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Freitag, 22. August 2025

STORY: Bitterer Ruhm (Leslie West)


Bitterer Ruhm

von Leslie West 
(Originalveröffentlichung bei WILDWESTER. Home of the Western,  2010)



Leslie West wurde den 'echten' Westernfreunden vor allem durch seine Romane um Kit Carson bekannt, schreibt aber auch - teils in Zusammenarbeit mit Al Wallon - anderes. Vor einigen Jahren hatte ich die Freude Ludwig Webel, der sich hinter diesem Pseudonym verbirgt, persönlich kennenzulernen. In gemütlicher Runde ergab sich die Gelegenheit intensiv über den Western zu plaudern und ich erfuhr auch, dass Ludwig Webel ein Spezialist für italienische Comics ist.

Als ich mich vor einiger Zeit an ihn mit der Bitte wandte, mir eine Story zur Verfügung zu stellen, sagte er sofort zu und schickte mir BITTERER RUHM exklusiv zur Online-Veröffentlichung. Hierfür danke ich herzlich! 

BITTERER RUHM gehört in den Kit-Carson-Kosmos. In diesen Geschichten erzählt West von der Freundschaft des bekannten Scouts zu einem indianischen Häuptling und den zahlreichen Abenteuern, die sie im amerikanischen Westen erleben. West hat sich - nicht nur in diesem Zyklus - als kompetenter, kenntnisreicher Autor erwiesen, der es versteht, traditionelle Westernabenteuer spannend und interessant zu erzählen. - BITTERER RUHM - beruhend auf historischer Grundlage - spricht auch die Mythisierung und Popularisierung des Westens und seiner 'Helden' an:
"Carson's public image as a hero had been sealed by the Frémont expedition reports of 1845. In 1849, the first of many Carson action novels appeared. The first, written by Charles Averill, bore the name Kit Carson: The Prince of the Gold Hunters [Boston: G. H. Williams, 1849]. This type of western pulp fiction was known as "blood and thunders." In Averill's novel, Carson finds a kidnapped girl and rescues her, after having vowed to her distraught parents in Boston that he would scout the American West until she was found. In November 1849 Carson and Major William Grier found this book among the effects of Mrs. Ann White killed by Jicarilla Apaches after she and her daughter were captured by them weeks earlier, in an attack in which they killed her husband and others. They killed her as she tried to escape. While picking through the belongings that the Jicarilla had left in their camp, one of Major Grier's soldiers came across a book which the White family had carried with them from Missouri: the paperback novel starring Kit Carson. Later he commented on seeing it. This was the first time that Carson came in contact with his own myth." (Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Kit_Carson (31.01.2010))
Das AKWA  Journal veröffentlicht die Erzählung hier unverändert nach dem Abdruck auf der nicht mehr online zugänglichen website WILDWESTER - Home of the Western.

