31. Oktober
von Michael Sonntag
Gewidmet John Carpenter - Und für Lea-Samantha, den größten „Halloween“-Fan der Welt
(deutsche Originalausgabe, 2025)
Michael Sonntag, der seine Western auch als Michael Harte veröffentlicht, ist hier mit einer zweiten Kurzgeschichte vertreten. Regelmäßigen Lesern des AKWA Journals und des PoMeWe Magazins ist er zudem durch seine Sachbeiträge zu verschiedenen Themen aus dem Bereich der populären Unterhaltungsmedien bekannt.
Michael war zufrieden mit sich. Sein ganzer Beutel war voller Indianerskalps. Die Regierung zahlte gut für jeden getöteten Indianer und Michael galt nicht umsonst als einer der erfolgreichsten Indianerkiller. Er hatte sich vorgenommen, dass dies sein letzter Beutezug sein sollte. Er hatte genug von der Gefahr. Er wollte sich endgültig zur Ruhe setzen.
Der Geruch von Feuer brachte ihn dazu, sein Pferd in eine andere Richtung zu lenken. Vielleicht war ja doch noch der ein oder andere Skalp zu holen. Ein paar Dollar mehr machten seinen Ruhestand nur noch angenehmer.
Wie er es gehofft hatte, saß ein Indianer an dem Feuer, das ihn in die kleine Felsenschlucht gelockt hatte. Nur ein gebrechlicher alter Mann, doch das machte keinen Unterschied. Michael zog seinen Colt und legte auf den Rücken des Mannes an.
„Hast Du Angst, einem Mann in die Augen zu blicken, den Du töten willst?“, fragte der Alte.
„Ich habe vor nichts Angst!“
„Dann setz Dich einen Moment ans Feuer. Ich habe Dir etwas zu sagen, bevor Du mein Leben beendest!“
Eigentlich hatte Michael keine Lust, seine Zeit zu verschwenden, doch irgend etwas brachte ihn dazu, den Worten des Alten zu folgen. Eine Weile starrte er wortlos in die Flammen, bevor der Alte zu sprechen anfing:
„Deine Vorfahren kommen aus einem fernen Land, das Ihr Irland nennt. Heute ist der Tag, von dem Deine Vorfahren glaubten, dass die Grenzen zwischen den Welten dünn werden und die Geister in das Land der Lebenden zurückkehren.“
„Abergläubisches Geschwätz“, unterbrach Michael den Schamanen, doch etwas in ihm begann, etwas Merkwürdiges zu fühlen, das sein Verstand nicht erfassen konnte.
„Höre mir zu! Es gibt einen alten Glauben, der besagt, dass alle tausend Jahre ein Wesen ohne Seele geboren wird. Ein Wesen, das aussieht, wie ein Mensch, doch in Wahrheit alles Böse, das in der menschlichen Seele lebt, verkörpert. Dieses Wesen wird unsterblich sein und niemand wird verstehen, was es wirklich ist.“
„Warum erzählst Du mir das?“
„Noch hundert Jahre sind es, bis dieses Wesen erneut erscheinen wird. Und es wird Dein Nachfahre sein! Für das, was Du meinem Volk angetan hast, wird Dein Name wie ein Fluch ausgesprochen werden. Denn das Böse wird wie Du genannt werden. Deinen Namen wird Dein seelenloser Nachfahre tragen und er wird Deine Familie jagen und auslöschen.“
„Jetzt reicht es mir aber!“ Mit einem Schaudern zog Michael seinen Colt und erschoss den alten Schamanen. Er gestand es sich nicht ein, doch die Worte des Alten hatten ihm Angst gemacht. Er zog sein Messer und skalpierte die Leiche. Er war froh, als er sich von dem unheimlichen Ort entfernte, doch etwas in ihm hatte sich verändert. Er, der gewissenlose Killer, hatte gelernt, was Furcht bedeutete.
***
„Sie haben da eine ganze Menge Skalps. Was machen Sie mit dem ganzen Geld?“
Der Regierungsagent zahlte den Skalpjäger aus und legte ihm die Unterlagen hin, damit er das Geld quittieren konnte.
„Ich habe genug, ich will endlich Schluss machen. Mich zur Ruhe setzen und eine Familie gründen.“
„Da kann man sie nur beglückwünschen. Wohin wollen Sie denn?“
„Ich habe gehört, in Haddonfield soll es relativ ruhig sein. Dort soll man recht zufrieden leben können.“
„Dann drücke ich Ihnen die Daumen, Mister Myers. Auch, wenn wir es natürlich bedauern, dass Sie nicht mehr für uns arbeiten.“
© Michael Sonntag