Von Comanchen entführt
von Dusty Richards
- Teil 1 von 5 -
(Orig. „Comanche Moon“, 2006; Übers.: Reinhard Windeler)
Dusty Richards (1937 – 2018) ist einer der Autoren, die im deutschsprachigen Raum nahezu unbekannt geblieben sind, obwohl sie die amerikanische Westernliteratur zu Beginn des 21. Jahrhunderts maßgeblich geprägt haben. Seine Karriere ist auch deshalb bemerkenswert, weil er bereits über fünfzig Jahre alt war, als sein erster Roman veröffentlicht wurde. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen gehören die beiden Spur Awards, die er im Juni 2007 einerseits für seinen Roman „The Horse Creek Incident“ und andererseits für seine Kurzgeschichte „Comanche Moon“ erhielt. Mit der Veröffentlichung dieser in fünf Kapiteln erzählten Geschichte glückt dem AKWA Journal ein besonderer Coup, denn sie ist – soweit ersichtlich – derzeit im Original nicht erhältlich. Sie erschien 2006 nur online in einem Format namens „Amazon Shorts“, ist aber im Internet nicht mehr zu finden. In analoger Form, soll heißen: auf Papier gedruckt, wurde sie offenbar nie veröffentlicht, sodass man die preisgekrönte Story nur hier und nirgendwo sonst lesen kann. Den einzelnen Kapiteln stellte Richards Zitate des aus Austin stammenden Historikers Charles Frederick Eckhardt (1940 – 2015) voran, der sich zeitlebens mit texanischer Geschichte beschäftigt und neben einer regelmäßigen Zeitungskolumne auch mehrere Bücher zu diesem Thema verfasst hatte.
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Ein Texas Ranger, der in seinen jungen Jahren auf dem blanken Erdboden zu schlafen gewohnt war, nur in eine alte Decke eingewickelt, sagte einmal: „Vor 1874 wurde das Wort Ranger nicht einmal groß geschrieben.“ (Charley Eckhardt) |
Im Oktober wurden die Nächte im texanischen Bergland kühler. Doch der Wetterumschwung bedeutete nicht mehr Schlaf für Ranger wie Hamp Burns. Für die Menschen, die in den Eichen- und Zedernwäldern an der Grenze lebten, wurde die erste Linie zur Verteidigung vor Indianerüberfällen von den Rangern gebildet. Junge Männer, die in jeder Gemeinde bestimmt wurden, um nach Hinweisen auf „Injuns“ Ausschau zu halten. Da die meisten roten Störenfriede unbeschlagene Pferde ritten, war es schwierig, die Spuren eines Büffelponys und solche eines freilaufenden Mustangs auseinanderzuhalten. Ein sicheres Unterscheidungsmerkmal, das sich die Ranger zunutze machten, war, dass ein freilaufendes Pferd immer stehen blieb, um seine Äpfel auf einen Haufen fallen zu lassen, während ein Indianer sein Pferd unterwegs nie anhalten ließ, und daher versetzten verstreute Klumpen von Pferdeausscheidungen Ranger in Alarmbereitschaft.
Hamp Burns war einer dieser unbezahlten Kundschafter, die allesamt ihre eigenen Pferde ritten, ihre Kosten selbst trugen und nachts meistens bei den Kojoten schliefen. Aber darüber, ob man „Ranger“ groß oder klein schrieb, zerbrach sich Hamp nicht den Kopf. An diesem Tag war er frühmorgens westlich des Clover Creek auf Anzeichen eines Diebstahls gestoßen.
Fünf unbeschlagene Pferde, denen einige beschlagene Pferde folgten. Bis es Vollmond würde, war es noch eine Woche hin, aber im Buschland nördlich des Perdanales River trieben sich bereits rote Teufel herum. Vollmond bedeutete immer Ärger, besonders von Oktober bis Dezember. Die schlimmsten der blutrünstigen Büffeljäger kamen dann in den Südosten, auf der Suche nach Geiseln, Pferden und allem, was sie sonst noch stehlen konnten. Eine Zeit, in der „ein Comanchenmond über deinem Leben hängt“, wie die weißen Siedler sagten.
