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Freitag, 17. Oktober 2025

STORY: Kämpfer für die Wahrheit (Foley)


Kämpfer für die Wahrheit

Elisabeth Grace Foley

(Orig. „Valiant-For-Truth“, 2024; Übers.: Reinhard Windeler)


Kaum war mit „Die Erbin und der Pferdehandel“ die deutsche Übersetzung von „The Heiress and the Horse-Trade“ im AKWA Journal erschienen, da gewann Elisabeth Grace Foley auch schon den Peacemaker Award 2025 für ihre Short Story „Valiant-For-Truth“. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen müssen wir allerdings bedauerlicherweise verneinen.

Der Band mit der ausgezeichneten Story in den
Händen der stolzen Preisträgerin

Erfreulicherweise jedoch können wir die preisgekrönte Kurzgeschichte, die im Original in der von Richard Prosch herausgegebenen Anthologie „Through Western Storms“ veröffentlicht wurde, hier zeitnah auf Deutsch präsentieren.

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Ich erinnere mich, wie er aus dem Sonnenuntergang über die Prärie kam, sodass, als ich das Schnauben des Pferdes und das Klirren der Gebissstangen hörte und aufblickte, das goldene Feuer der Sonnenstrahlen sich hinter der dunklen Gestalt von Pferd und Reiter spaltete und ich nur deren Silhouette sehen konnte. Das Pferd war groß, dunkelbraun, hatte einen schweren Kopf und keine Markierungen außer einem schmutzig-weißen Fleck auf seinem Maul. Als der Reiter vor unserer Tür die Zügel anzog, stand ich in meinen geknöpften Stiefeln neben meinem Vater. Ich war sieben Jahre alt, meine dünnen Zöpfe hingen mir über die Schultern, und ich reichte dem Pferd kaum bis zu den Nüstern. Ich erinnere mich an einen Moment, in dem diese aufgeblähten Nüstern neugierig meinem Gesicht ganz nahe kamen, die Sonne vom Kopf des Reiters verdeckt war, und an seine Stimme, als er mit meinem Vater sprach. Etwas in seinem Tonfall oder in dem, was gesagt wurde, machte mich still und auf eine Weise misstrauisch wie sonst nie bei anderen Fremden, die vorbeikamen.

Ich beobachtete ihn, als er absaß. Sein Gesicht kam mir auf eine Art bekannt vor, die mich beunruhigte. Ich hatte ihn in meinem Leben schon einmal gesehen, aber ich glaube nicht, dass ich mich daran erinnerte — es war eher die beunruhigende Ähnlichkeit hinter den Bartstoppeln, hinter dem Schmutz und dem flüchtigen Lächeln auf seinem Gesicht, die Ähnlichkeit mit dem Gesicht eines anderen Mannes, der Bestandteil des sicheren Mittelpunkts meiner Welt war. Er war der Bruder meines Vaters.

In diesen ersten Augenblicken seines Besuchs sagten meine Eltern sehr wenig. Er bediente sich selbst ihrer Gastfreundschaft — er versorgte sein Pferd mit unserem Hafer, ging ins Haus und setzte sich an unseren Tisch, als wäre er kein Gast, sondern als hätte er ein Recht darauf. Er schenkte mir nicht viel Beachtung, und das machte mir nichts aus. Ich half meiner Mutter, den Tisch zu decken, wie ich es jeden Abend tat, und legte die Servietten sowie die Gabeln und Messer an jeden Platz. Auch sie war schweigsam, ganz anders als sonst — ich spürte es an ihrer steifen Körperhaltung, daran, wie ihre Augen ihren Schwager beobachteten, als er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und mit einem Stiefel über dem Knie sich eine Zigarette anzündete.

Ich stand neben ihr am Herd, als mein Vater für einen kurzen Moment zu ihr kam, und ich hörte, wie sie leise mit ihm sprach.

„Ich hab’ gewusst, dass er kommen würde“, sagte sie.

Rückblickend staune ich heute darüber, wie jung meine Eltern damals waren. Für ein kleines Mädchen waren sie einfach Erwachsene, Wesen, die alles konnten und Sicherheit vermittelten, weit über allem, was ich mir vorstellen konnte, eines Tages selbst zu sein. Aber mein Vater war erst einundzwanzig gewesen, als ich geboren wurde, meine Mutter ein Jahr jünger — sie waren beide noch keine dreißig Jahre alt, hatten aber dennoch fast ein Jahrzehnt hinter sich, in dem sie dem Land ein Auskommen abgerungen hatten. Sie hatten schon so viel im Leben gemeinsam durchgestanden, aber ihr schwerster Kampf stand ihnen noch bevor — und rückte näher, während die Sonnenstrahlen einer nach dem anderen hinter den Hügeln verschwanden.

* * *

Die Wurzeln dieses Abends reichten in die Zeit vor meiner Geburt zurück. Jahre später wurde mir dieser Teil der Geschichte erzählt, und ich konnte damit den Kreis zu dem schließen, was ich als siebenjähriges Kind erlebt hatte, und es verstehen.

Es begann zu der Zeit, als der alte Adam Mountford und seine beiden Söhne Anfang der achtziger Jahre auf anerkanntem Heimstättenland ihre Herde aufbauten. Adams Söhne waren so verschieden wie zwei Brüder nur sein können, aber solange ihr Vater lebte und seine dominante Persönlichkeit ihre Angelegenheiten beherrschte, war die Kluft nicht so offensichtlich. Dane Mountford war mit seinen sechsundzwanzig Jahren rastlos und nicht besonders arbeitsfreudig, hatte eine Vorliebe für Whiskey und einige fragwürdige Freunde. Zu Adam Mountfords Lebzeiten gab es einige Vorfälle, bei denen Dane wegen seiner Gewohnheiten von seinem Vater scharf zurechtgewiesen worden war, aber solange der alte Adam lebte und das Sagen hatte, überschritt Dane nie die Grenze. Cleve Mountford hatte jung geheiratet, war ehrgeizig, fleißig und hatte Träume und Ziele, die so weit reichten wie der Himmel über Montana. Er verstand die Vision seines Vaters von ausgedehnten Mountford-Herden auf fruchtbarem Mountford-Land und von einem großen Hauptquartier der Ranch, wo ihre Familie mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten leben würde. Vielleicht lag es daran, dass er die Ziele seines Vaters so sehr teilte, dass er erst erkannte, wie groß der Unterschied zu seinem Bruder war, als es zu spät war.

