Sonntag, 29. Dezember 2024

Programmhefte

Programmhefte: Western 

Um Kopf und Kragen
Illustrierte Filmbühne 3837
Der Speer der Rache
Das Neue FilmProgramm (1955)
Der Mann mit den goldenen Colts
Illustrierte Filmbühne  7186

Programmhefte, auch als Filmprogramme bekannt, gab es im vergangenen Jahrhundert zu den meisten in Kinos gezeigten Filmen. Produziert wurden sie von auf solche Schriften spezialisierten Verlagen. Zumeist umfassten sie vier, reichlich mit schwarz-weiß Fotos illustrierte Seiten, eine Inhaltssynopse des jeweils vorgestellten Films sowie eine Übersicht zur Besetzung und dem Filmstab. Das veröffentlichte Material dürfte überwiegend auf von den Verleihfirmen zur Verfügung gestellten Materialien (z.B. Werberatschlag) zurückgehen. Bekannte Reihen waren Die illustrierte Filmbühne oder Das neue Filmprogramm. Verkauft wurden die Programmhefte zumeist an den Kinokassen für wenig Geld; sie konnten meines Wissens aber auch abonniert werden. Heute finden sich antiquarische Angebote im Internet. 

Solche Programmhefte dokumentieren das, was einst im Kinosessel zu sehen war, sie bieten - aus der Rückschau betrachtet - eine wichtige Quelle aus dem Bereich der populären Unterhaltungsmedien und zugleich gehören sie als Werbemedien zur Western- und Kinogeschichte.

Beispielhaft zeigt das AKWA Journal drei Ausgaben zu amerikanischen Western, die einst über deutsche Leinwände flimmerten.
Karl Jürgen Roth

Samstag, 28. Dezember 2024

Wild West - non-fiction

Sachbücher: WILDER WESTEN





William C. Davis
Der Wilde Westen. Pioniere, Siedler und Cowboys 1800-1899
OT: THE AMERICAN FRONTIER, dt. v. Jutta-Karin Hoffmann
Erlangen: Karl Müller 1994
(256, durchgängig farbig ill. - 34 cm)
ISBN: 3-86070-060-0
(oben: Nachauflage)



William C. Davis
Der amerikanische Bürgerkrieg. Soldaten, Generale Schlachten
OT: BATTLEFIELDS OF THE CIVIL WAR, dt. v.  Anke Schreiber
Stuttgart: Motorbuch-Verlag 2000
(256, durchgängig farbig ill. - 34 cm)
ISBN: 3-82-89-0384-5




William C. Davis
Soldaten des US-Bürgerkrieges
OT: REBELS & YANKEES, dt. v.  Rainer Hermann u. Mike Murfin
Stuttgart: Motorbuch-Verlag 1994
(256, durchgängig farbig ill. - 34 cm)
ISBN: 3-613-01601-X



1. Aufl.
Der amerikanische Westen und seine Geschichte (vorzugsweise im 19. Jahrhundert) sind genau wie der amerikanische Bürgerkrieg ("War between the States")  Thema einer Vielzahl mehr oder weniger umfassender Sachbücher, von denen nur ein Bruchteil ins Deutsche übertragen wurde bzw. von deutschsprachigen Autoren für den hiesigen Buchmarkt geschrieben wurde.

Vorgestellt seien hier vier reich bebilderte populärwissenschaftliche Bücher von William C. Davis, die in deutscher Übersetzung veröffentlicht wurden, antiquarisch noch erhältlich sind und durch ihre hervorragende Illustrierung sowie sachkundige gut recherchierte Texte überzeugen können. William C. Davis wurde 1946 geboren und veröffentlichte zahlreiche weitere historische Sachbücher.






Als viertes Buch erschien (in Zusammenarbeit mit Joseph G. Rosa:

Amerikas Wilder Westen. Von den Pionieren bis Buffalo Bill,
unter Mitwirkung von William C. Davis, Joseph G. Rosa [ Koordination und Redaktion der deutsch-sprachigen Ausgabe: AMS Autoren- und Medienservice, Reute]
OT: THE WEST, dt. v. AMS / Horst M. Langer, Thomas Lautwein 
Rastatt: Neff 1997 (176, ill. - 37 cm)
ISBN: 3-8118-54-04-6

Karl Jürgen Roth    

Sonntag, 22. Dezember 2024

SELTZER - Eingeschneit


Eingeschneit

von Charles Alden Seltzer


(Orig.: „Seven-Up's Christmas“, 1912; übersetzt von Reinhard Windeler)

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Nein, früher war nicht alles besser. Schon vor 75 Jahren wurde versucht, Leser für dumm zu verkaufen. „Alle Geschichten brandneu“ versprach 1949 das Cover der Dezember-Ausgabe des Pulp-Magazins „Giant Western“, und das galt somit auch für die auf Seite 98 beginnende Kurzgeschichte „Seven-Up’s Christmas“. Man vertraute offenbar darauf, dass den damaligen Lesern nicht bewusst war, dass der Autor Charles Alden Seltzer (1875 – 1942) schon seit gut sieben Jahren nicht mehr am Leben war. 
Tatsächlich hatte „The Outing Magazine“ die Story bereits 1912 in seiner Dezember-Ausgabe  erstmals veröffentlicht, worüber man aber 37 Jahre später kein Wort verlor. Bill Pronzini und Martin H. Greenberg nahmen sie 1990 in die von ihnen herausgegebene Anthologie „Christmas Out West“ auf. Im AKWA-Journal erfährt sie nun – nach gerade einmal 112 Jahren – ihre deutschsprachige Première.

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I.

Der alte Seven-Up stellte sich in die Tür seiner Erdhütte, als Laskar angeritten kam.

„Hast du also hergefunden“, sagte er mit einem breiten Grinsen. „Hab’ dich vorgestern gesehen, wie du es eilig hattest, in die Stadt zu kommen, und mir gedacht, dass du um diese Zeit zurück kommen müsstest.“

Er kam heraus und zog den Sattel von Laskars Pferd, während dieser das Zaumzeug abnahm und das Pferd anschließend zur windgeschützten Seite der Erdhütte brachte.

„Hab’ ’n paar Frijoles für dich im Topf. Schmoren seit Sonnenuntergang schön vor sich hin.“

Laskar war voller Vorfreude, als er dem alten Mann in die Erdhütte folgte. Heiße Frijoles und Sauerteigbrötchen aus Seven-Ups Backöfen waren kaltem Speck und Tomaten aus der Dose auf der windgepeitschten November-Prärie vierzig Meilen von zuhause entfernt um Längen vorzuziehen.

Was einer der Gründe war, weshalb Laskar es immer so einrichtete, dass er auf seinem Rückweg von der Stadt an der Erdhütte einkehren konnte. Der andere Grund war Seven-Up.

Nämlich das einfache Kartenspiel, das Seven-Ups Freude und Wonne war. Und wenn ein Oldtimer wie Seven-Up, der fünfundsechzig war und immer noch als Patrouillierer (1) für die Double R arbeitete, willens war, bis fast zum Tagesanbruch aufzubleiben und mit dir Seven-Up zu spielen, dann war das ein ziemlich guter Beleg dafür, dass er dich mochte. Selbst wenn er neun von zehn Partien gewann, wie es normalerweise der Fall war. Seven-Up hatte seinen Spaß daran, Laskar zu beweisen, dass der noch viel zu lernen hatte, ehe er hoffen konnte, auch nur die Grundlagen des „High-Low-Jack“-Spiels (2) zu beherrschen. Aber der Rindermann störte sich nicht daran.

Als der Tisch abgeräumt war, kam die unvermeidliche Einladung.

„Seven-Up?“ fragte der Patrouillierer. Laskar nickte. „Heute hast du keine Chance“, prahlte der alte Mann. „Mir geht’s gut, und wenn’s mir gut geht, dann kriegt sogar der Mann, der das Kartenspiel erfunden hat, kein Bein auf den Boden.“

„Na, du hast jedenfalls nicht vergessen, wie man ordentlich auf den Putz haut“, sagte Laskar und grinste.

„Dafür steche ich deinen Buben gleich im ersten Spiel“, drohte Seven-Up – und sehr zu Laskars Missfallen tat er genau das.

„Schätze, du hast die Karten markiert“, beschuldigte Laskar ihn.

Seven-Up legte seine Karten ab und sah seinen Freund vorwurfsvoll an.

„Du weißt, dass das nicht stimmt, Las“, sagte er. „Ich habe noch nie jemanden betrogen, und ich bin zu alt, um jetzt damit anzufangen. Aber es gibt Männer, die ihre Karten markieren, Las – ich habe sie kennen gelernt. Ich habe einen Mann gekannt, der in jedem Kartensatz, mit dem er spielte, immer alle hohen Karten markierte. Den hat auch nie jemand erwischt – außer mir –, und da war es schon zu spät.“

Er gab ein sonderbares Lachen von sich, nahm den Herzbuben, legte ihn mit der Vorderseite nach unten hin und drückte das Ende seines Daumennagels gegen die Rückseite, um einen Eindruck zu hinterlassen.