Hamp saß von seinem Falben ab und musterte kritisch die Stelle, an der die Spuren der Reiter in den klaren Wasserlauf führten. Kleine Elritzen huschten in einer dunklen Wolke umher und fraßen etwas im seichten Wasser, wo zehn Zentimeter unter der Oberfläche der Abdruck eines Hufeisens im schlammigen Boden immer noch unverändert war. Mit der Hand auf dem Griff des Navy-Colts im Holster fragte er sich, in welche Richtung sie von dort gegangen waren, denn auf der anderen Seite teilte sich der Pfad. Entweder nach Westen in Richtung der Ebenen, von denen sie kamen, oder nach Süden in Richtung der anderen Siedlungen am Perdanales.
Er erhob sich. Steife Muskeln ächzten. Seit Tagesanbruch hatte er im Sattel gesessen, nachdem er sich nur wenige Stunden Schlaf gegönnt hatte. Wenn es ein Trupp auf Raubzug war, konnte er wie der Teufel nach Cyperville reiten, um mehr Hilfe zu holen – aber was wäre, wenn sich herausstellte, dass es sich nur um einen kleinen Trupp handelte, der ein paar Pferde stahl? Oder sie könnten zu einer größeren Gruppe gehören und die gestohlenen Tiere besorgt haben, um auf ihnen ihre Geiseln und ihre Beute wegzuschaffen. Er wollte auf keinen Fall derjenige sein, der voreilig Alarm schlug. Bevor er etwas unternahm, wollte er mehr Belege dafür haben, dass tatsächlich eine Bedrohung bestand.
So scharf er geritten war und so frisch ihre Spuren den ganzen Tag ausgesehen hatten, hatte er gehofft, sie um diese Zeit zu Gesicht zu bekommen, um sich ein Bild von ihnen machen zu können. Es könnten einfach ein paar Indianerjungen sein, die ein paar Pferde stahlen, um ihren Mut zu zeigen und ihre Männlichkeit zu beweisen. Doch die eisenbeschlagenen Pferde gehörten ihnen nicht – und seine Aufgabe war es zu versuchen, sie ihnen wieder abzunehmen. In solchen Momenten wünschte er sich die Gedankengänge und Ratschläge von Captain Tanner; einem Mann, zwanzig Jahre älter als er und ein Veteran, der sich mit den Verhaltensweisen der Indianer und mit dem Fährtenlesen auskannte – aber beim Roundup im Frühjahr war sein Pferd gestürzt, hatte sich über den Captain gewälzt und ihn erdrückt.
Mit einem Fuß im Steigbügel schwang sich Hamp in den Sattel. Er musste noch mehr aus dem Falben herausholen. In ein paar Stunden würde es dunkel sein. Dass die Tage zu dieser Jahreszeit so kurz waren, passte ihm nicht. Der Falbe watete durch den Clover Creek, einen flachen Fluss aus dem Norden, und Hamp entdeckte bald anhand der Spuren, dass die Pferdediebe nach Süden unterwegs waren.
***
Er spitzte die Ohren. Worüber stritt sich der Schwarm Krähen, den er in der Ferne hörte? Dann sank ihm das Herz. Kriegsgeschrei! Herrgott, nein. Lass nicht zu, dass diese roten Teufel nichtsahnende Leute angreifen. Er spornte den Falben zu ausgreifenden Galoppsprüngen an und jagte durch hohes Gestrüpp und Zedern den Weg hinunter. Mit dem schweren Revolver in seiner Faust kam er um die Biegung und hätte beinahe ein junges Mädchen in einem blauen Kleid niedergeritten, das dort entlanghetzte.
„Steig’ auf“, rief er und ließ das Pferd um sie kreisen. Er winkelte seinen Ellbogen an, damit sie sich daran festhalten konnte, und fragte sich, wie weit weg die Indianer waren.
„Wo ist sie hin?“ Besorgt schaute sie sich suchend um.
