „Die Hügel hier sind voll davon, ich kann es fühlen.“
„Der Herrgott liebt Betrunkene und Optimisten“, sagte ich, und ich gab dem Barmann ein Zeichen für eine weitere Runde. Es war schon eine Weile her, dass ich die Gesellschaft von solchen Freunden genossen hatte, daher war ich großzügig gestimmt. Großzügig und immer noch durstig.
Die zweite Runde ging geschmeidiger ’runter als die erste, und dann kam auch das Gespräch in Gang. Mit leiser Stimme fragte ich Mario, was denn mit diesem Marshal passiert wäre, über den sie sich vor all den Jahren Sorgen gemacht hatten, aber ich bereute es, das Thema angesprochen zu haben, als ich sah, wie die ganze Heiterkeit aus seinem Gesicht wich.
„Wir laufen immer noch davon, Edward“, sagte er, „und verstecken uns immer noch.“
„Habt ihr ihn gesehen?“
„Zweimal. Einmal in Leavenworth, Kansas. Das war ungefähr ein Jahr nach Striker’s Gulch. Dann neunundsiebzig, in Virginia City, Nevada. In dem Fall hat er uns auch gesehen. Es gab eine Schießerei, aber wir sind entkommen.“
„Warum verlasst ihr nicht das Land?“ wunderte ich mich laut. „Vielleicht ins alte Mexiko? Zur Hölle, euer Italienisch kann doch nicht viel anders sein als das Spanisch, was dort unten gesprochen wird.“
„La prossima volta sarà l’ultima volta“, sagte Carlo.
„Er sagt, dass das nächste Mal das letzte Mal sein muss“, sagte Mario. „Ehrlich gesagt, habe ich selbst an Mexiko gedacht. Aber Car… Bill hat recht. Ein Mann kann nicht ewig davonlaufen.“
„Ist jetzt zwei Jahre her“, sagte ich. „Könnte sein, dass Ireland es inzwischen aufgegeben hat. Könnte auch sein, dass er gestorben ist.“
„Ireland ist nicht tot“, sagte Mario mit einem bitteren Lachen. „Er ist hier, in Little Miracle. Dieses Mal sind wir ihm gefolgt.“
Ich hätte fast meinen zweiten Whiskey ausgespuckt, als ich das hörte. Wenn es etwas anderes als Whiskey gewesen wäre, hätte ich es vielleicht getan. Stattdessen rettete ich den Vierzigprozenter, genoss das Brennen für ein oder zwei Sekunden und sagte dann: „Aber warum, um Himmels Willen, macht ihr so ’was?“
Es sah so aus, als würde der Fuchs den Hund jagen, aber ich war keiner, der einem Mann sagte, wie er seine Dinge zu regeln hatte. Ich nahm an, dass diese Burschen es so satt hatten, dauernd über ihre Schultern zu schauen, dass sie in Betracht zogen, sich einfach zu stellen. Das bedeutete natürlich, dass man sie hängen würde, was sie vielleicht nicht ganz verstanden hatten. Soweit ich wusste, wurden Mörder in Italien nicht gehängt, obwohl ich vermutete, dass es dennoch geschah. Es waren immer nur Menschen, egal, wo man hinging, und Menschen brachten entweder Menschen um oder sie brachten Menschen um, die Menschen umbrachten.
Aber bevor ich sie vor den Stricken warnen konnte, die ihnen in ihrer unmittelbaren Zukunft drohten, sagte Mario: „Entweder Marshal Ireland hört auf die Worte der Vernunft oder er hört auf unsere Kugeln.“ Er klang tieftraurig, als er das sagte.
„Das kann ich nachvollziehen“, sagte ich, „aber glaubt ihr nicht, dass der Tod eines United States Marshals euch noch mehr Gesetzeshüter auf den Hals hetzen wird?“
„Cos’altro possiamo fare?“ sagte Carlo und starrte geradeaus auf sein eigenes Abbild im Spiegel hinter der Bar.