„Siehst du das? Es ist in einer Ecke, aber es ist rund, so wie mein Fingernagel.“

„Ja“, sagte Laskar. „Eine Art Halbkreis.“

„Das stimmt. Also, der Mann, den ich meine, der hat keinen Halbkreis gemacht, wenn er die Karten markiert hat. Er hatte einen Daumen, der irgendwann einmal gequetscht worden war, und der Nagel ist so krumm gewachsen, wie der Mann krumm war, dem er gehörte. Er war nicht rund, sondern flach und eckig, und wenn er damit in einer Ecke draufdrückte, gab es ein kleines Viereck. Oder ein Dreieck oder ein Kreuz, damit er verschiedene Karten markieren konnte. Oh ja, er hatte ein gutes System. Also, ich –“ 

Seven-Up schien Laskar ins Vertrauen ziehen zu wollen, überlegte es sich aber offenbar anders und lachte stattdessen schroff.

„Du gibst“, sagte er, und sie nahmen das Spiel wieder auf.

***

Um drei Uhr morgens war Laskar überzeugt, dass Seven-Up in dieser Nacht unschlagbar war. Etwas verärgert legte er sich schlafen, während Seven-Ups schadenfrohes Kichern in seinen Ohren klang.

Einige Zeit später setzte sich Laskar plötzlich in seiner Koje auf und war hellwach. Der Wind heulte und kreischte um die Dachtraufe der Erdhütte und schlug in heftigen Böen gegen die Nordwand. Das Feuer im Adobe-Kamin brannte schwach, und Laskar war trotz seiner dicken Decke durchgefroren. Er strich mit der Hand über die Decke und stieß einen überraschten Ausruf aus.

„Schnee!“

Im Nu war er aus der Koje und ging zur Tür.  Er riss sie auf und wurde von einem bitterkalten, peitschenden, schneebeladenen Wind zurückgedrängt, von dem die Welt draußen erfüllt war.  Er machte die Tür zu und stand einen Moment mit finsterem Blick da. Dann ging er zu Seven-Up und rüttelte ihn wach.

„Raus aus den Federn!“ befahl er. „Das Wetter ist umgeschlagen!“

Seven-Up kletterte aus seiner Koje und ging zum Fenster, durch das Schnee in Laskars Koje rieselte.

„Ein Sturm aus dem Norden“, sagte Seven-Up leidenschaftslos. „Ich patrouilliere heute nicht – und vielleicht die nächsten Tage auch nicht. Und du gehst nicht nach Hause. Vierzig Meilen. Bei dem Wetter würdest du nicht einmal fünf schaffen.“

„Als ob ich das nicht wüsste!“, sagte Laskar mit finsterem Blick. „Das brauchst du mir nicht sagen.“

Seine Frau würde sich Sorgen um ihn machen. Oder vielleicht auch nicht. Sie könnte denken, dass er seinen Aufbruch aus der Stadt verschoben hatte.

Laskar knöpfte seinen Mantel zu und ging hinaus. Der Wind fegte ihn fast von den Füßen – ein wirbelnder, stechender, blendender Wind, der seine Kleidung mühelos durchdrang.

Vom Himmel war nichts zu sehen, ein wirbelnder weißer Nebel verhüllte ihn. Orientierungspunkte waren ausgelöscht. Er versuchte nach Norden zu blicken – nach Hause. Der feine, kieselige Schnee blendete ihn, und der Wind raubte ihm den Atem.



II.

Er suchte sein Pferd und fand es eng an die Wand der Erdhütte geschmiegt. Das Tier gab ein flehendes blubberndes Wiehern von sich, als es ihn sah, und er band es los und führte es in den windgeschützten Schuppen, neben Seven-Ups Pferd. Er fütterte beide Tiere und kämpfte sich zurück zur Erdhütte.

Seven-Up rührte seelenruhig die Frijoles im Topf um. „Na, gehst du nach Hause?“ fragte er, als Laskar eintrat.

Laskar sagte ihm, wohin er gehen konnte.

„Ich sag’ dir was“, meinte Seven-Up, während sie aßen. „Dieser Nordsturm erinnert mich an den, den wir letztes Jahr hatten. Auch ungefähr um diese Zeit. Das war einer von der heftigen Sorte. War früh dran, blieb aber einen ganzen Monat. Letztes Jahr hab’ ich’s zu Weihnachten nicht in die Stadt geschafft.“

„Ich werde Weihnachten zuhause sein!“, erklärte Laskar.

„Aber sicher. Heute ist erst der erste Dezember. Ich schätze, das wird nicht lange anhalten.“

Seven-Up füllte seinen Teller mit einer weiteren Portion Frijoles, aber Laskar verzichtete auf eine zweite Ladung Bohnen.

Den Rest des Tages verbrachten sie mit Kartenspielen – Seven-Up. Sie gingen früh zu Bett, und als Laskar am nächsten Morgen eifrig den Kopf aus der Tür steckte, tobte der Blizzard mit unverminderter Heftigkeit. Er schloss die Tür und ging schweigend zurück zum Feuer. Er warf ein frisches Holzscheit hinein, setzte sich und starrte düster in die Flammen.

Zum Frühstück gab es Bohnen und Sauerteigbrötchen. Bis zur Mittagszeit spielten sie Karten. Da keiner der Männer hungrig war, ließen sie diese Mahlzeit aus und spielten weiter, bis es Zeit fürs Abendbrot war. Zum Abendessen gab es wieder Frijoles und Sauerteigbrötchen. Danach setzten sie das Kartenspielen fort. Immer Seven-Up. Das war das einzige Spiel, das Seven-Up kannte – das einzige, das er kennen wollte. Nichts anderes kam für ihn in Frage.

Die Quote von Seven-Ups Siegen lag bei etwa neun von zehn. Laskar war so oft geschlagen worden, dass er Seven-Ups unheimliches Glück nicht mehr lustig fand. Beide machten keine Scherze mehr über das Spiel und spielten mit grimmigem Ernst und einer verborgenen Feindseligkeit, die Ärger versprach. Es war Mitternacht, als sie aufhörten. Laskar hatte drei Spiele gewonnen, Seven-Up siebenundzwanzig.

Am nächsten Morgen hatte der Blizzard nicht nachgelassen, sondern er tobte heftiger denn je.

„Wir stecken wirklich fest“, klagte Laskar, als er durch einen fünf Zentimeter großen Spalt in der Tür spähte. „Wahrscheinlich bleiben wir bis zum Frühling hier. Da sind ein paar Viecher am Wandern – sogar ’ne ganze Menge. Zäune halten sie bei diesem Sturm nicht auf.“

„Nichts wird sie aufhalten“, pflichtete Seven-Up bei. „Wenn der Sturm anhält, werden die Mexikaner im nächsten Jahr reichlich Vieh haben – wenn es nicht erfriert, bevor es zum Rio Grande kommt.“

Laskar schloss die Tür, kam an den Tisch und gähnte. „Könnten genauso gut Seven-Up spielen“, sagte er. 

„Willst du ’n paar Frijoles?“ erkundigte sich Seven-Up.

Laskar reagierte mit einem plötzlichen Wutanfall. „Ich habe diese Bohnen satt!“ schnauzte er. 

„Quatsch“, sagte Seven-Up beschwichtigend, „die sind völlig in Ordnung, wenn man nichts Besseres hat.“ 

„Dann iss sie“, höhnte Laskar. „Es gibt Leute, die wollen nichts Besseres. Es hängt alles davon ab, wie ein Mann aufgewachsen ist.“

Seven-Up antwortete nicht und widmete sich seinen Frijoles. Nun waren Tischmanieren nie etwas gewesen, über das er sich Gedanken gemacht hatte – und Laskar übrigens auch nicht. Seven-Up aß, wie er immer aß, mit seinem Messer, laut kauend und mit offenem Mund. Es war weder ein schöner Anblick noch waren die Geräusche angenehm zu hören. Und Laskar war kaum besser. Doch während er zusah, grinste er höhnisch und mit bösartigem Blick.

„Vielleicht solltest du lieber aufhören wie ein Schwein an einem Futtertrog zu fressen“, sagte er nach kurzer Zeit. Seiner Stimme zischte vor unterdrückter Wut.

Seven-Up sah ihn leicht überrascht an. „An meiner Art zu essen ist nichts auszusetzen“, sagte er. „Ich habe schon immer so gegessen und werde jetzt nicht damit aufhören.“ Er hob eine weitere Messerklinge mit Bohnen hoch.