„Komm’ erst ’mal hier ’rauf. Wir können sie später suchen.“
Sie hielt sich an ihm fest, sprang ab, und mit Schwung zog er sie hinter sich aufs Pferd. Er spürte, wie sie sich an seine Taille klammerte, und steckte den großen Revolver ins Holster.
„Wer ist noch da drüben?“
„Meine – meine Familie.“
„Sind die bewaffnet?“
„Eine Pistole, sonst nichts.“
„Dann wollen wir ’mal sehen, was wir für sie tun können.“
„Oh nein, die bringen uns um.“
„Noch sind wir nicht tot. Halt’ dich fest.“ Er riss den Falben herum und hielt auf die Biegung zu.
Wie er erkennen konnte, waren vier Indianer mit Kriegsbemalung dabei, alles, was sie in einem Farmwagen finden konnten, zu zerreißen und zu verstreuen. Kaum dass sie ihn gesehen hatten, sprangen sie herunter und rannten zu ihren Pferden. Er ließ seinen Colt sprechen und traf einen Krieger schwer, der von seinem nervösen Pony fiel. Einer der anderen halbnackten Räuber, den Hamp traf, wurde von seinen beiden Begleitern auf seinem Pferd festgehalten, als sie in das dichte Gebüsch stürmten. Während Pulverrauch in seinen Augen brannte, blickte er suchend um sich, aber sie waren nicht mehr zu sehen.
„Bleib’ da sitzen“, rief er. Er zügelte den Falben mit einem heftigen Ruck und ließ ihn dann im Kreis herumwirbeln – ein Versuch, sie vom Absteigen abzuhalten. Mit dem Revolver in der einen Hand und den Zügeln in der anderen, war das mehr, als er bewerkstelligen konnte. Sie rutschte von seinem Pferd und lief um den Wagen herum.
Wo wollte sie hin? Er musste die Trommel seines Colts durch eine geladene Trommel aus seiner Tasche ersetzen. Nach einer kurzen prüfenden Umschau, um sicherzugehen, dass die Comanchen nicht zurückkamen, schwang er sich hinunter. Dann eilte er dorthin, wo sie stand, sich die Fäuste vor ihr Gesicht hielt und voll Entsetzen auf die blutigen Körper auf dem Boden starrte.
„Wir müssen sie zu einem Doktor bringen!“ schrie sie ihn an, während Tränen über ihre Wangen liefen und von beiden Händen aufgestaut wurden.
Er kniete sich hin und tastete hinter dem blutigen Ohr des Mannes nach einem Puls. Nichts. Dann versuchte er es bei der skalpierten Frau, die leblos in den azurblauen Himmel starrte. Er stand auf und versuchte die ganze Zeit, das Mädchen von dem grausigen Anblick abzuschirmen. Wie betäubt schüttelte er den Kopf.
„Oh nein. Nein, nein“, jammerte sie und stampfte mit dem Fuß auf.
Er fasste sie an den Schultern und sah ihr in die schmerzerfüllten Augen. „Wir können nichts mehr für sie tun. Es tut mir leid. Am besten, wir laden sie auf und gehen nach Cyperville. Waren da noch mehr?“
„Becky –“ Mit feuchten Augen, mit wildem Blick infolge des Schrecks, drehte sie sich um und suchte nach ihr.
„Wie alt ist sie?“
„Sechs. Meine kleine Schwester. Sie war direkt hinter mir, bevor Sie gekommen sind.“
Er suchte das offene Gelände ab und merkte, dass sein Herz schneller schlug als jemals zuvor. „Ich muss meine Pistole nachladen. Was meinen Sie, wo ist sie hin?“
„Wir hatten angehalten, um die Pferde zu tränken. Dann haben sie und ich vertrocknete Blumenblüten gepflückt, wegen der Samen, zum Pflanzen. Mama und Papa sind weitergefahren. Wir wollten da vorn unser Lager aufschlagen und unser Abendessen kochen. Wir sollten hinterherkommen. – Becky! Becky!”
