Dienstag, 14. Januar 2025

g1-05

DER GATLING GUN-MYTHOS 
The Death-Dealing Machine That Never Won the West 
But Still Exist as Today’s Multi-Barrel Weapons System 
von MICHAEL STEMMER 

 Open Fire! 
Buchcover: Hughes (2000)
 (…) and a tower built over the humped shape of the water cistern, with a Gatling gun mounted there which could sweep the interior of the prison and two of the walls, as well as the gateway, with soft-nosed .45/70 slugs at the rate of 350 per minute.”
— Gordon D. Shirreffs, Judas Gun, zitiert nach: Gold Medal Book k1476, Chapter Three (dt.: „Lohn der Hölle”)

Michael Stemmer informiert in seinem umfassenden Beitrag ausführlich über die Gatling Gun. Gegliedert in drei Hauptabschnitte, zunächst einmal einen allgemein gehaltenen Teil, gefolgt dann von selektiven Filmografien sowie einer Auswahlbibliografie. Für die Webfassung habe ich folgende Aufteilung vorgenommen (K. J. Roth)  


Gatling Gun per definitionem ~ Gatling Gun und ihr Erfinder ~ Vorgang in der Gatling Gun beim Schuß ~ Ladeeinrichtung der Gatling Gun ~ Gatling Gun und der Sezessionskrieg ~ Gatling Gun in Good ol‘ Germany ~ Gatling Gun „Made in Russia“ ~ Gatling Gun contra Bisons ~ Gatling Gun am Großen Fluß ~ Gatling Gun im Genozid ~ Gatling Gun vs. Hotchkiss Gun ~ Gatling Gun im Krisenherd Kanada ~ Gatling Gun landet auf Kuba ~ Feuerpause für die Gatling Gun ~ Gatling auf hoher See ~ Gatling is back! ~ Gatling Gun im Wildwestroman ~ Gatling Gun aus Gummi ~ Gatling Gun ertönt im Radio ~ Sound der Gatling Gun ~ Gatling Gun als Kultgegenstand ~ Fabrikzeichen der Gatling Gun ~ Gatling Gun im Modell ~ Gatling Gun und ihr Resümee ~ Ein letztes Wort zur Gatling Gun ~~ Teil 2: Filmografie  ~ Teil 3: Bibliografien 


Gatling Gun und der Sezessionskrieg 

Amerikaner, die auf Amerikaner schießen: In den Jahren 1861 bis 1865 tobt auf dem Boden des nordamerikanischen Kontinents der verheerendste Krieg, der jemals das Staatsgebiet der Neuen Welt heimgesucht hat. Das U.S. Ordnance Department ordert zwar selbst erst ein Jahr nach dessen Ende im Sommer 1866 bei Colt’s Pt. Fire Arms Mfg. Co., Hartford, Connecticut, verschiedenartige Ausfertigungen dieser Repetiergeschütze, gefolgt von der U.S. Navy Ordnance, gestattet andererseits aber durch Rear Adm. John A.B. Dalgren (1809–1870), Chief of Bureau of Ordnance, während des Kriegsverlaufs sowohl den Kauf von Gatling Guns als rein private Beschaffungsmaßnahme auf eigene Rechnung, als auch damit verbunden, deren inoffizielle Einsätze an der Front nach persönlichem Gutdünken; die Führungsebene des amerikanischen Kriegsministeriums dagegen verhält sich allgemein gesehen, die ganze Zeit über zwar beeindruckt, aber die erhofften Regierungsaufträge bleiben dennoch aus. Warum dies geschah, ist heute nicht mehr eindeutig zu klären. 