„Tu’ das runter!“ fauchte Laskar. Er zog seinen 45er und hielt die Mündung dicht vor Seven-Up.  Sein Blick war wutentbrannt. „Es ist mir egal, wie du gegessen hast“, erklärte er. „Du wirst nicht wie ein Schwein fressen, solange ich dich im Blick habe!“

Seven-Up ließ das Messer langsam sinken. „Las“, sagte er sanft, „du bist nicht von Natur aus böse. Hier eingesperrt zu sein, geht dir auf die Nerven. Und schon so schnell. Ich hatte gehofft, dass wir miteinander auskommen würden. Letztes Jahr habe ich es zwanzig Tage ausgehalten, bevor ich anfing, mit mir selbst zu streiten und mir Sachen einzubilden.“

Laskar steckte seinen Revolver ein und grinste verlegen. „Ich schätze, das ist so“, stimmte er zu. „Es liegt nicht daran, wie du isst. Es liegt an mir. Merkwürdig, was einen stört, wenn man sich eingesperrt vorkommt.“

„Sehr merkwürdig“, bestätigte Seven-Up. Er nahm sein Messer wieder in die Hand und begann zu essen, aber mit Bedacht, wobei er sein Essen mit elefantenartigem Feingefühl zerkleinerte.

***

Tagsüber wechselten sie sich an Tür und Fenster ab und beobachteten die vorbeiziehenden Rinder. Es gab eine endlose Prozession von ihnen, mal nur ein Tröpfeln, mal eine wogende Welle aus hageren Körpern und schwingenden Hörnern, die kein menschliches Eingreifen aufhalten konnte.

Später am Nachmittag widmete Seven-Up seine Aufmerksamkeit dem Topf mit Frijoles. Laskar blieb am Fenster, wo er beobachtete und die Stirn runzelte, als ob er das, was ihn davon abhielt, nach Hause zu gehen, nicht verstehen könnte. 

Seven-Up lud ihn nicht ein, die Frijoles mit ihm zu teilen, als er sie dampfend aus dem Topf nahm, weil er fürchtete, sein Zorn könnte wieder aufflammen. Er aß seine eigene Mahlzeit verstohlen und behielt dabei seinen Gast im Auge.

Aber Laskar hatte sich jetzt unter Kontrolle. Sein Zorn war zum Ausbruch gekommen, und damit hatte sich ein Teil der Anspannung gelöst. Er würde nicht noch einmal die Beherrschung verlieren, sagte er zu sich selbst.

Was Seven-Up betraf, hatte er sich seiner Selbstbeherrschung gerühmt, aber am Morgen des zehnten Tages ihrer Gefangenschaft kroch er mit einem seltsamen Leuchten in den Augen aus seiner Koje.

„Das Vieh ist die ganze Nacht hier vorbeigezogen“, sagte er. „Schwarze Rinder – alle schwarz – eine Million davon, und eine Frau hat sie getrieben. Das war meine Tochter. Sie hat gewunken und gesagt, sie würde zurückkommen. Hat zu mir gesagt, ich solle auf sie warten. Aber sie kommt nicht wieder. Ich habe zwanzig Jahre gewartet.“

Er öffnete die Tür und wollte gerade hinausrennen, als Laskar ihn packte, zurückzog und die Tür mit einem Fußtritt zuschlug. Seven-Up wehrte sich, aber seine Kraft reichte nicht an die des jüngeren Mannes heran.

„Lass mich“, flehte er. „Ich gehe raus und suche sie. Sie wird erfrieren!“

„Das würde sie, wenn sie da draußen wäre“, stimmte Laskar zu. „Aber das ist sie nicht. Und deine eigenen Innereien wären ein Klumpen Eis, bevor du eine Viertelmeile weit gekommen wärst.“

Seven-Up brabbelte vor sich hin, als Laskar ihn zu seiner Koje trug und ihn hineinlegte. Aber er beruhigte sich und schlief ein. Als er sich am nächsten Morgen an den Vorfall erinnerte, war er nicht gerade erfreut. Er versuchte, freundlich zu Laskar zu sein, aber das war etwas, das ihnen beiden immer schwerer fiel.

In der Erdhütte herrschte ewige Dämmerung, weil der Schnee gegen die Fenster wehte, und die Luft war schal. Als die Tage vergingen, kletterte der Schnee immer höher.

„Wir sollten den Schnee von da wegschaffen“, sagte Seven-Up am Morgen des fünfzehnten Tages. „Dauert nicht mehr lang, und wir haben überhaupt kein Licht mehr.“

„Dann schaff’ ihn weg“, sagte Laskar knapp.

III.

Seven-Up bekam langsam das Gefühl, dass Laskar ihn ausnutzte. Der jüngere Mann hatte seine Gastfreundschaft angenommen und aß sein Essen. Warum konnte er nicht seinen Teil zur Arbeit beitragen? Er kannte Laskar seit zwei Jahren und hatte ihn immer für einen großzügigen, freundlichen Kerl gehalten, der einem Freund gerne half. Jetzt erschien er ihm klein, gemein und engstirnig. Warum wollte er nichts tun? Er faulenzte, während Seven-Up zur Quelle ging, um Wasser zu holen. Er half weder beim Abwasch noch beim Kochen, und er beschwerte sich über die Bohnen.

Das Einzige, was er tat, war, die Pferde zu füttern. Und jetzt fing Seven-Up an zu glauben, dass er das nur tat, um sein eigenes Pferd zu bevorteilen.

Er beschloss, der Sache nachzugehen, und wartete, bis Laskar eingeschlafen zu sein schien. Seine Hand war schon an der Tür, als er Laskars Stimme hörte:

„Wo willst du hin?“

Seven-Ups Augen funkelten vor Wut. „Du lässt mein Pferd verhungern“, knurrte er. „Ich gehe raus, um es zu füttern!“

Laskar schlüpfte aus der Koje. „Ich lasse dein Pferd verhungern!“ wiederholte er. „Wenn du das gewusst hast, warum hast du es dann nicht selbst gefüttert? Weil du zu faul bist, darum!“

Seven-Up stand steif da, die Hand an der Tür. „Das würde ich nicht noch einmal sagen, Las.“

„Warum nicht?“

„Weil ich’s dir sage. Und wenn du noch ein einziges Mal leise zwitscherst, dass ich faul bin, werde ich das Tageslicht durch dich hindurchlassen!“

So trat er endlich offen zu Tage – der blinde, unvernünftige Hass, der aus dem Hüttenkoller geboren wird. Jetzt war die vorgetäuschte Freundschaft verschwunden. Sie lagen stundenlang da, jeder in seiner eigenen Koje, beobachteten den anderen und spotteten über die kleinen Angewohnheiten, die ihnen unter normalen Bedingungen nie aufgefallen wären. Ihnen gefiel nichts am jeweils Anderen.

Seven-Up kam zu der Überzeugung, dass Laskar vorhatte, ihn zu töten. Er wartete, bis der jüngere Mann wirklich eingeschlafen war, dann ließ er sich hinausgleiten und nahm geschickt Laskars Messer und Revolver weg. Vor insgeheimer Zufriedenheit lächelnd kehrte er zu seiner eigenen Koje zurück und schlief ein.

Aber seine Träume waren voller beunruhigender Dinge. Durch sein Gemurmel geweckt, wachte Laskar auf und lauschte.

„Zwanzig Jahre“, murmelte Seven-Up. „Hab’ sie nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich ist sie tot. Oder schlimmer. Bill Henley, er hat sie. Er konnte nicht ehrlich spielen. Das Einzige, was an ihm gerade war, war dieser gerade Daumennagel – und damit hat er geschummelt.“ Dann wurde sein Gemurmel unverständlich, und Laskar hörte nicht mehr zu und schlief wieder ein. 

Am nächsten Morgen waren ihre Lebensmittel aufgebraucht. Indem sie den Topf auskratzten, hatten sie genug Frijoles für das Frühstück, mehr nicht. Wäre Seven-Up nicht gezwungen gewesen, mit Laskar zu teilen, hätte er – selbst bei dem Blizzard – genug gehabt, bis der Double-R-Wagen wieder vorbeikommen würde. Er ließ seiner Bitterkeit freien Lauf.

„Du hast mehr als deinen Anteil gegessen“, beschwerte er sich. „Du bist ein Schweinehund, genau das bist du.“ 

„Du bist ein Lügner!“ sagte Laskar. Sein Blick war von einer fürchterlichen Bösartigkeit.

„Ich sage, du bist ein Schweinehund!“ wiederholte Seven-Up.

Laskar griff an sein leeres Holster.

„Ich hab’s gewusst“, sagte Seven-Up. „Du wolltest mich schon die ganze Zeit umbringen. Deshalb habe ich dir dein Messer und deine Pistole weggenommen. Sie sind versteckt! Ich schätze, ich habe dich reingelegt.“

Laskars Augen bekamen einen Glanz, als er nachdachte. „Ich wollte dich nicht umbringen, Seven-Up“, sagte er. „So was würde ich nie tun. Gib mir mein Messer und meine Pistole, und ich gehe raus und hole deine Tochter. Sie kann nicht weit sein.“

Seven-Up lachte schrill. „Du kannst mir nichts vormachen“, sagte er. „Du willst einfach nur dein Messer und deine Pistole wiederhaben. Mach dir keine Sorgen um meine Tochter. Sie treibt die schwarzen Ochsen hier immer wieder vorbei. Wenn sie das nächste Mal vorbei kommt, krieg’ ich sie selbst.“

Laskar ging zum Fenster und kratzte den Reif von der Scheibe. „Ich glaube, wir sind erledigt“, sagte er. „Sieht nicht so aus, als wenn der Sturm nachlässt.“

***

Er wusste, dass seine eigene Selbstbeherrschung nachließ, denn er glaubte, Dinge im Schnee zu sehen, die dort nicht sein konnten, und manchmal hörte er sich selbst lachen, obwohl es nichts zu lachen gab.