Mit einer gefüllten Trommel im Navy fühlte es sich gut für ihn an, wieder bewaffnet zu sein. Er steckte den Revolver ins Holster und eilte ihr hinterher. „Warten Sie, wir müssen zusammenbleiben.“ Es hörte sich so sehr an, als würde der Captain sprechen, dass er kaum glauben konnte, was er ihr zu sagen fertigbrachte. Der Anblick ihrer beiden toten Eltern drehte ihm fast seinen leeren Magen um – aber einer musste stark bleiben.
Sie riefen und suchten zwischen den klebrigen Zedernästen und den Lebenseichen.
Dann entdeckte er, von dem er gehofft hatte, dass er es nicht finden würde: ein kleines faustgroßes Knäuel aus braunen Samen und langen trockenen Blütenblättern neben einer Mokassinspur im weichen Erdboden. Er hockte sich auf die Absätze seiner Stiefel, die Sporenräder bimmelten wie Kirchenglocken, und er schloss die Augen.
Lieber Gott, nicht das! Aber als er die Augen öffnete, war der Abdruck immer noch da, und in der Nähe wehten Fäden aus Baumwollstoff an einem dornigen Busch im Südwind.
„Ist in ihrem Kleid Blau drin?“ fragte er sie und löste die kleinen Stücke von dem Dorn.
„Ja! Was haben Sie gefunden?“ Sie kam rasch herüber, um nachzusehen.
„Hier hat ein Comanche sie geschnappt und mitgenommen.“
„Nein!“ jammerte sie und fing an, mit den Kanten ihrer Fäuste auf ihn einzuschlagen. „Die haben sie nicht mitgenommen. Nein, haben die nicht! Erzählen Sie mir nicht sowas! Becky! Becky, wo bist du?“
Er bekam sie an der Taille zu fassen und riss sie herum, bevor sie in das Dickicht stürzen und ihm entwischen konnte. „Hören Sie zu – hören Sie zu. Hören Sie auf zu schreien, bevor jeder Comanche in Texas über uns herfällt. Hören Sie mir zu!“
Sie erstarrte und verstummte in seinen Armen. Das Lauteste, was er hören konnte, war sein eigenes schweres Atmen. Sie festzuhalten kam ihm plötzlich unangemessen und respektlos vor. Er ließ sie los, streckte sich und spürte, wie sein Gesicht vor Verlegenheit rot wurde.
„Tut mir leid, aber ich kann nicht zulassen, dass Sie in die Bäume da rennen und denen auch noch in die Hände fallen.“
„Wie heißen Sie eigentlich?“
„Hamp Burns. Ich bin der Patrouillen-Ranger für das Wyatt Lee County. Mein Captain ist im Frühjahr ums Leben gekommen, und der Gouverneur von Texas hat noch keinen neuen für die Gegend hier ernannt.“
„Wie alt sind Sie?“ Ihr dunkler, fragender Blick bohrte sich tief in ihn hinein.
„Neunzehn. Warum?“
„Haben Sie ein Abzeichen?“
„Ja, sicher.“ Und er kramte aus seiner Westentasche den Stern hervor, den ein mexikanischer Silberschmied aus einer Zehn-Centavos-Münze gehämmert hatte.
„Hmm, sieht nicht so aus wie eine von den Dienstmarken, die ich bisher gesehen habe.“
„Glauben Sie mir, die ist echt.“ Er stellte sich auf die Zehenspitzen und überblickte die Lage. „Die haben die Zugtiere mitgenommen. Also fangen wir ein paar von den gestohlenen Pferden ein, die da rumlaufen, und dann laden wir die Leichen auf und verschwinden von hier. Wenn die Böcke spitzkriegen, dass hier nur ein Mann ist, kommen sie vielleicht wieder zurück.“
„Was gedenken Sie wegen ihr zu unternehmen?“ Sie spreizte ihre bloßen Füße und stemmte ihre Hände herausfordernd in die Taille ihres Kleides.
„Wir haben keine Zeit zum Streiten. Tun Sie, was ich sage.“ Verärgert über ihren Widerstand schüttelte er den Kopf. Für so etwas war jetzt keine Zeit. Die Zeit drängte, sie mussten schleunigst verschwinden.
