***  Das AKWA Journal ist seit dem 15. Oktober 2025 auch unter der Adresse wildwester.de zugänglich. 
Die bisherigen Adressen bleiben aktiv. Der NEWSLETTER wird aufgrund mangelnder Resonanz eingestellt.  ***

Freitag, 24. Oktober 2025

STORY: Zeitenwechsel (Schenk)

Zeitenwechsel
Eine Kurzgeschichte aus verschiedenen Zeitaltern

von Michael H.  Schenk (Copyright 2008)


Geboren wurde Michael H. Schenk 1955. Der amerikanische Westen und hier vor allem die Kavallerieeinheiten der US-Army interessieren ihn schon seit Jahrzehnten. Über Jahre hinweg war er im Reenactment-Bereich aktiv und organisatorisch tätig, wobei er versuchte, die Geschichte, das Leben und die Ausrüstung der US-Kavallerie so authentisch wie möglich darzustellen und zu präsentieren. Als Autor ist Michael H. Schenk längst kein Unbekannter mehr, neben zahlreichen anderen Büchern veröffentlichte er bislang mehr als 20 Bände der Westernreihe "Die Pferdesoldaten".  Für den Neuabdruck von "Zeitenwechsel" hat er einige einführende Worte geschrieben: 
„Das geschriebene Wort ist die Schwinge unserer Phantasie“
Liebe Leserschaft, das obige Motto ist mir Programm, denn tatsächlich wird unsere eigene schöpferische Kraft, die Phantasie, durch nichts mehr gefördert, als durch das gedruckte oder digitale Wort. 
Fragt man heute danach, wie man sich einen Zwerg vorstellt, so wird in der Regel Gimli aus den Verfilmungen des „Der Herr der Ringe“ genannt, andere denken vielleicht eher an den typischen Gartenzwerg oder den einstigen „Pumuckl“. In all diesen Fällen gibt uns jemand genau vor, wie „unser“ Zwerg auszusehen hat. So prägen zum Beispiel „Der Herr der Ringe“-Filme derart maßgeblich unsere (nicht beanspruchte)  Phantasie, dass es sogar Kurse gibt, wie der Zwerg gefälligst auszusehen hat. 
Das geschriebene Wort hingegen ermöglicht uns immer Spielraum für eigene Gedanken: wie wir sein Aussehen umsetzen, uns seine Stimme vorstellen und seine Gestik und Mimik vor unserem geistigen Auge sehen wollen.
Vor Jahren gab es einen Disput von Schriftstellern, welches Genre denn wohl das Anspruchsvollste sei. Ich habe diese Auseinandersetzung damals (2008) zum Anlass genommen, eine Geschichte zu schreiben, welche verschiedene Genres, nämlich Fantasy, Western, Krieg und Science-Fiction in sich vereint.
Heute konzentriere ich meine schriftstellerische Tätigkeit auf die Kernbereiche historischer Western und Science-Fiction. Gerade der Western hat es mir angetan, da auch heutige Autoren viel zu oft beliebte Hollywood-Stereotypen bedienen und sich nicht einmal der Mühe sorgfältiger Recherche unterziehen. Wenn ich dann lese, dass Lieutenant-Colonel Custer (Brevet-General) am Little Big Horn River mit dem Säbel attackieren ließ, obwohl diese einige Tage zuvor ins Depot zurückgeschickt wurden, dann stellen sich mir die Nackenhaare auf.
Aus diesem Grund veröffentliche ich in meinen Western auch immer einen historischen Anhang, in dem ich mit liebgewordenen Irrtümern oder Falschinformationen aufräume. 
Auf der Homepage meiner SciFi-Reihe habe ich daher auch begonnen, ein Western-Lexikon zu erstellen, in dem ich speziell auf die U.S.-Cavalry eingehe, welche Gegenstand meiner Reihe „Die Pferdesoldaten“ ist.
https://www.sky-navy.de/western-seite-pferdesoldaten/lexikon-historische-anmerkungen/
Nun würde ich mich jedoch freuen, wenn meine Kurzgeschichte Ihnen ein wenig Spaß und Lesefreude vermittelt.

______________________________


Kapitel 1

Hauptmann Makenna trieb seine Reitechse die letzten Meter auf die Hügelkuppe empor. Das Reptil zischte, als der Ritter an den Zügeln zog und ihm die Steuerdorne in die Lefzen trieb. Makenna sah grimmig in das vor ihm liegende Tal hinunter und spürte, wie sein Unterführer neben ihn ritt. Das rot-weiße Banner des Reiches flappte lustlos an der Lanze in Lucas Hand.

„Das Wasser ist rot“, knurrte Makenna und deutete zum Fluss hinunter.

Lucas war ebenso erschöpft wie die anderen Männer und ihre Echsen. Vor drei Tagen waren die Spiegelsignale in der Festung empfangen worden und hatten die Kunde gebracht, dass die Bestien die Grenze überschritten hatten. Der kleine Ort Eandar wurde von ihnen bedroht und der Rittertrupp hatte sich kaum eine Pause gegönnt, um den bedrängten Bewohnern noch rechtzeitig zu Hilfe zu kommen. Lucas war müde, sonst wäre es ihm ebenso aufgefallen wie seinem Hauptmann. 

„Natürlich ist es rot“, murmelte der Bannerträger. „Der Morgen zieht herauf. Im Süden steigt die Sonne über die Berge und spiegelt sich im Fluss.“

Makenna seufzte und wandte sich halb im Sattel um. Die Reitechse zischte erneut. Sie witterte den nahen Fluss und war begierig darauf, endlich zu saufen. „Es ist nicht das Sonnenlicht, welches das Wasser färbt, mein Freund.“

Das Tappen dreizehiger Läufe war zu hören, als nun auch der Sekundärmagier Kalwart herantrabte. Der kleinwüchsige Zauberer reckte sich im Sattel und beschattete seine Augen mit der Hand. „Seht ihr den roten Schimmer im Wasser?“

„Ja, ist uns schon aufgefallen“, erwiderte Lucas unfreundlich. Er schätzte die Festigkeit von gutem Stahl und war kein Freund magischer Kräfte.

„Blut. Ich kann es bis hierher riechen“, stellte Kalwart fest und tätschelte den geschuppten Hals seines Reittieres. „Belangar riecht es ebenfalls.“ Der Magier lächelte schmallippig. „Haben eine gute Nase, die Echsen.“

„Sie wittern das Wasser und sind durstig“, beharrte Lucas auf seiner Meinung. 

Makenna räusperte sich. So ungern er seinen Freund vor dem Sekundärmagier zurechtwies, doch Lucas war im Unrecht. „Sie wittern Blut. Sieh dir an, wie sie die Lefzen von den Reißzähnen zurückziehen. Blut weckt ihre Urinstinkte, mein Freund. All die Jahre der Zucht haben ihnen den natürlichen Trieb nicht nehmen können.“

„Menschenblut“, meinte Kalwart lakonisch. „Das unserer Feinde schätzen sie nicht.“


Die Sonne stieg höher und der rötliche Schein über dem Land wandelte sich zu einem goldgelben Glanz, der sich überraschend schnell ausweitete. 

„Dort vorne.“ Lucas deutete hinab. „In der Furt!“

Der Fluss war nicht besonders tief und zog träge dahin. Man sah ihm nicht an, in welchen reißenden Strom er sich beim Zeitenwechsel verwandeln konnte. Im Augenblick war die Furt gut zu erkennen. Sie bestand aus einer lang gestreckten Sandbank, die nur wenige Zentimeter vom Wasser überspült war. Jetzt hob sich dort ein dunkler Schatten deutlich ab.