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"Sie wurden nicht verstümmelt", stellte Kit Carson fest und richtete sich wieder auf. "Das heißt, diese Männer haben so gut wie keine Gegenwehr geleistet. Jicarilla-Apachen massakrieren ihre toten Gegner nur dann, wenn sie selbst im Kampf mit ihnen Verluste hatten - oder aus Aberglauben, dass ein getöteter Gegner, der hohen Mut bewiesen hat, wiederkehren könnte. Das war hier nicht der Fall."
Unter der milden Herbstsonne sahen die verwitterten Felsen der nahen Gebirgskette wie Pagoden aus, die sich endlos dahinzogen. Ihre Zinnen schimmerten in allen Farben, vom stumpfen Dunkelbraun und Grau bis zum leuchtenden Braun und blutigen Rot. Als wollten die unheimlichen Bergmassive am Horizont des Santa Fé Trails das Gemetzel widerspiegeln, das zu ihren Füßen stattgefunden hatte.
"Mein Gott." Der Scout Antoine Leroux brachte es nicht fertig, seinen Blick von den toten Amerikanern und Mexikanern abzuwenden, die von den Apachen in makaber gleichmäßigen Abständen auf dem kargen Boden aufgereiht worden waren. Der Sand hatte alles Blut aufgesogen. "Francis Aubrey, der Treckführer, ist doch wahrhaftig ein alter Hase. Wie konnte er diesen unbedarften Kaufmann namens White nur mit einer Handvoll Männer voraus reiten lassen. Noch dazu mit Frau und Kind! Die nun beide spurlos verschwunden sind."
"Wahrscheinlich wird Aubrey seines Lebens nicht mehr froh", versetzte Dick Wootton, ein anderer Scout. "150 Meilen vor Santa Fé, dachte er, könnte wohl nichts mehr passieren. Bis dann der Mexikanerbengel mit dem Pfeil im Arm vor seinem Treck erschien und ihm erzählte, was geschehen war."
"Der Boy hatte zu einer Bande Tortillafresser gehört, die die Ermordeten entdeckt hatten und ihre Planwägen ausplündern wollten." Robert Fisher, der dritte Scout, griff den Faden auf. "Was sie nicht wussten war, dass die Jicarillas immer noch zwischen den Felsen steckten. Der Junge blieb nur am Leben, weil sie ihn für tot hielten. Trotz seiner Verletzung konnte er den Spuren der White-Wägen so weit zurück folgen, bis er auf den Rest des Trecks stieß."
"Aubrey hat ihn dann bis nach Santa Fé mitgenommen, wo sie alles Major William Grier von den Ersten U.S. Dragonern berichtet haben", schloss Fisher. "Der hat sich bald darauf mit uns und seiner Truppe auf den Weg gemacht. Aber dich hat er noch unterwegs in Taos aufgegabelt, Kit, weil er genau weiß, dass er für dieses Unternehmen deine Spürnase und deine Indianererfahrung braucht. Klar, wir drei sind auch Klasse. Aber die Spur ist schon zu alt. Da braucht es wirklich einen Fährtenleser wie dich, um überhaupt noch etwas auf die Reihe zu bringen."
Der sehnige blonde Scout, der einst Trapper gewesen war und der später drei Expeditionen John Charles Frémonts in den Westen geführt hatte, war in den Staaten längst zu einer Legende geworden. Von Fishers letztem Satz etwas unangenehm berührt, winkte er ab.
"Übertreib mal nicht, Bob. Ich schätze, er hat mich nicht ganz freiwillig mitgenommen. Und das lässt er mich auch spüren."
Und Leroux lässt es mich ebenso spüren, dachte Kit insgeheim. Als Chefscout ist er eifersüchtig, dass ihn jemand bei dieser Angelegenheit in den Schatten stellen könnte.
"Vier Scouts sind auch ein bisschen viel", ließ sich Leroux vernehmen, als hätte er etwas von Kits Gedanken mitbekommen.
Der blonde Mann aus Taos drehte sich zu Leroux um.
"Hör zu, Antoine. Drei Dinge. Erstens: Dir will niemand die Butter vom Brot nehmen, falls du diesen Verdacht haben solltest. Zweitens: Ich bin meinem Ruf nie hinterher gelaufen. Was ich gelernt habe, habe ich nicht gelernt, um heute damit zu protzen, sondern damals, um zu überleben. Vielleicht bist du eines Tages berühmter als ich. Dann wünsche ich dir, dass dir mal keine Neider zusetzen, wenn es soweit ist. Und drittens: Ja, ich glaube, dass wir so viele Scouts brauchen, denn ich kenne die Jicarillas und ihre Taktik. Sonst wäre ich nämlich nicht mitgekommen. Und egal wie es ausgeht: Den Ruhm kannst du gern allein haben. Das einzige, was mich interessiert ist, dass wir den Jicarillas die Frau und das Kind entreißen können, bevor es zu spät ist."
Ein vierschrötiger Mann in Uniform und mit Offiziersklappen stapfte auf die vier Männer zu, die alle Wildlederkleidung trugen. Doch nur Kit Carsons Jacke und Hose waren mit Fransen verziert.
"Was ist los? Was palavert ihr solange? Wir sind hier nicht auf einem Picknick, oder? Meine Männer warten!"
"Die Frau und das Kind mussten über eine Woche warten, bevor Sie sich überhaupt auf die Stiefel gemacht haben, Major", gab Kit unbeeindruckt zurück. "Und jetzt mosern Sie wegen ein paar Minuten?"
"Sie ... Sie ..."
Der Ausdruck in Kits Augen ließ ihm die Worte im Mund stecken bleiben. Abrupt wandte Major Grier sich ab und stiefelte zu seiner Truppe zurück.
Kit spuckte auf den Boden, als er ein Stück weg war.
"Noch einer, der mich nicht ertragen kann. Ein ehrgeiziger Offizier, wie damals dieser verfluchte Kearny. Zum Teufel, warum wollen es alle wissen? Also gut, packen wir's."
Er ging auf sein Pferd zu. Die übrigen drei Männer warteten, bis er außer Hörweite war.
"Du bleibst unser Boss, Antoine." Wootton schluckte. "Wenn's hart auf hart kommen sollte, hören wir auf dich und nicht auf Carson."
Robert Fisher sagte nichts darauf.