Sie warf ihm einen bösen Blick zu und machte sich auf den Weg, um ein Pferd zu fangen – hoffte er jedenfalls. Im Wagenkasten fand er eine Decke, in die er die tote Frau sorgsam einwickelte. Für ihn war das Skalpieren das Schlimmste. Er war froh, als der Leichnam fest in der Decke eingepackt war. Der Mann war nicht groß, und dafür war Hamp dankbar, denn er war bestrebt, ihn mit der anderen grünen Armeedecke zuzudecken, und fragte sich, ob er seine Leiche überhaupt auf ein Pferd laden konnte.
„Wie viele Pferde brauchen Sie?“ rief sie, als sie das zweite an der anderen Seite des Wagens festband.
„Drei, außer meinem Falben.“
„Die hab’ ich.“
„Gut“, sagte er und richtete sich auf, nachdem er die Decke mit einem Seil um den Körper des Mannes befestigt hatte.
Er holte einen Fuchs mit einer Blesse, führte ihn um den Wagen herum und band ihn an das Rad. Dann bückte er sich, um die Mutter zuerst aufzuladen.
„Ich kann da nicht hingehen und das mit ansehen“, sagte sie und schluchzte.
„Das verstehe ich.“ Er fasste den Körper in der Mitte und hievte ihn auf den Rücken des Fuchses. Der Wallach schnaubte – wahrscheinlich, vermutete Hamp, wegen des Blutgeruchs. Aber die Leiche war dort gut aufgehoben. Er band sie mit einem Seil, das unter dem Bauch des Pferdes hindurchführte, fest und hoffte, dass sie auf dem Weg nach Cyperville nicht unter das Pferd rutschte. Das wäre ein mittlerer Schiffbruch. Mit einem Sattel wäre es viel besser gegangen. Wegen seines Gewichts legte er den Mann über den Falben und seinen eigenen Sattel. Die beiden anderen Pferde konnten sie auch ohne Sattel reiten.
Nach vielem Ächzen und Stöhnen war der Vater an seinem Platz, und der Schweiß lief Hamp in die Augen. Er nahm seinen Filzhut ab, wischte sich das Gesicht mit einem Ärmel ab und ruhte sich einen Moment aus.
„Wie heißen Sie?“
„Jean. Jean McBroom.“
Zum Zeichen, dass er verstanden hatte, nickte er, obwohl er sie nicht sehen konnte. „Ist das Ihr Vater?“
„Nein, mein Stiefvater – meine Mutter hat ihn vor ein paar Jahren geheiratet. Mike Sallick.“
Er führte die beiden Pferde zur anderen Seite des Wagen, wo sie auf dem Boden saß und Sand durch ihre Hand rinnen ließ. „Wir müssen ohne Sattel reiten“, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf und rührte sich nicht. „Ich lasse Becky nicht hier draußen.“
„Die Comanchen haben sie. Wir können nichts tun, außer die Leute zu warnen, dass die blutrünstigen Heiden hier draußen sind. Kommen Sie schon, es wird spät werden, bis wir in der Stadt sind.“
„Ich geh’ hier nicht weg. Ich lasse meine kleine Schwester nicht hier draußen.“
„Lady, stehen Sie auf oder ich werde Sie an allen Vieren fesseln und auf dem Bauch auf einem Pferd in die Stadt bringen.“
Sie zog eine Schnute. „Sie und welche Armee?“
Er nahm seinen Hut ab und kratzte sich an seiner braunen Mähne. Ein kurzer Blick zur hellen Sonne, die im Westen stand, reichte aus, dass er wusste, dass sie aufbrechen mussten.