Einmal glaubte er, einen Reiter auf einem schwarzen Pferd zu sehen, der sich der Hütte näherte. Der Reiter war im Sattel nach vorne gesunken und sah wie erfroren aus. Aber Laskar sagte nichts davon, weil er wusste, dass dort in Wirklichkeit kein Reiter war.

Dass Seven-Up seine Tochter erwähnt hatte, ging Laskar nicht aus dem Kopf. Irgendetwas an dieser Geschichte kam ihm bekannt vor. Hatte er sie schon einmal gehört oder war sie irgendwo in seinem eigenen Umfeld passiert? 

„Seven-Up“, fragte er, „wie ist dein richtiger Name?“

Der alte Mann hörte auf, mit den Daumen zu drehen, und seine Augen blitzten listig auf.

„Du willst meinen Namen wissen, damit du Bill Henley sagen kannst, dass er vor mir auf der Hut sein soll. Aber ich verrate meinen Namen nicht! Ich werde ihn niemandem verraten – außer Bill Henley, und wenn ich ihn finde, werde ich ihm meinen Namen sagen!“

Am späten Nachmittag dieses Tages klarte der Himmel auf, es hörte auf zu schneien, und der Wind legte sich. Eine kalte Sonne tauchte die Welt in ein schimmerndes, glitzerndes, blendendes Licht. Aber keiner der beiden Männer bekam es mit. Sie waren in völlige Lethargie versunken und hatten nicht einmal mehr die Energie, sich noch zu hassen.

Zwei Tage lang lagen sie in ihren Kojen und rührten sich nicht einmal, um die Pferde zu füttern. Am vierundzwanzigsten Tag ihrer Gefangenschaft taumelte Laskar aus seinen Decken in die ewigwährende Dunkelheit der Erdhütte.

„Hoch mit dir, alter Blödmann!“ knurrte er und schüttelte Seven-Up. „Wir werden ziemlich bald unsere himmlischen Harfen spielen, und da können wir uns auch gleich einstimmen. Komm, wir spielen Seven-Up.“

Seven-Up kroch aus seiner Koje. Es war unschwer zu erkennen, dass er die Strapazen von Hunger und Einsamkeit nicht so gut verkraftete wie Laskar. Sein Gesicht hatte eine unnatürliche Farbe, und ein irrer Ausdruck lag in seinen Augen. Nur der letzte Teil von Laskars Rede interessierte ihn. 

„Seven-Up?“ sagte er. „Klar spiele ich Seven-Up. Das ist doch mein Name, oder nicht?“

Laskar zog ein Bündel Geldscheine hervor. „Lass uns um etwas spielen“, sagte er. „Ich setze dieses Geld. Wenn du gewinnst, kriegst du es. Wenn du verlierst, sagst du mir deinen richtigen Namen. Einverstanden?“

„Mein Name“, sagte Seven-Up mit belegter Stimme. „Mein Name. Du kannst nicht gewinnen, Las. Ich kann den Mann schlagen, der das Kartenspiel erfunden hat. Klar bin ich einverstanden.“

Laskar gewann nicht. Seven-Up schnappte sich sein Geld und kicherte höhnisch. Pleite, wie er war, nahm Laskar eine Goldkette und ein Medaillon aus seiner Tasche und legte sie auf den Tisch.

„Ich setze das hier“, sagte er.

IV.

Seven-Up zog das Medaillon zu sich heran. Sein Anblick bewirkte eine erstaunliche Veränderung in ihm. Das irre Licht in seinen Augen erlosch und wurde von einem kalten, metallischen Schimmer abgelöst. Die hektische Farbe in seinem Gesicht verwandelte sich in eine seltsame Blässe.

„Las“, fragte er, „woher hast du dieses Medaillon?“

„Es gehört meiner Frau. Was geht das dich an?“

„Wie heißt deine Frau?“

„Amy.“

„Was war ihr Nachname, bevor sie dich geheiratet hat?“

„Legget“, sagte Laskar. Sein Interesse war nun geweckt.

Seven-Up schloss für einen Moment die Augen. „Las“, sagte er, „es ist merkwürdig, dass mir nie aufgefallen ist, dass du einen Daumen verloren hast. Wann ist das passiert?“

„Als ich dreizehn Jahre alt war“, sagte Laskar abweisend. „Was geht dich das an?“

„Du bist ein Lügner!“ kreischte Seven-Up. „Du bist Bill Henley!“

Er griff nach seinem Holster, nur um zu erkennen, dass es leer war. Mit seltsamen kehligen Geräuschen taumelte er zur Tür, riss sie auf und kämpfte sich durch den Schnee zum Schuppen, wo die Pferde angebunden waren. Laskar folgte ihm mit wachsender Angst in seinen Augen.

Als Seven-Up den Schuppen erreichte, kramte er unter einem Haufen schneebedeckten Strohs herum und holte das Messer und die Pistole hervor, die er Laskar weggenommen hatte. Er richtete sich gerade auf, als Laskar sich ihm entgegen warf und wild nach der Hand schlug, die die Waffe hielt.

Es gelang ihm, Seven-Up die Pistole aus der Hand zu schlagen, und sie flog über einen Meter weit weg und vergrub sich in einer Schneewehe.

Seven-Up knurrte wie ein in die Enge getriebener Wolf und versuchte, das Messer einzusetzen, aber Laskar packte seinen Arm.

Eng umschlungen taumelten sie im Schnee umher und kämpften lautlos und erbittert. Seven-Ups Alter war ein Nachteil für ihn, aber er kämpfte mit einer Wildheit, die von seit zwanzig Jahren aufgestauten Rachegelüsten angetrieben wurde.

Ein Dutzend Mal war er kurz davor, seine Messerhand frei zu bekommen. Aber seine Geschicklichkeit rettete Laskar, und Laskars Muskeln erlahmten nicht.

Sie krachten gegen eine Ecke der Erdhütte und wurden von dort gegen den Rand einer gewaltigen Schneeverwehung geworfen. Dort setzte Laskar seine Kraft ein, und er drückte Seven-Up in den Schnee zurück.

Seven-Up verlor das Gleichgewicht, ließ das Messer fallen und ging zu Boden, Laskar auf ihm drauf. Der jüngere Mann lag mit seinem ganzen Gewicht auf Seven-Up.

„Hör auf“, jammerte Seven-Up schwach. „Du tust mir weh, Las. Geh’ runter.“ Er wimmerte vor Schmerz. „Geh’ runter, Las. Ich liege auf einem Stück Fels.“

Laskar drehte sich ein wenig zur Seite, aber um sicherzugehen, schob er eine Hand unter den alten Mann.

Er stieß gegen etwas Hartes, das kein Felsbrocken war und das ihn seine Hand rasch zurückziehen ließ.

„Hilf mir!“ keuchte er.

Gemeinsam kratzten sie den Schnee weg und legten die steifgefrorene Leiche eines Mannes frei. Das Gesicht war das Gesicht des Mannes, den Laskar vor vielen Nächten auf dem schwarzen Pferd reiten gesehen hatte. Er stand auf und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Wo war das schwarze Pferd? Automatisch blickte er zum Schuppen. Das schwarze Pferd war da, eingekuschelt zwischen den anderen beiden.

Plötzlich bemerkte er, was Seven-Up tat.

„Heh!“ schrie er.

Seven-Up saß rittlings auf dem Toten, umklammerte dessen linke Hand und schrie vor Wut. „Es ist Bill Henley!“

Zum Beweis hob er die linke Hand der Leiche an, sodass Laskar sie sehen konnte. An ihr befand sich ein seltsam deformierter Daumennagel.

Laskar hielt sich nicht damit auf, die Hand zu untersuchen. Er zog Seven-Up auf die Füße. Sofort geriet er in einen neuen Kampf. Er war dabei zu versuchen, den alten Mann von der Leiche fernzuhalten, als er Rufe hörte und ein halbes Dutzend Cowboys näherkommen sah – seine eigenen Männer.

***


Sie brachten Seven-Up zurück in die Erdhütte und versorgten ihn mit Whisky und Essen. Sie erzählten Laskar, wie sehr seine Frau sich Sorgen um ihn gemacht hatte und wie sie, als der Sturm vorbei war, sich sofort auf die Suche nach ihm gemacht hatten.

An diesem Abend spielten sie Karten, sie tanzten, sie sangen, sie spielten Karten und johlten vor lauter Freude.

Für Seven-Up und Laskar war das alles Musik in ihren Ohren.