„Zu groß für einen Menschen.“ Makenna hob den Arm und trieb die Stiefelsporen in den weichen Bauch der Reitechse. 

Gehorsam trabte sie an und die Männer des Rittertrupps folgten ihrem Hauptmann zur Furt hinab. Zweihundert Männer in blitzenden Rüstungen und die kleine Gestalt des Magiers in dessen weißer Kutte. 

Der Gegenstand inmitten der Furt kam näher. 

„Eine Reitechse“, sagte Lucas grimmig.

Makenna musterte den Kadaver mit dem Blick eines langjährigen Ritters. „Eine Zugechse. Obwohl die Verwesung den Leib aufgetrieben hat, kann man erkennen, dass der Körper plumper und kräftiger als der einer Reitechse war.“

Lucas nickte. „Es kann noch nicht so lange her sein. Es tritt noch immer Blut aus.“

Die Läufe patschten durch das silbrig aufspritzende Wasser. Als der Trupp inmitten der Furt anhielt, schwang sich Kalwart vom Rücken seiner Echse. Während etliche Männer vor dem Gestank faulenden Fleisches zurückschreckten, beugte sich der Zauberer vor und betastete die Wunden des toten Reptils. „Ich würde sagen, die Echse starb vor kaum drei Stunden. Das Fleisch zersetzt sich rasch. Ihr habt recht, Hauptmann, es war eine Zugechse. Hier sind die Hornschwielen, die vom Geschirr stammen. Aber sie hat sich nicht aus einem Zuggespann losgerissen. Sie wurde geritten. Hier, seht Ihr den Zügelgurt?“

„Ich sehe ihn.“ Makenna blickte den Fluss in beide Richtungen entlang. „Schön, sie wurde also geritten. Was uns zu der Frage führt, was mit ihr und vor allem ihrem Reiter geschehen ist.“

„Er wird ebenso tot sein wie sein Reittier“, sagte Lucas. „Die Strömung ist schwach, aber sie wird seine Leiche mitgeführt haben.“

Kalwart nickte bestätigend. „Und er wird ebenso wie sein Reittier durch einen Schlagschnitt gestorben sein. Hier könnt Ihr die typische Wunde sehen.“

Makenna spuckte aus. „Also waren es die altbekannten Feinde. Das ist nicht gut, verdammt. Es könnte bedeuten, dass Eandar bereits gefallen ist.“

„Das muss nicht sein.“ Sekundärmagier Kalwart wiegte den Kopf. „Ihr kennt die Taktik der Gegner, Hauptmann. Oft schicken sie kleine Trupps hinter die Linien, um den Ort, den sie berennen wollen, von aller Hilfe abzuschneiden und jeden Boten abzufangen. Ich glaube, der Reiter dieser Echse war ein solcher Bote.“

„Aus Eandar“, mutmaßte Lucas.

„So wird es sein.“ Makenna blickte die Reihe des Rittertrupps entlang. „Haltet die Augen offen und die Klingen scharf. Es könnten sich noch Feinde in der Nähe befinden.“ Erneut blickte er auf den Kadaver und hob den Blick dann an, um in das weite Tal zu sehen. „Eandar ist in höchster Gefahr, wenn wir nicht ohnehin schon zu spät kommen. Wir müssen uns beeilen.“

„Die Männer und Echsen sind erschöpft“, wandte Signalbläser Geording ein. Er hatte sein mächtiges Rundhorn über den Arm gelegt und deutete auf Ritter Rufus, der neben ihm auf einer Echse saß und im Sattel eingeschlafen war. 

Makenna nickte. „Das ist wahr.“

Bannerträger Lucas reckte sich im Sattel. „Wir werden keinen langen Ritt mehr durchhalten, mein Freund. Die Echsen sind schon jetzt zu erschöpft, um noch eine rasche Attacke reiten zu können.“

Sekundärmagier Kalwart zuckte die Schultern. „Ich selbst, und auch mein Belangar, verfügen noch über genug Kraft.“

Geording grinste. „Mit allem Respekt, Magier, doch Euer Belangar hat auch nicht viel zu tragen. Ihr seid keine besonders, äh, große Person und tragt weder Rüstung noch Waffen.“

Kalwart betrachtete den Signalbläser forschend und schien zu überlegen, ob er dessen Worte als Respektlosigkeit verstehen sollte. Schließlich lächelte er sanft. „Es mag schon sein, dass ich von kleinem Wuchs bin und nicht solche Mengen an Stahl mit mir herumschleppe. Doch unterschätzt mich nicht, Ritter. Meine Rüstung und Waffen mögen unsichtbar sein, und dennoch sind sie gefährlicher, als Ihr es Euch vorstellen könnt.“

Der Signalbläser leckte sich über die Lippen und nickte. „Ich wollte Euch nicht beleidigen, Magier. Es war nur eine Feststellung, dass Eure Echse nicht viel zu tragen hat.“

Niemand legte sich leichtfertig mit einem Magier an. Auch wenn Kalwart nicht über die primären Kräfte verfügte, so war der Sekundärmagier durchaus in der Lage, Verheerungen in die Reihen der Feinde zu tragen.

„Die Männer könnten im Sattel schlafen. Sie sind gute Ritter und erfahrene Kämpfer.“ Makenna strich sich über das Kinn. „Aber die Echsen brauchen eine Pause.“

„Wenigstens vier Stunden, besser sechs“, meinte Lucas.

„Jede Stunde wird Eandar fehlen.“ Hauptmann Makenna seufzte unbehaglich. „Na schön, ein paar der Echsen sind noch relativ frisch. Ich werde mit jenen, die noch halbwegs bei Kräften sind, vorauseilen. Der Rest der Truppe folgt so bald als möglich.“ 

Makenna fragte nach Freiwilligen und, wie er erwartet hatte, wollte keiner seiner Ritter zurückstehen. Aber er durfte ihnen nicht zu viel zumuten. Schweren Herzens wählte er eine kleine Schar aus, deren Echsen noch ausgeruht genug waren, um den Ritt fortzusetzen.

Neben Lucas und Signalbläser Geording waren es zwanzig weitere Ritter. Dem Rest beschied er, für vier Stunden zu ruhen und dann zu folgen.

„Nach Eandar“, befahl er seinem kleinen Trupp und ritt an.

So ritten dreiundzwanzig gepanzerte Ritter und ein kleiner Mann in Kutte an das andere Ufer und die Läufe ihrer Echsen pochten über den Boden, während sie ihre Reiter dem Ort Eandar und dem Feind entgegentrugen.



Kapitel 2


Eandar lag inmitten eines wüstenartigen Tales. Es schien ein Ort des Todes zu sein, denn selbst die anspruchslosen Gräser mieden den ausgetrockneten Boden. Umso fremdartiger wirkte der große Hügel, der sich inmitten dieses Tals erhob. Seine Hänge waren von Gräsern und Büschen bewachsen und inmitten dieser unerwarteten grünen Pracht standen die einfachen Häuser Eandars.


Captain Makenna gab das Zeichen zum Halten, wandte sich im Sattel seines kräftigen Braunen um und musterte die kleine Truppe, die ihm folgte. Bei den vorderen Reitern war das Blau und Gelb der US-Kavallerie noch deutlich zu sehen, doch der lange Ritt hatte die hinteren Reihen mit Staub gepudert, so dass die Gesichter kaum zu erkennen waren und die Kavalleristen die grauen Uniformen der einstigen Konföderation zu tragen schienen. 