Mario sagte: „Er sagt, was können wir sonst tun?“
„Tja“, sagte ich gedehnt und zog das Wort zu einem unnatürlichen Klang in die Länge, während ich versuchte, mich selbst von dem abzubringen, was zu sagen ich gerade drauf und dran war. „Vielleicht könnte ich für euch mit ihm sprechen.“
Marios Augen weiteten sich, und er zeigte mir mit einem breiten Lächeln und offenem Mund seine weißen Zähne. „Meinst du das ernst, Edward? Das würdest du für uns tun?“
„Könnte ich versuchen“, sagte ich, „wenn es ’was nutzen würde.“
Mario grinste über das ganze Gesicht. Sogar Carlo lächelte. Der Barmann fragte, ob wir noch eine Runde wollten, und ich sagte: „Warum nicht?“ Nach allem, was ich wusste, hätte es durchaus meine letzte gewesen sein können, also ließ ich mir dieses Mal eine Menge Zeit, als ich daran nippte.
***
United States Marshal Ireland saß an einem Tisch im hinteren Teil des Rimrock-Restaurants, mit dem Rücken zur Wand und einer Tasse Kaffee in der Hand. Er war ein drahtiger, hagerer Mann mit tiefliegenden schwarzen Augen, die aus einem ledrigen Gesicht voller Falten spähten und jedes Detail seiner Umgebung auf eine sorgfältige und methodische Art und Weise aufnahmen, von der ich vermutete, dass er gar nicht mehr anders konnte. Sein Stern war an sein Hemd geheftet, damit kein Raum für Fragen danach blieb, wer er war oder warum er sich in Little Miracle aufhielt. Ich erkannte ihn sofort, und obwohl er mich beobachtete, als ich das Lokal betrat, wandte der Gesetzeshüter nach einem prüfenden Blick seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zu. Offensichtlich sah er nichts Bedrohliches an mir, worüber ich mich ein wenig ärgerte, obwohl ich mir über den Grund nicht wirklich im Klaren war. Ich nahm an, meine alte Freundin Boon hätte gesagt, dass es etwas mit meinem Geschlecht zu tun hatte und damit, wie wir Männer immer versuchten, uns auf die schlechteste Art und Weise zu beweisen, aber sie war nicht da, und ich hatte mir vorgenommen, meine Aufgabe zu erledigen.
„Marshal Ireland?“ fragte ich, sobald ich in Reichweite für ein höfliches Gespräch war.
„Wer will das wissen?“ Sein Blick wanderte zurück zur Tür, sodass er mich nicht ansah, während wir sprachen. So viel zum Thema Höflichkeit.
„Mein Name ist Edward Splettstoesser, und ich bin hier, um mit Ihnen über diese italienischen Jungs zu sprechen, hinter denen Sie her sind.“
Jetzt hatte ich seine Aufmerksamkeit. Umgehend richteten sich seine dunklen Krähenaugen auf mein Gesicht, und er nahm auf seinem Stuhl eine aufrechtere Haltung ein. Sein Kiefer arbeitete, als versuchte er, ein widerspenstiges Stück Knorpel zu zerkauen.
„Gibt keine Belohnung“, sagte er.
Das leuchtete mir ein. Ireland wollte nicht, dass alle Menschenjäger aus den Territorien darauf aus waren, die Männer zu töten, die er mehr als alles andere auf der Welt selbst töten wollte. Girotti und Pedersoli sollten nur von ihm umgelegt werden, und er hatte nicht vor, sich diese Genugtuung nehmen zu lassen.
Das machte das, was ich vorhatte, natürlich noch viel schwieriger. Der alte Hund war noch stärker darauf fixiert, meine Kameraden zu töten, als ich angenommen hatte.