Der Weihnachtstag brach klar und kalt an. Seven-Up, immer noch schwach, aber bei klarem Verstand, erwachte vom Geruch des Essenkochens und vom Klang ausgelassener Stimmen.

„Sagt mal“, sagte er, „seid ihr Leute echt oder bilde ich mir immer noch Sachen ein?“ Er sah Laskar an. „Habe ich dich sagen gehört, dass der Name deiner Frau Amy Legget war? Lüg’ mich nicht an, Las“, bat er eindringlich. 

„Ich schätze, das hast du nicht geträumt, Schwiegervater“, rief Laskar laut und reichte ihm die Whiskyflasche.

Seven-Up fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Und habe ich mir Sachen eingebildet, als ich dachte, ich hätte Bill Henley da draußen im Schnee gefunden?“ fragte er zögernd.

„Das war Bill Henley, eindeutig“, sagte Laskar. „Die Jungs haben ihn durchsucht, bevor sie ihn begraben haben, und haben Briefe und andere Sachen gefunden, die beweisen, dass er wirklich Bill Henley war.“

Seven-Up seufzte tief und lehnte sich in der Koje zurück. „Las“, sagte er, „es gibt noch etwas, was ich gerne wissen würde. Ich habe immer gedacht, dass Bill Henley etwas damit zu tun hatte, dass Amy von zuhause weggegangen ist. Hatte er das?“

„Ssscht, du alter Blödmann“, sagte Laskar leise. „Das ist eine andere Geschichte – eine, die Amy dir erzählen wird, wenn wir heute Abend wieder zuhause sind.“

© für die deutsche Übersetzung: Reinhard Windeler, 2024


Fußnoten:

(1) Ein „Line Rider“ war ein Cowboy, der von einsamen Posten am Rande des zu einer Ranch gehörenden Gebiets aus an Abschnitten der Grenzlinie der Ranch patrouillierte, um Rinder, die die Linie überschritten hatten, entweder zurück zu holen, wenn es die eigenen waren, oder zu vertreiben, wenn es fremde waren. Patroullierer bildeten gewissermaßen eine Art lebenden Zaun um das Weideland einer Ranch.

(2) „High“ ist beim Seven-Up die höchste Trumpf-Karte, also das Trumpf-Ass; „Low“ ist die niedrigste Trumpf-Karte, also die Trumpf-Zwei; „Jack“ ist der Trumpf-Bube, für den es einen Gewinnpunkt gibt, wenn man ihn sticht.


Samstag, 21. Dezember 2024

g1-02

DER GATLING GUN-MYTHOS 
The Death-Dealing Machine That Never Won the West 
But Still Exist as Today’s Multi-Barrel Weapons System 
von MICHAEL STEMMER 

 Open Fire! 
Buchcover: Hughes (2000)
 (…) and a tower built over the humped shape of the water cistern, with a Gatling gun mounted there which could sweep the interior of the prison and two of the walls, as well as the gateway, with soft-nosed .45/70 slugs at the rate of 350 per minute.”
— Gordon D. Shirreffs, Judas Gun, zitiert nach: Gold Medal Book k1476, Chapter Three (dt.: „Lohn der Hölle”)

Michael Stemmer informiert in seinem umfassenden Beitrag ausführlich über die Gatling Gun. Gegliedert in drei Hauptabschnitte, zunächst einmal einen allgemein gehaltenen Teil, gefolgt dann von selektiven Filmografien sowie einer Auswahlbibliografie. Für die Webfassung habe ich folgende Aufteilung vorgenommen (K. J. Roth)  


Gatling Gun per definitionem ~ Gatling Gun und ihr Erfinder ~ Vorgang in der Gatling Gun beim Schuß ~ Ladeeinrichtung der Gatling Gun ~ Gatling Gun und der Sezessionskrieg ~ Gatling Gun in Good ol‘ Germany ~ Gatling Gun „Made in Russia“ ~ Gatling Gun contra Bisons ~ Gatling Gun am Großen Fluß ~ Gatling Gun im Genozid ~ Gatling Gun vs. Hotchkiss Gun ~ Gatling Gun im Krisenherd Kanada ~ Gatling Gun landet auf Kuba ~ Feuerpause für die Gatling Gun ~ Gatling auf hoher See ~ Gatling is back! ~ Gatling Gun im Wildwestroman ~ Gatling Gun aus Gummi ~ Gatling Gun ertönt im Radio ~ Sound der Gatling Gun ~ Gatling Gun als Kultgegenstand ~ Fabrikzeichen der Gatling Gun ~ Gatling Gun im Modell ~ Gatling Gun und ihr Resümee ~ Ein letztes Wort zur Gatling Gun ~~ Teil 2: Filmografie  ~ Teil 3: Bibliografien 


Gatling Gun und ihr Erfinder

Die “R.J. Gatling Revolving Battery Gun” (U.S. Patent № 36,836 vom Dienstag, den 4. November 1862) ist die erste funktionsfähige, von Hand betätigte schnellfeuernde Mehrschußwaffe, die es mit ausgesprochen unterschiedlichem Erfolg sowohl in die Serienproduktion als auch in die Waffengeschichte Nordamerikas geschafft hat. Sie wird späterhin einer der Vorläufer des modernen luftgekühlten MGs in leichter und schwerer Ausführung, sowie Begründer der sich daraus entwickelten Gatling-Waffenklasse unserer Tage. Die Munitionszuführung erfolgt seinerzeit durch Bedienungskurbelantrieb in Rotationsbewegung versetzte sechs zusammengefügte Rohre um eine Laufachse. Aus einer blechernen Schütte in Trichterform, angeschraubt vor dem Gehäusedeckel, werden lose per Hand eingefüllte, hinten mit separaten Pistons (Zündstifte) versehene Papierpatronen im Kal. .58 Musket (14,73 mm), die in einer Metallhülse stecken, aufgrund der Schwerkraft zugeführt und laden so jedesmal die Waffe — eine genreeigene Ikone ist geboren. 

Zunächst ein Exkurs: Der Kerngedanke stammt von einem gewissermaßen Universalgenie mit Namen Richard Jordan Gatling. Auf die Welt kommt er am Sonnabend, den 12. September 1818 im Maneys Neck Township, Hertford County, North Carolina, als Sohn britisch-stämmiger Ansiedler; ein nie praktizierender M.D. (Doctor of Medicine) – abgesehen für seine Familie –, stattdessen mit ausgeprägtem Hang zur Ingeniosität. So vereint er in besonderem Maße Erfindergeist und praktische Veranlagung, was in zahlreichen Fabrikationen seinen Niederschlag findet, die selbst in heutiger Zeit noch als modern gelten. 

Vorläufig jedoch versucht er sich auf unterschiedlichsten Betätigungsfeldern, so etwa als Ladeninhaber, Warenhausverkäufer oder bestreitet seinen Lebensunterhalt durch Anstellungen wie Gerichtsschreiber und sogar Plantagenaufseher. 

Im Verlauf des Winters 1845/46 erkrankt R.J. Gatling während einer Flußfahrt auf dem Ohio River von Cincinnati nach Pittsburgh lebensbedrohend an Smallpox (Pocken), in der Folge an Pneumonia (Lungenentzündung) und verbringt daraufhin zwei Wochen ohne ärztlichen Beistand isoliert in einer Kajüte des im Packeis eingeschlossenen Raddampfers. Seine späterhin unverhoffte Gesundung einerseits, wie der frühe Tod seiner drei Schwestern Martha, Mary und Caroline andererseits, sind für ihn offenkundig Anlaß, sich dem Medizinstudium zuzuwenden. 1847 schreibt er sich an der LaPorte Medical School, Indiana, ein, zu dieser Zeit erste Ausbildungsstätte für angehende Doktoren im Mittleren Westen der U.S.A.; zwei Jahre später ist er am Medical College of Ohio in Cincinnati immatrikuliert. Dort besteht er die Abschlußprüfung, erwirbt besagten akademischen Grad, wird aber dieserhalb nie eine Praxis oder eine Station in einem Hospital führen, stattdessen widmet er sich ganz und gar seinem eigentlichen Lebensinhalt, was technische Tüfteleien anbelangt. 

Durch seinen Ideenreichtum entstehen etliche landwirtschaftliche Gerätschaften für unterschiedlichste Tätigkeiten, beispielsweise ein Entwurf zur Reisaussaat, modifiziert dann für die Verwendung auch bei anderweitigen Getreidearten, um darauffolgend in einen Mähdrescher umzuwandeln. Anschließend kommen noch eine Flachsbrechmaschine sowie ein durch Dampfkraft getriebenes Ackergerät hinzu. Von 1844 bis 1905 vereint er auf diese Weise 43 U.S.-Patente, davon allein 23 auf dem Waffensektor auf seine Person und kommt damit auch in die amerikanische Wirtschaftsgeschichte. 

