Abrechnung im Blizzard
(Teil 1 von 2)
Ernest Haycox
(Orig. „Blizzard Camp“, 1932; Übers.: Reinhard Windeler)
Nach Owen Wister (1869 – 1938) und Zane Grey (1872 – 1939), die als die Begründer des Westernromans betrachtet werden, gilt Ernest James Haycox Sr. (1899 – 1950) als Wegbereiter des modernen Western. Allerdings waren es weniger seine Romane, die ihm diesen Ruf einbrachten, sondern mehr seine zahlreichen Kurzgeschichten. Ihm gelang der Sprung von den billigen Pulp-Magazinen zu den renommierteren Zeitschriften wie „Collier’s Weekly“ (beginnend im Juni 1931 mit „McQuestion Rides [dt.: Das Geheimnis des Cowboys]“) und „Saturday Evening Post“ (wo 1943 „Bugles in the Afternoon [dt.: Das letzte Gefecht]“ in Fortsetzungen abgedruckt wurde).
Die hier erstmals in deutscher Sprache vorgelegte Geschichte „Blizzard Camp“ wurde in der Ausgabe vom 25. Mai 1932 von „Short Stories“ veröffentlicht, das als ein höherwertiges Pulp-Magazin angesehen wird und zu jener Zeit zwar überwiegend, aber nicht nur Western-Geschichten enthielt. Kein halbes Jahr später wurde sie im November-Heft des „All Star Western & Frontier Magazine“ nachgedruckt. Nach Haycox’ frühem Tod brachte „Short Stories“, das mittlerweile in einem anderen Verlag erschien, sie ein weiteres Mal in der Ausgabe vom Dezember 1951. Aufgrund ihrer Länge ist sie nach den gängigen Maßstäben eigentlich schon eine sogenannte Novelette. Daher präsentiert das AKWA Journal sie als Zweiteiler.
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Am dritten Tag seines Eingesperrtseins in der alten Patrouillierer-Hütte blickte Tom Darrah zum Himmel und beschloss widerstrebend, das Risiko einzugehen und zu versuchen, nach Arrowhead zu gelangen. Der heftige Sturm aus dem Osten hatte irgendwann in der Nacht aufgehört, und die darauf folgende Ruhe war zwar vollständig, aber nicht beständig — nicht die Ruhe nach einem Blizzard, der sich ausgetobt hatte, sondern eher ein düsteres Luftholen, das Schlimmeres ankündigte. In der Luft war nichts zu spüren, was auf den milden Chinook-Wind hingedeutet hätte, der das, was die harschen Stürme anrichteten, auslöschte und wegfegte. Tatsächlich gab es nichts, was einen Wetterumschwung angezeigt hätte. Trockener, fester Schnee lag zwei Fuß hoch entlang des Bergrückens und bedeckte die Zweige der Kiefern. Die Wolkendecke des schiefergrauen Himmels hing nicht einmal hundert Meter über dem Boden. Er wusste, dass er kaum sicheren Halt haben und nur langsam vorankommen würde. Dennoch beschloss Tom Darrah, den Versuch zu wagen. Also sattelte er sein Pferd, band sein Ölzeug hinten an den Sattelriemen und brach auf. Nachdem er drei niedrigere Bergkämme überquert hatte, gelangte er in die Ebene des Arrowhead und hatte die Hütte etwa fünf Meilen hinter sich gelassen, als sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten. Es fing wieder an zu schneien, sachte rieselte der Schnee herunter. Ein starker Windstoß drang in das Vakuum der Stille ein. Innerhalb einer halben Stunde war der Sturm in voller Stärke über ihn hereingebrochen und heulte wie tausend Rudel von Mischlingshunden.
Arrowhead lag im Osten, und dort im Osten erhoben sich die rauschenden, schreienden Elemente, gegen die er nichts ausrichten konnte. Irgendwann konnte sein Pferd, so kräftig und willig es auch war, nur noch in seinen eigenen Spuren rückwärts gehen; und Tom Darrah selbst war machtlos gegen die schneidenden Winde dieses Sturms. Für Mensch und Tier wurde Arrowhead zu einer Unmöglichkeit. Darrah wandte sich nach Norden und versuchte, schräg zum Sturm voranzukommen. In dieser Richtung lag etwa drei Meilen entfernt und unmittelbar an den Hügeln ein verlassenes Bergarbeiterlager, Sumpter Gulch, das ihm den Schutz bot, den er dringend benötigte.
Das hier, sagte er zu sich selbst, halte ich höchstens eine Stunde aus. Hoffentlich ist Sumpter Gulch da, wo ich es vermute.