Ich räusperte mich und sagte: „Haben Sie ’was dagegen, dass ich mich setze?“
„Allerdings“, sagte Ireland. „Sagen Sie, was Sie sagen wollen, oder verschwinden Sie. Sie stinken wie ein Schweinebauer, und das verdirbt mir meinen Kaffee.“
„Es ist viele Jahre her, seit ich mit Schweinen zu tun hatte“, sagte ich. „Aber vielleicht geht es einem Mann unter die Haut, wenn er es lange genug macht.“
„Warum sagen Sie mir nicht einfach, wo sie sind, und gehen dann wieder zurück zu Ihrem Schweinestall?“
Ich musste mich schwer zusammenreißen, um diesem selbstgefälligen Hurensohn nicht die Kaffeetasse dafür an seine Schläfe zu schmettern, dass er so von oben herab mit mir sprach. Aber ich wusste, dass das nicht förderlich gewesen wäre. So wie die Dinge standen, war er nur hinter Mario und Carlo her. Es wäre Blödsinn, mich selbst auf die Liste zu setzen, wenn ich doch nur zu helfen versuchte.
„Hören Sie, Ireland“, sagte ich und nahm trotzdem ihm gegenüber am Tisch Platz. „Ich kann Rachegelüste nachvollziehen, und ich verstehe, dass man auf einem solchen Trail reitet und an nichts anderes denkt. Ich habe es zwar nicht wirklich selbst gemacht, doch ich bin hinter jemandem hergeritten, der diesen Weg gegangen ist. Aber Sie müssen die Sache sehen, wie sie ist.“
Der Marshal verzog seine Oberlippe zu einem höhnischen Grinsen, das große, gelbe Zähne dahinter enthüllte. „Und wie ist die Sache, Schweinebauer?“
„Was mit Ihrem ersten Jungen passiert ist, war ein Unfall, nur eine Prügelei mit einem unglücklichen Ausgang. Und der andere? Scheiße, er war derjenige, der die Jungs angegriffen hat. Das war schlicht und einfach Selbstverteidigung. Ich war dabei, Marshal, und ich kann es bezeugen.“
„Sie waren dabei.“ Er sagte es nicht als Frage, sondern wiederholte nur die Aussage, während er sie sich durch den Kopf gehen ließ. Seine wachsamen Augen verengten sich, bis sie praktisch geschlossen waren. „Ich glaube, das macht Sie zu einem Mittäter bei dem Mord, nicht wahr?“
„Das sehe ich keineswegs so“, sagte ich.
„Kommt nicht drauf an, wie Sie es sehen oder nicht sehen, Sohn“, sagte Ireland. „Gesetz ist Gesetz, und laut Gesetz sind Sie ein Mittäter bei der Ermordung meines Jungen.“
Ich hatte nicht bemerkt, wann die Hand, in der er die Tasse gehalten hatte, unter dem Tisch verschwunden war, aber mir wurde klar, dass der gerissene alte Bastard jetzt eine Waffe in dieser Hand hatte. Er wäre dumm gewesen, wenn das nicht der Fall gewesen wäre, und ich hielt Marshal Ireland nicht für einen dummen Mann. Nein, dumm war es gewesen, sich aus freien Stücken geradewegs in eine solche prekäre Lage zu bringen, wie ich es getan hatte.
„Ich möchte, dass Sie beide Hände auf den Tisch legen“, sagte der Mann des Gesetzes. „Langsam und vorsichtig.“ Ich tat, was er mir befahl. „Ich habe gesehen wie Sie Ihre Waffe tragen, als Sie hier ’reingekommen sind. Mit dem Griff nach vorne, auf Ihrer linken Seite, was bedeutet, dass Sie Rechtshänder sind. Ich möchte, dass Sie Ihre linke Hand — und nur Ihre linke Hand — benutzen, um das Schießeisen herauszuholen und es vor mir abzulegen. Sie werden es langsam tun, und Sie werden nichts außer dem Griff anfassen. Wenn nur irgendein Teil von Ihnen den Hammer oder den Abzug berührt, werde ich Sie von diesem Stuhl und direkt in die Hölle pusten, verstanden?“
„Klar“, sagte ich. „Hab’ ich verstanden.“
Ich hielt ein paar Sekunden inne und versuchte einzuschätzen, ob der Mann mir gegenüber schnell genug sein würde, um mich zu erschießen, bevor ich ihn mit Blei eindecken konnte, oder nicht. Ich traute es ihm zu, und ich hatte keine Lust, mein Leben aufs Spiel zu setzen, also tat ich genau das, was er gesagt hatte, und legte den Revolver direkt neben seine Kaffeetasse.