„Doctor Gatling“ wird er zeitlebens genannt, obwohl er den Titel so nicht führt, erlangt aber ohne Frage in erster Linie wegen der nach ihm so bezeichneten ‘Gatling Gun’ überaus große Popularität; wird sie doch von zahlreichen Armeen auf nahezu allen Kontinenten eingeführt und deren System findet darüber hinaus etliche Nachahmer. Wie es die Ironie will, verkörpert der Farmerssohn unter diesen Umständen einen weiteren Mediziner, wie etwa der Dentist John H. „Doc“ Holliday (1851–1887) mit beträchtlicher Affinität zu Schußwaffen, welcher – unter Hintanstellung des hippokratischen Eids –, im historischen Westen durch ein ganzes Arsenal an Waffen (so ein vernickelter Patronenrevolver aus Teilen des Colt Navy Model 1851 für sechs Schuß im Kal. .38 Center Fire (9,65 mm) mit Elfenbeingriffschalen) zu fragwürdigen Ruhm sowohl als Gambler als auch Gunfighter Seite an Seite des Revolverhelden und zuweilen Law Mans Wyatt Earp (1848–1929), gelangt. 

Im Rahmen dieses Fachartikels würde es zu weit führen, auf die einzelnen Entwicklungsstadien der Gatling Gun, so interessant sie für Fachkundige auf diesem Gebiet auch sein mögen, in den folgenden Jahren detailliert einzugehen. Es sei hier nur auf einige verwiesen: 

Bereits im Jahr ihrer Patentierung gründet R.J. Gatling zwecks deren Kommerzialisierung sein eigenes Handelshaus, die Gatling Gun Co., und präsentiert am Montag, den 14. Juli 1862 der staunenden Öffentlichkeit am Graveyard Pond in der Nähe von Erie, einer Stadt im Nordwesten Pennsylvanias, als erstes Beispiel seiner Schöpfung einen Prototyp, dessen Dauerfeuer vom Testgebiet aus noch über fünf Meilen hinweg wahrzunehmen ist. Unter dem anwesenden Publikum des Versuchsschießens – 200 Sch/min. durchsägen in weniger als 30 Sek. glatt einen Baum mit einem Stammdurchmesser von 10 in. (25,40 cm) –, weilen auch drei kompetente Fachleute des amtierenden Gouverneurs des Staates, Oliver P. Morton (1823–1877), der ihre hierauf zum Ausdruck gebrachten äußerst positiven Eindrücke seinerseits dem Kriegsministerium übermittelt, indem er für die Lafetten-Waffe ihre Erprobung bei der Truppe anregt. 

Aber dazu kommt es dann doch nicht. Aufgrund innenpolitischer Dissense in jenen Kriegstagen gelangt sein Empfehlungsschreiben, wie es scheint, höheren Orts nicht in die richtigen Hände und bleibt in der Schublade liegen. 

R.J. Gatling gibt dennoch sechs Versuchsmuster des First Model 1862 mit sechs schmiedeeiserne Rohre im Kal. .58 Musket (14,73 mm), Fabrikationsnummern unbestimmt, bei Miles H. Greenwood Foundry & Machine Works, Cincinnati, Ohio, in Fertigungsauftrag. Durch im Ganzen drei Großfeuer geht deren Produktionsstandort kurz vor Ablieferung der mehrläufigen Schießsysteme mit samt aller dazugehörenden Konstruktionspläne, Versuchsmodelle, Entwurfsskizzen etc. in Flammen auf. Die genauen Umstände hierfür kennt man nicht. Die Annahme, es handele sich um gezielte Brandstiftungen durch konföderierte Saboteure, die weitere Belieferungen mit Kriegsgütern an die Union zu vereiteln trachten, ist nicht belegt. Auffällig ist immerhin, daß sein späterer Fabrikant Colt’s Pt. Fire Arms Mfg. Co. in South Meadow, Hartford, Connecticut, ein ähnliches Schicksal ereilt. So meldet die Firmengeschichte, daß am Donnerstagmorgen, dem 4. Februar 1864, ein verheerender Brand weite Teile der erst 1854 erbauten Fertigungsanlagen mit ihrem kennzeichnenden Zwiebelturm bis auf die Grundmauern in Schutt und Asche legt. Ob hierbei ein kausaler Zusammenhang in der Kriegslogik besteht, bleibt freilich Spekulation. 

So sieht Dr. Gatling sich, wenn auch ‘nur’ als Zufallsopfer genötigt, gestützt durch neue Kapitalgeber, wieder von vorn anzufangen. Durch sie läßt er sich die Ersatzherstellung von 13 Stück der Weiterentwicklung des Vorläufertyps als Second Model 1862 für das neuartige Kal. .58 Rim Fire (Randfeuermunition), Fabrikationsnummern unbestimmt, bei der ebenfalls vor Ort ansässigen Cincinnati Type Foundry Works der McWhinney, Rindge & Co. entsprechend vorfinanzieren. Die ersten Anfertigungen befriedigen in der Praxis aus Materialgründen jedoch keineswegs. Wegen auftretender Gasverluste durch den Spalt zwischen Schlagbolzengehäuse und nicht immer paßgerecht vor dem hinteren, konisch zulaufenden Rohrende liegenden Kammern sich zeigende Ungenauigkeiten ähnlich wie bei Revolvern, lassen den begnadeten Techniker an seiner Schöpfung bis zum Ende des Sezessionskrieges 1865 stetige Entwicklungsarbeit leisten. 

In den Monaten Mai und Juli des Bruderkriegsjahrs 1863 finden Praxistests auf der Schießanlage des Washington Navy Yard (WNY), 1799 bis 1961 Marinewerft, zudem Waffenfabrik der U.S. Navy in Washington D.C. erfolgversprechend statt, woraufhin die Feuerspritze, die es so noch nicht gegeben hat, nach einigen Verfeinerungen an den eben diesen Rohren zum individuellen Erwerb seitens der Herren Militärs freigegeben wird. Das Eisenwerk sieht sich jedoch außer Stande, zum damaligen Zeitpunkt ad hoc größere Mengen zu geringen Stückkosten herstellen zu können, weil es die entsprechende industrielle Kapazität nicht hergibt. 

Zur gleichen Zeit schaut sich R.J. Gatling nach weiteren Abnehmern um und bietet so R. Maldòn, Maj. du Corps Royal de L‘ Artillerie de France, im fachgemäßen Komitee des Kriegsministeriums unter Charles-Louis-Napoléon Bonaparte III., Kaiser der Franzosen (1808–1873), mit Schreiben vom Donnerstag, den 29. Oktober gleichen Jahres seine in puncto mechanischer Aufbau wie auch Wirkungsweise von allen herkömmlichen Schießgeräten andersgeartete Feuerwaffe an. Die Grande Nation zeigt sich zwar durchaus an einem Probestück interessiert, ist wiederum aber nicht gewillt, die von ihm aufgestellten Geschäftsbedingungen – Mindestbestellmenge seiner Auffassung nach als außerordentlich geschäftstüchtiger Verkäufer gleich 100 Stück oder mehr –, zu erfüllen. Ein kurz nachher verhängtes Waffenembargo der Regierung der Unionsstaaten, welche eine Seeblockade über die Küstenstriche des Südens verhängt, durchkreuzt ohnedies jede weitere Aktivität des Außenhandels in derlei Hinsicht. 
Mit Datum vom Donnerstag, den 18. Februar 1864, richtet Dr. Gatling ein Memorandum an den amtierenden 16. Präsidenten des amerikanischen Staatenbundes, Abraham Lincoln (1809–1865), daß dieser möglicherweise nie selbst zu Gesicht bekommt. Soweit bekannt, würdigt man ihn nämlich keiner, wie auch immer gearteten Replik. Als Absender hat er vermutlich zu lange gezögert, die präsidiale Aufmerksamkeit auf sich und sein Produkt zu lenken, um jetzt noch einen etwaigen Gewinn daraus zu ziehen. Der Enthusiasmus des Staatsmannes ist, was moderne Waffentechnologie anbelangt, mittlerweile als gering einzuschätzen; ihn beschäftigen andere Dinge, die Kriegsführung betreffend. 

Ein erster Schießtest nunmehr beim 1812 etablierten U.S. Arsenal, Washington D.C. am Greenleaf's Point, dem Zusammenfluß von Anacostia River und Potomac River gelegen und zuständig für die Versorgung mit Kriegsmaterial, wird durch Maj.-Gen. John Love (1820– 1881), in seiner Funktion als Akquisiteur der Gatling Gun Co. – Wirkungsbereich: Vereinigte Staaten, China, Japan, Türkei und ganz Europa –, für den Januar 1865 anberaumt; sieben Monate nachdem 108 [sic!] junge Arbeiterinnen auf tragische Weise durch Explosion und Brand in einer der dortigen Munitionsfabriken ihr Leben lassen mußten. Besonderheit: Die zu diesem Zweck vorgeführte Gatling Gun ist lediglich mit 4 [sic!] Rohren und Bedienungskurbel an der rechten Seite bestückt. Im Ergebnis wird die Konstruktionsentwicklung auch im Hinblick auf unterschiedlich zu verwendende Munitionsarten vorangetrieben, eine staatliche Auftragsvergabe erfolgt aber vorerst nicht. 