***

W
er wusste schon, ob Major William Grier überhaupt etwas unternommen hätte, wenn nicht in Santa Fé einige Pueblo-Indianer den Ersten U.S. Dragonern berichtet hätten, was sie gesehen hatten: Eine junge weiße Frau und ihr Kind in einem Apachenlager, dessen Häuptling Weißer Wolf hieß. Er galt als einer der gerissensten Indianerführer überhaupt.
Grier war vom ersten Moment an überzeugt, dass es sich nur um Mrs. White und ihre kleine Tochter handeln konnte. Aber das Lager war mit Bestimmtheit längst wieder abgebrochen worden. Es würde schwierig werden, Weißem Wolf und seinen Kriegern zu folgen - jetzt, wo der Winter vor der Tür stand.
Seit ihrem Aufbruch waren mehrere Tage vergangen. Nachdenklich blickte Kit Carson in den trüben Novemberhimmel. Es würde bald wieder Schnee geben. Bitterkalt wehrte der Wind vom Canadian River herüber. Gut, dass er sich warm angezogen hatte. Ihm war klar gewesen, was ihnen bevorstand.
Endlich erreichten Sie die Stelle, die von den Pueblo-Indianern beschrieben worden war. Und natürlich war das Lager längst verlassen.
Aber die Scouts und die Soldaten suchten alles ganz genau ab. Es war ein Sergeant, der das kleine Puppenkopftuch aus Samt fand.
Als sie weiter ritten, schneite es. Stellenweise blieb der Schnee bereits liegen. Das würde alles noch schwieriger machen.
Kit wusste, dass die Apachen es besser als alle anderen Indianer verstanden, ihre Spuren zu beseitigen. Aber falls dies den anderen Scouts noch nicht bekannt sein sollte - er würde sich hüten, sie noch weiter zu entmutigen, indem er es ihnen verriet.
Bei der Spurensuche hielt er sich zunächst so bedeckt wie möglich. Wenn er bereits etwas entdeckt hatte, behielt er es so lange für sich, bis einer der drei anderen Scouts darauf stieß. Erst wenn dies nicht der Fall war, rückte er mit seinen Entdeckungen heraus.
Das war dann schwierig, wenn jeder ein bestimmtes Terrain erkundete. Ein andermal war es Leroux, der auf gleichmäßig abgerissene Halme stieß, die Kit bereits aufgefallen waren, die er aber wie gewohnt so lange nicht erwähnen wollte, bis ein anderer dahinter kam. Doch diese Taktik belohnte Leroux mit blanker Häme.
"Es scheint, dass du alt wirst, Carson! Dürfen wir jetzt die ganze Arbeit allein machen?"
Kit erwiderte nichts. Aber von nun an gab er seine Funde wieder sofort kund. Und da er auf das Meiste stieß, was wichtig war, bekam er statt des Spotts nun wieder den Neid der anderen beiden Scouts ab. Fisher war anders, das spürte er.
Der Schnee fiel immer dichter, die Spuren wurden immer schwieriger zu erkennen. Noch ein Dutzend Jahre später würde er allen erzählen, die es hören wollten, dass dies die schwierigste Fährte war, der er jemals hatte folgen müssen.
Bisonherden hatten ihren Weg gekreuzt. Sie verzögerten das Weitersuchen jedesmal um viele Stunden.
Weißer Wolf hatte bestimmt längst mitbekommen, dass er verfolgt wurde. Dafür gab es in seinem Stamm genug fähige Späher.
"Da!" Dick Wootton wies auf eine Passage, die in die Berge führte. "Der Schnee liegt unregelmäßig. Hier sind die roten Hunde hochgezogen!"
"Endlich!" Major William Grier verzog triumphierend sein Gesicht. "Irgendwann müssen wir diesen Kerlen doch näher kommen."
"Weißer Wolf ist einer der verschlagensten Häuptlinge, die ich kenne", wandte Kit ein. "Wenn er weiß, dass man ihm auf den Fersen ist, legt er falsche Fährten. Und wenn der Verfolger dann auf eine Spur stößt, die entweder weg von Wasser oder irgendwo ins Gebirge führt, dann soll er damit an der Nase herumgeführt werden. Es geht geradeaus weiter."
Der Offizier schüttelte den Kopf.
"Wir können es uns nicht leisten, einer Spur keine Beachtung zu schenken."
"Ich folge Wootton!" ließ sich Leroux vernehmen.
Kit sagte überhaupt nichts mehr. Er lenkte sein Pferd von den anderen weg und folgte der Richtung, die er für zutreffend hielt.
Viele Stunden später hatten ihn alle übrigen Männer wieder eingeholt. Es wurde kein einziges Wort über die Angelegenheit verloren.

