DER GATLING GUN-MYTHOS
The Death-Dealing Machine That Never Won the West
But Still Exist as Today’s Multi-Barrel Weapons System
von MICHAEL STEMMER
Open Fire! |
Buchcover: Hughes (2000) |
(…) and a tower built over the humped shape of the water cistern, with a Gatling gun mounted there which could sweep the interior of the prison and two of the walls, as well as the gateway, with soft-nosed .45/70 slugs at the rate of 350 per minute.”
— Gordon D. Shirreffs, Judas Gun, zitiert nach: Gold Medal Book k1476, Chapter Three (dt.: „Lohn der Hölle”)
Michael Stemmer informiert in seinem umfassenden Beitrag ausführlich über die Gatling Gun. Gegliedert in drei Hauptabschnitte, zunächst einmal einen allgemein gehaltenen Teil, gefolgt dann von selektiven Filmografien sowie einer Auswahlbibliografie. Für die Webfassung habe ich folgende Aufteilung vorgenommen (K. J. Roth)
Gatling Gun „Made in Russia“
Kurz nach Beendigung des kräftezehrenden Sezessionskrieges 1865 gelangt das Russische Kaiserreich (1721 bis 1917) in den Besitz von zwei Gatling Guns Second Model 1862 mit 6 Rohren und Bedienungskurbel an der rechten Seite, Fabrikationsnummern unbestimmt, zu eigenen Testzwecken. Nach ausgiebiger Erprobung der Waffen von Seiten der Land- und Seestreitmacht ergeht an die Gatling Gun Co. hierauf 1868 ein Auftrag über 20 Stück mit zehn Rohre und Bedienungskurbel an der rechten Seite, passend für die dortige Standardpatrone .42 Berdan (10,75 mm nach metrischem System), Fabrikationsnummern unbestimmt; diese gehen bei Colt’s Pt. Fire Arms Mfg. Co. Hartford, Connecticut, in die Herstellung und werden im folgenden Jahr bereits verschifft. Damit stellt Russland die erste größere Nation Europas dar – und bleibt es –, welche Gatling Guns in ihren Arsenalen lagert; unter der Prämisse einer Waffengleichheit tun es andere Regierungen, wenn auch in geringerem Umfang, ihr alsbaldig nach. Es geht das Gerücht, daß man sie sogar noch während des Zweiten Weltkriegs (1939 bis 1945) im russisch-chinesischen Grenzgebiet vereinzelt an der Frontlinie hat miterleben können.
Zuvörderst aber begibt sich 1868/69 Oberst der Artillerie Aleksandr Pawlowitsch Gorloff, seines Zeichens Militärattaché an der russischen Botschaft in Washington D.C. und Chefinspekteur des Beschaffungswesens für sein Land, samt einer Delegation des öfteren auf Dienstreise nach Hartford, Connecticut, um dort auf allerhöchsten Befehl von Zar Alexander
III. (1845–1894) einen Großauftrag des Kaiserlich Russischen Militärs über 70 (im Nachhinein aufgestockt auf 100) derartige amerikanische Schießwaffen mit der Gatling Gun Co. in persona abzuwickeln.
Hierbei entfaltet er mannigfache Aktivitäten mit Bedacht auf Modifikationen jedweder Art an den zu fertigenden Waffen hin, die aus sorgfältig ausgewählten Materialien und strengen, den ganzen Produktionsprozeß umfassenden Qualitätskontrollen fabriziert werden. Dies bringt ihm innerhalb kürzester Zeit den größten Respekt seitens der Herstellerfirma ob der von ihm beanspruchten hohen Standards ein.
Zur Einordnung: Russischen Usancen folgend wird in die Gatling Guns, Fabrikationsnummern unbestimmt, zum Schluß der Name des jeweils autorisierten Offiziers
der Endabnahme, „Gorloff“, in kyrillischen Buchstaben als Inspektorenmarkierung eingeschlagen, und von daher heißen im Zarenreich der Romanows jedwede MGs gemeiniglich „Gorloffs“. Ergänzende Verbesserungen ihrer Wirksamkeit, beruhend auf Konstrukteur Wladimir Stepanowitsch Baranowski, bleiben in Gänze unerwähnt.
Da die Gatling Co. hieraus finanziell einen guten Schnitt macht, gestattet sie Russland kraft einer von Dienstag, den 16. November 1869 datierten Handelsklausel im Gegenzug, von nun an Gatling Guns auch ohne die allfälligen Lizenzgebühren für den Eigenbedarf herzustellen, worauf ab 1870 deren Massenfertigung im russischen Werk der Gebr. Nobel anläuft. Bis zum Jahre 1876 verlassen 400 davon, verteilt auf 8 Batterien und als Artillerie- Waffe eingestuft, die Rüstkammer am Strom der Newa östlich von St. Petersburg.
Deutlich wird aber auch: Als Verantwortlicher steht besagter Namensgeber die ganze Zeit über unter strenger Oberaufsicht durch Geheimdient und -polizei Ochrana (Sicherheitsabteilung von 1881 bis 1917). Sollte es folglich im Kontext mit etwaigen Materialfehlern, Fehlkonstruktionen o.ä. zu Beeinträchtigungen der Funktionalität der entsprechenden Waffen kommen, welche nachweislich auf ihn persönlich zurückfallen, könne er sich, wie er in einem kurzen Augenblick seltener Mitteilsamkeit preisgibt, nach alter Offizierstradition gleich selbst die Kugel geben. Um es vorwegzunehmen: Er hat es überlebt; es kommt zu keinem Suizid als letzte fatale Konsequenz für mögliches Versagen. Und sogar noch mehr, denn immerhin wird Aleksandr P. Gorloff 1870 dank der Gunst des Zarenhofes ob seiner herausragenden Leistungen auf dem Gebiet der Waffentechnik in den Rang eines Generalmajors erhoben.
Zu ergänzen bleibt, daß die Gatling Guns später im Russisch-Türkischen Krieg von 1877 bis 1878 in der legendären Schlacht und entscheidenden Belagerung von Plewna (heute Bulgarien), die von Juli bis Dezember 1877 unter Beteiligung rumänischer Verbände
andauert, vermehrt ihr blutiges Werk verrichten. Insofern handelt es sich um den ersten Krieg, in dem, Ironie der Geschichte, diese fürchterliche Waffe beiderseitig auf den jeweiligen Feind gerichtet wird.