Adam Mountford verstarb plötzlich, und in den zehn Monaten danach schien Dane etwas ruhiger zu werden, und die Brüder arbeiteten vergleichsweise harmonisch zusammen. In jenem Frühjahr gab es viele neue Kälber, die Rinder waren trotz einem trockenen Sommer in einer guten Verfassung, und wenn der Nachwuchs des nächsten Jahres in die Verladepferche getrieben würde, würden sie auf der sicheren Seite sein und wohlhabend, fast schon reich. Aber jenes Jahr war 1888 — das Jahr, in dem ein Chinook im Januar die oberste Schneeschicht gerade so weit auftaute, dass ein grimmiger Blizzard im Februar sie zu einer tödlichen Eiskruste gefrieren ließ, was Tausenden von Rindern den Tod durch Verhungern oder Erfrieren brachte. Die Brüder kämpften, wie Viehzüchter im ganzen Westen es taten, darum, ihre Rinder daran zu hindern, sich von dem Sturm wegtreiben zu lassen, aber es war ein aussichtsloser Kampf — das Vieh wurde gegen die Zäune getrieben, stapelte sich dort und verendete, es trieb hinunter zu den Flussufern, brach durch die Eiskruste und starb, übereinander getürmt in den Mulden unter den Klippen.

Als im Frühling das Tauwetter einsetzte, waren den Mountfords von dreihundert Tieren weniger als hundert geblieben. Jeder Graben und jede Mulde war voll toter Rinder; sie schleppten die verwesenden Kadaver zu Dutzenden weg, um sie auf riesigen Scheiterhaufen zu verbrennen, die überall auf der Prärie zu sehen waren. Jahre später sah ich oft, wie meine Mutter ihre Hand oder ein Taschentuch gegen ihre Nase drückte, wenn sie den Geruch von brennendem Abfall wahrnahm, und heute weiß ich, wie sehr sie das in jenen Frühling zurückversetzt haben muss, als sie als junge Ehefrau den Gestank erlebte, mit dem ihre Träume verbrannten, auf diesen übelriechenden Scheiterhaufen verbrannten.

Sie schufteten wochenlang wie in einem Albtraum, verbrannten Kadaver und suchten nach den Rindern, die halbverhungert überlebt hatten, und dann, als das ganze Ausmaß der Katastrophe deutlich wurde, warf Dane Mountford hin. Cleve spürte ihn an jenem Abend im nächstgelegenen Saloon auf, wo er gerade eine Flasche Whiskey zur Hälfte geleert hatte. Er war einundzwanzig Jahre alt, erschöpft und müde und kämpfte gegen die Verzweiflung an, fast alles verloren zu haben, was sie besaßen, und zum ersten Mal war es seine Aufgabe zu versuchen, seinen Bruder wieder in die Spur zu bringen. Aber diesmal hatte Dane endgültig die Nase voll. Alles verkaufen — ihre Verluste begrenzen, sagte er; so viel wie möglich für das Land und die übriggebliebenen Rinder kriegen und dann Schluss damit. Aber Cleve wollte davon nichts hören. Er hatte nicht vor aufzugeben, nicht jetzt und zu keiner Zeit. Sie stritten sich — es kam zu einer handfesten Auseinandersetzung und endete damit, dass Dane in halbtrunkener Wut zu Feder und Papier griff und einen Vertrag hinkritzelte, mit dem er seinen Anteil an Land und Vieh für einen Betrag von fünfzig Dollar (das gesamte Bargeld, das sie besaßen) auf seinen Bruder übertrug.

„Ein besseres Angebot kriegst du nicht von mir“, sagte er, und Cleve, bleich und krank vor Enttäuschung und Wut, riss es ihm ohne ein weiteres Wort aus der Hand.

Dane ritt voraus zur Hütte seines Bruders, holte das Geld, erzählte seiner Schwägerin in unbarmherziger Kürze, was er getan hatte, dann verschwand er in die Nacht und aus ihrem Leben. Und als Cleve Mountford alleine nach Hause kam, betrat er müde und mit schleppenden Schritten die dunkle Hütte, wo seine Frau neben dem schlafenden Baby saß und auf ihn wartete, und ohne ein Wort zu sagen, kniete er sich neben das Bett, legte seine Arme um sie und vergrub sein Gesicht an ihrer Brust, und sie schlang ihre Arme um ihn und hielt ihn lange fest.

Das kann nicht meine Erinnerung sein, denn ich lag damals in meiner Wiege. Es muss meine Vorstellungskraft sein, die diese Szene mit Einzelheiten ausfüllt. Denn meine Mutter hat mir nie so genau davon erzählt. Aber vielleicht ist es eine Erinnerung, die in die Vergangenheit übertragen wurde, denn ich weiß, dass es solche Szenen des gegenseitigen Tröstens zu Zeiten, als ich alt genug war, um mich daran zu erinnern, immer wieder gab.