„Wir haben vielleicht noch eine Stunde Zeit, bevor die Sonne untergeht. Wenn die Comanchen uns beide kriegen, hilft ihr das überhaupt nichts. Ich verspreche Ihnen, ich werde nach Ihrer Schwester suchen, bis ich sie finde.“
Er griff nach unten und packte sie am Arm. „Sie wollen doch, dass Ihre Eltern begraben werden, oder?“
Sie riss sich aus seinem Griff los, und ihre blauen Augen blitzten ihn düster an. „Ich will meine Schwester wiederhaben.“
„Ich sagte –“
Mit einem Satz sprang sie auf und stapfte zu einem braunen Pferd am Wagen. „Was kümmert Sie das? Für Sie ist sie nur irgendein Mädchen. Also gut, Mister Texas Ranger, gehen wir.“
Er konnte ihr tränennasses Gesicht sehen und wünschte, er könnte etwas Besseres sagen, um sie zu trösten. Bevor er ihr überhaupt seine Hilfe anbieten konnte, legte sie sich bäuchlings auf den Braunen, setzte sich auf und riss ihn mit einem aus einem Seil gefertigten Halfter herum. Immerhin konnte sie, wie er erwartet hatte, reiten.
„Zum Flussübergang.“
„Aber – aber Sie haben doch gesagt, nach Cyperville.“
„Wir müssen einen Umweg machen und hoffen, dass wir nicht in ein Wespennest von diesen roten Teufeln stoßen.“
„Wie Sie wollen, aber ich gebe Ihnen die Schuld, wenn ihr etwas Schlimmes zustößt.“ Mit gesenktem Kopf und schluchzend ritt sie zur Furt.
Es gab nichts, was er gegen ihre Tränen tun konnte. Er holte tief Luft und sah sich um – er sah nichts, aber er war überzeugt, dass diese Böcke bald zurückkommen würden. Mit einem Kopfschütteln und einem Stiefeldruck lenkte er seinen gut zugerittenen Braunen um den Wagen, ergriff die Führleinen der anderen beiden und trabte zügig hinter ihr her.
Sie ließ gerade ihr Pferd in der Furt trinken, als er sie einholte. Er drängte die Pferde ins Wasser und ließ sie ebenfalls trinken. Auf dem Rücken des Ranchpferdes drehte er seinen Oberkörper, um zu den Hügeln im Westen zu blicken, und er machte sich Gedanken über ein sechsjähriges Mädchen und darüber, wie es wohl war, in den Händen einer Bande von Wilden zu sein. Sicherlich nicht gut.
Er senkte seinen Kopf. „Herr, gib dem armen Kind die Kraft zu überleben und mir oder jemand anderem die Kraft, es zu finden.“
„Haben Sie ’was gesagt?“
Zu ihr gewandt schüttelte er den Kopf und zog dann am Knotenhalfter, damit das Pferd den Kopf hob. Es war mit dem Trinken fertig und scharrte mit den Hufen im Wasser, was den anderen beiden nicht gefiel. Mit einem Stiefeldruck lenkte er es ans Ufer.
„Wir müssen im Trab reiten“, sagte er über die Schulter, hinter sich seine beiden Schützlinge.
„Sie kennen den Weg, ich nicht. Übernehmen Sie die Führung.“
Er stimmte zu und folgte einer schmalen Wagenstraße, die den Hügel hinaufführte. Die Pferde mussten einen Buckel machen, um den steilen Abschnitt zu bewältigen. Schließlich oben angekommen, sah er sich nach ihr um und nickte. „Im Trab.“
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Comanche |
***
Sie durchquerten ein unwegsames Gelände und umgingen große Feigenkaktusfelder. Bald ließen sie das Dickicht hinter sich und kamen in ein Gebiet mit steigbügelhohem Gras. Sie scheuchten drei große Rehböcke mit zotteligen Herbstgeweihen auf. Doch es war eine dunkle Rauchfahne, die im Süden zum Himmel aufstieg, die an Hamps Eingeweiden nagte.
Zu seiner Rechten sank die Sonne immer tiefer. Der Rauch vor ihm bedeutete eines – jemandes Gehöft stand in Flammen. Seine Hoffnung, Cyperville auf diesem Weg zu erreichen, musste er möglicherweise noch einmal überdenken. Nicht, was er tun würde, wenn er allein wäre, sondern was er zu tun gezwungen sein würde, um sie zu beschützen. Allein hätte er dem Falben bereits die Sporen gegeben und hätte sich aufgemacht, um die Ursache des Feuers zu erkunden. Von den Umständen gezwungen, überlegte er, welcher andere Weg, wenn er das Tobin-Gehöft umginge, in Betracht kam, um trotzdem die Stadt zu erreichen.