„Tragen Sie noch eine versteckte Waffe bei sich?“ fragte er.
„Tu’ ich nicht.“
„Und noch irgendein Schlachtermesser, Schweinebauer?“
„Auch nicht“, sagte ich, diesmal mit zusammengebissenen Zähnen.
„Dieser Remington, mit dem ich auf Ihre Eier ziele, ist für .44-40er Patronen ausgelegt“, sagte Ireland. „Sie werden verbluten, aber erst, nachdem Sie mächtig leiden mussten, wenn das, was Sie zum Mann macht, zerschossen worden ist. Er hat einen Stecherabzug, und ich überlege nicht ein zweites Mal, wenn ich mich einmal entschlossen habe, einen Mann zu erschießen. Bringen Sie mich nicht in diese Lage, Sohn.“
„Ich werde versuchen, es zu vermeiden“, sagte ich. „Ich möchte gerne der Mann bleiben, der ich bin.“
„Davon bin ich überzeugt. Befolgen Sie meine Anweisungen, machen Sie keine Dummheiten, und Ihr Schwanz und Ihre Eier werden so bleiben, wie der liebe Gott sie geschaffen hat.“
„Dafür wäre ich Ihnen verbunden.“
Er lächelte gefühllos und sagte: „Stehen Sie auf.“
Ich stand auf und hielt meine Hände vor mir ausgestreckt.
„Gut“, sagte er. „Dann besuchen wir jetzt Ihre italienischen Freunde und plaudern ein bisschen mit ihnen. Danach können Sie ihnen ihre Gräber schaufeln, kapiert?“
„Schaufeln Sie sich Ihr eigenes Grab, amigo“, kam eine schelmische Stimme, die mir bekannt war, von der Tür her. Ich blinzelte zu der Gestalt vor dem erleuchteten Eingang, bis Mario mit einem Paar ungleicher Colts in den Händen ins Licht des Restaurants trat. Er nickte mir zu, ich nickte zurück, und er warf mir das Schießeisen aus seiner linken Hand zu. „Splettstoesser ist wegen Ihnen gekommen, und er hat Freunde.“
Ich bekam den Colt am Griff zu fassen und hielt ihn fest, während ich mich bemühte, auf die Tischplatte zu kommen, bevor Marshal Ireland mich mit den Nüssen voran zur Hölle schickte. Der Gesetzeshüter löste tatsächlich den Stecherabzug aus, und sein Remington bellte unter dem Tisch, eine halbe Sekunde, bevor ich oben drauf war, woraufhin mein nicht unerhebliches Gewicht das ganze Ding direkt auf Irelands Schoß zusammenbrechen ließ. Sein Arm mit der Waffe war unter mir und den Trümmern des Tisches eingeklemmt, daher nutzte ich die Gelegenheit, um ihn mit dem Lauf der Waffe, die Mario mir leihweise überlassen hatte, einen harten Schlag ins Gesicht zu verpassen.
Das Korn am Ende des Laufs riss einen tiefe Schnittwunde vom rechten Ohrläppchen des Marshals bis zu seiner Nase. Aus der Wunde sprudelte dunkles Blut wie ein Vorhang sein Gesicht hinunter, und der Mann brüllte, während Speichel und Blut spritzten, als er den Tisch anhob und sowohl diesen wie auch mich von sich wegstieß. Ich taumelte rückwärts und krachte gegen den Stuhl, auf dem ich gesessen hatte. Der Stuhl zersplitterte zu Kleinholz, und nie wieder würde jemand darauf sitzen. Und als ich zu dem Mann des Gesetzes mit dem Remington aufblickte, der direkt auf mein Gesicht gerichtet war, war ich nicht völlig davon überzeugt, dass ich jemals wieder auf irgendeinem Stuhl sitzen würde.