Wahrscheinlich ist, daß aus ökonomischem Kalkül betreffs des Wehretats, ein Argwohn seitens der Militärs besteht, der Entwickler dieser im Grunde vielversprechenden Waffe sympathisiere aufgrund seiner Herkunft und Auswahl der Fabrikationsstätte am nahegelegenen Ohio River insgeheim mit den politischen Bestrebungen seitens der angrenzenden Südstaaten. Was diese ihrerseits bewegen könnte, durch Einsatz von Kommandounternehmen ihrer Confederate Army den größten linken Nebenfluß des Mississippi River zu überschreiten, um seiner Neukonstruktion mit furchtbarer Feuerkraft habhaft zu werden. Es gibt noch weitere Vermutungen über die Hintergründe, die hier nicht ausgeführt werden können. 

Überwiegend jedoch gilt: Obwohl die Gatling Gun eine bahnbrechende Neuerung auf dem Kriegswaffensektor darstellt, weist sie nach damals vorherrschender Überzeugung fraglos entscheidende Mankos auf. Kritik entzündet sich zum einen an Größe und Gesamtgewicht (leichteste Modelle bringen umgerechnet allein über 45 kg auf die Waage), was ihre Beweglichkeit im Feld stark einzuschränken droht, zumal es problematisch erscheint, sie durch eine vierköpfige Standardbedienung zu handhaben, weil noch dazu starr auf einer gewöhnlichen, von Pferden gezogenen Radlafette aufgelegt. Obendrein kommt eine dazugehörige Limber (Protze) als hölzerner einachsiger Zweiradkarren, gezogen von vier bis sechs Rössern, zwecks Munitionstransport noch dazu, die weitere Kräfte bindet. Zum anderen fehlt ein Traversing Mechanism (Schwenkmechanismus; Exzenter bei Model 1871 bis 1877), um die senkrecht stehende Seitenrichtachse zu verstellen und dadurch mit einem Horizontalschwenk das gesamte Gefechtsfeld zu bestreichen. Dies ist wiederum nur eingeschränkt vorstellbar. Ein Grund: Als Schwenkwaffe allein mit Hartholz-Dreibein- Lafette möglich, bedingt durch den begrenzten Radius nach der Seite hin innerhalb beider Speichenräder. Einzig die komplette Bedienungsmannschaft ist solchermaßen imstande, eine Gatling Gun mit Hilfe von Muskelkraft und einem Turning Spike (Wendestange), selbiger wie bei konventionellen Haubitzen in die Lünette am Ende des Untergestells gesteckt, in die jeweilig gewünschte Schußposition zu manövrieren. Zur Korrektur der waagerecht liegenden Höhenrichtachse ist lediglich eine mit einer Elevation Screw (Richtschraube) bestückte Gewindestange am hinteren Ende des Messinggehäuses verfügbar, auf deren Kopf dieses Teil aufliegt und sich in eine Vertiefung der Lafettensäule winden läßt; etwa so, wie man es von den allgemeinen Richtvorrichtungen zum Eleviren bei fest justierten Feldgeschützen her kennt, um das Feuer um einige Grad zu streuen. Diese zum Teil unausgewogene Fertigung, verbunden mit der nicht unbegründeten Vorahnung, daß ihr Einsatz zur physischen Vernichtung aller Gegenparteien unweigerlich zu nie dagewesenem Blutvergießen führen wird, läßt keine der beiden Kriegsparteien ihrer Übernahme letztendlich stattgeben. 

Von der angebotenen Möglichkeit individueller Aufrüstung machen dem gegenüber drei Kommandierende der Union nachweislich regen Gebrauch: 

Army of the James Maj.-Gen. Benjamin F. Butler (1818–1893) erwirbt für den Landkrieg 12 Gatling Guns Second Model 1862 (Werksbezeichnung) im Kal. .58 Rim Fire (14,73 mm), mit sechs Rohren und Bedienungskurbel an der rechten Seite, Fabrikationsnummern unbestimmt, auf fahrbaren Lafetten, zum Stückpreis von je $ 1,000 mit den dazugehörenden 12,000 Schuß an Bereitschaftsmunition. Deren zwei setzt er davon ab Juni 1864 bei der Belagerung von Petersburg, Virginia – die Stadt, ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt am Fluß des Appomattox River, fällt am Sonntag, den 2. April 1865 – im neunmonatigen Grabenkrieg ein; gilt es einen Brückenkopf gegen die konföderierte Kavallerie zu halten. Mit den verbleibenden acht werden seine einsatzfähigen Gunboats (Kanonenboote) bestückt. Dem eigenen Bekunden nach soll er sogar selbst einmal im Verlauf des kriegerischen Geschehens mit an der Bedienungskurbel gedreht haben. Der Wahrheitsgehalt solcher Erzählungen läßt sich heute kaum ermitteln. Ein nach aktuellem Kenntnisstand hiervon übriggebliebenes Einzelstück mit der Fabrikationsnummer „2“ ist derzeit im West Point Museum, New York, ausgestellt. 