* * *

Mir war nie bewusst, dass wir arm waren. Ich hatte genug zu essen, und ich wurde geliebt. An das Lachen meines Vaters, daran, wie er mich mit Schwung vor sich auf sein Pferd hob, wenn ich ihm aus dem Haus entgegenlief, wie er sich einen Spaß daraus machte, die Bänder der Schürze meiner Mutter zu lösen, und Küsse von ihr erhaschte, erinnere ich mich mindestens so gut, wie ich mich an die Falten in seinem Gesicht und seine müde hängenden Schultern erinnere, wenn das Wetter schlecht war und die Zeiten hart waren. Er hatte seine eigene Viehherde — hütete die Rinder, reparierte Zäune, behandelte Tiere, brandmarkte sie im Frühjahr und fütterte sie im Winter, und nur gelegentlich konnte er es sich leisten, eine Hilfskraft einzustellen. Anstelle des Viehzuchtimperiums, von dem er und sein Vater geträumt hatten, kamen wir gerade so über die Runden. Unser Zuhause war die solide Ein-Raum-Blockhütte, die Adam Mountford auf seiner ursprünglichen Heimstättenparzelle errichtet hatte. Dorthin waren wir wieder gezogen, nachdem mein Vater die Bestätigung für das angrenzende Grundstück erhalten hatte, für das er zum Zeitpunkt seiner Heirat seinen Anspruch angemeldet hatte — die Hütten auf den Parzellen beider Brüder standen jetzt leer und wurden gelegentlich im Winter als Patrouilliererhütten benutzt. Mama hatte Hühner, einen Gemüsegarten und eine Milchkuh. Jedes Jahr verkauften wir ein paar Ochsen, und auf diese Weise verdienten wir unseren kargen Lebensunterhalt.

Ich liebte die Prärie, weil sie alles war, was ich kannte. Ich liebte meine Eltern, weil sie mich liebten und sie einander liebten. Als Kind hätte ich das niemandem sagen können, genauso wenig wie ich hätte erklären können, warum die Schönheit eines glühenden Sonnenuntergangs über der Prärie oder der Wind, der durch das hohe Gras strich, mein Herz höher schlagen ließen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand Mama nicht lieben könnte. Da wir so weit entfernt von den nächsten Nachbarn lebten, waren wir Tag für Tag die einzige Gesellschaft füreinander. Ich lief ihr zwischen den Gartenbeeten hinterher und half, Bohnen zu pflücken und Unkraut zu jäten — im Haus legte ich die Wäsche zusammen, machte Handreichungen und lernte, kleine Hausarbeiten zu verrichten. Sie hatte immer zu tun, aber sie fand Zeit, mir Lieder und Reime beizubringen, nähte winzige Kleider für meine beiden Stoffpuppen, und sie lehrte mich Lesen und Schreiben. Als sie noch die hübsche Dolly Glover gewesen war, das Mädchen mit der elegantesten Handschrift, der süßesten Gesangsstimme, den anmutigsten Tanzschritten und den meisten Verehrern in ihrer kleinen Stadt im Westen, und all das hinter sich gelassen hatte, um Cleve Mountford zu der winzigen Hütte zu folgen, von der sie überzeugt waren, dass sie eines Tages ein großes Ranchhaus sein würde… wenn sie damals gewusst hätte, dass sie acht Jahre später immer noch in einer Ein-Raum-Hütte leben, sich mühsam über Wasser halten und ihrer Tochter das Schreiben beibringen würde, hätte sie dann dieselbe Entscheidung getroffen?

So wie ich die beiden kenne, glaube ich, dass sie sich trotzdem für ihn entschieden hätte.

Über den älteren Bruder meines Vaters wurde nie gesprochen, zumindest nicht, wenn ich in Hörweite war. Heute weiß ich, dass sie manchmal Berichte über ihn zu hören bekamen. Er wurde verdächtigt, zeitweise einer Bande anzugehören, die mit wechselndem Erfolg Postkutschen und Expressbüros im ganzen Land ausraubte, aber er wurde nie zweifelsfrei identifiziert. Dann hörten sie lange Zeit nichts mehr von ihm, und sie nahmen an, er wäre nach Kalifornien gegangen. Aber eines Tages, als ich fünf Jahre alt war, tauchte er wieder auf der Mountford-Heimstätte auf, blieb zwei Tage und ging dann wieder. Meine Mutter hätte ihn eigenhändig hinausgeworfen, wenn es in ihrer Macht gestanden hätte — ich glaube, sie hat ihn seit jener Nacht, als er sich mit den fünfzig Dollar davongemacht hatte, mit dem überzeugten Abscheu gehasst, den nur eine durch und durch rechtschaffene Frau empfinden kann. Aber Dane sicherte sich dadurch ab, dass er mit der Andeutung drohte, dass Cleve dafür verhaftet werden könnte, dass er ihm Unterschlupf gewährt hatte, falls jemand herausfände, dass er dort gewesen war. Da er an uns denken musste, konnte sich mein Vater nicht dazu durchringen, sich gegen ihn zu stellen — falls sein Bruder wegen einer Sache, für die ihm der Strick drohte, gesucht wurde, hätte dies ernsthafte Konsequenzen für ihn haben können. Doch nachdem Dane gegangen war, war mein Vater lange Zeit wütend auf sich selbst, weil er sich auf diese Weise hatte ausnutzen lassen.

Die Erinnerung an den Vorfall verblasste, und das Leben ging weiter. Die Prärie rund um unsere Hütte wurde im Frühling grün und in Zeiten der Dürre braun. Meine jungen Eltern arbeiteten jeden Tag hart; das Wetter machte ihnen zu schaffen, und manchmal war es ihnen auch gnädig; sie hatten Kummer und Vergnügen. Sie hatten ein Kind bei der Geburt verloren, als ich noch ganz klein war, und selbst ich kann mir kaum vorstellen, wie groß ihre Trauer gewesen sein muss — und dann, als ich fast sieben war, wurde mein kleiner Bruder geboren, gesund, und mit großer Freude willkommen geheißen. Unsere kleine Rinderherde hatte sich langsam vergrößert — wir hatten ein gutes Leben, aber eines, das immer abhängig war von harter Arbeit und der Barmherzigkeit Gottes, um unsere Ernten und unser Vieh zu bewahren.

Und dann eines Tages veränderte sich die Welt. Tausende von Meilen entfernt wurde Gold gefunden, ein paar Linien, die von einer Eisenbahngesellschaft hastig auf einer Karte neu eingezeichnet wurden, und ein Abschnitt des Mountford-Landes war plötzlich so wertvoll, als wäre das Gold unter seiner Grasnarbe entdeckt worden. Es war wie ein Traum. Die Gespenster der Schulden und Hypotheken verflüchtigten sich, alle möglichen einfachen Wünsche und Ziele waren plötzlich in Reichweite. Endlich würde die andauernde Schufterei belohnt werden.