Er kannte sich aus, denn er hatte sich häufig genug mit Blizzards herumgeschlagen, um zu wissen, wie sehr sie die Wahrscheinlichkeit einer Fehleinschätzung erhöhten. Alle Orientierungspunkte waren verschwunden. Es gab keinen Himmel mehr und keinen Horizont. Es war eine erstickte und überflutete Welt; und es schien tatsächlich keinen freien Raum mehr zu geben. Der Schnee fiel nicht auf die Erde, sondern trieb parallel zu ihr in immer dichter werdender Form, und all das, während der verheerende Wind auf die Flanke des Ponys schlug und es vom richtigen Kurs abbrachte. Große, dichte Wolken wurden von diesem Wind aufgewirbelt und gegen Darrah geschleudert, brachten ihn im Sattel zum Wanken und nahmen ihm die Luft zum Atmen. Das morgendliche Grau wurde düsterer, das Grollen, das Heulen und das krachende Getöse nahmen zu. Hin und wieder versuchte Darrah, seinen Kurs zu korrigieren. Bewusst stellte er sich kleine Rechenaufgaben, um über sie nachzudenken, und einfache Fragen. Stürme wie dieser stellten etwas an mit einem Menschen, sie brachten den Verstand durcheinander und betäubten ihn. In gewisser Hinsicht war es wie bei einem Hitzekoller. Gleichzeitig spürte er, wie die Kälte in ihn hineinkroch. Trotz seinem dicken Büffelfellmantel und seiner Mütze mit den Ohrenklappen befiel eine langsame Lähmung seine Gliedmaßen und breitete sich aus. Das Halstuch, das er sich über den Mund geschoben hatte, war praktisch steif. Eiszapfen hingen von seinen Augenbrauen und Wimpern herab. Mit zu drei Vierteln geschlossenen Augenlidern sah er nur einen schmalen Ausschnitt einer Welt, die sich wie ein Rad im Kreis drehte.
Eins — zwei — drei — vier — fünf, sagte er zu sich selbst. Und fünf und fünf sind zehn. Pony, verdammter Dummkopf, hör auf, dich zur Seite treiben zu lassen.
Plötzlich, wie eine Insel in einem leeren Ozean, tauchte eine struppige Kiefer vor ihnen auf. Instinktiv steuerte das Pony darauf zu, erreichte die windabgewandte Seite und blieb hinter einem Schutz stehen, der eigentlich gar kein Schutz war. Tom Darrah schlug seine Arme um seine Brust und überdachte auf die Schnelle seine Optionen. Entweder bin ich nahe am Wald vor Sumpter Gulch oder das hier ist nur ein einzelner Baum irgendwo. Oder vielleicht auch nichts davon. Vielleicht gehe ich rückwärts. Nein, das kann nicht stimmen. Der Wind kommt direkt aus Osten. Sumpter sollte weniger als eine Meile vor mir sein. „Los, Pony, weiter.“
Das Pferd, das sich entschieden sträubte, bockte gegen die Schneewehen und hob dabei seine Hufe wie die Pfoten eines Hundes in die Höhe. Darrah beugte sich im Sattel vor und sah, wie ein kleiner dunkler Gegenstand von einem dieser Hufe hochgeschleudert wurde. Er hatte am Fuß des Baumes gelegen, aber der Wind erfasste ihn und wirbelte ihn einige Meter weiter, bevor er wieder im Schnee landete. Darrah ritt dorthin, beugte sich hinab, hob den Gegenstand auf und hielt ihn fest, ohne ihn näher zu betrachten, während er das Pony gegen den von der Seite kommenden Sturm drängte. Als er nach unten blickte, konnte er wegen seiner eingeschränkten Sicht kaum etwas erkennen, und es dauerte einige Augenblicke, bis er seinen Blick auf das scharfstellen konnte, was er in der Hand hielt: einen pelzgefütterten Damenhandschuh, der steif gefroren war.
Bei einem solchen Wetter konnte man nur eine Sache vermuten und nur auf eine einzige Weise reagieren. Darrah wendete das Pony auf den Baum zu und zwang das Tier buchstäblich hundert Meter weit in die Fänge des unbeschreiblich heftigen Blizzards hinein. Im Anschluss machte er eine halbe Wendung und beschrieb zur Erkundung einmal einen Kreis, entdeckte aber nichts. Als er sich zum zweiten Mal im Kreis drehte, war der Baum rechts von ihm nur noch sehr schwach zu sehen, und bald verlor er ihn aus den Augen. Inzwischen hatte er sich ein ordentliches Stück in Windrichtung bewegt, mitgerissen wie ein Stück Treibgut. Er kämpfte sich zurück, konnte aber den Baum nicht wiederfinden. Nachdem er den Bereich noch einmal — ohne Erfolg — abgesucht hatte, stellte er fest, dass er dieses Manöver kein viertes Mal durchführen konnte. Das Pony weigerte sich, sich gegen den Wind zu stellen. Es blieb stehen, störrisch und erschöpft.
Wenn sie irgendwo hier draußen ist, sagte Darrah zu sich selbst, dann ist sie tot und begraben. Vielleicht hat es sie meilenweit von dem Baum weggetrieben. So bedrückend der Gedanke auch war, er konnte nichts mehr daran ändern; und mit einem entschlossenen Blick nach dem, was er für Norden hielt, setzte er seinen beschwerlichen Weg fort.
***
Es war das Pferd, das das verlassene Lager zuerst entdeckte. Nachdem sich das Tier mutlos und stolpernd durch die Schneewehen bewegt hatte, warf es den Kopf hoch, wieherte und zeigte danach einen überraschenden Rest an Energie. Darrah gab die Zügel frei.
Zehn Minuten später tauchte durch den Sturmnebel wie ein Phantom die dicht gedrängte Reihe der alten Gebäude von Sumpter auf, und bevor er sich überhaupt orientiert hatte, befand er sich bereits auf der einzigen Straße des Lagers. Das Pony, das sich seiner Sache sicherer war, kämpfte gegen eine mannshohe Schneewehe an und bahnte sich einen Weg hindurch, bis es vor den geschlossenen Türen eines verlassenen Stalls stehen blieb. Darrah stieg sofort ab, öffnete mit einem Fußtritt eine kleinere Tür neben dem großen Tor und ging hinein. Das Pony folgte ihm dicht auf den Fersen, ebenso begierig wie ein Mensch, diese Qual hinter sich zu lassen. Aus der feuchten Dunkelheit des Stalls drangen die Geräusche anderer Pferde, die mit den Hufen stampften und sich bewegten.