„Schüsse“, stellte First-Sergeant Lucas fest. „Nur vereinzelt, aber die Leute in Eandar wehren sich noch.“

Makenna stieß den Arm hoch und machte eine kreisende Bewegung. Die Reiter waren erfahren und wussten, worauf es ankam. Der kleine Trupp schwärmte zu einer dünnen Doppellinie aus. Hornist Geording und der Standartenträger schlossen zum Captain auf. Der rot-weiße Wimpel des B-Trupps der fünften US-Kavallerie flatterte träge an seiner Lanze.

Makenna sah Lucas mit müdem Lächeln an. „Sie nehmen das zweite Treffen, Sarge. Wir müssen schnell rein, denn wenn der Feind Zeit findet, in den Häusern Deckung zu nehmen, dann wird es verdammt haarig.“

„Mehr als einen schlappen Galopp bringen die Pferde nicht mehr zustande“, wandte Lucas ein. „Auch wenn es Zeit kostet, Sir, wir sollten langsam rangehen und dann schnell einbrechen. Und ohne Signal. Die Bastarde sind abgelenkt und damit beschäftigt, die Leute von Eandar zu massakrieren. Je länger wir unentdeckt bleiben, desto größer sind unsere Chancen. Wir wissen nicht, wie viele von den Burschen dort stecken.“

„Kalwart!“

Auf den Ruf Makennas trieb das Halbblut sein Pferd nach vorne. Er sah den Kavallerieoffizier mit unbewegtem Gesicht an. Kalwart war Zivilscout. Er kundschaftete für die Armee und das war seine ausschließliche Aufgabe. Für die dreiundzwanzig Dollar, die er im Monat erhielt, verlangte die Regierung nicht von ihm, zu kämpfen, obwohl er seine Haut oft genug riskierte. Makenna konnte Kalwart um Rat fragen, doch er konnte dem Scout nicht befehlen, mit der Truppe in den Ort zu stürmen. Das war die Aufgabe der Kavalleristen, die dafür mit dreizehn Dollar im Monat besoldet wurden.

„Was meinen Sie, Kal, mit wie vielen haben wir es zu tun?“

„Qien sabe?“ Kalwart zuckte die Schultern. „Wer kann das bei diesem Feind schon wissen? Vielleicht Hundert, vielleicht nur eine Handvoll.“

„Verdammt hilfreich.“ First-Sergeant Lucas spuckte aus.

Der Scout grinste den Unteroffizier breit an. „Ich denke nicht, dass es viele sein werden. Ich höre zwei, nein, drei Gewehre. Der Gegner benutzt Gewehre, Siedler benutzen Gewehre. Armee benutzt Karabiner. Also ist keine Armee in Eandar.“ Das Grinsen vertiefte sich. „Der Feind kennt den Wert von Dollars. Es gibt Händler, die ihm gegen harte Dollars gute Gewehre verkaufen. Gute mehrschüssige Winchester, die besser sind, als die einschüssigen Kavalleriekarabiner. Aber die Kerle sind lausige Gewehrschützen. Verschwenden nicht viel Munition für Übung. Sie sind aber gut mit dem Bogen und dem Messer. Die machen auch keinen Lärm.“

„Na schön“, seufzte der Captain. „Sarge, wir teilen uns am Fuß des Hügels. Meine Gruppe geht rechts hinauf, Ihre links. Wir pressen die Bastarde zwischen uns zusammen.“

Kalwart trabte hinter die beiden Linien des kleinen Trupps und zog sein Winchestergewehr hervor. Auch wenn er und Lucas sich nicht mochten, so hatte sich der Scout schon oft genug bewährt. Sein Gewehr trug weiter als die kurzläufigen Sattelkarabiner. Er würde den Trupp auch heute nicht im Stich lassen und ihm mit gezielten Schüssen etwas Deckung verschaffen.

Makenna stieß den Arm dreimal schnell nach oben und die kleine Abteilung trabte an.


Die Zeit der Kavallerieangriffe mit dem Säbel war längst vorbei und für die blutige Arbeit, die vor den Männern lag, gab es nur ein geeignetes Mittel: ihren langläufigen Coltrevolver.

Automatisch wurden die Waffen gezogen und in der halb erhobenen Hand gehalten. Die Hufe pochten über den hart gebrannten Boden.

Noch immer waren Schüsse aus dem kleinen Ort zu vernehmen, der sich wie eine Insel über dem Tal erhob. Keine Schreie, für die Kavalleristen war das ein gutes Zeichen. Der Feind kämpfte meist schweigend und war klug genug zu wissen, dass ein Laut die Position eines Kämpfers verraten konnte. Er stürmte nicht blindlings vor und riskierte Leben nur, wenn sich dieses lohnte. Es dauerte Jahre, um aus einem Jungen einen Krieger zu machen und die Zahl der Kämpfer schrumpfte, während die der Weißen stetig zunahm. Dass der Feind schweigend kämpfte, zeigte, dass er noch immer auf gefährlichen Widerstand traf.

Über dem Hufschlag vernahm Makenna einen leisen Schrei aus dem Ort. Für ihn stand fest, dass die Feinde seine Truppe entdeckt hatten. Er blickte zur Seite. „Geording! Angriffssignal!“

Sie waren ohnehin entdeckt und nun gab es nichts mehr zu verbergen. Aber das Trompetensignal machte den Verteidigern vielleicht Mut und zeigte ihnen, dass die Rettung nahe war. Der Hornist befeuchtete seine Lippen, setzte das C-Horn an, dann hallte das Signal zum Angriff durch das Tal. Aus dem Trab wurde ein rascher Galopp, der die Abteilung nach Eandar führte. Die Dächer zweier Häuser waren oberhalb des Hanges zu erkennen, als die Pferde die Steigung erreichten.

Oben erschienen unvermittelt zwei Gestalten, welche sofort das Feuer eröffneten. Makenna hörte einen Aufschrei hinter sich und nun mischten sich die erregten Schreie seiner Männer in das erneute Hornsignal von Geording.

Schüsse peitschten, die Abteilung teilte sich und preschte den Hang empor. Als die Truppe den ebenen Boden der Hügelkuppe erreichte, befand sie sich übergangslos zwischen den Gebäuden des kleinen Ortes und unter Feinden.


Es war tatsächlich nur eine Handvoll, sonst wäre das Treffen für Makennas Gruppe möglicherweise übel ausgegangen. Ihr Gegner hatte ein Haus am Rand Eandars belagert, aus dem noch immer geschossen wurde, und war nicht auf das Erscheinen der Kavalleristen vorbereitet. 

Makenna feuerte auf einen Feind, der aus einem Hauseingang hervorstürzte, und schlug dann mit dem langen Lauf seines Revolvers nach einem anderen, der ihn von der Seite ansprang. Schüsse und Schreie schienen nun von überall gleichzeitig zu erklingen.

„Absitzen zum Gefecht zu Fuß!“, brüllte der Captain. „Absitzen!“

Auf den Pferden boten die Männer ein zu leichtes Ziel. Sie saßen ab, die Pferdehalter eilten mit den Tieren in Deckung und die anderen nahmen den Kampf zu Fuß auf. 

Die Feinde wussten, dass es hier nichts mehr zu gewinnen gab. 

So rasch, wie der Kampf entbrannt war, erlosch er nun. Huschende Schemen verschwanden vom Hügel und schienen mit dem Talgrund zu verschmelzen. Ein paar Kavalleristen eilten zum Rand von Eandar und nahmen den fliehenden Gegner mit den Karabinern unter Feuer. Es hatte einen eher moralischen Effekt und entsprang dem Zorn der Männer, die inzwischen erkannt hatten, was die Angreifer den Bewohnern des Ortes angetan hatten.