Im Frühjahr 1865 löst R.J. Gatling sein Vertragsverhältnis mit McWhinney, Rindge & Co. und wechselt zur 1850 bis 1869 bestehenden Cooper Firearms Mfg. Co. an ihrem Sitz in Philadelphia, Pennsylvania, um dort ein moderneres Vorserienmuster anfertigen zu lassen. Diese Waffendesigner, deren Erzeugnisse sich durch große Genauigkeitsarbeit und feinste äußere Fertigstellung auszeichnen, genießen in der Branche einen hervorragenden Ruf, exemplarisch der Cooper Pocket Double Action Five-Shot Percussion Revolver, und auch die letzten nach entsprechenden Umgestaltungen herausgebrachten Gatling Model 1865 im Kal. .58 Rim Fire (U.S. Patent № 47,631 von Dienstag, den 9. Mai 1865), gefolgt von acht aus Model 1866 im Kal. 1″ Long/Short (25,4 mm), und dessen Variante als Improved Model (Verbesserte Ausführung) im Kal. .50-70-450 Center Fire (12,7 mm) identischen Jahres, bekräftigen James M. Coopers Renommee. 

Der springende Punkt ist hierbei die von Grund auf neu konzipierte Munitionsversorgung und damit Abkehr vom vergleichbaren offenen Trichter der Union Gun. Jedes Rohr verfügt ab sofort über ein eigenes Patronenlager zur direkten Verwendung von Büchsenpatronen und kann Minié-Projektile (Bleigeschoßtyp für Vorderlader; später auch Kanonen) aus einer verkupferten Randfeuerpatrone verschießen. Die großkalibrige Ausführung, Gatling Model 1865, weist glatte, später auch gezogene Rohre auf und wird mit Kartätschen (Streuladung) bestückt, welche durch je 15 darin enthaltene Bleischrote von ca. 11 mm Durchmesser pro Patrone beim Streuschuß auf kurze Distanz mit denkbar grässlichen Auswirkungen; die zweite Variante ist für Weitschußzwecke ausgelegt. 

Frühsommer 1866 ist sonach ein wiederholter Parallel-Schießversuch mit drei Gatling Guns mit sechs Rohren und Bedienungskurbel an der rechten Seite gegenüber einer 24- pfündigen Flankenverteidigungs-Haubitze, Kaliberdurchmesser 5,82″ und 75 Infanteristen, diesmal auf dem Versuchsgelände im pentagonal angelegten, von einem Wall sowie einem Wassergraben umschlossenen Küstenfort Monroe in Hampton, Virginia, angezeigt, wo seit 1824 auch die Artillerieschule ihren Sitz hat. Die historische Wehranlage, deren erste Verschanzungen bis auf das Jahr 1608 zurückgehen, ist am Dienstag, den 1. November 2011 vom 2009 bis 2017 fungierenden 44. Präsidenten der U.S.A., Barack H. Obama (1961–), zur Gedenkstätte als National Monument erklärt worden. Was das Testschießen zu früherer Zeit anbelangt; die Feuergeschwindigkeit und Treffergenauigkeit der Schnellfeuerwaffe liegt dabei knapp achtmal so hoch wie die der Kanone und sechsmal höher als bei der Fußtruppe. 

Am Freitag, den 24. August 1866 wird die Neukonstruktion offiziell als Ordonanzwaffe, d.h. zu dienstlichen Zwecken eingeführt und an die kämpfende Truppe ausgegeben, woraufhin ein Beschaffungsauftrag seitens des Bureau of Ordnance an die Colt’s Pt. Fire Arms Mfg. Co., Hartford, Connecticut, geht über 50 Stück im Kal. 1″ Long/Short (25,4 mm) und die gleiche Anzahl im Kal. .50-70-450 Center Fire (12,7 mm) zu festgesetzter Lieferung darauffolgenden Jahres. Die U.S. Navy schließt sich mit 22 Stück des verbesserten Models 1866, eingerichtet für letztgenannten Kaliber, der Order ebenfalls an. 

In den späten 1860er Jahren bereist R.J. Gatling ausgiebig die ‘Alte Welt’, sprich: Europa und Anrainerstaaten, um für seine Bedienungskurbel-Kanone mit Hilfe von öffentlichen Schauen und Vorführungen ihrer Feuerkraft zu werben. So auf der Exposition universelle d’Art et d’industrie im 7. Arrondissement von Paris, die vom Montag, den 1. April bis Sonntag, den 3. November 1867 auf dem Champ de Mars abgehalten wird. Insgesamt 32 Nationen sind hierbei mit insgesamt 52,200 Ausstellern auf einer Gesamtfläche von 66,8 ha präsent, die zu einer Ausstellung der Superlative wird. Unter den alles in allem 10 Millionen Besuchern befinden sich herausragende Persönlichkeiten ihrer Zeit, wie etwa Charles-Louis- Napoléon Bonaparte, der Neffe des großen Korsen, welcher den Messestand der Nord- Amerikaner des öfteren mit seiner Visite am Ort der Fortschritte und Neuerungen beehrt, um zwei Musterwaffen eingehend zu begutachten: Ein verbessertes Model 1866 im Kal. 1″ Long/Short (25,4 mm) und ein ebensolches im Kal. .50-70-450 Center Fire (12,7 mm), beide stammen aus dem Kontingent von 100 Einheiten zur Erfüllung des Vertrags mit der U.S. Army vom Jahr davor. Begleitet wird Majestät von seiner liebreizenden Gattin, Kaiserin Eugénie Laetitia Bonaparte (1826–1920) beim Gang durch die Messehallen. Es wird erzählt, die Madame aus spanischem Adelshaus habe ein geradezu kindliches Vergnügen daran gefunden, einmal besagten Holzkurbelgriff in Tätigkeit zu versetzen, der über Zahnräder das Rohrbündel bewegt, um sich offenkundig an dem laut klickenden Geräusch des Leerschlagens der Schlosse zu erfreuen. Etwas, das man bei ungeladenen Feuerwaffen, weil dem Material abträglich, tunlichst vermeiden sollte; zumindest ohne Pufferpatrone als sicheren Schlagbolzenschutz. Wie dem auch sei: Ihr enthusiastischer Gemahl beordert eine der beiden Gatling Guns nach dem Schießplatz von Versailles, Stadt in der Region Île-de- France, zwecks Test-Schießen, woraufhin der Geschäftsmann R.J. Gatling sich völlig zu Recht einen lukrativen Regierungsauftrag erhofft. Aber es kommt anders: Die ‘Grand Armée’ läßt kein nennenswertes Interesse an einer Erwerbung erkennen. Das Marineministerium der ‘Franzmänner’ bezieht lediglich für sich zwei großkalibrige Exemplare mit zehn Rohren und Bedienungskurbel an der rechten Seite, für weitere Versuchsschießen im eigenen Land, daraus sich ergebende Bestellungen größeren Stils bleiben dennoch aus. Die Botschaft scheint klar: Man setzt in erster Linie auf die Eigenproduktion der ebenfalls manuell zu bedienenden belgischen Montigny-Mitrailleuse als Schnellfeuerkanone mit 37, nachher 25 [sic!] Läufen in einem einzigen Laufmantel, die anfangs Schrapnells (Hohlgeschosse, gefüllt mit Kugeln) verschießt. Im Verlauf des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 gibt es nur einzelne Gefechte, bei denen sie als Feldgeschütz zur direkten Stütze der Fußtruppe herbeigezogen wird. Im späteren Verlauf des Heereszugs legt sich das französische Militär, was Feuerunterstützung betrifft, im ersten Kriegsjahr neun Ex-U.S. Navy Gatling Guns, Kal. .50-70, über Waffenhersteller Remington Arms Co., Ilion, New York, zu. Eine in Folge hohe Anzahl im Kugelhagel Gefallener seitens der preußischen Truppe in der Bataille du Mans (Schlacht bei Le Mans) von Dienstag, den 10. bis Donnerstag, den 12. Januar 1871, verdeutlicht eins ums andere Mal deren grausige Ernte auf dem Schlachtfeld. 