„Aha“, brummte Darrah leicht überrascht, „bin ich also nicht der Einzige, den es hierher verschlagen hat.“
Seine Augen brannten, seine Wangen fingen an schmerzen. Aber bald verdichtete sich die Leere vor ihm zu Formen und Umrissen. Er ging die Reihe der Stellplätze entlang und fand fast ganz am Ende einen leeren Platz. Er ließ sein Pony dort hineingehen, nahm ihm den Sattel ab und warf die Satteldecke über das Tier, um ihm etwas Wärme zu spenden; und dann schlenderte er, neugierig auf seine Nachbarn, gemächlich durch den Stall. Er zählte vierundzwanzig Pferde, die alle so trocken waren, dass sie schon eine geraume Zeit hier gestanden haben mussten. Bei genauerem Hinsehen entdeckte er, dass einige von ihnen mit „Lazy JT“ gebrandmarkt waren — was für ihn ein Grund war, sich zu fragen, was Lewes DeSpains Mannschaft so weit weg von zuhause zu suchen hatte. Nicht weit entfernt stieß er auf das „Circle Arrow“-Brandzeichen, und er vermutete, dass diese Gruppe auf einer Winterinspektion unterwegs gewesen war. Dann stand er plötzlich vor einem Pferd, das seine besondere Aufmerksamkeit erregte. Das „Slash N“ auf dessen Kruppe entlockte ihm ein leises Pfeifen.
Nig Sommers. Was für eine Gesellschaft hat der Blizzard hier zusammengeführt?
Die Frage verlangte nach einer Antwort — denn Sommers und Sommers’ Männer waren berüchtigt. Tom Darrah ging zur Tür, bahnte sich seinen Weg durch den peitschenden Sturm und stand einen Moment lang zu drei Vierteln in einer Schneewehe begraben, während er die Gebäude auf der anderen Straßenseite musterte. Die Not, dachte er (1), bringt einen zu seltsamen Schlafgesellen. Unter normalen Umständen wäre es nicht möglich gewesen, diese drei Gruppen in derselben Stadt zusammenzubringen, und es bedurfte eines gewichtigen Grundes, dass Sommers sich in Schussweite irgendeiner Ranchmannschaft begab. Direkt gegenüber sah er Lichtschein aus den Fenstern des ehemaligen Hotels von Sumpter, und ohne weiter nachzudenken, bahnte er sich einen Weg dorthin und ging hinein.
Die plötzliche Wärme traf ihn wie ein Schlag; dazu noch der Geruch von trocknender Kleidung. Am anderen Ende der Eingangshalle befand sich ein großer Kamin, der bis oben mit loderndem Holz gefüllt war. Davor standen acht Männer, die ihn alle mit unverhohlenem Interesse ansahen. Er erkannte die Circle-Arrow-Crew und insbesondere den schlanken, gelbhaarigen jungen Vormann Lonzo Hardesty, der ihm mit einer Art von gleichgültiger Wachsamkeit entgegentrat. In diesem Moment fiel ihm das Seltsame an diesem Benehmen allerdings nicht auf.
„Lass’ mich durch, Lonzo“, sagte Darrah. „Ich hätte es um ein verdammtes Haar fast nicht hierher geschafft.“
Lonzo Hardestys Antwort war eher unverbindlich. „Freut mich, dich zu sehen, Tom. Geh’ nicht zu nahe ans Feuer, bevor du nicht aufgetaut bist. Du siehst verfroren aus.“
Darrah streifte seine Überkleider ab und machte einen Schritt weg von der Wasserpfütze, die sich um seine Füße gebildet hatte. Er rieb sich kräftig die Ohren. „Wie lange seid ihr schon hier, Jungs?“
„Heute ist unser dritter Tag“, brummte Lonzo Hardesty. „Wir waren oben in den Bergen und haben nach Biberschwänzen (2) gesucht, als der Sturm kam. Sieht jetzt nicht so aus, als würden wir jemals von diesem verdammten Ort wegkommen. Ich mag gar nicht daran denken, wie viele erfrorene Rinder hier im Land ’rumliegen.“
Darrah lachte leise. „Ich sehe, du hast Gesellschaft.“
„Was?“ fragte Hardesty mit ein bisschen zuviel Schärfe. Dann sagte er: „Ach ja, klar. Du meinst die Lazy JT und Nig Sommers. Herrje. Die JT-Jungs haben im alten Gefängnisbüro ihr Lager aufgeschlagen. Sommers sitzt im Saloon — er und noch sechs von seinen Kumpanen.“
„Ein nettes Beisammensein“, sagte Darrah gedehnt.
„Wir halten es miteinander aus — und halten Abstand“, murmelte Hardesty.
„Wer hat bei den Lazy-JT-Jungs das Kommando?“
„Eric Bull.“
Darrah zeigte sich ein bisschen überrascht. „Lewes DeSpain hat seine Männer immer auf diesen Wintertouren begleitet. Ist er diesmal nicht mit dabei?“
„Nein“, sagte Hardesty.