„Sammeln“, krächzte Captain Makenna mit heiserer Stimme. Er fühlte sich ausgelaugt und erschöpft und empfand einen brennenden Durst. „First-Sergeant, eine Gruppe als Wache! Versorgt die Verwundeten und seht nach, was wir hier noch tun können.“

„Wird nicht viel sein“, brummte Lucas lakonisch. „Die verfluchten Bastarde haben ganz schön gehaust.“


Wie stark der Kriegstrupp gewesen war, der Eandar angegriffen hatte, ließ sich anhand der Spuren nicht feststellen. Kalwart meinte allerdings, dass es eine große Gruppe gewesen war. Sie hatte die Bewohner massakriert und mit sich geschleppt, was brauchbar erschien. Nur zwei Männer hatten noch Widerstand geleistet. Zu bedeutungslos für den feindlichen Trupp, jedoch interessant genug für eine Handvoll junger Kämpfer, die sich damit bewähren wollten, auch die letzten Überlebenden auszulöschen. Makennas Kavallerietrupp hatte ihnen den Spaß verdorben.

Hornist Geording kannte sich am besten mit Wundversorgung aus und kümmerte sich um die beiden Überlebenden. Der B-Trupp selbst hatte zwei Tote und drei Verletzte, und zwei von diesen würden auf absehbare Zeit nicht reiten können.

First-Sergeant Lucas hatte mit zwei Kavalleristen alle Gebäude durchsucht. Niemand beneidete ihn um diese Aufgabe, denn jeder wusste, dass in Eandar auch Frauen und Kinder gelebt hatten. Nun trat der Unteroffizier zu seinem Captain und sein Gesicht verriet den Schmerz, den er empfand. „Sie haben Lebensmittel, Pferde und Waffen mitgenommen.“

„Kinder?“

„Nein, die haben sie wohl alle hier gelassen. Ich habe zwei Knaben im richtigen Alter gefunden. Die haben sich nicht einmal mit den Frauen vergnügt und sie über die Prärie geschoben. Hatten es verflucht eilig, die Bastarde.“

Der Feind glich seine Verluste oft damit aus, dass er Kinder entführte und zu Kriegern erzog. Makenna nickte in einer Mischung aus hilflosem Zorn und Erleichterung. „Dann haben sie wenigstens keine Geiseln.“

Lucas schob seinen schwarzen Feldhut mit der gelben Quastenschnur in den Nacken. „Ich frage mich nur, warum sie es so verdammt eilig hatten. Die wussten doch gar nicht, dass wir kommen.“

„Sie konnten sich denken, dass Hilfe unterwegs war.“ Kalwart trat zu ihnen. „Die Burschen kennen sich mit Signalspiegeln aus. Benutzen sie selber. Sind natürlich nicht so hübsch wie die Heliostaten der Armee, doch ein paar Scherben tun es schließlich auch.“ Der Scout deutete nach Norden. „Sind in die Richtung abgezogen.“

„Warum so schnell?“

Kalwart zog ein Stück Kautabak aus der Hosentasche und schnitt sich ein Stück ab. „Hängt vielleicht mit dem Zeitenwechsel zusammen. Müsste ja bald so weit sein.“

„Das gefällt mir nicht“, gestand Makenna ein. „Wir werden den Burschen folgen müssen.“

Lucas starrte seinen Captain in stummem Protest an aber Kalwart nickte bedächtig. „Dachte ich mir. Wollen Sie warten, bis der Rest der Kompanie von der Furt eingetroffen ist?“

„Bis dahin hätten wir die Spur verloren“, brummte Makenna. Er sah den Widerspruch in den Augen des Scouts und lächelte halbherzig. „Nichts gegen Ihre Fähigkeiten, Kal, aber Sie wissen ja selbst, dass sich der Feind nun bald zerstreuen wird. Dann packen wir ihn nie mehr.“

Kalwart zuckte die Schultern. „Ihre Pferde und Männer können kaum noch kriechen, Captain. Ich kann der Spur des Gegners folgen und Sie kommen hinterher, wenn die Truppe wieder bei Kräften ist.“

Lucas nickte bestätigend, doch Makenna schüttelte den Kopf. „Wir wissen nicht genau, wann der Zeitenwechsel eintritt. Wenn wir zu lange warten, haben wir keine Chance mehr, den Kriegstrupp einzuholen.“

„Wenn Sie auf lahmen Gäulen hinter dem Feind herkriechen, Captain Makenna, dann werden Sie ihn erst recht nicht einholen, und wenn doch, dann wird man jeden Mann Ihrer Abteilung massakrieren. Im günstigsten Fall wird der Zeitenwechsel Sie von jeder Hilfe abschneiden.“

„Kann passieren“, räumte der Kavallerieoffizier ein. „Früher oder später erwischt es ja jeden einmal. Hören Sie, Kal, ich bin nicht scharf darauf, hier draußen zu sterben, okay? Aber auch wenn wir abgeschnitten werden, so haben wir einen Signalspiegel dabei und können damit Verbindung aufnehmen.“

Lucas schnaubte leise. „Beruhigend, dann weiß die Verstärkung wenigstens, wo sie unsere Knochen findet.“

Makenna lachte leise. „Vor allem weiß sie aber, wohin sich die Gruppen des Feindes wenden. Na schön, First-Sergeant, vier Mann bleiben mit den Verwundeten hier und warten auf den Rest des Trupps. Wir anderen reiten in dreißig Minuten ab.“

Der Blick, den First-Sergeant Lucas seinem Captain zuwarf, war schwer zu deuten.

Es war eine kleine Schar Blau uniformierter Kavalleristen, die wenig später ihrem Captain und einem in Leder gekleideten Scout folgten. Nach Norden und auf der Spur eines unbarmherzigen Feindes.



Kapitel 3


Sie waren nun schon mehrere Stunden der Spur gefolgt und im Norden zeichnete sich der Sonnenuntergang ab. Es würde jetzt sehr schnell dunkel und vor allem kalt werden. Ebenso extrem kalt, wie es tagsüber heiß war. Captain Makenna stand im offenen Turmluk des M3-Bradley-Schützenpanzers und schlug mit der behandschuhten Faust gegen das Metall.

Lucas, der Kommandant des Fahrzeuges, reagierte sofort und sprach einen kurzen Befehl in sein Headset. Mit einem Nachwippen der Federung blieb der Bradley in einer Staubwolke stehen. Von seiner Funkantenne flatterte ein kleiner rot-weißer Wimpel. Eigentlich war es nicht üblich, dass Spähtrupps so etwas führten, aber Makenna war stolz auf seine Zugehörigkeit zur Bravo-Kompanie des ersten Bataillons der 5th Armored Cavalry.

Die beiden anderen Fahrzeuge der kleinen Vorhut hielten rechts und links des Führers. 

„Was ist los, Cap? Haben Sie etwas gesehen?“ Kanonier Rufus sah den Kommandanten des Spähtrupps nicht an. Seine Blicke glitten über den Lauf der Bushmaster-Maschinenkanone über das mittlere Drittel des vorderen Gesichtsfeldes. Er konnte sich darauf verlassen, dass die beiden anderen Besatzungen die Flanken sicherten.

Makenna leckte sich über die spröde gewordenen Lippen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er voraus. Er wirkte angespannt, obwohl er nun langsam den Kopf schüttelte. „Nein, Gunny, nichts zu sehen. Aber ich kann die Burschen spüren. Sie sind da vorne und sie sind nicht weit weg.“ Der Captain schüttelte erneut den Kopf. „Kalwart, bei Ihnen was zu sehen?“

„Nichts auf dem Radar und nichts auf den Scannern.“

„Infrarot?“

Kalwart brummelte etwas Unverständliches und ließ eine Verneinung folgen. Makenna sah Rufus verstohlen grinsen. Bei dieser Hitze würden sich die Gegner kaum durch ihre Wärmesignatur ausmachen lassen. Der hart gebrannte Boden des Tales strahlte wie ein Backofen.