© 1974 MICHAEL STEMMER / BERLIN

Des Weiteren läßt Dr. Gatling sich nach einem Comeback von seiner zweiten Werbetour durch Europa mit Familie 1870 im Waffenindustrieort Hartford, Connecticut, nieder, nachdem er mit der hier seit 1848 angesiedelten Colt’s Pt. Fire Arms Mfg. Co. vor Jahren einen Werksvertrag bezüglich Reihenfabrikation und Lieferung seiner Erfindung in Lizenz abgeschlossen hat. Die werksmäßige Beschriftung mit der Coltadresse in Hartford und den Gatling-Patentdaten ist darob in jedes Name Plate (Geschützplakette) auf dem messingenen Aufschraubdeckel des Systemkastens eingestanzt. Die Gatlings sind daselbst für 27 Jahre ansässig bis zu einer weiteren Verlegung ihres Domizils zu Tochter Ida Gatling Pentecost (1858–1911) nebst Schwiegersohn Hugh O. Pentecost (1848–1907) nach New York City, New York, im Jahre 1897. Beider Söhne, Richard H. Gatling (1870–1941) und Robert B. Gatling (1872–1903), leben bereits ebenfalls hier am Hudson und East River. Das Stammhaus der Gatling Gun Co. verbleibt des Weiteren im 1821 gegründeten Indianapolis bis zum Jahre 1874 und unter staatlicher Aufsicht bestehen. Trotz der für die damalige Zeit phänomenalen Feuergeschwindigkeit und Einsatzdauer von bis zu 200 Sch/min. bei den ersten Mustern dieser Art ab 1862 – bis zu 400 Sch/min. bei nachfolgenden Modellen –, hat man bei der Gatling Gun mit heißgeschossenen Rohren, anders als etwa beim einzelnen Lauf der zur selben Zeit hergestellten und von Präsident Abraham Lincoln (1809–1865) damalig favorisierten Union Repeating Gun, auch als Ager oder ‘Coffee Mill’ (Kaffeemühle) geläufig, kaum Schwierigkeiten, da sich ihre sechs bzw. zehn freiliegenden Rohre durch Luftkühlung vermittels ihrer Drehbewegung nach der Schußabgabe jedesmal ein Stück weiterrücken. Der dieser Bauart zugrundeliegende Gedanke ist an und für sich sehr zweckdienlich, doch steckt der Teufel im Detail: So kommt es bei Testschießen des öfteren zu Hülsenklemmungen und Materialversagen, gekoppelt mit ballistischen Problemen wegen deformierter Munition ausweislich der Versagerquote. Denn für etwaige Kampfhandlungen, bei denen so viele Kombattanten wie nur möglich mit längeren Schußintervallen niedergehalten werden, ist die Gatling Gun anfangs so nicht ausgelegt. Mit anderen Worten: Sicher ist, daß an dem schnellfeuernden Repetiergeschütz folglich noch etliche Fertigungsumstellungen am Lademechanismus vorzunehmen sind, ehe das zuständige U.S.-Heereszeugamt sich ernsthaft für Dr. Gatlings ‘Wunderwaffe’ zu interessieren beginnt. 

Mehrläufige Geschütze gehören danach erst von 1866 an bis einschließlich 1906 mit ca. 814 Einzelstücken zum normalen Beschaffungsprogramm von Rüstungsgütern der U.S. Army in den unterschiedlichsten Kalibern, werden jedoch selten zur militärischen Benutzung, beispielsweise während der Indianerkriege, herangezogen. Es sollen zunächst einige Jahre ins Land gehen, bis sich Kampfesweisen herausbilden, welche die sichere Tötungswirkung der Gatling Guns mit jeder vollen Drehbewegung ihrer Bedienungskurbeln im Anwendungsfall auf brutalste Weise vor Augen führen. Folgerichtig können sie im Moment die in sie gesetzten Militärstandards nicht erfüllen. Demgegenüber kaum auszumalen, wenn unter diesem Gesichtspunkt vordem beide kriegführenden Staatengebilde gleichermaßen in ausreichend großer Stückzahl über sie verfügt hätten! Die Reaktion darauf von Dr. Gatling, so dies jemals hätte stattgefunden, wäre aus humanistischer Weltanschauung heraus ein entscheidendes Kriterium … Diese nicht sehr angenehme Vorahnung bewahrheitet sich in der Tat rund 11 Jahre später mit dem gegenseitigen Köpfe-Einschlagen im Russisch- Türkischen Krieg von 1877 bis 1878. 

Einstweilen werden dargestellte Schießapparate gleichrangig wie leichte Feldgeschütze eingestuft und auf Grund dessen sukzessiv auch in vielen europäischen Heeren taktisch der Leichten Artillerie zugewiesen oder der Reiterei einbegriffen und nicht als Infanteriewaffe zur direkten Mitwirkung bei der Fußtruppe im Feuerkampf ausgelegt. 

Von Anfang an auf den internationalen Militärwaffen- wie auch Zivilmarkt abzielend, kommen die Gatling Guns im letzten Viertel des 19. Jh. bei den Streitkräften fast aller Länder rund um den Globus von A wie Argentinien bis T wie Türkei – Großherzogtum Baden im 19. Jh., wie auch Königreich Bayern im früheren Deutschen Kaiserreich als Abnehmer politisch separat einzuordnen –, aufgrund ihres vollen Tötungspotentials mit entsprechendem Effekt zum Einsatz. In mancher Hinsicht sogar als im jeweiligen Land genehmigte Nachbauten, wie vor 1869 bis zu deren Konkurs 1871 von Ed. A. Paget & Co. in der österreichischen Hauptstadt Wien, des Weiteren Vertragswerkstätten in China, Russland und im Vereinigten Königsreich. Eine erhebliche Stückzahl an Gatling Guns beschwört in diesem Zusammenhang bei westeuropäischen Kolonialkriegen in Afrika, Indien und Asien einmal mehr deren furchtbare Effizienz herauf. Stellvertretend seien allein von Seiten des British Empire genannt: The Third Anglo-Ashanti War (Dritter Aschanti-Krieg; 1873/74), The Second Anglo-Afghan War (Zweiter Anglo-Afghanischer Krieg; 1878 bis 1880) und The Anglo-Zulu War (Zulukrieg; 1879). 

In God’s Owen Country hat die wirkungsvolle Waffe auch eine erhebliche Abschreckungswirkung streikenden Gewerkschaftlern gegenüber und nimmt dabei Teilnehmer an Massenkundgebungen in Städten an der Ostküste ins Visier. Dokumentiert in einem aufschlußreichen Report über Gatling Guns, die zur Selbstverteidigung des Verlagsgebäudes der Tageszeitung „New York Times“ während der Lower Manhattan Draft Riots (New Yorker Draft-Unruhen) vom Montag, den 13. bis Donnerstag, den 16. Juli 1863 feuerbereit gemacht werden, in denen der Mob von 50,000 Menschen binnen kurzem 1,000 Tote und $ 2,000,000 an Sachbeschädigungen verursacht. 

Das vorhandene Gatling-Design erfährt gleichwohl bis zur Wende des 19. Jh. eine kontinuierliche Verbesserung; der gewünschte Kaliberdurchmesser wird jeweils auf die zu benutzenden Patronen abgestimmt. In erster Linie deren Lademechanismen hat man in Folge wiederholt verändert u.a.m. Ein in extenso werkseitiger Aufbau eines Stücks Feuerwaffengeschichte aber ist im Rahmen dieser Publikation bei weitem nicht beabsichtigt. Ein praktisches Beispiel: Dr. Gatling selbst führt noch in späteren Jahren unter Weglassung des Handbetriebs Versuche mit einem per Dampfkraft, später durch einen Generator betriebenen, wassergekühlten Model 1893 Electric durch, konzipiert für die U.S. Navy, und erreicht mit ihm eine für damalige Verhältnisse exorbitante Feuerrate von 3,000 Sch/min. Unbestritten sind die Möglichkeiten der Nutzung elektrischer Energie zu jener Zeit für derartige Technologien noch nicht ausgereift genug. 

Dennoch bewahrt sich R.J. Gatling auch weiterhin seine gedankliche Beweglichkeit gepaart mit dem ihm eigenen Erfindungsgabe ein Leben lang, kann aber an frühere daraus resultierende kommerzielle Erfolge seiner Tüftelarbeiten, wie etwa auf dem Sektor der Agrarwirtschaft und, last not least, seiner speziellen Waffenkreation, nicht mehr wie gewohnt anknüpfen. 

Heute verwundert es beinah‘, daß die Gatling-Saga nicht längst verfilmt ist. Zwar büßt er, der technisch immer Neues wagt, in Folge von Fehlinvestitionen mit Eisenbahnaktien einiges an Vermögen ein; trotz alledem verstirbt der „Father of the Machine Gun“ im 84. Lebensjahr am Donnerstag, den 26. Februar 1903 in New York, New York County (Manhattan), New York, wo seitdem sesshaft, als ebenso gemachter wie auch geachteter Mann. Seine letzte Ruhestätte findet Dr. Richard Jordan Gatling auf dem Crown Hill Cemetery in Indianapolis, Marion County, Indiana. Sein Epitaph ist in Section 3, Lot 9, zu finden. 

Das Handelshaus, welches bis dahin seinen Namen trägt, geht Jahre später voll und ganz in der Waffenschmiede von Colt’s Pt. Fire Arms Mfg. Co., Hartford, Connecticut, auf; der englische Partner, Gatling Arms & Ammunition Co., Ltd., gegr. 1888, nach handelsrechtlichen Differenzen bereits Ende 1890 in Liquidation. 

NB: Seinen letzten Patentschutz mit № 705,337 erwirbt Dr. Gatling mit Datum von Dienstag, 22. Juli 1902, für – einen Motorpflug …