***

Über eine Woche war bereits vergangen. Doch immer wieder waren sie auf unauffällige Hinterlassenschaften einer weißen Frau gestoßen. Haarnadeln hatten dazu gehört, Wäschefetzen und einmal sogar ein Schmuckstück. Es konnte sich tatsächlich nur um Mrs. White handeln, die so etwaige Verfolger auf den Weg ihrer Gefangenschaft aufmerksam machen wollte. Kit begann die Umsicht, Ausdauer und Geschicklichkeit der ihm unbekannten Frau immer mehr zu bewundern. Ohne diese Fundgegenstände hätten sie Stunden, wenn nicht Tage verloren.
Als der Schnee endlich überall liegen blieb, wurde es natürlich unmöglich, keine Spur zu hinterlassen. Aber Weißer Wolf war kein heuriger Hase.
Die breite Schneise, der Major Griers Trupp nun mit verstärktem Eifer gefolgt war, teilte sich unvermittelt in mehrere kleinere.
"Diese verdammten Bastarde!" fluchte der Offizier. "Und jetzt?"
"Erinnerst du dich, Leroux?" wandte sich Kit an den Mann, dem er als Konkurrent ein Dorn im Auge war. "Erinnerst du dich, als ich dir am Ort des Überfalls gesagt habe, dass auf dieser Expedition keineswegs zu viele Scouts dabei sind?"
Leroux sagte nichts.
"Ein beliebter Jicarilla-Trick", fuhr der blonde Mann aus Taos fort. "Natürlich verabreden sie sich an einem weiter voraus liegenden Treffpunkt. Aber vielleicht nicht alle zugleich und nicht alle am gleichen Treffpunkt. Also müssten wir jeder Schneise hinterher. Aber dieses Spiel wird sich wiederholen. Vielleicht jeden Tag. Wenn es so viele Schneisen werden, dass wir nach einer Aufteilung in zu kleine Gruppen nicht mehr verteidigungsfähig wären, dann müssen wir denen folgen, die am meisten versprechen. Denn irgendwo führen sie doch wieder zusammen." 

***

Am zehnten Tag fanden sie nachmittags eine Mulde, in der wieder mehrere Schneisen zusammen liefen. Hier hatten die Jicarillas campiert.
Diesmal war es ein einfacher schwarzer Fußsoldat, der zwischen zwei schneeverwehten Steinen ein zusammengefaltetes bedrucktes Blatt Papier fand. Er sah sich kurz um und ging dann auf Kit Carson zu, obwohl ihm der Major und die anderen Scouts näher gestanden wären. Eine alte Verletzung ließ ihn ein Bein nachziehen.
"Da, sehen Sie, Mister Carson!"
Der Mann aus Taos wandte sich um und griff nach dem Papier.
"Danke, Moses. Das scheint wieder eine wertvolle Spur zu sein."
"Sie ... Sie kennen meinen Namen?" staunte der Dunkelhäutige.
"Ich habe ihn beiläufig von den anderen Soldaten gehört. Einer meiner besten Freunde heißt ebenso. Und ihr habt die gleiche Hautfarbe. Er ist ein toller Kerl. Jeder von uns würde alles für den anderen tun. Ich kannte auch viele schwarze Trapper."
"Einer Ihrer besten Freunde?"
Kit gab keine Antwort mehr. Angestrengt studierte er das Blatt Papier.
"Mein Name", sagte er plötzlich. "Da steht mein Name mit drauf."
Antoine Leroux stand unvermittelt neben ihm und riss ihm das Blatt aus der Hand.
"He, Jungs!" rief er, als er die ersten Zeilen überflogen hatte. "Das müsst ihr gehört haben! Kommt alle schnell!"
Fisher und Wootton waren als erste da, dann drängten die Soldaten heran. Kit, dem das Ganze zu dumm war, blieb einfach stehen, wo er war.
"Ein Roman!" Leroux' Augen glänzten spöttisch. "Dieses Blatt wurde aus einem Roman herausgerissen - und der Held des Romans ist kein Geringerer als der große Kit Carson! Oh Mann! Hier schlachtet er gerade einen ganzen Batzen Indianer völlig allein ab und befreit eine herzige Siedlerstochter aus ihren schlimmen Krallen. Verdamm mich, ist das krass! Mit einer Hand, hahaha! Mit einer Hand! Wartet, ich lese es euch genau vor! Also: ..."
Kit konnte es nicht länger ertragen. Er stapfte auf eine Anhöhe, auf der er seine Ruhe hatte. Das Gelächter der Männer drang dennoch zu ihm herauf.
Hätte er einfach mitlachen sollen? Jetzt war es zu spät dafür. Wenn ihn etwas hatte falsch reagieren lassen, dann Leroux' hämisches Verhalten.
Er tröstete sich damit, dass dieses dumme Blatt Papier wenigstens eine weitere Spur zu Mrs. White war.