Etwas an dieser Antwort lenkte Darrahs Aufmerksamkeit wieder ganz auf Hardesty. Es war eine knappe, lakonische Antwort und hatte die Stille im Raum noch stärker betont. Ihm wurde nun klar, dass etwas nicht stimmte. Diese Männer fühlten sich unwohl. Deutlich war zu spüren, dass sie gereizt waren. Sie waren angespannt wie die Saiten einer Geige. Hardesty stand wie angewurzelt da, auf seinen Wangen traten die Linien hervor, und die Mundwinkel waren nach unten gezogen. Er sagte noch einmal „Nein“, dieses Mal in einem mehr blechernen Tonfall, und hielt seinen nüchternen Blick auf Darrah gerichtet. Darrah kam der Gedanke, dass das Wetter sich auf die Gruppe auswirkte und die beengten Verhältnisse für die schlechte Laune sorgten. Doch das war keine plausible Erklärung für die unverhohlene Unfreundlichkeit, die ihm gegenüber an den Tag gelegt wurde. Ihm ging durch den Kopf, eine weitere Frage zu stellen, dann aber entschied er sich dagegen. Neugierde hatte ihre Zeit und ihren Platz, aber weder das eine noch das andere schien in diesem Moment passend zu sein. Also ging er näher ans Feuer und hielt seinen Mund.
Hardesty drehte sich um und fragte: „Wo bist du gewesen, Tom?“
„War einen Monat lang am Pass. Vor fünf Tagen bin ich Richtung Arrowhead aufgebrochen und hab’ dann in einer von euren alten Patrouilliererhütten festgesessen, als der Sturm das erste Mal losging. Heute Morgen hab’ ich mir gedacht, ich versuch’s nochmal. Ich hatte Glück, dass ich es bis hier geschafft hab’. Ein Riesenglück.“
„Wie lange warst du in der Hütte?“ stieß Hardesty aus.
„Die ganzen letzten drei Tage“, antwortete Darrah, überrascht von Hardestys Tonfall.
„Und von da bist du direkt hierher gekommen? Auf welchem Weg?“
„Über das Flachland“, sagte Darrah. „Worum geht’s überhaupt?“
„Nichts“, brummte Hardesty und sagte nichts mehr.
„Also redest du nur, weil es sonst so still wäre?“ fragte Darrah skeptisch.
„Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für solchen Blödsinn“, murmelte Hardesty kurz angebunden.
„Wenn hier jemand Blödsinn redet“, bemerkte Darrah, der jetzt verärgert war, „dann bist du das. Was ist los mit dir?“
Die Eingangstür flog auf und schlug heftig gegen die Innenwand. Eric Bull, der Vormann der Lazy JT, stampfte herein, gefolgt von neun oder zehn seiner Leute. Darrah blickte zur Seite, um zu sehen, wie die Circle-Arrow-Mannschaft reagierte; die Männer erstarrten und wurden noch schweigsamer. Hardesty war gerade dabei, sich eine Zigarette zu drehen, aber er hörte mittendrin auf.
„Hallo, Eric“, sagte Darrah gedehnt.
„Hab’ mir schon gedacht, dass du das bist, der ’reingekommen ist“, sagte Eric Bull unfreundlich.
„Und da wolltest du nachgucken.“
„Und da wollte ich nachgucken“, wiederholte der JT-Mann und baute sich vor dem Kamin auf. Es war ein für ihn typisches Verhalten. Sein massiger Körper nahm immer eine provokante Position gegenüber denjenigen ein, mit denen er sprach. Er war nicht größer als der schlanke Lonzo Hardesty, aber wahrscheinlich doppelt so breit und doppelt so schwer. Er hatte einen kurzen Stiernacken, auf dem ein schwerer Kopf mit kompromisslosen Gesichtszügen saß, die so rot wie Wein waren. Eine Nase, die sich weit oben krümmte, neigte sich zu einem störrischen Kinn hinunter, das sich ihr entgegenstreckte, und dieses Gefüge aus Knochen und Muskeln ließ ihn immer so aussehen, als würde er gleich zubeißen. Er fragte schroff: „Wo bist du hergekommen?“
„Von einer Patrouilliererhütte in den Bergen, ungefähr acht Meilen von hier.“
„Ach ja? Wie lange warst du da?“
Die Fragen, die fast dieselben waren wie die, die vorher Hardesty gestellt hatte, weckten ein plötzliches Misstrauen in Darrah. Aber er antwortete bereitwillig: „Ungefähr drei Tage“.