„Na schön“, knurrte Makenna. „Und was sagt IVIS?“

„Drei Blaue und nichts Rotes“, erwiderte Kalwart.

Sergeant Lucas stieß einen leisen Fluch aus. „Hängen verdammt nach, Captain, wenn Sie mich fragen.“

Makenna fragte nicht, aber Lucas hatte recht. Es dauerte viel zu lange, bis der Rest der Kompanie aufschloss. Und alles nur, weil der Sprit nicht rechtzeitig nachkam und Makenna die Tanks der anderen Fahrzeuge angezapft hatte, um wenigstens drei Bradleys auf der Spur des Feindes zu halten. Das elektronische System IVIS verband alle Fahrzeuge des Gefechtsverbandes miteinander und jeder Fahrzeugführer konnte jederzeit die Position der anderen Fahrzeuge vom Monitor ablesen. Eine feine Sache, zumal die Positionen des Gegners ebenfalls angezeigt wurden, wenn sie denn erkannt waren. Informationen und ihre schnelle Auswertung konnten das Überleben bedeuten. Manchmal fragte sich Makenna im Stillen, wie es der ‒ technisch unterlegene ‒ Gegner nur schaffte, ihn und seine Männer so in Atem zu halten.

„Cap? Ich habe IVIS etwas ausgezoomt. Blaue Kontakte in Fünfzig.“

Immerhin, die Kompanie war auf dem Weg.

Sollte er auf die Verstärkungen warten oder den Feind weiter verfolgen? Wenn der Feind sich zerstreute, würde es schwer werden, ihn noch zu greifen. Geflügelte Freunde für Aufklärung oder Luft-Dreck-Arbeit standen nicht zur Verfügung. Das hätte Makenna die Aufgabe erleichtert. Die verdammten Bastarde, denen sie seit dem Überfall auf Eandar auf der Spur waren, befanden sich ganz in der Nähe, das spürte der Berufsoffizier in allen Knochen.

„Scheißland“, knurrte Kanonier Rufus. „Nichts als Dreck und Sand. Kriecht überall hin. Verstopft die Turbinen, die Schlösser der Waffen … Verdammt, Cap, davon hat der Gunnery-Sarge im Werbebüro aber nichts erzählt, als er mir das Ohr von den Vorzügen der Army abgequatscht hat. Von wegen, die ganze schöne Welt sehen. Von der Unterwelt hat der Mistkerl nichts erzählt. Verdammt, ich hab den Sand sogar im Sack.“

„Wen interessiert schon dein verdammter Sack?“, meldete sich Kalwart aus dem Fahrzeuginneren.

„Ist doch wahr.“ Rufus kauerte über seiner Waffe und starrte missmutig in die Dunkelheit. „Die Nacht wird genauso beschissen wie der Tag. Bedeckter Himmel, kein einziger Stern zu sehen.“

„Gut für uns und schlecht für die anderen“, meinte Kalwart. „Wir haben Restlichtverstärker, Infrarot, Radar und …“

„Hört auf zu maulen“, befahl Lucas heiser. Das Makenna nicht eingeschritten war, zeigte dem Sergeant, dass der Offizier sich auf etwas ganz anderes konzentrierte. Das beunruhigte Lucas mehr, als er sich eigentlich eingestehen wollte. „He, Kalwart, nichts zu sehen?“

„Drei Blaue und nichts … He!“

Mit dem erschrockenen Aufschrei von Kalwart war vor dem Spähtrupp ein greller Flammenschein zu erkennen, der in einigen Hundert Metern aus dem Boden zu springen schien. Fast sofort folgte ein zweiter Flammenstrahl.

„SAM-Abschuss!“, fluchte Rufus und ließ eine wilde Tirade von Verwünschungen folgen. Er hatte den Restlichtverstärker vor seinen Helm geklappt und der grelle Schein der beiden Raketenabschüsse hatte ihn unerwartet geblendet. 

Lucas reagierte mechanisch und hieb auf einen Schalter. Rechts und links am Turm des Bradley zischten zwei Hitzeraketen empor, welche die Gefechtsköpfe der Wärme suchenden Raketen anziehen sollten.

Eine der Raketen folgte auch prompt dem wärmeren Ziel und ließ sich ablenken. Die andere traf den rechts wartenden Spähpanzer. Es war ein letaler Treffer. Der Gefechtsturm wurde fast ein Dutzend Meter in die Luft geschleudert und schlug dann neben dem brennenden Fahrzeugwrack auf den Boden. Fünf gute Leute waren tot. Drei Männer der Besatzung und zwei Kavalleristen, die als infanteristische Verstärkung an Bord waren. 

„Scheiße, Scheiße, Scheiße“, fluchte Rufus und betätigte halb blind die Auslöser seiner Kanone.

Die M242-Bushmaster begann ihre 25-Millimeter-Geschosse auszuspucken. Rufus verteilte die zweihundert Schuss pro Minute sehr großzügig, da er kein klares Ziel hatte. Auch das links stehende Fahrzeug begann zu feuern.

„Nur auf deutliche Ziele feuern!“, rief Makenna. „Wir haben es nicht so dicke, klar? Auf die Wärmeechos der Abschüsse halten. Da müssen die SAMs stecken. Haltet uns die Scheißdinger vom Leibe“, befahl Makenna. Er tippte an sein Headset. „Beide Zweihundert zurück! Rasch! Leuchtraketen raus.“


Der Feind musste sich eingegraben haben und hatte mit den Wärmesensoren der SAM-Abschussgeräte einfach nach den passenden Wärmequellen gesucht. Erneut zuckte ein Abschussblitz auf, doch diese Rakete flog direkt in einen Geschosshagel aus Rufus Maschinenkanone. Der Kanonier stieß einen heiseren Schrei aus, als die Rakete detonierte, und korrigierte die Zielrichtung. Knapp einen Kilometer vor den beiden Fahrzeugen stiegen Einschlagfontänen aus dem Wüstenboden auf. Rufus ging zu kurzen Feuerstößen über, denn mehr als 900 Schuss hatte er nicht zur Verfügung. Danach blieben nur die knapp über 2000 Schuss für das 7,62-mm-Maschinengewehr. Nicht üppig, wenn man keine klaren Ziele oder aber zu viele davon hatte.

Lucas fand Lohnendes für seine eigenen Raketen und löste die beiden TOW-Werfer aus.

„Rot, Rot, Rot“, meldete Kalwart. „Jede Menge unfreundlicher Burschen da draußen.“

Makenna tauchte ins Fahrzeuginnere hinein und blickte auf den Monitor. Kalwart hatte nicht übertrieben. Die Echos waren am äußeren Erfassungsbereich und kamen unangenehm schnell näher. „Na schön“, brummte Makenna. „Scheinbar hat sich die kleine Gruppe, hinter der wir her waren, mit der größeren Streitmacht vereint.“

„Der Bissen ist ein wenig groß für uns“, meinte Lucas.