Ich schloss meine Augen und wusste nur zu gut, dass ich keine Zeit hatte, um selbst einen Schuss zu versuchen, bevor seine Kugel durch mein Gehirn segelte, und als ich das laute Krachen hörte, dachte ich mir, das wäre also das Geräusch, wenn ein Mann eine Kugel in den Kopf bekam. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr bezweifelte ich, dass ich überhaupt noch an irgendetwas denken würde, wenn ich erschossen worden wäre, also öffnete ich meine Augen wieder, um zu sehen, ob ich feststellen konnte, ob ich noch am Leben war oder nicht. Es stellte sich heraus, dass das Krachen nicht das Geräusch meines Todes war, sondern dasjenige des Stuhls, den Carlo von einem anderen Tisch genommen und auf Ireland geschleudert hatte. Dieser Stuhl war zwar nicht ganz so demoliert wie der, auf den ich gestürzt war, aber ein paar Teile waren von ihm abgebrochen, als die gerade Rückenlehne mit dem Kopf und der Schulter des Marshals kollidiert war.
Ireland brüllte wütend, wirbelte herum und schlug mit der anderen Seite seines Kopfes gegen die Wand, der er den Rücken zugekehrt hatte, als ich hereingekommen war. Er hatte die Orientierung verloren, hob aber trotzdem den Remington und fuchtelte wie wild damit herum, obwohl er wahrscheinlich doppelt sah. Nur wenige Leute waren im Restaurant gewesen, als ich ankam, doch die meisten von ihnen hatten sich aus dem Staub gemacht, als die Auseinandersetzung losging. Und die wenigen, die geblieben waren, beschlossen nun auch, das Lokal zu verlassen, um nicht von einer verirrten Kugel getroffen zu werden, die von einem wutentbrannten Marshal abgefeuert wurde. Das war eine gute Entscheidung und eine, die ich auch selbst getroffen hätte, wenn ich nicht schon direkt verwickelt gewesen wäre. Schließlich war dies zum Teil auch mein Kampf, und ich war diesen Nahpulli-Jungs etwas schuldig dafür, dass sie mir mit diesem Stuhl den Hintern gerettet hatten.
„La sua pistola!“ rief Carlo dröhnend.
„Seine Waffe, Edward“, sagte Mario. „Schnapp’ dir seine Waffe!“
Ich sagte: „Mach’ ich“, und als Ireland mit seiner Pistole herumwedelte, als hätte er eine Gallone schlechten Whiskey getrunken, schlug ich mit der Handfläche meiner freien Hand gegen seinen Arm. Der Marshal ließ den Remington fallen, und bevor er sich bücken konnte, um ihn wieder aufzuheben, stürzte sich Carlo auf ihn. Der große Mann rammte seinen dicken Bauch gegen den Marshal, der wieder gegen die Wand flog, und als Ireland sich von dort abstieß, um mit seinen Fäusten zu antworten, verpasste Carlo ihm mit der einen Hand eine Ohrfeige und mit der anderen einen Schlag in den Bauch.
„Verflucht,“ keuchte der Marshal, als er vornüber kippte, „ich bin ein Justizbeamter.“
„Tut mir leid, Herr Beamter“, sagte Mario mit einem Achselzucken. „Aber wir können uns nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass Sie uns ohne fairen Prozess umbringen wollen.“
„Non saremmo mai stati processati“, sagte Carlo, während er Ireland am Hinterteil seiner Hose packte und an seinem Gürtel hochhob.
„Nein, du hast recht, Carlo“, gab Mario zu. „Wir würden uns auch nicht von Ihnen vor Gericht bringen lassen. Tatsache ist, dass Ihr Sohn ein Mörder war und ein so übler Hurensohn, wie ich keinen zweiten gesehen habe.“
„Klingt so, als ob sie das beide waren“, warf ich ein.
„Der eine hat den Streit angefangen, stimmt“, sagte Mario. „Und der andere? Na ja, ein Mann hat doch das Recht, sich zu verteidigen, oder nicht?“
„Dann bringt mich am besten gleich hier und jetzt um“, knurrte der Marshal, der an Carlos Hand wie ein neugeborenes Kätzchen an den Lefzen seiner Mutter baumelte, „denn beim nächsten Mal lasse ich mich nicht daran hindern, euch zu erledigen. Euch gottverdammten, wertlosen Bastarde, euch alle drei.“
„Kaltblütig umbringen? Wo Sie sich doch nicht einmal verteidigen können?“ Mario sah angesichts dieser Vorstellung wirklich schockiert aus. „Aber, Marshal — wie können Sie nur im Traum auf so eine Idee kommen?“
„Ich würde es tun“, sagte ich.