Keine zwei Wochen waren vergangen, nachdem sich die Vermesser der Eisenbahn zum ersten Mal in der Nachbarschaft hatten blicken lassen, als er kam.

* * *

Das Abendessen war zu Ende — eine seltsame, lautlose Mahlzeit, bei der die unausgesprochene Spannung dem Bruder meines Vaters in gewisser Weise Vergnügen zu bereiten schien. Mama schickte mich, um die Wiege des Babys zu schaukeln, falls es anfing zu quengeln, während sie das Geschirr abräumte, um es für ein paar Minuten bei Laune zu halten, bis sie zu ihm gehen konnte. Die beiden Männer blieben am Tisch sitzen und sahen sich an. Ich hatte den Vorhang aus Kattun, der ein Ende der Hütte zu einem Schlafzimmer machte, ein paar Zoll zur Seite gezogen, und von meinem Platz neben der Wiege aus konnte ich sie sehen und jedes Wort hören, das sie sagten.

Mein Vater sprach zuerst. „Also, was führt dich diesmal zu uns?“

In Dane Mountfords Stimme lag dieselbe Art von betonter, verspielter Belustigung, die er seit seiner Ankunft an den Tag gelegt hatte. „Was wohl? Was glaubst du, was mich hierher führt?“

„Ich kann mir ein paar Gründe vorstellen. Keiner davon würde mich wirklich überraschen.“

Ich hörte die Schritte meiner Mutter, die leise zwischen Herd und Tisch hin und her ging, und ich wusste, dass sie ebenfalls zuhörte.

„Ach, na ja“, sagte Dane, „jetzt, wo ich wohlhabend geworden bin, dachte ich, ich sollte meine kleine Schuld zurückzahlen.“ Er holte einen kleinen Beutel aus seiner Westentasche und schüttete die Münzen in einem Haufen auf den Tisch — fünf glänzende Zehn-Dollar-Goldstücke.

Mein Vater rührte sich kein bisschen — sah die Münzen nur an. Dann blickte er zu seinem Bruder.

„Vielleicht aus dem Expressbüro in Kerrville?“ sagte er. „Oder vom Überfall auf den Zug in Deaconsburg? Ich habe gehört, dass dabei zwei Männer erschossen wurden … der im Postwaggon und der Bremser.“

Dane tat so, als hätte er es nicht gehört. Er saß einfach da und wartete.

Mein Vater saß eine Minute lang da und betrachtete schweigend das Geld. Als er wieder sprach, war es so leise, dass ich die Worte kaum verstehen konnte. „Du scheinst mich für einen ausgemachten Schwachkopf zu halten.“ Langsam hob er seinen Blick. „Vielleicht war ich das einmal — aber jetzt nicht mehr. Jetzt nicht mehr.“

Er sah seinem Bruder direkt in die Augen. „Du hast mich mit einer Frau und einem Baby und zweihundert toten Rindern allein gelassen … Du hast mich ausgenutzt und mein Zuhause als dein Versteck benutzt, weil du gewusst hast, dass ich es nicht wagen würde, dich rauszuschmeißen… und jetzt willst du, dass ich das mit dir teilen soll, was ich in Aussicht habe, nachdem ich sieben lange Jahre lang dieses Land allein bearbeitet habe, nachdem ich dafür geschwitzt und den Rücken krumm gemacht habe? Du willst, dass ich meinen Kindern die Hälfte von dem wegnehmen soll, was ihnen rechtmäßig zusteht — für dich?“

In seiner Stimme war eine Wut, die ich nie zuvor gehört hatte. Das brachte mich so durcheinander, dass ich hinter dem Kattunvorhang hervorkam und zu meiner Mutter ging, die ihre Arbeit unterbrochen hatte und die beiden beobachtete.

Dane sagte: „Mit deinem Schweiß hast du nicht einen Penny von dem verdient, was du von der Eisenbahn kriegen wirst. Es ist reines Glück, sonst nichts.“

„Ich war klug genug, das Land zu behalten — als du dich davongemacht hast.“

Mama atmete hörbar ein. Mein Blick war auf meinen Onkel gerichtet, und obwohl sich außer dem leichten Anflug eines Lächelns kein Muskel in seinem Gesicht bewegte, verstehe ich heute, wie er den Hass, der sich dahinter verbarg, aus seinen ganz eigenen Gründen unterdrückte.

Dumm genug, es zu behalten“, sagte er. „Du hättest den Rest deines Lebens damit verschwendet, für nichts und wieder nichts zu schwitzen, wenn du nicht so ein Glück gehabt hättest. Reines Glück — reines Glück, alter Junge. Warum solltest du das nicht teilen? Und was deine Kinder angeht — was haben die denn jemals getan, um es zu verdienen, außer dass sie geboren wurden?“

Cleve Mountford sah ihn mit festem Blick an, mit einem seltsamen Ausdruck, mit leicht geweiteten Augen, als würde er zum ersten Mal etwas Böses wirklich begreifen. Er sagte: „Richtig, genauso viel wie das, was du jemals für Pa getan hast.“

Einen Moment lang herrschte Stille. Dann, als wäre nichts geschehen, stand Dane Mountford von seinem Stuhl auf. „Na ja, einen Versuch war es wert“, sagte er.

Meine Mutter zuckte plötzlich zusammen wie ein aufgeschrecktes Reh, und mir wurde klar, dass sich noch ein weiterer Mann im Raum befand. Er stand direkt vor der offenen Tür — er musste sie leise geöffnet haben und hereingekommen sein, als niemand darauf geachtet hatte.

Seltsamerweise sagte niemand etwas. Mein Vater erhob sich und blickte von dem Neuankömmling zu seinem Bruder. Der Mann vor der Tür trat zur Seite, und ein dritter Mann kam herein.

Ich wendete meinen Blick zum Gesicht meiner Mutter, wie es ein Kind tut, wenn es versucht, eine Situation zu verstehen, und ich sah nur völlige Reglosigkeit, wahrscheinlich weil sie sich selbst dazu erzog, um meinetwillen keine Furcht zu zeigen.

