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Freitag, 31. Januar 2025

Western an die Front (Kalbitz / Roth)

Western an die Front 
Herbert Kalbitz & Karl Jürgen Roth 

   Von den als ARMED SERVICES EDITIONs erschienen während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mehr als 1300 Ausgaben in einem unverwechselbaren Querformat von ca. 13,6 x 9,5 {14,0 x 10,0) cm. Es wurden überwiegend belletristische Texte zum Teil aber auch Sachbücher gedruckt; aus dem Westernbereich waren viele bekannte Autoren der damaligen Zeit vertreten. Mindestens 171 Western wurden im Rahmen der ASEs veröffentlicht. zumeist handelt es sich um Zweitverwertungen von zuvor als Hardcover erschienenen Bücher - nun in Form einfacher und preiswert herzustellender Paperbacks.

   Eines dieser Bücher ist kürzlich antiquarisch aufgetaucht - man findet Titel dieser Reihe immer wieder mal in antiquarischen Angeboten in Deutschland - und bei einem befreundeten Sammler gelandet (Mir liegen übrigens rund ein Dutzend ASE-Western im Original vor). 

   Beim erwähnten Buch handelt es sich um Zane Greys (1872-1939) THE HERITAGE OF THE DESERT (EA als Hardcover: 1910). Der Roman wurde mindestens dreimal verfilmt und seit [1930] gab es auch deutsche Buchausgaben bei Th. Knaur Nachf, AWA und Heyne. So weit ich mich erinnern kann, gab es innerhalb der ASEs acht verschiedene Titel von Zane Grey
   Über solche amerikanischen (und englischen) 'Feldpost-Ausgaben' mit Westerninhalt habe ich 2012 in einen Essay berichtet:
Karl Jürgen Roth - Western an die Front. Bücher für Soldaten im Zweiten Weltkrieg. - in: Birgit Hans u. Christian Krug (Ed.): To Ride the River with. Festschrift für Peter Bischoff, Münster 2012, S. 133-138
   Hier ein paar Scans, die diese ASE-Veröffentlichung (Erscheinungsjahr unbekannt) dokumentieren:

Mittwoch, 29. Januar 2025

Historisches vom Lake George (Roth)

Historisches vom Lake George.
James Fenimore Cooper und der Kampf um Fort William Henry

von Karl Jürgen Roth


Vor mehr als 200 Jahren wurde am 15. September 1789 in dem kleinen Städtchen Burlington am Ufer des Delaware ein Junge geboren, der zu einem der wichtigsten Autoren der amerikanischen Literatur und auch zum eigentlichen Begründer der literarischen Indianergeschichte werden sollte. Besonders mit den fünf zwischen 1823 und 1841 publizierten, später als Lederstrumpfromanen bekannt gewordenen Werken The Pioneers or the Sources of the Susquehanna (Die Ansiedler oder die Quellen des Susquehanna - 1823), The Last of the Mohicans (Der letzte Mohikaner - 1826), The Prairie (Die Prärie - 1827), The Pathfinder (Der Pfadfinder - 1840) und The Deerslayer (Der Wildtöter - 1841) wurde James Fenimore Cooper zu einem in Amerika aber auch in Europa gefeierten Autor. {01 Hinweis: Diese Zahlen verweisen auf die Anmerkungen am Ende des Beitrags} Abgesehen davon behandelte Cooper auch zahlreiche andere Episoden aus der anglo- amerikanischen Geschichte und schrieb mit The Red Rover (Der rote Freibeuter - 1827) einem seiner vor maritimem Hintergrund spielenden Werke einen klassischen Seeroman. Seine Bücher erschienen in zahllosen Übersetzungen und Bearbeitungen in vielen europäischen Sprachen. Das ungebrochene Interesse zumindest an den Lederstrumpfromanen manifestiert sich auch heute noch in Neuausgaben. 1851 starb der Schriftsteller in dem Städtchen Cooperstown.

Die folgende kurze Betrachtung beabsichtigt nicht ausführlich auf den Autor und sein Werk einzugehen. {02} Ich greife vielmehr Coopers Schilderung der Kämpfe um Fort William Henry im Jahr 1757 heraus, um seine Behandlung eines historischen Ereignisses zu verdeutlichen.