Carlo sah mich an, dann nach unten zu dem Mann, der an seinem eigenem Gürtel hing, und dann zu Mario hinüber, dem er zunickte. Es schien, als wäre Carlo auch dafür, den Gesetzeshüter zu beseitigen. Aber der gute Mario Girotti machte den Eindruck, als hätte er eine ganz andere Idee.
***
Unser Weg führte uns nach Süden. Mario und ich ritten auf einem Paar farblich zueinander passender Falben, die den Studebaker-Wagen flankierten, den Carlo vom Kutschbock hinter den Maultieren lenkte. Die Pferde gehörten ihnen; den Wagen und die Maultiere hatten wir gegen mein Reittier eingetauscht, obwohl sich keiner von uns die Mühe gemacht hatte, den Mietstallbesitzer über diesen Handel in Kenntnis zu setzen. Zu der Zeit, als er es bemerkt haben dürfte, waren wir schon ein gutes Stück auf dem Weg zur Grenze.
Im hinteren Teil des Wagens, hinter heruntergelassenen Planen, war Marshal Ireland gefesselt und geknebelt — unser Gefangener. Als wir das erste Mal anhielten, um die Maultiere und die Pferde ausruhen zu lassen, bot ich ihm Wasser an, aber er fing sofort an zu brüllen, als ich das Taschentuch aus seinem Mund herauszog, also steckte ich den Knebel gleich wieder hinein, ohne den unausstehlichen Kerl auch nur mit einem Tropfen erfrischt zu haben. Erst gegen Mitternacht hielten wir wieder an, und ich nahm an, dass der alte Knabe bis dahin durstig genug war, um nicht wieder Lärm zu machen. Trotzdem knebelte ich ihn erneut, nachdem ich ihm zu trinken gegeben hatte.
In dieser Nacht schlugen wir ein kaltes Lager in einem Arroyo auf, der von hoch aufragenden Kakteen und buschigen Wüsteneisenhölzern umgeben war. Die Wache teilten wir uns in Vier-Stunden-Schichten. Am Morgen war keiner von uns gut ausgeruht. Jeder blinzelte in die helle Wüstensonne und wünschte sich nur noch eine weitere Stunde Schlaf.
Mario übernahm die unangenehme Aufgabe, das morgendliche Austreten des Marshals hinter einem Gebüsch zu beaufsichtigen, und wir alle kauten auf ledrigem gedörrtem Hirschfleisch herum und nannten es Frühstück.
„Ein Grab in der Wüste“, sagte Ireland, nachdem er seinen ersten Bissen heruntergeschluckt hatte. Mario fütterte ihn mit der Hand, als wäre er ein Welpe. „Ihr solltet eure Maultiere ein oder zwei Mal drüberlaufen lassen, sonst wird es vielleicht noch gefunden.“
„Halten Sie die Klappe und essen Sie Ihr Fleisch“, sagte ich.
Der Marshal grinste und drehte den Kopf zu Mario. „Hast du wirklich vor, mich mein eigenes Grab schaufeln zu lassen, dago? Ich kann meine Hände kaum noch spüren, weißt du.“
„Wenn Sie mich weiter so beleidigen, Marshal Ireland, war’s das mit Ihrem Frühstück.“
„Schieb’s dir in deinen Arsch“, brummte Ireland.
Mario zuckte die Achseln und steckte sich das, was von der Portion des Marshals übrig war, selbst in den Mund.
Carlo sagte: „Stupido idiota.“ Dafür brauchte ich keine Übersetzung von Mario.