***

Es war am zwölften Tag ihrer Verfolgung. Plötzlich war die Luft ... anders.
Kit kannte dieses Prickeln, das ihn befiel, wieder. Die Stille, der Temperatursturz ...
Ein Blizzard zog auf!
Er würde nicht nur die Ersten U.S. Dragoner in Deckung zwingen, sondern auch sämtliche Spuren verwischen. Er würde eine weitere Verfolgung unmöglich machen. Sie würden die Jicarillas nie mehr stellen können.
Weißer Wolfs Krieger waren ganz in der Nähe, das spürte er.
"Das Wetter schlägt um", vernahm er eine Stimme neben sich.
Kit Carson sah zur Seite. Major Grier hatte zu ihm aufgeschlossen.
"Sollen wir unter einem sicheren Überhang quartieren?"
Kit wunderte sich direkt, wieder gefragt zu werden. Leroux hatte bis zuletzt gegen ihn intrigiert und versucht, ihn zu isolieren. Dass der Offizier ihn nun direkt ansprach statt die anderen zu fragen, erfüllte ihn wieder mit Zuversicht.
Vorsichtig schüttelte er den Kopf.
"Ich weiß, dass Sie nicht gerne auf mich hören, Major. Aber wir sind dran. Ganz dicht. Glauben Sie mir, ich spüre so etwas."
William Grier schaute ihm kurz in die Augen. Dann nickte er entschlossen. Ohne Kit Carson hätte er längst aufgeben müssen. Trotz aller Ressentiments war er bereit, sich das einzugestehen.
"Weiter, Männer", sagte er nach hinten. "So schnell es geht."
Und hinter der nächsten schneebedeckten Hügelkuppel sah Kit das Lager der Jicarillas! So ruhig wie die Männer und Frauen zwischen den Zelten herumstrichen, rechneten sie nicht mehr - oder wenigstens nicht so schnell - mit Verfolgern.
Es war nicht zu glauben. Sie hatten es doch noch geschafft.
"Sofort angreifen!" flüsterte Kit. "Jetzt hilft nur die Gunst des Überraschungsmoments! Wenn wir noch einen Moment zaudern, dann sehen sie uns und stellen sie sich auf eine Verteidigung ein!"
"Unsinn!" erklang plötzlich Leroux' Stimme hinter Kit. "Wir umgehen sie vorsichtig, und sobald wir sie eingekesselt haben, geben Sie den Befehl zum Angriff, Major Grier."
Der Offizier zögerte.
"Aber bis wir die Kette geschlossen haben, sind ..."
Eine Kugel schlug in seinen Leib ein. Sie war aus einer der Indianerflinten abgefeuert worden!
Die Soldaten starrten wie betäubt auf ihren Anführer, den das Geschoss zu Boden gerissen hatte. Doch wie sich schnell herausstellte, war es von etwas Hartem in der Kleidung abgelenkt worden und hatte Grier dann nur gestreift. Der Aufprall der Kugel aber hatte ihm die Luft aus dem Leib gepresst und den Magen eingedrückt, sodass er mit Schwindelgefühlen um sein Bewusstsein kämpfte.
"Angriff!" presste er endlich hervor.
Bis die Soldaten sich dann noch aufgereiht hatten und ihre Kugeln abfeuerten, hatten sich die meisten Jicarillas in Sicherheit bringen können. Nur einer wurde von einer Soldatenkugel tödlich erwischt. Der Rest verschwand im Schnee zwischen den Felsen.
"Hinterher!" befahl der Major. "Bringt diese Hunde zur Strecke!"
Kit hörte die letzten Worte gar nicht mehr. Er war bereits ins Lager hinunter gestürmt, seine Hawken-Rifle im Anschlag, seine Rappahannock-Holsterpistole griffbereit. Mit einem Blick hatte er das Zelt ausgemacht, in dem sich die Gefangenen befinden mussten. Mit einem Ruck schlug er die Plane zurück - und stürzte vor, um sich über den reglosen Frauenkörper zu beugen.
Mrs. Whites Leib war noch ganz warm. In ihrem Herz stak ein Pfeil.