Die U.S. Navy ist weniger konservativ als die Army eingestellt. Schon aus diesem Grund heraus läßt 
Rear Adm. David D. Porter (1813–1891) im Jahre 1862 für die Seestreitkräfte zumindest ein Modell desgleichen Typs, Fabrikationsnummer unbestimmt, nach Cairo, Illinois, liefern für seine Mississippi-Flottille im Einsatz während der letzten 18 Monate des ‘ersten modernen Krieges’ bei Flußpatrouillen zur Bekämpfung von Guerillas auf Seiten der Konföderierten. 

Maj.-Gen. Winfield S. Hancock (1824–1886) schließlich kauft erst ein Jahr nach dem Friedensschluß von 1866 aus persönlichen Motiven heraus 12 Gatling Guns Model 1866 im Kal. 1″ Long/Short (25,4 mm) mit sechs Rohre und Bedienungskurbel an der rechten Seite, Fabrikationsnummern unbestimmt, auf Radlafetten für sein „I. Veteran Corps“, deren taktische Verwendung bei welcher Gelegenheit auch immer, sich nicht mehr rekonstruieren läßt. 

Dazu muß allerdings bemerkt werden, daß Gatling Guns keinerlei Einfluß auf die militärische Auseinandersetzung zwischen den aus der Union ausgetretenen 11 Südstaaten – oder Konföderation – und den im Bund verbliebenen Nordstaaten ausüben, da eine verbesserte, unter Umständen kriegsentscheidende Serienausführung Model 1865 erst kurz vor Ende des Waffengangs in die Fabrikation geht. Es erscheint daher zweifelhaft, ob die Gatling Gun das Kriegsgeschehen nach Ansicht von Militärexperten grundlegend verändert hätte. Allerdings können, so wird gesagt, alle Schilderungen über Feuergefechte, bei denen sie im Verlauf des fast vierjährigen Ringens zwischen den Blauen und den Grauen involviert sein sollen, heutzutage mit Fug und Recht in Zweifel gezogen werden. Dr. Gatling betreibt nämlich das, was man neudeutsch als Public Relations bezeichnet: Er macht Reklame. Und es darf spekuliert werden, ob hier nicht doch Fakten und Fiktionen gleichsam ineinander übergehen. 