„War noch jemand da?“
„Nein. Nur ich.“
„Schon vorher in der Gegend unterwegs gewesen?“
„Nein. Bin vom Pass gekommen.“
Eric Bull streckte seinen Kopf nach vorne und schien immer aggressiver zu werden. „Jemanden auf dem Weg hierher gesehen? Irgendeinen oder irgendwas?“
„Nein“, sagte Darrah. „Und das war das dritte Nein. Du bist draußen.“
„Vielleicht bin ich das, vielleicht auch nicht“, knurrte Eric Bull. Er wandte sich Hardesty zu. „Hast du ihm ’was erzählt?“
„Nein“, sagte Hardesty mit deutlicher Verärgerung. „Geh’ zurück in deine Bude und nimm auch deine Leute mit.“
„Erst wenn die verdammte Sache geklärt ist“, erklärte Bull und lockerte seine Schultern. „Ich bin mit von der Partie.“
„Mir hat noch keiner ein Blatt gegeben“, warf Darrah ein. „Wenn ihr mit euren Kabbeleien fertig seid, sagt mir Bescheid. Gibt es hier irgendwo ’was zu essen?“
Mit einem Kopfnicken zeigte Hardesty nach hinten. „Wir haben einen Ochsen ’reingeholt. Bedien’ dich.“
***
Darrah stapfte quer durch den ganzen Raum, drückte eine Schwingtür vor sich auf und betrat eine Küche. Die Circle Arrow hatte hier den Inhalt ihres Küchenwagens abgeladen, den alten Herd angeworfen und Essen zubereitet. Eine Kaffeekanne köchelte auf dem Herd, und auf einem Tisch in der Nähe lag ein großes Stück kaltes Rindfleisch. Darrah holte sich eine Tasse und schenkte sich etwas zu trinken ein. Er schnitt sich etwas von dem Rindfleisch ab. An den Tisch gelehnt, aß er diesen dürftigen Imbiss mit gespielter Entrücktheit. Männer unterhielten sich in der Eingangshalle, frei von der Leber weg; aber nichts davon konnte er deutlich verstehen. Ein Auf und Ab von Stimmen in einer zänkischen kontroversen Disharmonie. Die Eingangstür klapperte, und Ströme kalter Luft drangen in die Küche. Jemand stampfte lautstark über den Fußboden der Eingangshalle. Die Unterhaltung verstummte für eine kurze Zeit, dann ging sie weiter, noch mürrischer und schärfer als zuvor. Darrah schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein und war dankbar für dessen siedendheiße Stärke.
Diese Mannschaften, dachte er, sind noch nie gut miteinander ausgekommen und werden es auch nie. Im Moment sind sie zwangsläufig Nachbarn, und das mögen sie nicht. Aber was hat Bull mit seiner Bemerkung gemeint, ob Hardesty mir ’was erzählt hat?
Wasser tropfte an seinem Bein hinab. Als er nach unten schaute, sah er, dass seine Jackentasche halbvoll mit Schneematsch war, und er griff hinein, um den Damenhandschuh herauszuholen. Unbewusst hatte er ihn dort hineingesteckt.
„Meine Güte“, murmelte er, „da ist ja noch ’was, was auf eine Erklärung wartet.“ Er stellte die Blechtasse zur Seite und wrang den Handschuh aus, um ihn von dem schmelzenden Schnee zu befreien. Er ging hinüber zum Herd und hob einen Deckel an, sodass der Feuerschein aufleuchtete; vorsichtig stülpte er den Rand des Handschuhs um. Aber dort stand kein Name — auch keine Initialen, mit denen jemand sein Eigentum hätte kennzeichnen können. Darrah wurde immer missmutiger.
„Da ist nichts zu machen“, sagte er sehr leise. „Wenn sie noch da draußen ist, ist sie tot. Aber angenommen, sie ist nicht da draußen: Wo könnte sie dann sein?“
Er faltete den Handschuh zusammen und steckte ihn wieder in die Tasche. Der aufmerksame Ausdruck in seinen Augen hellte sich auf. Und er wiederholte für sich selbst: Wo könnte sie sein? Es war eine beunruhigende Last, die seinen Verstand blockierte. Das Rätsel kannte er; des Rätsels Lösung mussten einer oder mehrere dieser rund zwanzig Männer in Sumpter Gulch kennen. Sie alle waren in den letzten drei Tagen auf den Bergrücken und im Flachland unterwegs gewesen. Diese Frau konnte nicht ungesehen geblieben sein — es war nur logisch, dass sie irgendwo von den umherstreifenden Gruppen gesehen worden war. Wenn das der Fall war, oblag es ihm, die Geschichte mit dem Handschuh offenzulegen.
Doch eine zunehmende Vorsicht hielt ihn von seinem halbgetroffenen Entschluss ab. Als er eingehender und konzentrierter über die Sachlage nachdachte, begann er zu erkennen, dass die Parteien, die nun in Sumpter gefangen waren, von etwas beherrscht wurden, was über die gewöhnlichen Feindseligkeiten hinausging. Die Angelegenheit hatte seltsame Aspekte. Das Bild, das die nur wenigen Informationen und Beweise ergaben, die er gesammelt hatte, war lückenhaft. „Irgendetwas macht ihnen Sorgen“, murmelte er. Davon war er mehr und mehr überzeugt. Seine vielversprechenden Überlegungen kehrten immer wieder zu den Fragen zurück, mit denen Hardesty und Bull ihn konfrontiert hatten. Beide Männer waren auf die gleichen Informationen aus gewesen; beide hatten, wenn man Nebensächlichkeiten beiseite ließ, versucht, ihm bestimmte Fakten zu entlocken. Was war es, was sie unbedingt herausfinden wollten?
Er setzte den Herddeckel wieder an seinen Platz und stand einen Moment lang untätig da. Er versuchte, der warnenden Stimme, die ihm die ganze Zeit unbestimmt durch den Kopf ging, eine Gestalt zu geben. Hardestys Stimme übertönte das Donnern und Krachen des Sturms. „Darrah — komm’ ’mal her!“
Tom Darrah schüttelte plötzlich den Kopf. Je weniger ich sage, desto besser, zumindest bis auf Weiteres, entschied er im Stillen. Dann ging er zurück in die Eingangshalle.