„Nicht, wenn wir uns mit der Kompanie vereinen.“ Makenna grinste kalt. „Wir fallen auf die Kompanie zurück und melden ihr, dass wir Besuch mitbringen. Wir müssen nur dafür sorgen, dass die verdammten Bastarde uns verfolgen, dann laufen sie der Kompanie genau ins offene Messer.“

Lucas nickte. „Wird ein Wettrennen werden, Captain.“

„Richtig, Sarge. Und wir dürfen uns nicht zu sehr anstrengen, damit wir den Bastarden nicht davon laufen. Also, mit dem richtigen Maß humpeln, Sergeant.“

„Wenn wir zu langsam sind, erwischt uns der Zeitenwechsel, Captain.“

„Wie ich schon sagte, Sarge, wir müssen mit dem richtigen Maß humpeln.“

Die beiden Bradleys stießen zurück, wendeten in aufstiebenden Staubwolken und fuhren dann zurück nach Süden. In der Hoffnung, den Feind mit sich zu ziehen und rechtzeitig auf die Kompanie zu treffen.



Kapitel 4


Kalwart riss sich den Sensorhelm vom Schädel und stieß ein leises Stöhnen aus. Er schaltete seine Geräte auf Automatik und sah Makenna hilflos an. „Zu viele“, murmelte er mit glasigen Augen. „Zu viele Impulse.“

Captain Makenna konnte den Sensiblen gut verstehen. Kalwart war über seinen Helm und die Schädelimplantate direkt mit den Sensoren des Schiffes verbunden. Jeder Ortungsimpuls wurde direkt in das Gehirn des Sensiblen übertragen. Im System von Eandar waren es ungewöhnlich viele Impulse. Neben den elf Planeten des Systems kamen noch der Asteroidengürtel und die verfolgenden Schiffe hinzu. Kein Wunder, dass Kalwart Kopfschmerzen hatte.

„Das ist keine verdammte Polizeiaktion“, brummte Makenna grimmig. „Das ist ein verdammter Krieg. Wir haben da in ein richtiges Wespennest gestochen.“

Die Feinde hatten die Kolonie auf Eandar angegriffen und zerstört. Es hatte sich nur um eine kleine Gruppe gegnerischer Schiffe gehandelt, denn die Schürfer von Eandars Asteroidengürtel waren ohnehin so gut wie unbewaffnet gewesen. Die Angreifer hatten allerdings nicht mit dem Erscheinen einer Fernpatrouille der Friedensgarde gerechnet. Ebenso wenig, wie Makenna damit gerechnet hatte, dass der fliehende Gegner so schnell Verstärkung bekam. Jetzt wurden die beiden letzten Schiffe der kleinen Gardepatrouille gejagt und versuchten verzweifelt, den Schutz des Asteroidengürtels zu erreichen. 

„Diese verdammten Kerle sind verrückt“, stellte Sergeant Lucas fest. Er saß im Pilotensitz des 5-Mann-Schiffes und betrachtete die Anzeigen. Die Kontrollen des Triebwerks leuchteten in beunruhigendem Orange. Noch kein Panik-Rot, aber dicht davor. Die Aggregate liefen mit Volllast und würden dieser andauernden Überbeanspruchung nicht mehr lange standhalten. „Die wissen doch, dass es Selbstmord ist, sich mit der Friedensgarde anzulegen. Haben die verdammten Burschen das denn noch immer nicht kapiert?“

„Der Hass auf uns treibt sie an“, erwiderte Makenna. „Außerdem haben sie nicht damit gerechnet, dass wir auftauchen. Dachten wohl, sie könnten Eandar erledigen, ausplündern und unerkannt verschwinden.“

„Wenn sie uns erwischen, dann können sie das auch“, wandte Kalwart ein. „Sie stören unseren Langstreckenfunk. Ich kann niemanden erreichen. Nur die Benedict, aber die ist auch nur zwei Lichtsekunden entfernt.“

„Also weiß die Schwadron nicht, dass wir in Schwierigkeiten stecken.“ Makenna tippte auf das Implantat hinter seinem linken Ohr. Vor seinem geistigen Auge entstand der Tank, eine dreidimensionale Projektion aller Objekte, die sich innerhalb des Systems von Eandar befanden. Da der Tank immer nur eine Momentaufnahme erstellte, wurden Makennas Sinne nicht durch ständige Veränderungen der Positionen überfordert. Er sah die beiden blauen Punkte des Schwesterschiffes Benedict und seiner eigenen Bellatrice und dazu viel zu viele rote Blips.

Solange die Triebwerke durchhielten, waren sie in relativer Sicherheit. Im Augenblick waren sie schneller als jedes Geschoss und jeder Kampfstrahl. Aber sobald sie die Geschwindigkeit herabsetzten, um zwischen den Asteroiden des Gürtels von Eandar einzutauchen, wurde es gefährlich. Die Schiffe der Feinde folgten ihnen dichtauf.

„Sturzgeneratoren?“

Sergeant Lucas zuckte die Schultern. „Laden noch.“


Einst hatte man den überlichtschnellen Flug als die ultimative Möglichkeit der Sternenreisen betrachtet. Inzwischen nutzte man ihn nur noch innerhalb planetarischer Systeme. Der Sturz durch den Überraum ermöglichte den Sprung zwischen den Sternen in Nullzeit. Man bekam ein wenig Kopfschmerzen, von der Ent- und Rematerialisation, doch das war nur ein kleiner Preis für die Ersparnis ungezählter Jahre. Leider waren die Sturzgeneratoren der Bellatrice noch nicht ausreichend wieder aufgeladen und der Benedict würde es kaum anders ergehen.


Wenn es tatsächlich zur direkten Auseinandersetzung mit den verfolgenden Gegnern kam, würden die beiden Fernpatrouillenschiffe der Friedensgarde keine Überlebenschance haben. Sie ähnelten in ihrer Form zwar metallenen Hornissen, hatten aber weder Panzerung noch schwere Waffen. Sie waren klein, schnell und wendig, und wurden zur Aufklärung eingesetzt. Sie boten kaum Komfort, wenig Schutz und ihre Bewaffnung diente eher dazu, die Besatzung ein wenig zu beschäftigen und den Feind zu verärgern. Die drei ins System gestürzten Gardeschiffe hatten zwar drei kleine Feindeinheiten vernichten können, jedoch mit dem Verlust der Afrique dafür bezahlt.

Benedict fällt zurück“, meldete Kalwart mit tonloser Stimme. 

„Ihre Triebwerke müssen ausgebrannt sein“, fluchte Lucas. „Wird bei unseren auch nicht mehr lange dauern. Laufen schon zu lange unter Überlastungswerten.“

Makenna nickte und tippte abermals an sein Schädelimplantat. Der Tank verschwand vor seinem geistigen Auge und wich dem Gesicht von Rufus. „Die Benedict fällt zurück.“

Der Kanonier im Hauptturm auf der Oberseite der Bellatrice nickte. „Ist gerade zu Asche verbrannt, Captain. Möge die Göttin ihnen beistehen.“ Rufus wandte den Kopf ein wenig und sah etwas an, das sich außerhalb von Makennas geistigem Gesichtsfeld befand. „Der Massekonverter der Rotationskanone steht wieder im grünen Bereich. Ich könnte den Bastarden einige Massegeschosse entgegen schicken.“

Makenna lächelte kalt. „Dann heizen Sie den Kerlen ein, Rufus. Noch eine Stunde bis zum Asteroidengürtel von Eandar.“

Das Gesicht des Kanoniers nickte und verschwand. 