In den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts erreichten die Spannungen zwischen Franzosen und Engländern um den Besitz von Nordamerika einen neuen Höhepunkt. Der "French and Indian War" (1754-1763) führte nach zahlreichen Kämpfen schließlich zum Verlust der französischen Kolonien in Nordamerika.{03}

Fort William Henry lag am Südufer des Lake George und beherrschte den Weg von den französischen Besitzungen am St.Lorenz ins englisch besiedelte Hudson-Tal. Nachdem ein früherer französischer Angriff gescheitert war, belagerte General Montcalm das Fort im Sommer 1757 mit einer starken, aus regulären französischen Truppen und Indianern bestehenden Streitmacht. Nach mehrtägigem Artilleriebombardement und starken Zerstörungen im Fort kam es zu Verhandlungen. Den Engländern wurde freier Abzug gew"hrt. Während des Abmarsches veranstalteten siegestrunkene Indianer ein Massaker unter den Engländern, wobei zahlreiche Personen einen grausamen Tod fanden. Die Franzosen konnten oder wollten ihren indianischen Verbündeten keinen Einhalt gebieten. Insbesondere die Ermordung vieler Frauen und Kinder wurde von den Zeitgenossen mit großem Entsetzen aufgenommen.Cooper beschreibt diese Ereignisse in seinem zweiten Lederstrumpfroman Der letzte Mohikaner. {04} Falkenauge (Hawk-eye) begleitet die Töchter des Obersten Munro und den jungen Offizier Duncan Heyward durch die Wildnis zu der bedrohten Festung. Nach zahlreichen glücklich bestandenen Abenteuern kommen das Fort und der See in Sicht.

"Unmittelbar unter ihren Füße beschrieb das Südufer des Horican einen großen Halbkreis von einem Berge zum andern und bildete ein weites Gestade, das rasch zu einer unebenen und hochgelegenen Fläche anstieg. Gegen Norden erstreckte sich der klare und, wie es von dieser schwindligen Höhe erschien, schmale Spiegel des heiligen Sees, in unzählige Buchten ausgezackt, durch phantastische Formen von Vorgebirgen verschönert und mit zahllosen Inseln besät. In der Entfernung von einigen Stunden verlor sich das Bett des Sees zwischen Bergen oder wurde durch eine Dunstmasse bedeckt, welche von einer leichten Morgenluft langsam über seine Fläche hergetrieben ward. [...] Gerade am Ufer des Sees, etwas mehr gegen den westlichen als den östlichen Rand hin, lagen die ausgedehnten Erdwälle und die niedrigen Gebäude von William Henry. Zwei der Hauptbastionen schienen aus dem Wasser, das ihren Fuß bespülte, aufzutauchen, während ein tiefer Graben und ausgedehnte Sümpfe die anderen Seiten und Winkel verteidigten. Das Land war rings um die Festungswerke auf eine beträchtliche Strecke der Bäume beraubt, sonst aber lag der ganze Schauplatz im grünen Kleide der Natur: ausgenommen da, wo die klaren Gewässer den Gesichtskreis sanft begrenzten oder steile Felsen ihre schwarzen, kahlen Häupter über die Wellenlinien der Gebirgsketten erhoben. Vor dem Fort waren hin und wieder Schildwachen zu sehen, welche ihre zahlreichen Feinde aufmerksam zu beobachten schienen, und innerhalb der Wälle erblickten die Reisenden Soldaten, nach durchwachter Nacht in Schlummer versunken. Gegen Südosten aber stand in unmittelbarer Berührung mit dem Fort ein verschanztes Lager auf einer Felsenanhöhe, einem Punkte, den man weit besser für das Fort selbst gewählt hätte. [...] Das Schauspiel, welches sich am Westufer des Sees, dem südlichen ganz nahe darbot, nahm die Aufmerksamkeit des jungen Soldaten vor allem in Anspruch. Auf einem Streifen Landes, wel-cher von seinem Standpunkt aus für ein so beträchtliches Truppenkorps zu schmal schien, sich aber in Wahrheit mehrere tausend Fuß von den Ufern des Horican bis an den Fuß des Berges erstreckte, sah man weiße Zelte und Kriegswerkzeuge für ein Lager von zehntausend Mann. Vorne waren bereits Batterien aufgeführt [...]" {05}