„Was brennt da vorne?“
„Der Hof der Tobins.“
„Oh, nein.“
„Wir müssen ihn vielleicht umgehen.“
„Brauchen die denn keine Hilfe?“ Sie trieb ihr Pferd an, bis sie neben ihm war.
Er schüttelte den Kopf. „Ich muss Sie nach Cyperville bringen.“
„Sie sind Ranger. Sie haben das Abzeichen. Beschützen Sie die Leute denn nicht?“
„Jean, ich muss schon Sie beschützen.“
Sie sah sich in dem weiten Tal um und sagte überheblich: „Ich bin nicht in Gefahr, das kann ich sehen.“
Er zügelte sein Pferd. „Ich nehme an, die roten Teufel haben ihren Schaden schon angerichtet. Sie lassen keinen lebend zurück. Wenn wir unversehrt nach Cyperville kommen, wäre ich sehr zufrieden.“
„Sie wollen nicht einmal versuchen, etwas für die armen Menschen zu tun?“
Er blickte ihr entschlossen in die Augen. „Nein. Es geht weiter im Trab, wir machen einen großen Bogen um den Hof. Keine Widerrede.“
„Sie können einen ganz schönen Befehlston anschlagen.“ Sie versetzte ihrem Pferd mit dem Ende des Führstricks einen Schlag, und es preschte los.
Er blickte hilfesuchend gen Himmel und folgte ihr. Sie überquerten den höchsten Punkt von Adderson’s Ridge. Die goldenen Strahlen des Sonnenuntergangs schienen auf ihr Haar, als sie sich in Erwartung seiner Anweisungen umdrehte.
„Nach links –“ Seine Augen nahmen ein Glitzern wahr, und er wusste, dass es von einem Gegenstand stammte, der das Sonnenlicht reflektierte. „Runter vom Pferd und runter da in diesen Canyon! Sofort!“
Sie funkelte ihn mit ihren blauen Augen an. Aber etwas in seinem barschen Ton führte dazu, dass sie gehorchte. Mit einem Satz sprang sie von ihrem Pferd, und schon rannte sie los und zog ihr schlitterndes Pferd hinter sich den steilen, steinigen Hang hinunter in ein Eichendickicht. Er kam hinter ihr her und wünschte sich, seine drei Tiere wären genauso folgsam. Nach drei Vierteln des Abstiegs rannte sie zu ihm zurück und nahm ihm eines ab.
Im Schutz der Bäume waren beide außer Atem. Schließlich schluckte sie schwer und formte mit dem Mund das Wort. „Comanchen?“
Er nickte.
„Haben Sie sie gesehen?“
„Nein, aber etwas glitzerte auf einem hellen Gegenstand wie auf einem Spiegel. Irgendwo da draußen ist ein Trupp von Kriegern.“ Er zeigte mit seinem Kopf nach Westen, während die Schatten in dem Canyon tiefer wurden. Sie hatten keine Chance mehr, die Stadt vor Sonnenuntergang zu erreichen.
„Und jetzt, großer Ranger?“
„Wir warten, bis der Viertelmond aufgeht.“
„Und reiten dann direkt in sie rein?“
„Habe ich nicht vor.“ Er pflockte seine Pferde sorgfältig an und blickte in den hellen Himmel über ihnen. Vielleicht konnte er, wenn er vorsichtig war, dort hinaufschleichen, über den Kamm spähen und sie entdecken, um zu erfahren, in welche Richtung sie sich bewegten.
„Wo wollen Sie hin?“ fragte sie, als er losgehen wollte.