Ich schaute zu meinem Vater und sah grimmiges Begreifen und Wut und darunter auch eine Spur von Furcht. Nicht die Furcht eines Feiglings, sondern die verständliche Furcht, die daher rührte, dass er wusste, was ihm bevorstand.

Der dritte Mann sagte: „Alles klar?“

Dane nickte kurz. „Ihr zwei passt auf ihn auf, während ich das suche, weshalb ich hergekommen bin.“

Mein Vater wollte etwas sagen und fing an: „Auf keinen Fall wirst—“

Danes Faust krachte gegen seinen Kiefer und schleuderte ihn zwei Meter zurück gegen die Holzwand. Etwa eine halbe Sekunde lang war er benommen, dann fasste er sich wieder und wäre zum Kampf bereit nach vorne gestürmt, aber Mama sprang zwischen die beiden und hielt ihn zurück. „Cleve — Cleve, nicht. Lass’ sie. Bitte.“

Ich stand neben ihr, klammerte mich wie eine Klette an ihre Röcke und war so verängstigt, dass ich keinen Mucks von mir gab — ich schaute hoch und sah, wie sich ihre Blicke für einige Momente trafen, als würden sie etwas miteinander besprechen, und was auch immer es war, es brachte ihn dazu nachzugeben.

Der Widerstand wich aus seiner Körperhaltung; ihre Finger, die seinen Arm so fest umklammert hatten, lockerten ihren Griff ein wenig.

„Du hast eine vernünftige Frau, Cleve,“ sagte mein Onkel.

Er nickte dem Mann an der Eingangstür zu, damit er uns im Auge behielt, und begann mit seiner Suche. Er durchwühlte die Anrichte, die altmodische Schreibplatte darauf und eine Kiste, die Kurzwaren wie Streichhölzer und Schnüre enthielt. Dabei zuzusehen, wie er grob Schubladen öffnete und mit Dingen umging, die zu unserem Alltag gehörten, schien fast so schockierend wie mitanzusehen, wie er meinen Vater geschlagen hatte. Mein Vater lehnte sich an die Wand neben der Tür und wischte sich mit dem Handrücken über seinen blutverschmierten Mundwinkel; ich konnte seine leicht unregelmäßige Atmung hören. Ich drückte mich an ihn, und er legte tröstend seinen Arm um meine Schultern und hielt mich fest, während wir warteten.

Sie stellten die Hütte auf den Kopf, wobei der zweite Mann half, als er erkannte, dass wir keinen Ärger machen würden — sie durchsuchten die Kommode hinter dem Schlafzimmervorhang und durchwühlten die Dosen und Behälter mit Lebensmitteln auf den Regalen am Herd: alles, was so aussah, als wäre es geeignet, Papiere darin zu verstecken. Als Dane mit leeren Händen zurückkam, hatte er einen bösartigen Blick in seinen Augen, den er nicht länger zu verbergen versuchte.

„Wo ist der Vertrag?“ fragte er.

„Wie kommst du darauf, dass er überhaupt hier ist? Du kannst dir doch denken, dass ich ihn beim Amt vorgelegt habe.“

„Du nicht,“ sagte Dane. „Ich kenne dich. Du würdest diesen Vertrag niemals jemandem zeigen — du schämst dich viel zu sehr für deinen nichtsnutzigen Bruder, oder etwa nicht? Aber er hat immer noch Gültigkeit, wenn ihn jetzt jemand zu Gesicht bekommen würde, und ich will ihn wiederhaben.“

„Du hast danach gesucht. Mehr wirst du von mir nicht kriegen.“

„Vielleicht änderst du deine Meinung noch“, sagte sein Bruder.

Es gab wieder einen dieser Momente, in denen ich spürte, wie über meinem Kopf ein lautloser Gedankenaustausch zwischen den Erwachsenen im Raum stattfand. Ich bemerkte, dass alle drei Männer näher auf uns zu gerückt waren. Mein Vater sagte schlicht und bestimmt: „Dolly, nimm Mary und bring’ sie ins Bett, ja?“

„Ich gehe nirgendwo hin,“ sagte meine Mutter mit erstaunlich klarer Stimme. Mein Vater hatte mich zu ihr geschoben, und ihre Hände lagen fest auf meinen Schultern, aber sie selbst rührte sich nicht einen Zoll. „Mary, geh’ zu deinem Bruder und bleib’ da. Und zieh’ den Vorhang zu.“

Ich sträubte mich, als sie mich sanft zum Schlafzimmerende der Hütte bugsierte, und krallte mich in plötzlicher Panik mit beiden Händen an ihren Röcken und ihrer Schürze fest. „Mama, nein! Ich will bei dir bleiben — Mama — Mama!“

Sie sah ihrem Schwager direkt in die Augen. „Wagst du es? Vor meinen Augen?“

Er sah sie an und lächelte ein wenig, dann drehte er sich um und schlug seinem Bruder mit der Faust ins Gesicht.

Meine Mutter stieß einen kurzen, erstickten Schrei aus, aber einer von Danes Kumpanen versperrte ihr den Weg, packte ihren Arm und hinderte sie daran dazwischenzugehen. Sie zog mich fest an sich, mein Gesicht war von dem abgewandt, was im Raum geschah, und ihre Hand hielt mir das Ohr zu. Trotzdem konnte ich immer noch hören, wie Fäuste auf weiches Fleisch klatschten. Meine Arme umschlangen fest ihre Taille, und ich spürte, wie sie bei jedem Schlag zusammenzuckte, als würde sie sich an einem heißen Bügeleisen verbrennen.

Ich weiß nicht, wie lange es dauerte; wahrscheinlich nur eine oder zwei Minuten. Dann plötzlich Stille, und Dane Mountfords Stimme sagte: „Das reicht fürs Erste“, und Mama ließ mich sofort los, als der dritte Mann ihren Arm freigab. Dane Mountford und sein anderer Kumpan standen über meinem Vater, der zusammengekrümmt auf der Seite lag und unter Schmerzen nach Luft rang; ein paar helle Tropfen Blut waren auf den Bodendielen neben ihm zu sehen. Der zweite Mann stieg über ihn hinweg und ging zur Seite, und dann kniete meine Mutter neben ihm, legte seinen Kopf auf ihren Arm und benutzte ihre Schürze, um das Blut zu stillen, das aus seiner Nase lief. Mit ihrer Hilfe zog er sich langsam hoch, zuerst auf einen Ellbogen, und dann streckte er eine Hand aus, um sich an der Sitzfläche eines Stuhls weiter hochzuziehen und sich daran festzuhalten.