Er sah sofort, dass die Zahl der Anwesenden gewachsen war. Hardestys Circle-Arrow-Leute hielten ihre Stellung in der Nähe des Kamins. An einer Seitenwand hatten sich die Lazy-JT-Männer bewusst hinter der massigen Gestalt von Eric Bull aufgereiht. Aber Darrah schenkte diesen beiden Gruppen nur einen flüchtigen Blick. Denn Nig Sommers war mit seinen Männern eingetroffen, und diesen sieben zwielichtigen Gestalten galt nun Darrahs Interesse. Sie befanden sich in einem entfernteren Winkel des Raums und vervollständigten auf diese Weise die Dreiecksformation der Gruppen, die einander misstrauisch im Blick behielten. Als jemand, der in diesem Land geboren worden war, wusste Darrah alles über diese sieben Renegaten, und er reagierte auf sie, indem er Nerven und Muskeln langsam anspannte. Sommers und seine Reiter hatten einen üblen Ruf.
„Wo bist du gewesen?“ fragte Sommers herausfordernd mit einer seltsamen Stimme ohne jede Resonanz. Der Mann stand auf seinen Fußballen und schwankte ein wenig nach vorne, als wäre er auf das Unerwartete gefasst. Er war groß, größer als alle anderen im Raum. Aber der Rest seines Körpers passte nicht zu seiner Größe; unförmige Arme hingen ungewöhnlich lang neben dem hageren Körper, und sein Kopf über einem dürren Hals war klein und nach vorne geneigt. Sonne und Wind hatten ihn dunkel gefärbt, doch unter der äußeren Farbe der Haut lag zusätzlich die Andeutung einer rassebedingten Dunkelhäutigkeit. Zwei kleine Augen lagen in tiefen Höhlen. Ein unausgeprägtes Kinn floh unterhalb eines schlaffen Mundes, der wiederum nicht zu der langen und abgeflachten Nase passte, die das gesamte unvorteilhaft geformte Gesicht beherrschte. Die Augen, von trüber Farbe, hatten den durchdringenden Blick, wie man ihn von Raubtieren kennt, wenn sie von einem seltsamen Geräusch aufgeschreckt werden.
„Ich habe meine Geschichte schon zweimal zum Besten gegeben“, sagte Darrah ruhig. „Und ich glaube nicht, dass es nötig ist, das noch einmal zu tun. Jedenfalls nicht für einen Gauner wie dich, Nig.“
Nig Sommers’ Mundwinkel verzogen sich auf hässliche Weise. „Nicht so großspurig, Darrah. Du wirst genau das sagen und das tun, was diese Leute hier für das Beste halten.“
„Für einen Mann, über den niemand etwas Gutes sagen kann“, sagte Darrah, „plusterst du dich ganz schön auf. Fahr’ zur Hölle.“
Lonzo Hardesty wandte sich besänftigend an Nig Sommers und erklärte rasch: „Er ist vor fünf Tagen vom Pass gekommen, saß in einer von den Circle-Arrow-Hütten fest und ist heute Morgen von da weg Richtung Arrowhead. Im Flachland hat ihn der Sturm erwischt. Das ist alles, Nig.“
Tom Darrah prägte sich diese kleine Szene mit kaltem Interesse ein. Das hier war Lonzo Hardesty, ein ehrlicher Mann, der für ein ehrliches Unternehmen arbeitete — und offensichtlich versuchte, Nig Sommers bei Laune zu halten. Das sah Hardesty gar nicht ähnlich. Und Hardesty selbst musste wohl erkannt haben, wie seltsam seine Erklärung wirkte, denn er sagte nichts mehr und blickte missmutig und trotzig von Eric Bull zu Tom Darrah.
„Na, wenn das so ist,“ brummte Bull lakonisch und ein wenig skeptisch.
„Darrah“, sagte Nig Sommers, „was weißt du?“
„Ich weiß, dass hier etwas faul ist, und ich habe dieses ganze Geschwätz langsam satt.“
Eric Bull wandte sich an alle im Raum. „Er könnte damit zu tun haben.“
Eine drückende Stille legte sich über die Anwesenden, und Darrah spürte das ganze Gewicht der auf ihn gerichteten Blicke, mit denen er taxiert wurde. Wut begann in ihm aufzusteigen, und er formulierte in Gedanken eine Antwort. Der Handschuh, das spürte er, war Teil dieses Rätsels. Er war froh, dass er ihn nicht erwähnt hatte; und er hatte nicht vor, jetzt davon zu erzählen — nicht, ehe er mehr wusste. „Ihr könnt mich alle —“
„Erzähl’s ihm, Eric“, sagte Lonzo Hardesty.
Eric Bull streckte sein Kinn vor und sagte: „Darrah, die Lazy JT hat da draußen im Schnee ihren Boss verloren. Jemand hat ihn ein paar Stunden, nachdem der Blizzard angefangen hat, erschossen — vor drei Tagen. Jemand hat den alten Lewes DeSpain umgebracht. Verstehst du? Und derjenige ist hier in diesem Raum. Es kann sonst niemand gewesen sein. Wir sind die Einzigen, die in der Gegend unterwegs gewesen sind. Und bei Gott, wir verlassen Sumpter Gulch nicht, bis wir herausgefunden haben, wer es getan hat!“
II.