***

Die Soldaten setzten die Verfolgung der Indianer noch über etliche Meilen fort. Dann endlich brach der Blizzard mit voller Wucht über das Gebirge herein, und die Jicarilla-Apachen konnten entkommen. Niedergeschlagen kehrte die Truppe ins verlassene Indianercamp zurück. Aus Wut steckten sie alles in Brand.
Mrs. Whites Tochter war nicht gefunden worden.
Kit Carson vermochte den Blick nicht von der tapferen toten Frau abzuwenden. Was hatte sie alles unternommen, um sie auf der richtigen Spur zu halten.
Abgemagert und ausgezehrt waren ihr Gesicht und ihre Gestalt. Was musste sie alles erduldet haben!
Hätte der Major nur sofort auf ihn gehört! Sekunden hatten alles entschieden! Wären sie wie ein Blitz über das Lager hergefallen, dann hätten die Jicarillas keine übrige Zeit mehr gefunden, ihre lästige Gefangene zu töten!
Wer war schuld? Leroux?
Aber das half nichts. Geschehen war geschehen.
Alle Zelte waren bereits in Brand gesteckt worden. Bis auf das, in dem Kit immer noch gebeugt über der Toten kniete.

Neben ihr lag etwas Buchähnliches. Kit griff danach - und las erneut seinen Namen.
Auf dem Umschlag stand "Charles Averill". Und darunter "Kit Carson - The Prince of the Gold Hunters".
Rasch blätterte er es durch. Zufällig stieß er auf eine Stelle, in der eine von Indianern entführte weiße Frau immer wieder heimlich Gegenstände fallen ließ, während sie verschleppt wurde ...
Und es fehlte genau die herausgerissene Seite, die sie auf dem langen Weg hierher gefunden hatten.
Hinter sich vernahm Kit eine Bewegung. Es war der dunkelhäutige Soldat Moses, der in das Zelt eintrat.
Wortlos hielt Kit ihm den Umschlag des Romans hin.
Moses nickte verstehend.
"Sie hat es gelesen", sinnierte Kit. "Sie hat mich gekannt - aus dieser Schundschwarte, in der ich gerade noch rechtzeitig komme, um eine weiße Frau aus der Hand von Indianern zu befreien. Dann hat sie auch gewusst, dass ich in Taos lebe. Dann hat sie auch die ganze Zeit gehofft, dass aus dieser Richtung Hilfe kommt. Vielleicht sogar ich selbst. Ich, die 'lebende Legende' dieser Groschenschrift. Wie der Ritter ohne Furcht und Tadel würde ich endlich doch noch zu ihrer Rettung kommen."
Seine Beine waren fast eingeschlafen. Ganz langsam stand Kit auf und legte Moses seine Hand auf die Schulter.
"Wenn sie tatsächlich das alles geglaubt hat, was da hineingeschmiert worden ist, muss sie mich für einen wahren Übermenschen gehalten haben. Dem vielleicht ihre letzte Zuversicht galt - der ihr aber im entscheidendsten Moment ihres Lebens dann doch nicht mehr helfen konnte. Die 'Legende' kam tatsächlich - aber sie kam um Sekunden zu spät. Nur Sekunden - und die Hoffnung, die dieses billige Machwerk geschürt hatte, hätte für diese unglückliche Frau wahr werden können! Und vor allem: ihr wäre tatsächlich das Leben gerettet worden! - Es hat nicht sollen sein. Das Schicksal ist eine Hure, Moses. Komm."
Sie staksten langsam zum nächststehenden Zelt, das gerade noch hell aufloderte und kurz davor war, in sich zusammenzusinken. Kit warf das Buch hinein.


© by Leslie West (Ludwig Webel), 2010

 Wir danken Ludwig Webel für die freundliche Genehmigung diese Geschichte erneut veröffentlichen zu dürfen








Eine kleine Kit Carson-Galerie