„Denk’ eine Minute drüber nach“, sagte sein Bruder, „und dann reden wir weiter.“

Eine Minute lang herrschte eine Ruhe, die nach dem kurzen Ausbruch von Gewalt fast ohrenbetäubend war. Dane Mountford setzte sich hin; die anderen beiden zogen sich ans andere Ende des Raumes zurück und zündeten sich Zigaretten an. Ich hatte nur Augen für meine Eltern. Es war seltsam für mich, von oben auf sie zu blicken, weil sie ja auf dem Fußboden hockten. Ich sah, dass sie sich wieder in die Augen schauten — sie brauchte ihn nicht laut ansprechen: die Fragen, die flehentlichen Bitten, sie waren alle da.

„Nein“, flüsterte er mit heiserer Stimme. „Nein, Dolly. Diesmal nicht.“

Ich glaube, sie wusste es schon. Wusste, dass er nicht nachgeben konnte, dass er es nicht tun würde. Mehr noch, sie verstand es, obwohl es eine Qual war, ihn leiden zu sehen.

In ihren Herzen stimmten sie immer überein, diese beiden — abgesehen davon, dass er einmal das Böse unterschätzt hatte, sie das aber nie getan hatte.

* * *

Er tastete nach ihrer Hand und hielt sie einen kurzen Moment lang fest. „Bring’ Mary jetzt ins Bett“, sagte er, „und bleib’ bei ihr, Dolly, bitte.“

Sofort warf ich mich auf die beiden und klammerte mich wieder ängstlich an Mamas Arm. So alptraumhaft das alles auch war, konnte ich doch den Gedanken nicht ertragen, von ihnen getrennt zu sein, allein im Dunkeln zugedeckt in meinem ausziehbaren Bett hinter dem Kattunvorhang, und zu wissen, dass schreckliche Dinge geschahen, aber nichts sehen zu können. „Mama, bitte schick’ mich nicht ins Bett. Ich möchte bei dir bleiben. Bitte, Mama, lass’ mich bleiben.“

Meine Mutter erhob sich, klein und schlank, aber kerzengerade, und in ihren Augen lag ein seltsames Leuchten.

„Na gut, Mary“, sagte sie und nahm meine Hand, „du darfst noch etwas länger aufbleiben, aber du musst brav sein und genau das tun, was ich dir sage. Komm’ hier ’rüber, dann kannst du dich still hinsetzen und ein bisschen in deinem Schönschreibheft üben.“

Sie setzte mich auf einen Stuhl an der Seite des Tisches, wo ich am Weitesten von den Männern im Raum entfernt war, und brachte mir einen Stapel Bücher sowie mein Schönschreibheft und eine Feder aus der durchwühlten Anrichte. Sie schlug einen schweren, in Leder gebundenen Band wahllos auf und ließ mich mit dem Abschreiben einer Seite anfangen. Diese Anweisung mochte seltsam erscheinen, aber vielleicht war sie klug, denn nach einer oder zwei Zeilen hörte meine Hand auf zu zittern, und das Bemühen, meine Schreibfeder richtig zu halten und die Buchstaben so zu Papier zu bringen, wie es mir beigebracht worden war, vermittelte mir irgendwie ein Gefühl von Normalität und Geborgenheit.

Das Baby hatte angefangen zu quengeln, und Mama ging zu ihm; sie zog den Vorhang für eine Weile hinter sich zu, während mein Vater sich langsam vom Fußboden erhob, sich auf einen Stuhl zog und sich schwer auf den Tisch stützte. Die Männer am anderen Ende des Raumes rauchten und unterhielten sich ungerührt in leisem Ton. Ich traute mich nicht, meinen Onkel auch nur anzusehen, aber mir war seine Anwesenheit durch den Geruch seiner Zigarette und das gelegentliche leichte Knarren seines Stuhls bewusst, wenn er seinen Arm bewegte, um daran die Asche abzuklopfen.

Ich hielt meine Feder und versuchte, mich auf die altmodischen Wörter zu konzentrieren, während ich sie peinlich genau aus dem Buch abschrieb.
An der Stelle, wo Kleinglaube vormals ausgeplündert worden war, trafen sie einen Mann mit einem bloßen Schwert, und sein Angesicht war mit Blut bespritzt. „Wer bist du?“ fragte ihn Mutherz. Er antwortete: „Ich bin ein Pilger; mein Name ist Kämpfer-für-die-Wahrheit.“
Ich hörte die Stimme meines Onkels. „Weißt du, alter Junge, wir haben die ganze Nacht Zeit. Einmal kannst du’s vielleicht aushalten, aber wieviele Male noch?“

Keine Antwort.

Seine Stimme wurde erbarmungsloser. „Ich mache keine Scherze, Cleve. Nach dem nächsten Mal wirst du nicht mehr aufstehen können.“

Meine Hand drückte die Feder etwas zu stark, ein Fehler, den ich mir angewöhnt hatte, und ich formte sorgfältig die langen geneigten Schleifen der Buchstaben, wie Mama es mir beigebracht hatte.
Ich sagte ihnen, ich sei mein Leben lang ein ehrlicher Mann gewesen, und sie könnten deshalb nimmermehr erwarten, daß ich mit Dieben gemeinschaftliche Sache mache …
In der ruhigen Müdigkeit der Stimme meines Vaters lagen keine Illusionen mehr. „Diesmal müsstest du mich töten, Dane. Und ich glaube, dass nicht einmal du so weit gehen willst.“