Den Rest des Tages verbrachten wir größtenteils in müde machender Stille, das Gelände war hart und trocken, die Sonne stand hoch und brannte heiß. Mochte der alte Ireland auch noch so sehr meckern und sich über sein Schicksal beklagen, ich beneidete den alten Knaben; er durfte im Schatten der Planen des Studebakers reisen, ohne ein Pferd zwischen den Beinen zu haben, von dem ihm die Wirbelsäule in allen Einzelteilen durchgeschüttelt wurde. Natürlich war das, was Mario für ihn vorgesehen hatte, kein Grund, um neidisch zu werden, und es kam rasend schnell näher. Wir würden die Grenze ungefähr auf halber Strecke im Cowskull Canyon erreichen, und noch vor Einbruch der Dunkelheit passierten wir dessen nördlichen Eingang. Das war der Ort, an dem wir erwarteten, auf Marios Freunde zu treffen.
Er hatte von Little Miracle aus an einen Ort südlich der Grenze in der Nähe des Golfs telegrafiert. Marios Nachricht war auf Italienisch; die Antwort, die er erhielt, kam en español.
Cañón del cráneo de vaca. Tomará el flete.
„Cowskull Canyon“, hatte Mario zu mir gesagt. „Dort übernehmen sie die Fracht.“
Die Fracht war natürlich Marshal Ireland. Die Freunde – so war es nun einmal – stellten sich nicht nur als Gesetzlose heraus, sondern sie waren piratas — Piraten. Und der Plan war denkbar einfach: Wir würden den alten Mistkerl schanghaien.
„Ich kann keinen Menschen töten, wenn es sich vermeiden lässt“, erklärte Mario fast entschuldigend. „So aber bleibt er am Leben, doch weit weg von uns, klar?“
Wie weit weg, konnte man nur vermuten, aber ich rechnete damit, dass Ireland schon bald an Bord eines Clippers oder einer Schaluppe gebracht wurde, die im Golf von Kalifornien auf ihn wartete und bestimmt war, Kurs auf ferne Gestade zu nehmen. Der Mann des Gesetzes würde entweder arbeiten oder kielgeholt werden; und ab diesem Punkt lag sein Schicksal in seinen eigenen Händen und nicht mehr in unseren. Nach dem herzlichen Empfang zu urteilen, den ihm das halbe Dutzend Desperados bereitete, als sie ihn im Canyon in ihren Gewahrsam nahmen, war Ireland genau die Art von Mann, die sie suchten. Daher vermutete ich, dass er arbeiten würde. Vielleicht würde es ihm eines Tages gelingen, auf amerikanischen Boden zurückzukehren und seine Suche nach Mario, Carlo und vielleicht sogar nach mir wieder aufzunehmen, aber ich wusste, dass er dafür sehr, sehr viel Zeit brauchen würde. Und wer konnte es schon mit Gewissheit sagen? Genauso gut könnte Ireland eine Vorliebe für das Meer entwickeln oder sich in ein hübsches, engelsgleiches Mädchen am anderen Ende der Welt verlieben. Tatsächlich waren schon seltsamere Dinge passiert.
Die Desperados banden Ireland auf dem Maultier fest, das er für den Rest seiner Reise zum Meer reiten würde, und nach ein paar Worten und ein oder zwei Schlucken aus einem nicht etikettierten Krug mit klarem Schnaps, der scharf und lange im Magen brannte, kehrten wir um und machten uns auf den Rückweg nach Norden.
Es war höllisch viel Aufwand, um einen Mann, der ihnen das Leben schwermachte, loszuwerden, ohne ihn endgültig zu erledigen, aber die Entscheidung lag nie bei mir. Verdammt, vielleicht würden die Wochen, Monate und Jahre, die diesem Mann bevorstanden, ihn wünschen lassen, wir hätten ihn erschossen und in der Wüste begraben.
Ich werde es nie erfahren, denn ich habe U.S. Marshal Ireland nie wiedergesehen oder auch nur etwas von ihm gehört. Falls er es jemals zurück in die Staaten geschafft hatte, hat er mich nicht gefunden, und ich hatte erhebliche Zweifel, dass er diese Nahpulli-Burschen jemals in die Finger bekommen hat.