Ein leises Summen durchdrang die Hülle der Bellatrice. Die Rotationskanone vibrierte leicht, als diese ihre sechstausend Geschosse pro Minute verströmte. Die Chancen, einen guten Treffer zu landen, standen für Rufus nicht schlecht. Während die Bellatrice in relativer Sicherheit flog und dem Feind und dessen Waffen vorauseilte, rasten die Projektile der Rotationskanone den gegnerischen Schiffen entgegen. Die Stifte waren fünf Millimeter dick und drei Zentimeter lang und sie bestanden nur aus massivem Metall, doch wurden sie mit knapp Unterlicht abgeschossen. Ihre Geschwindigkeit summierte sich mit jener der Verfolger. Ein Metallstift, der Schirmfelder und Panzerung eines Schiffes mit relativer Überlichtgeschwindigkeit traf, konnte verheerende Wirkung haben.

Makenna hörte ein zufriedenes Brummen von Kalwart, der wieder unter seiner Sensorhaube steckte. Offensichtlich hatte Rufus mit seinen Salven Erfolg.

„Einer weniger. Jetzt zwei“, murmelte Kalwart halblaut. „Jetzt hat es ein Schlachtschiff getroffen. Fällt ab und schert aus dem Verband aus. Ich kann Brände erkennen.“

Die einschlagenden Stifte entfachten die Energie einer detonierenden Keratan-Bombe, wenn sich ihre Masse in Energie verwandelte. Einige von ihnen mussten die Schirmfelder des feindlichen Schlachtschiffes durchschlagen und dem Bug des Gegners schwer zugesetzt haben.

„Mögen sie verbrennen“, verwünschte Lucas den Feind.

Kalwart meldete sich erneut zu Wort. „Möglicherweise tut sich noch etwas ganz anderes. Ich verspüre Vibrationen auf der Psi-Ebene.“

„Das Geschwader?“, fragte Makenna hoffnungsvoll.

„Ich weiß nicht. Die Schwingungen sind anders als von Schiffen, die aus dem Sturz kommen.“

Lucas nickte mit düsterem Gesicht. „Möglicherweise nähern wir uns dem Zeitenwechsel, Captain. Das wird verdammt knapp.“

„Die Magazine sind leer, Captain“, meldete sich nun auch noch Rufus über das Implantat. „Der Massekonverter beginnt zu laden, aber Sie wissen ja, das dauert eine Weile.“

„Zehn Minuten bis zum Asteroidengürtel von Eandar“, meldete Lucas.

Makenna biss sich auf die Unterlippe. Das würde knapp werden. Wenn sie nicht sehr viel Glück hatten, würden sie von den Feinden oder dem Zeitenwechsel erwischt werden.



Kapitel 5


Die Reitechsen waren am Ende ihrer Kräfte, das galt ebenfalls für ihre Reiter. Auch jetzt waren Sekundärmagier Kalwart und sein Reptil noch am ausgeruhtesten. Der kleine Magier hatte sich hinter Makennas kleine Schar zurückfallen lassen. Die Gegner waren inzwischen so nahe, dass Kalwart versucht war, einen seiner Zauber wirken zu lassen. Doch so groß seine magische Kraft auch sein mochte, sie war, wie alle Magie zweiten Grades, auch von der Entfernung zum Ziel abhängig. Da hatten es die Primärmagier leichter. So entschloss sich Kalwart notgedrungen, noch abzuwarten, bis der Feind näher gerückt war.

„Eandar! Wir schaffen es!“, rief Unterführer Lucas erleichtert. 

Vor ihnen tauchte der Hügel inmitten der Ebene auf, über dem sich die vom Feind geschändeten Häuser Eandars erhoben. 

„Na schön, doch wir werden es nahezu gleichzeitig mit unseren Verfolgern erreichen“, schrie Hauptmann Makenna zurück. „Wenn die anderen Ritter nicht dort sind …“

Geording packte das gebogene Signalhorn, welches über seiner Schulter hing. „Ich kann Signal geben …“

„Untersteht Euch, Geording“, brüllte Makenna über das Poltern des Ritts hinweg. „Wenn Er ein Signal bläst, dann wissen unsere Feinde sofort, dass es anderen Rittern gelten muss. Wenn der Trupp in Eandar ist, wird er diese wilde Hatz bemerken und richtig reagieren!“

„Wenn die Götter und das Kriegsglück auf unserer Seite stehen“, knurrte der Signalbläser und schob sein Horn zurück.

Lucas brummelte etwas von schlechten Ohren der Götter und diese schienen tatsächlich sehr beschäftigt, da auf diese blasphemische Bemerkung kein Blitz vom Himmel herabfuhr.


Die Handvoll Ritter und Kalwart erreichten endlich den steilen Hang, der auf den Hügel führte. Hinter ihnen war das Stampfen der Feinde zu hören. 

Kalwart trieb seine Echse neben die von Makenna. „Spürt Ihr es, Hauptmann? Das Beben des Bodens?“

„Natürlich spüre ich es, Magier“, erwiderte Makenna. „Der Boden ist hart gebrannt und Tausende von Läufen und Beinen stampfen über ihn.“

„Nein, nein, guter Ritter, das ist etwas anderes!“

Sie erreichten die Spitze und hatten nur wenige Meter Vorsprung vor den vorderen Feinden. Makenna zog seine Klinge blank und riss am Zügel. Die Dornen gruben sich in die Lefzen des erschöpften Reittieres, als es widerwillig reagierte und sich dem Feind zuwandte.

„Hier müssen wir uns stellen!“, brüllte Makenna. „Hier am oberen Rand des Hanges. Die Bestien müssen ihn heraufstürmen und unsere Klingen werfen sie zurück!“


Der Hauptmann drängte sich zwischen Geording und Rufus und seine Klinge trennte eine Gliedmaße ab. Der Getroffene schrie und richtete sich auf. Makenna wollte gerade seinen Stahl in Rachen und Hirn des Gegners stoßen, als ein gefiederter Schemen an ihm vorbeizischte und den Feind tötete.


Unvermittelt tauchten rechts und links der kleinen Schar Makennas die an der Furt zurückgebliebenen Ritter auf. Sie kämpften zu Fuß, mit Schild und Schwert, und deckten dabei jene, welche ihre tödlichen Bogen einsetzten. Die Spitzen ihrer Pfeile wirkten plump, doch die langen Jahre des Kampfes gegen den Feind hatten die Waffenschmiede des Reiches gelehrt, wie man dem Gegner beikommen konnte. Die scharfe Stahlspitze verbarg sich in einem plumpen Klumpen aus weichem Metall. Dieses verformte sich, wenn es auf den Panzer der Feinde traf. Es haftete daran, und die darin verborgene Stahlspitze durchschlug den Körperschutz und drang in den Leib der Kreatur. Vom Blei befreit, klappte die Spitze auseinander, wurde zu einem dreiflügeligen Rotor, der sich durch die Innereien des Wesens schraubte. Diesen Pfeilen hatten die Gegner nichts entgegenzusetzen und die Bogenschützen der Ritter benutzten sie reichlich. 

Makenna wandte seine Reitechse abermals, welche an der Flanke blutete. Zusammen mit den ausgepumpten Männern seiner kleinen Schar ritt er hinter die Gefechtslinie der Ritter. Eine dünne Front aus zwei Gliedern, die gerade ausreichte, einen kleinen Teil des Hanges zu besetzen. Ob sie ihn halten konnten, war eine andere Frage. 

Lucas wischte sich Schweiß und Blut von der Stirn und stützte sich auf das Sattelhorn. Auch wenn er seinem Reitreptil gerne etwas Erholung gegönnt hätte, er blieb wie sein Hauptmann im Sattel, um einen besseren Überblick zu haben.

„Jede Menge Bestien und nur wenige Bogenschützen, mein Freund“, murmelte er Makenna zu. „Und die Pfeile werden nicht ewig reichen.“

Die Bogenschützen unter den Rittern hatten zwar Reserveköcher mit zusätzlichen Pfeilen, doch es gab einfach zu viele Ziele. 