Die Stille kehrte zurück, noch drückender als zuvor. Die anderen Männer bildeten einen Kreis um Darrah herum und beobachteten ihn, als würden sie versuchen, die Gedanken zu lesen, die ihm durch den Kopf gingen. Ganz gelassen erwiderte er ihre Blicke und gönnte ihnen keine Genugtuung. Und trocken sagte er zu Eric Bull: „Darüber kann ich keine Tränen vergießen. Lewes DeSpain hätte es schon vor zwanzig Jahren verdient gehabt, dass jemand ihn erschießt.“
„Meinst du?“ brummte Eric Bull. „Aber darum geht es nicht.“
„Worum geht es dann, Eric?“
„Die JT“, sagte Bull, „wird herausfinden, wer ihren Boss umgebracht hat. Mach’ dir darüber ’mal keine Illusionen.“
„Das soll der Sheriff machen, wenn er es für nötig hält“, empfahl Darrah unverblümt. „Der Mann ist mausetot. Niemand betrauert ihn. Du trauerst doch auch nicht, oder?“
Der Abstand zwischen Eric Bulls Kinn und Nase wurde kleiner. „Das ist das Problem. Wenn wir nicht herausfinden, wer ihn abgeknallt hat, wird man die JT-Leute für schuldig halten. Ich habe nicht vor, mit diesem Verdacht auf mir hier im Land herumzureiten.“
„Wo habt ihr seine Leiche hingebracht?“
„Dagelassen. Bleibt da so, bis der Sheriff kommen kann. Keiner wird sie anrühren. Und keiner verlässt Sumpter, bis wir die Wahrheit herausgefunden haben.“
„Ist mir recht“, sagte Darrah. „Aber ihr verschwendet trotzdem eure Zeit. DeSpain war von Grund auf ein schlechter Mensch. Er hatte auf seinem eigenen Revolver Kerben, und er hat nie ein gutes Wort über einen Mitmenschen verloren. Du hast für einen Mann gearbeitet, Eric, der im Umkreis von dreihundert Quadratmeilen keinen einzigen Freund hatte. Mann, jeder in diesem Raum hatte Grund genug, ihn zu erschießen.“
„Einer hier im Raum hat es getan“, unterbrach ihn Bull. „Ich habe vor, herauszufinden, wer.“
„Vielleicht hast du es selbst getan“, sagte Darrah. „Er hat oft genug schlecht über dich geredet.“ Dann richtete sich seine Aufmerksamkeit auf Eric Bulls zunehmend gerötetes Gesicht. „Und übrigens, wer würde die Ranch bekommen, wenn DeSpain abnippelt? Er hatte keine Verwandten. Wohl der Mann, der sie betreiben könnte, der sich mit ihr auskennt. Könntest du sein, Eric.“
„Darrah“, knurrte der JT-Vormann, „das reicht jetzt von dir!“
„Oder vielleicht war es Lonzo“, fuhr Darrah unbeirrt fort. „Die Circle Arrow hatte schon immer Streit mit DeSpain.“
Hardesty sagte darauf kein Wort, sondern ließ nur eine wachsende unterdrückte Verärgerung erkennen. Nig Sommers lachte ironisch. „Das ist auch nicht so weit von der Wahrheit entfernt.“
„Wirklich?“ hakte Darrah ein und schwenkte herum zum Outlaw. „Was spricht denn dagegen, dass du der Mörder bist? Das ist dir doch wie auf den Leib geschneidert.“
„Bei Gott“, schrie Sommers in plötzlicher Wut, „das lasse ich mir von dir nicht gefallen!“
„Moment mal — Moment mal“, bat Lonzo Hardesty. „Das haben wir zwar schon einmal durchgekaut. Vielleicht können wir es aber nochmal tun, jetzt, wo Darrah ins Spiel gekommen ist. Vorschlag: Heute nach dem Abendessen. Es ist jetzt schon fast Mittag.“
Argwöhnisch sagte Bull: „Meiner Meinung nach benimmst du dich komisch, Lonzo. Du willst immer alles verschieben.“
„Heute Abend“, wiederholte Hardesty.
„Keiner wird mir diese Sache anhängen“, drohte Nig Sommers. „Ich werde pünktlich da sein.“ Er winkte seinen Männern, ihm zu folgen, und stapfte aus der Eingangshalle. Eric Bull wippte auf seinen Fersen, düster und nachdenklich. Dann sagte er: „In Ordnung“ und folgte Sommers nach draußen. Die JT-Mannschaft stürzte sich in den Sturm. Jemand schlug die Tür zu und ließ Darrah mit der Circle-Arrow-Truppe allein.
„Bevor wir damit durch sind“, sagte er gedehnt, „werdet ihr euch alle wünschen, ihr hättet meinen Rat befolgt.“
„Ich würde es jetzt tun,“ murmelte Hardesty, „wenn es nach mir ginge. Pete, mach etwas zu essen fertig.“
In scharfem Ton fragte Darrah Hardesty: „Wovor hast du Angst, Mann?“
Hardesty zuckte tatsächlich zusammen. Er öffnete den Mund, um zu antworten, schloss ihn dann aber mit einem schnellen Zusammenpressen der Lippen. Ein störrisches Schmollen zeigte sich in seinem angespannten Gesicht. Einer der anderen Circle-Arrow-Leute sagte zu Darrah: „Was fällt dir ein —?“
„Halt die Klappe, Tansy“, befahl Hardesty.