Tatsächlich habe auch ich sie, was ich auf ewig bedauerte, nie wiedergesehen. Ich trennte mich ein kleines Stück südlich von Little Miracle von ihnen, wo ich sie fragte, ob sie vorhätten, in dieser Gegend weiter nach Silber zu graben, oder nicht.
„Ich habe das Graben satt“, erzählte Mario mir. „Carlo will Denver sehen und eine Weile versuchen, beim Kartenspielen zu schummeln — zumindest, bis wir erwischt werden.“
Er schenkte mir wieder sein verschmitztes Lächeln, das dieses Mal ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass keiner von ihnen beiden seine Lektion gelernt hatte. Ich war auch ein Mann, der sich nur schwer ändern konnte, also dachte ich, dass ich sie verstand. Zu meiner großen Überraschung stieg Carlo vom Wagen herunter, zog mich an sich und umarmte mich so fest, dass mir dabei wirklich fast der Kopf abgerissen worden wäre.
„Addio, Edward“, sagte er.
„Bis dann, Großer“, sagte ich. „Und viel Glück mit den Karten.“
Er lächelte, als ob er verstanden hätte, und ich nahm an, das hatte er tatsächlich. Ich schätzte, Carlo Pedersoli hatte jedes einzelne Wort verstanden, das ich jemals zu ihm gesagt hatte. Mario schüttelte meine Hand, indem er sie mit seinen beiden Händen umfasste, und sagte: „Grazie. E ciao.“
Ich nickte. Mit dem Wagen und einem der Falben schlugen sie den Weg nach Osten ein. Ich ritt mit dem anderen Falben nach Norden. Und als ich nach Einbruch der Dunkelheit an einem kleinen Feuer saß, das ich mit Kuhdung und getrocknetem Kreosot betrieb, spürte ich eine kalte, bittere Einsamkeit in mir, die ich nicht mehr gekannt hatte, seit meine alte Freundin Boon sich in Kalifornien von mir getrennt hatte. Das Schlimmste daran, Freunde zu haben, war, sich von ihnen zu trennen — oder von ihnen getrennt zu werden. Obwohl ich annahm, dass ein Mensch das Eine nicht wirklich ohne das Andere haben konnte, die Wärme nicht ohne den Schmerz.
Ich schlief ein, während ich an Mario und Carlo dachte, und als der Schlaf mich übermannte, träumte ich von Boon und seltsamerweise von Marshal Ireland. In meinem Traum schuftete der alte Knabe schwer an Deck eines Drei-Mast-Schoners, schleppte Taue und kletterte mit den Geschicktesten über Netze und Spanten. Seine Arme waren wie drahtige Seilbündel, und ein Seemannsbart reichte ihm bis zur Brust. Er befolgte jeden Befehl des Kapitäns, und seine Kameraden von der Besatzung mochten und respektierten ihn. Der alte Gesetzeshüter hatte einen Ort gefunden, an den er passte, so wie ein Schlüssel in ein Schloss passt, und im Gegensatz zu mir in meinem einsamen Lager würde es Ireland nie wieder an Freunden mangeln.
Andererseits würde sich der reizbare Bastard, soweit ich das einschätzen konnte, weigern, auch nur einen einzigen Befehl auszuführen, und damit hätte er es verdient, mit gefesselten Armen und Beinen ins Meer geworfen zu werden und alleingelassen mit seiner Verbohrtheit immer tiefer in die kalte Schwärze des bodenlosen Ozeans zu versinken.
Das schien genauso wahrscheinlich, wenn nicht sogar noch wahrscheinlicher, angesichts der Entschlossenheit, mit der der Mann die Italiener durch das halbe Land verfolgt hatte.
Aber es war ein schöner Traum. Wenigstens, solange er andauerte.
© für die deutsche Übersetzung: Reinhard Windeler, 2025
Wir danken dem Autor – der übrigens bedauert, dass sich für seine eingangs erwähnte Boon-Trilogie bisher kein deutschsprachiger Verleger gefunden hat – für die Genehmigung zur Veröffentlichung dieser Übersetzung und für die Auswahl des Titels, den seine Story, die im Original in seiner Sammlung „Horseblood“ erschienen ist, in unserer Fassung erhalten hat.