„Ebenso, wie Kalwarts Kräfte begrenzt sind“, stimmte der Hauptmann zu. „Nur zu bald werden wir mit kaltem Stahl kämpfen müssen.“

„Dann werden wir sterben“, meinte Ritter Rufus pragmatisch. „Es wird ein ruhmreicher Tod, der in die Geschichte des Reiches eingehen wird.“

Geording hielt sein geliebtes Signalhorn in der Armbeuge. „Ein ruhmreiches Leben wäre mir lieber.“

Makenna nahm sich die Zeit, sich gründlich umzusehen.


Eigentlich bot der Hügel von Eandar gute Voraussetzungen für eine Verteidigungsstellung. Seine Hänge waren im Durchschnitt zwanzig Meter hoch und stiegen relativ steil an. Das hemmte den Ansturm der Gegner. Die Deckung war allerdings äußerst bescheiden, da sich die Front der Ritter zwischen dem Hang und den Ruinen Eandars formiert hatte. 

„Entweder gehen uns die Pfeile aus oder die Bestien beginnen uns zu umfassen. Dann vernichten sie uns von den Flanken aus“, murmelte Makenna.

„Ich frage mich, warum sie das nicht längst tun.“

Makenna schrak aus seinen Gedanken, als er die Stimme seines Freundes Lucas hörte. Er sah den Unterführer ernst an. „Es ist der blanke Hass auf uns. Deshalb stürmen sie blindlings auf uns zu, statt ihre eigene Front auseinanderzuziehen.“


Über dem Getümmel des Kampfes erhob sich ein ungewöhnliches Geräusch. Es klang, als zersplitterten dünne Äste unter den gepanzerten Stiefeln eines Ritters. In gewisser Hinsicht war es so. Sekundärmagier Kalwart setzte seinen Zauber ein. Heiße Sonnenblitze entstanden in den Leibern der Feinde, verkochten die Innereien und ließen die Panzer platzen. Zu Dutzenden vergingen die Gegner und doch verschaffte dies den Rittern kaum Luft.

Makennas Reitechse bäumte sich auf, und wenn der Hauptmann nicht so ein hervorragender Echsenreiter gewesen wäre, so hätte ihn die plötzliche Bewegung aus dem Sattel geschleudert. Er zog an den Zügeldornen und brachte das Reptil wieder unter Kontrolle.

„Die Echsen werden unruhig!“, schrie einer der Männer. „Sie sind kaum noch zu bändigen.“

„Die Nähe der Bestien kann es nicht sein“, meinte ein anderer. „Die Echsen sind trainiert und deren Gegenwart gewohnt.“

Sekundärmagier Kalwart hastete heran. Sein Gesicht war bleich und er wirkte erschöpft. Die Anwendung des Zaubers hatte ihn bis auf das Äußerste beansprucht. „Spürt Ihr es?“, keuchte er. „Der Boden vibriert. Es muss der Zeitenwechsel sein! Der Zeitenwechsel!“

„Der Zeitenwechsel?“ Makenna erblasste ein wenig, obwohl er wusste, dass dieses Ereignis früher oder später eintreffen musste. „Jetzt?“

„Gerade rechtzeitig“, ächzte Kalwart. „Mögen die Zeiten die Bestien verschlingen.“

Die Feinde spürten es sicherlich ebenso wie Kalwart und die Ritter. Überall im Talgrund vibrierte der Boden. In dem hart gebrannten Grund taten sich kleine Spalten auf und mit Urgewalten brachen Wasserfontänen hervor. Gegner wurden erfasst und in die Luft gewirbelt und die riesige Horde zögerte für einen Moment. Ein Teil wandte sich instinktiv zur sinnlosen Flucht nach Norden, der andere begriff, dass die einzige Rettung vor den Fluten darin lag, den Hügel von Eandar zu erstürmen. 

„Durchhalten, ihr Ritter des Reiches“, brüllte Makenna erregt. „Haltet die Bestien vom Hügel fern. Sie dürfen nicht heraufgelangen.“


Die Angreifer wussten, dass der Verbleib im Tal ihren Untergang bedeuten würde. Verzweifelt rannten sie gegen Eandar an und drohten den Hügel mit der schieren Masse ihrer Zahl zu nehmen. Erbarmungslos hackten Kämpfer aufeinander ein, während immer wieder Pfeile zischten und der erschöpfte Kalwart versuchte, seinen Zauber wenigstens an den kritischsten Stellen einzusetzen.

Das Tal füllte sich unglaublich rasch mit Wasser. Die Hälfte des Jahres war es überflutet und Eandar wurde zu einer isolierten Insel. Jeder im Reich und selbst die Bestien wussten es. Aber der genaue Zeitpunkt ließ sich nie genau vorausbestimmen. Das Wasser brauchte einen bestimmten Druck, um seine unterirdischen Kavernen zu verlassen und dieser hing von verschiedenen Faktoren ab. Doch nun war der Zeitpunkt gekommen und die Horde der Feinde konnte dem Zeitenwechsel nicht entkommen.


Als es vorbei war, sanken die erschöpften Menschen dort zu Boden, wo sie soeben noch gekämpft hatten. Nun, da der Rausch des Kampfes von ihnen abfiel, war kaum einer in der Lage, seine Waffe länger zu halten.

Kalwart lag schwer atmend auf dem Rücken und neben ihm saß Lucas und klopfte dem Sekundärmagier immer wieder anerkennend auf den Arm. Makenna stolperte zu ihnen, sank auf die Knie, dankbar, noch am Leben zu sein.

„Wir haben es geschafft“, ächzte Unterführer Lucas. „Unser Banner weht noch.“

„Ja, wir haben es geschafft“, bestätigte Makenna. Er sah sich um. Die toten Leiber der Bestien bedeckten den Hang. Zwischen ihnen lag mancher gute Ritter, der sich nie wieder erheben würde. Vom weitaus größten Teil der Horde war nichts mehr zu sehen. Die Leiber der Bestien waren zu schwer, um ihnen das Schwimmen zu erlauben. In einem halben Jahr, wenn der Zeitenwechsel erneut eintrat und sich das Wasser zurückzog, würde man die leeren Panzer der Kreaturen auf dem Talgrund finden.

Makenna deutete müde auf die Ruinen von Eandar. „Gut, dass die Häuser aus Holz sind, Lucas, mein Freund.“

„Warum?“

Kalwart blinzelte den Unterführer an und ein wenig Spott blitzte schon wieder in seinen Augen. „Weil wir Boote brauchen werden, guter Herr Ritter. Obschon Euch ein halbes Jahr des Hungers gut anstünde.“

„Ich bin nicht dick“, knurrte Lucas. „Das sind alles nur Muskeln.“

„Na schön, mein Freund“, lachte Makenna auf. „Dann werden wir diese Muskeln bald einsetzen. Kalwart hat recht. Wir können nicht bis zum nächsten Zeitenwechsel warten, um diesen Platz zu verlassen.“ Er sah erneut auf die still gewordene Oberfläche des riesigen Sees. „Immerhin, dieser Zeitenwechsel, von der Trocken- zur Nasszeit, brachte uns den Sieg.“

ENDE



Wir danken Michael H. Schenk für die freundliche Genehmigung die Kurzgeschichte hier veröffentlichen zu dürfen.

Wer mehr über Michael H. Schenk und seine Bücher erfahren möchte kann sich hier (http://www.michael-h-schenk.de) und da (https://www.sky-navy.de) informieren.