Darrah zuckte mit den Schultern. „Bei euch Jungs liegen ja wirklich die Nerven blank“, stellte er fest und ging in die Küche. Er kramte herum, fand einen Fünf-Gallonen-Ölkanister und füllte ihn hinter der rückwärtigen Tür mit Schnee. Er schmolz ihn auf dem Herd und stapfte durch die Eingangshalle und hinaus auf die Straße. Sogar auf dieser kurzen Strecke rüttelte ihn die schneidende Wucht des Sturms durch. Sie durchdrang die Kleidung und die Haut und ließ seine Knochen ächzen, und als er in den Stall kam, zitterte er, als hätte er Schüttelfrost. Als er innehielt, um seine Augen an das Halbdunkel zu gewöhnen, hörte er, wie eine leise, hastig sprechende Stimme mitten in einem Wort verstummte. Schritte. Zwei verschwommene Gestalten entfernten sich voneinander, und geradeheraus trafen ihn Eric Bulls unfreundliche Worte: „Was zum Teufel machst du hier?“
„Das siehst du doch“, sagte Darrah trocken. Der andere Mann sagte nichts — schien vielmehr tatsächlich unerkannt bleiben zu wollen. Aber selbst in den dunklen Schatten war die lange, unförmige Gestalt von Nig Sommers für Darrah unverkennbar. Er ging weiter und ließ sein Pony den Kanister leertrinken. Mit übertriebener Betonung sagte Eric Bull zu Sommers: „Es gibt nur wenig Stroh, und das ist auch noch schimmelig. Wir werden es unter den Viechern aufteilen, gleichmäßig.“ Darrah legte sich das Bündel mit seinem Ölzeug über die Schulter und ging wieder hinaus in den tosenden Sturm.
Die hecken ’was aus, sagte er zu sich selbst, während er sich durch die Schneewehen kämpfte. Vielleicht hat Lonzo Hardesty einen Grund, dass er Angst hat. Ich wünschte, ich würde den Grund kennen. Er lief die Hotelveranda fast entlang, riss die Tür auf und stolperte hindurch. Der Raum war leer — alle Männer hielten sich in der Küche auf und unterhielten sich ungezwungen. Aber Darrahs Blick wanderte nach oben und erhaschte einen Mann, der sich auf dem Treppenabsatz im oberen Stockwerk gerade umdrehte. Der Kerl schaute nach unten und machte bewusst einen Schritt rückwärts, um aus dem Blickfeld zu verschwinden, allerdings nicht schnell genug, um den Teller mit Essen zu verbergen, den er in seinen Händen hielt.
Lonzo Hardesty steckte seinen Kopf durch die Tür zur Küche.
„Komm ’rein und hol dir ’was zu essen.“
„Hab’ schon gegessen“, sagte Darrah. Wie gebannt stand er in der Mitte des Raumes und lauschte den Schritten des Circle-Arrow-Viehtreibers über ihm. Der Mann versuchte offensichtlich, beim Gehen keine Geräusche zu machen, aber jede lose Diele des verzogenen Korridors verriet ihn, als er sich zur linken Seite des Gebäudes bewegte und dort stehen blieb.
Die rostigen Scharniere einer Tür knarrten. Einen Moment lang herrschte Stille im Obergeschoss. Dann machte sich der Viehtreiber auf den Rückweg. Darrah setzte bewusst eine desinteressierte Miene auf und ging zu einem Stuhl am Kamin. Als der Circle-Arrow-Mann die Treppe herunterkam, hatte es sich Darrah gemütlich gemacht, mit den Füßen auf einem anderen Stuhl und mit geschlossenen Augen. Der Mann stand einen Moment unschlüssig im Raum und ging dann in die Küche.
Vielleicht eine Minute lang rührte Darrah sich nicht und dachte: Noch ein Rätsel — wer ist der Kranke, dem man das Essen bringen muss? Als er seine Augen öffnete, sah er, dass die Küchentür geschlossen war. Daraufhin stand er rasch auf, durchquerte den Raum und eilte zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hoch. Oben angekommen, blieb er kurz stehen, um sich zu orientieren und sich zu vergegenwärtigen, in welche Richtung der Circle-Arrow-Mann gegangen war. Er sah, dass es auf beiden Seiten des nach links führenden Korridors jeweils vier Türen gab. Sie waren alle geschlossen. Doch während er noch unentschlossen darüber nachdachte, nahm er das Geräusch eines klopfenden Schuhs wahr — wie ein rastloser Rhythmus, der von jemandem hinter der dritten Tür auf der rechten Seite der Zimmerreihe stammte. Vorsichtig näherte er sich dieser Tür, legte sein Ohr daran und hörte das Geräusch deutlicher. Es gab keinen Zweifel mehr. Er dachte schwerfällig: Vielleicht tue ich mir keinen Gefallen, aber zumindest wird es auf eine Frage eine Antwort geben. Dann drehte er den Türknauf und betrat das Schlafzimmer.
(Der Schluss der Story ist hier zu lesen)
© für die deutsche Übersetzung: Reinhard Windeler, 2025
Fußnoten
(1) Zitat aus „Der Sturm“ von William Shakespeare (Zweiter Aufzug, zweite Szene)
(2) Mit „Biberschwänzen“ (i.O.: beaver tails) sind in diesem Fall abgewanderte Rinder gemeint. Es scheint sich um eine für Haycox eigentümliche Bezeichnung zu handeln, die sonst kein anderer Autor verwendet.