„Ich werde dich nicht töten“, sagte sein Bruder, „aber ich kann dem ziemlich nahe kommen.“
… was mein Leben anbetreffe, tat ich ihnen ferner zu wissen, so sei dasselbe viel zu teuer erkauft, als daß ich es so leicht wegwerfen sollte. Zudem stehe es ihnen keineswegs zu, mich vor eine solche Wahl zu stellen …
Ich hörte das Rascheln des Kattunvorhangs, und Mama kam mit dem Baby im Arm zurück. Sie beugte sich über mich, um in mein Schönschreibheft zu schauen. Ich wusste, dass sie das Gespräch der beiden auch gehört haben musste… Es war seltsam und beruhigend zugleich, dass ihre Stimme so unaufgeregt klang. „Ja, das ist gut“, murmelte sie, „sehr gut, Liebling. Vergiss nicht, die Schleife beim kleinen G schön lang zu machen, und beim Z auch, siehst du?“

Sie hatte den Männern im Raum den Rücken zugekehrt; sie zog ihre Hand aus den Falten der Decke des Babys und legte zwei Blätter Papier auf das aufgeschlagene Buch. Ihre Finger drückten vorsichtig meinen Arm, und sie zeigte auf die Wörter, die auf einem davon mit einem Bleistift geschrieben standen. Ich las in ihrer Handschrift: 
Mary, Liebling — Ich möchte, dass du das, was auf dem anderen Blatt geschrieben steht, auf ein neues Blatt Papier abschreibst. Wenn einer von den Männern hierher kommt, dann blätterst du die Seite des Buches um und schreibst weiter von der nächsten Seite ab. Nicht laut sprechen. Alles wird gut, Liebling. Nur Mut.
Sie setzte sich neben mich und wiegte das Baby sanft in ihren Armen; und ich schlug eine neue Seite in meinem Heft auf und begann zu schreiben.

Einer der Männer schnippte seine Zigarettenkippe in den Herd und sagte ungeduldig: „Komm’ schon, Dane, lass’ uns weitermachen. Es gefällt mir nicht, hier so lange ’rumzustehen.“

Dane war im Begriff sich zu erheben. Aber mein Vater, der ihn grübelnd beobachtet hatte, sah seine Chance, stürzte auf ihn zu und versetzte ihm mit aller Kraft, die er noch hatte, einen einzigen Hieb. Dane fiel rücklings um und schlug mit einem Krachen auf dem Fußboden auf, wobei er an dem Stuhl hängenblieb, der unter ihm zerbrach. Die anderen waren einen Moment lang zu überrascht, um zu reagieren, und Cleve stand da, schwankte und zitterte ein wenig, während seine Hand immer noch zur Faust geballt war. „Das gleicht es zwischen uns ein bisschen aus“, sagte er.

„Mary“, sagte meine Mutter leise und fordernd, und ich sah nicht mehr hin, sondern senkte meinen Kopf wieder über mein Heft. Die beiden Männer machten Anstalten, näher zu kommen. „Wartet“, zischte Dane Mountford und rappelte sich vom Boden auf. „Das ist meine Privatsache.“

Er kam auf die Beine und ging langsam auf seinen Bruder zu. Cleve erwartete ihn und der Abstand zwischen ihnen wurde kleiner. Es wäre ein ausgeglichener Kampf gewesen, wenn Cleve nicht schon eine Tracht Prügel hinter sich gehabt hätte, aber so dauerte es weniger als eine Minute, bis ein Schwinger von ihm ins Leere ging und Dane mit einem krachenden Schlag an sein Kinn durch seine Deckung brach. Er versetzte ihm einen weiteren Hieb unter seinen Rippenbogen, dann noch zwei scharfe Aufwärtshaken, und Cleve lag wieder auf dem Boden. Dane stand breitbeinig da, deutlich weniger stabil aufgrund der Anstrengung und der Wut, und eine dunkelrote Stelle auf einer Seite seines Gesichts entwickelte sich bereits zu einem Bluterguss.

Die anderen beiden gingen zu ihm und stellten sich neben ihn. Einer kam mir dabei so nahe, dass sein Schatten über den Tisch auf mich fiel, und in nervöser Panik blätterte ich die Seite des großen Buches um, um die losen Blätter zu verdecken, und fing an, wahllos Wörter von der anderen Seite des Buches auf der Seite meines Heftes abzuschreiben, wo ich zu Beginn geschrieben hatte.

„Warum stehst du nicht auf?“ fragte Dane Mountford. „Du hast mir nicht geglaubt, oder? Vielleicht bist du jetzt bereit zuzuhören?“

Ich sah nicht, wie er aufstand. Ich hörte die quälend kurzen Geräusche, aber mir fiel vielmehr auf, dass der Schatten des Mannes sich ein wenig wegbewegt hatte, und während alle meinen Vater im Blick hatten, blätterte ich die Seite verstohlen zurück und machte mich wieder daran, das zerknitterte, handgeschriebene Dokument abzuschreiben. Ich weiß nicht, ob die Augen meiner Mutter auf ihrem Ehemann oder auf meiner Schreibfeder ruhten.

Sie ließen ihn fast ganz hochkommen, und dann packte ihn einer von den beiden und drehte ihm einen Arm auf den Rücken. Von da an war es nur noch ein weiteres Einprügeln. Wie in einem seltsamen Traum sah ich meiner eigenen Hand beim Schreiben zu, als gehörte sie jemand anderem, sah, wie die Federspitze beim ü in Stück Vieh die beiden Punkte setzte und die langen Schleifen des f im Wort fünfzig zog. Das Baby hatte angefangen zu weinen, ein jammerndes, verängstigtes Heulen. Ich hörte das dumpfe Geräusch eines weiteren krachenden Schlags, und mein Vater stieß ein vom Schmerz ersticktes Keuchen aus. Beim letzten Abwärtsstrich des abschließenden d zitterte meine Hand fürchterlich, aber irgendwie schaffte ich es, es nicht zu ruinieren. Meine Mutter hatte sich erhoben, beruhigte das Baby mit einem Zittern in ihrer Stimme und beugte sich für einen Augenblick über mich, bevor sie mit ihm hinter dem Kattunvorhang verschwand …

Ein heftiger Schlag war zu hören. Einer der Männer fragte: „Reicht das?“

Dane Mountford antwortete ihm nicht. Er blickte auf seinen Bruder hinab, der mit dem Gesicht nach unten zu seinen Füßen auf dem Boden kauerte. Er fragte: „Reicht das?“

Cleve drehte ein wenig seinen Kopf. Ich weiß nicht, ob sein Bruder sein Gesicht sehen konnte, aber etwas an dieser Bewegung oder die Stille war es, die sagte, dass er immer noch nicht aufgab. Mit einem zerknirschten Fluch beugte sich mein Onkel vor und packte ihn am Kragen seines Hemdes, um ihn hochzureißen.