Aus jetziger Sicht kaum nachvollziehbar: Die viel diskutierte humanistische These, bezogen auf den Glaubenssatz von Dr. Gatling, was seine Intension als Waffenentwickler anbelangt; so gedanklich abstrakt drückt er sich aus. Die Worte verdienen überliefert zu werden: 
 “It occurred to me that if I could invent a machine – a gun – which could by its rapidity of fire, enable one man to do as much battle duty as a hundred, that it would, to a large extent supersede the necessity of large armies, and consequently, exposure to battle and disease [would] be greatly diminished.” Auf gut Deutsch: „Es erschien mir, daß, wenn ich eine Maschine – eine Schußwaffe – entwickeln könnte, die mit ihrer hohen Schußrate einen Mann befähigen könnte, wie Hundert zu kämpfen, dann würde das zum Großteil die Notwendigkeit großer Armeen zunichtemachen und in Konsequenz das dem Kampf und den Krankheiten ausgesetzt sein erheblich verringern.“ — Richard Jordan Gatling, 1877. (Quelle: https://www.civilwarhome.com/gatlinggun.html, abgerufen am 28. Dezember 2020)
Möglicherweise hat er es selbst geglaubt, was vielleicht zu verkraften wäre. Ein Träumer also? Letzten Endes aber eine verantwortungsethische Position, über welche die Weiterentwicklung des Heerwesens hinwegging. Aus heutiger Perspektive jedenfalls wird beim Lesen solch abwegig erscheinender Prophetie diese wohl eher mit Kopfschütteln quittiert. Schließlich gibt es, rational betrachtet, für die meisten dieser Theorien seither hinlänglich geschichtswissenschaftliche Gegenargumente und eine ganze Anzahl unumstößlicher militärischer Fakten von Historikern, mit denen sich die illusorisch anmutende steile These widerlegen ließe. Dr. Gatling hat in diesem Zusammenhang, was die Natur des Bösen im Menschen betrifft, allem Anschein nach nicht konsequent zu Ende gedacht. Sein Credo beruht viel eher auf dem Aphorismus des antiken Kriegstheoretikers Publius Vegetius (Ende 4. Jh. n.Chr.), das da lautet: „Si vis pacem, para bellum!“ (Wenn du Frieden haben willst, sei kriegsbereit!). Von diesem geflügelten Wort rührt nicht von ungefähr die Fabrikmarke „Parabellum“ für die vom österreichischen Waffentechniker Georg Luger (1849–1923) konstruierte deutsche (Selbstlade-)Pistole 08 her, auch kurz Luger genannt. 

Wobei – eine schreckliche Spekulation! – allein die pure Vorstellung einer Massenvernichtungswaffe, wenn man sich auszumalen versucht, welch‘ beängstigendes Tötungspotenzial bei zu jener Zeit vorherrschender Schlachtordnung etwas dergestalt heraufzubeschwören im Stande ist. Und das paradoxerweise bei R.J. Gatlings Blick aus seinem Bürofenster auf unzählige im Kampf Gefallener, ihren schrecklichen Verwundungen Erlegenen oder an Mangelernährung und Infektionskrankheiten Gestorbener beim Transport von den Schlachtfeldern über das Freight Depot (Güterbahnhof) seines Wohnsitzes Indianapolis bereits kurz nach Auftakt des großen Bruderkrieges, um dem ein vermeintlich schnelleres Ende bereiten zu wollen. 

Biblisch betrachtet könnte man ihm, der zeitlebens Mitglied der Methodist Church (Methodistenkirche) in North Carolina gewesen ist, vielmehr antithetisch entgegenhalten: „Glaubt nur nicht, ich sei gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen. Daß ich da bin, bedeutet nicht, daß nun Friede sei. Es bedeutet, daß das Schwert aus der Scheide fährt.“ (Lukas 12, 49–50). 

Wenngleich sich das Interesse an seiner Erfindung seitens der beiden Heerführer des militärischen Konflikts doch arg in Grenzen hält, arbeitet Dr. Gatling zwischenzeitig weiter an deren steter Verbesserung ihrer Gefechtstauglichkeit, was Reichweite, Mobilität und Feuerkraft angeht. Dies entkräftet nicht die Tatsache, daß es einen schwerwiegenden Fehler gerade der Unionsarmee darstellt, sich in Kenntnis dieser Waffe selbige nicht im Felddienst nutzbar gemacht zu haben. Im Klartext: Die Nordstaaten hinken technologisch hinterher. Insgesamt muß ein ernüchterndes Fazit seitens der Historiker gezogen werden: 
 “The Gatling did not – indeed, could not have – become warfare’s “wonder weapon” until post-Civil War models that fired self-contained, metallic cartridges appeared. It was a killing machine of great future potential – it just wasn’t quite ready for prime time.” (Jerry Morelock, Dr. Gatling’s Wonder Weapon, zitiert nach: https://www.historynet.com/dr- gatlings-wonder-weapon.htm, abgerufen am 2. Januar 2020)

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