„Bleiben Sie hier. Ich bin gleich wieder da.“
„Auf keinen Fall. Wenn Sie gehen, dann gehe ich auch.“
„Wenn die uns entdecken, können Sie Ihr Testament machen.“
„Das hat noch Zeit. Gehen Sie nur. Ich kann den Abhang alleine hochklettern. Ich bin da ’runtergekommen.“
„Na gut.“ Er machte sich an den Aufstieg, der sich als beschwerlich erwies. Die Sohlen seiner Stiefel fanden an manchen Stellen nur schwer Halt, und bald war sie barfuß an ihm vorbei.
„Halten Sie Ihren Kopf unten“, sagte er von hinten zu ihr. Dann stieß er sich an einer klebrigen Zeder, aber sie gab ihm einen Halt, damit er sich hochziehen konnte.
Außer Atem legten sie sich unterhalb der Kante auf den Bauch, und er nahm seinen Hut ab. Ein paar Krähen krächzten. Drei oder vier Geier nutzten die letzten Aufwinde des Nachmittags für ihre Suche nach Aas, an dem sie sich laben konnten. Sie würden bald mehr haben, als sie verschlingen konnten, wenn seine Vermutung über die zahlenmäßige Menge der Räuber zutraf.
Ganz langsam nutzte er etwas spärliches Fettholz, um sein Gesicht zu verbergen, und schaute nach Westen über das Land, das schnell in der Dämmerung verblasste. Im grellen feurigen Sonnenschein sah er eine Reihe von Ponys mit Kriegsbemalung, die leichtfüßig zum leisen Klingeln der Glöckchen an ihrem Zaumzeug und den kniehohen Mokassins tänzelten, die die dunkelroten Reiter trugen. Ihre nackte kupferne Haut war mit rotem Staub bedeckt. Streifen gelb-schwarzer Kriegsbemalung überzogen ihre entschlossenen Gesichter. Einige mit Pfeil und Bogen, andere hatten Repetiergewehre, deren Kolben sie auf ihren Beinen balancierten.
Fette Adlerfedern baumelten an ihren Zöpfen. Einige trugen Federkielwesten, andere Halsketten aus Bärenkrallen, ein paar trugen glänzende Münzen – was, so vermutete er, das Glitzern verursacht hatte, das er wahrgenommen hatte. Aber hinter der Prozession kamen die Gefangenen, die mit Stricken um ihre Hälse in einer Reihe aneinandergebunden waren und von ein paar Reitern mit langen Lanzen bewacht wurden. Halbnackte Männer, Kinder und Frauen, die so vom Straßenstaub umhüllt waren, dass sie eher wie schmutzige Statuen als wie lebendige Seelen aussahen, schleppten sich mühsam in der Menschenkette dahin und wurden von den Lanzenreitern zur Eile angetrieben.
„Oh, nein –“
Er unterdrückte Jeans Aufschrei mit seiner Hand, als ihm klar wurde, dass auch sie die vorbeiziehende Karawane gesehen hatte. Sein Herz raste, als sie sich gegen ihn wehrte. Hatte die Mörderbande sie gehört?
„Still, Mädchen! Wir haben kaum noch eine Chance, hier lebend rauszukommen“, zischte er ihr ins Ohr.
Fast gar keine Chance mehr, falls sie ihren Aufschrei gehört hatten. Nachdem er sie losgelassen hatte, kaute er an seiner Oberlippe und lauschte angestrengt auf ein Anzeichen dafür, dass sie wussten, dass sie dort oben waren. Neben ihm auf dem Boden ausgestreckt lag sie, ihre Schultern zitterten unter dem dünnen Kleid, dann richtete sie sich halb auf und begann sich zu übergeben. Sie versuchte dabei so leise zu sein, wie es eben ging.
Der saure Geruch stieg ihm in die Nase. Sie konnten vom Glück reden, wenn sie die kommende Nacht überlebten. Er betete für sie beide.
(wird fortgesetzt mit: Texanische Schuldscheine)
*** Published with permission from the beneficiaries and Literary Agent Cherry Weiner - cwliteraryagency@gmail.com ***
© für die deutsche Übersetzung: Reinhard Windeler, 2025
Wir danken Anna Barnes und Rhonda Albrecht, den Töchtern des verstorbenen Autors, sowie der Cherry Weiner Literary Agency für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieser Übersetzung.