„Halt!“ Der Ruf kam von meiner Mutter, als hätte er sich aus ihr herausgezwängt. Sie stand vor dem zugezogenen Vorhang, das Licht der Lampe warf schwarz ihren Schatten darauf. „Rühr’ ihn nicht noch einmal an!“

Dane richtete sich auf und sah sich zu ihr um. „Du weißt, wie ihr dem ein Ende machen könnt, Dolly.“

„In Ordnung!“ Mit einem zornigen Schluchzen drehte sie ihnen den Rücken zu, öffnete die obersten Knöpfe ihres Kleides, griff hinein und holte ein gefaltetes Papier aus dem Brustteil zwischen ihrem Kleid und ihrem Korsett hervor. Sie knöpfte ihr Kleid wieder zu, drehte sich um und hielt es ihm mit einer wütenden Geste hin; ihre Augen blitzten, und ihre Hand zitterte. Ein belustigter Ausdruck huschte über sein Gesicht, als er es in die Hand nahm.

„Da war es also“, sagte er. „Du hast es von Anfang an gewusst.“

„Ich wusste, was du wolltest, als ich gesehen hab‘, wie du auf dieses Haus zugeritten bist“, sagte sie bitter.

Er faltete das Papier auseinander, warf einen kurzen Blick darauf, und dann, nach einem weiteren längeren Blick auf meine Mutter, ging er hinüber zum Herd, hob einen der Deckel am Griff an und ließ das Papier in die Flammen fallen. Meine Mutter schloss die Augen und bedeckte ihr Gesicht mit einer Hand.

Dane nickte seinen Kumpanen zu, die daraufhin zur Tür gingen. Er folgte ihnen, nahm seinen Hut vom Ständer und blieb im Türrahmen stehen, um einen Blick zurück zu werfen, als er ihn aufsetzte. „Ich komme wieder — wenn die Eisenbahn da ist.“

Die Tür schloss sich hinter ihm. Im nächsten Augenblick kniete meine Mutter neben ihrem Ehemann, legte ihren Arm um seine Schultern und half ihm, sich langsam auf eine Seite zu drehen. „Mary — lauf’ und hol’ mir den Wasserkrug da vom Regal und ein paar saubere Handtücher.“

Ich rannte los. Als ich zurückkam, saß mein Vater mit dem Rücken an der Wand und lehnte seinen Kopf schwer an ihre Schulter. Sie nahm mir den Krug ab, stellte ihn auf den Boden und tränkte ein Tuch mit dem kühlen Wasser, um sein zerschlagenes und geschwollenes Gesicht damit abzutupfen.

„Es tut mir leid“, murmelte er schwach, „tut mir leid, Dolly. Ich habe dich wieder enttäuscht … euch alle enttäuscht. Er hat mich wieder geschlagen.“

„Nein“, sagte sie. „Du hast ihn ein für alle Mal geschlagen. Wir haben ihn geschlagen. Cleve, Liebling, sieh’ ’mal hier —“

Sie umfasste seine Hand und führte sie an das Brustteil ihres Kleides. Überrascht und ungläubig sah er ihr ins Gesicht.

„Mary hat den Vertrag kopiert“, sagte sie. „Und ich habe beide Blätter in mein Kleid gesteckt. Es war die Kopie, die er verbrannt hat. Den Vertrag hat er nicht einmal angerührt.“

Er legte seinen Kopf wieder an ihre Schulter — selbst für Freude hatte er kaum noch Energie. Ein schwaches ungläubiges Lachen schüttelte ihn wie ein Krampf. Ihr Gesicht war tränenüberströmt, ihre Hände zitterten, als sie die Schnitte und Striemen versorgte, die sie ihm zugefügt hatten, doch in ihr strahlte stolzer Triumph, der ihr Kraft gab, bis sie fertig war.

* * *

Ich habe die verblasste Seite aus meinem Schönschreibheft jetzt hier vor mir. Meine Mutter hat sie ihr ganzes Leben lang in ihrer Schatulle mit Andenken aufbewahrt, zusammen mit Locken von unseren Haaren, gepressten Blumen, alten Briefen, der Brosche, die ihrer Mutter gehört hatte, und der Perlenkette, die mein Vater ihr in dem Jahr nach dem Bau des großen Hauses mit Blick über die Flussbiegung schenkte. Meine kindliche Schrift ist ein wenig ungleichmäßig, aber dennoch eine sehr gute Nachahmung der eleganten Handschrift, die sie mich gelehrt hat; aber weder ihre Mängel noch ihre Qualitäten haben neben der Geschichte, die zwischen den Zeilen steht, eine Bedeutung.
Sie haben mir, wie ihr seht, einige Denkzeichen ihres Mutes hinterlassen; sie haben jedoch auch ein Andenken von mir mitgenommen. … Aber wenig oder viele sind nichts für den, der die Wahrheit auf seiner Seite hat.


© für die deutsche Übersetzung: Reinhard Windeler, 2025



Wir danken der Autorin für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieser Übersetzung.

Der Link zur Homepage der Autorin: https://www.elisabethgracefoley.com/

und der Link zu einer weiteren Website der Autorin: https://secondsentence.substack.com/



Anmerkung des Übersetzers:
Die Passagen, die Mary Mountford aus dem Buch abschreibt, stammen aus dem zweiten Teil des berühmten allegorischen Werks „The Pilgrim’s Progress“ (dt.: Pilgerreise zur seligen Ewigkeit) von John Bunyan aus dem Jahr 1684.