Ein Blick auf eine Karte des Schauplatzes zeigt, daß Coopers Ortsangaben weitgehend zuverlässig sind. {06} Er beschreibt die Lage des Forts und des englischen Lagers zutreffend und auch seine Angaben über die gerodete Umgebung werden von Parkman bestätigt. Die Belagerung des Forts wird mit größerer schriftstellerischer Freiheit behandelt. Einzelheiten weichen von den historischen Gegebenheiten ab. So wurde z.B. der von Montcalm abgefangene Brief Generals Webbs, in dem dieser Munro mitteilt, daß er keine Hilfe zu erwarten hat, nicht während einer Verhandlung zwischen den beiden Oberbefehlshabern übergeben, {07} sondern von dem französischen Offizier Bougainville in die englische Festung gebracht. {08} Die Waffenstillstands- und Übergabevereinbarungen gibt Cooper im Großen und Ganzen korrekt wieder, wobei er geschickterweise den Major Heyward von englischer Seite die Verhandlungen führen läßt und so die Handlungen einer Hauptperson des Buches in einen spezifisch historischen Kontext integriert. {09}Auch bei der Schilderung des Massakers beim Abzug der Engländer personalisiert der Autor stark und rückt somit seine Protagonisten deutlich in den Vordergrund. Abgesehen von der ausführlichen Beschreibung der Entführung der Töchter Munros durch den Huronen Magua stellt Cooper den Ausbruch des Massakers in eindringlicher Form anhand eines erfundenen Einzelschicksals dar:

"Als aber der Weiberhaufen herannahte, zog die bunte Farbe eines Schals die Augen eines wilden und unbewachten Huronen auf sich. Er kam herbei, um sich desselben ohne weiteres zu bemächtigen. Die Frau hüllte mehr aus Schrecken denn aus Liebe zu dem Kleidungsstück, ihr Kind in den gefährdeten Schal und drückte beide fester an die Brust. Kora wollte eben sprechen und dem Weibe raten, die Kleinigkeit dem Wilden zu überlassen, als dieser den Schal fahren ließ und das schreiende Kind aus ihren Armen riß. Alles den gierigen Griffen der Wilden um sie her überlassend, stürzte die Mutter verzweiflungsvoll auf ihn, um ihr Kind zurückzufordern. Der Indianer lächelte grimmig und reckte eine Hand aus, seine Bereitwilligkeit zu einem Tausche anzudeuten, während er mit der andern das Kind an den Füßen um den Kopf schwang, als wollte er dadurch das Lösegeld steigern. 'Hier - hier - da - alles - alles!' rief die unglückliche Mutter, mit zitternden, ungeschickten Fingern die leichtern Kleidungsstücke sich vom Leibe reißend, 'nimm alles, nur gib mir mein Kind wieder!' Der Wilde verschmähte die wertlosen Lappen und sobald er gewahrte, daß der Schal bereits die Beute eines andern geworden war, ging sein spöttisches aber tückisches Lächeln in einen Ausdruck der Wut über; er zerschmetterte dem Kinde den Kopf an einem Felsen und warf die noch zuckenden Glieder der Mutter vor die Füße. [...]" {10}

Mit der Beschreibung des schrecklichen Schicksals von Mutter und Kind erzeugt Cooper beim Leser direkte Betroffenheit und führt das abstrakte historische Massaker auf eine weitaus persönlichere und packendere Ebene. Der "Karneval der Scheußlichkeit", {11} den Martin in der Schilderung des Massakers durch Cooper sieht und den er in der dramatischen Konzeption des Romans, der Divergenz zwischen Wildheit und Zivilisation begründet sieht, erscheint mir weitaus stärker auf die realen Geschehnisse während des Massakers und ihre möglichst wahrheitsgetreue Schilderung durch Cooper zurückzuführen sein. So erwähnt z.B. ein Augenzeugenbericht über das Massaker ähnliche Grausamkeiten:

"Die Kehlen der meisten [...] Frauen wurden durchgeschnitten, ihre Bäuche aufgeschlitzt und ihre Gedärme herausgezerrt und auf die Gesichter der Toten und Sterbenden geworfen [...] die Kinder wurden bei den Fersen gepackt und ihr Hirn an Baumstämmen oder Steinen ausgeschlagen ..." {12} 

Im folgenden wendet sich Cooper dann aber den allgemeineren Geschehnissen zu und beschreibt den blutrünstigen Angriff der Indianer in globalerer Weise.

"Mehr als zweitausend Wilde brachen auf dieses Signal wütend aus dem Walde und zogen mit instinktmäßiger Eile auf die verhängnisvolle Ebene. Wir verweilen nicht bei den empörenden Greuelszenen, die jetzt erfolgten. Überall war der Tod, und zwar in seinen schrecklichsten, abscheulichsten Gestalten. Widerstand diente nur dazu, die Wut der Mörder noch mehr zu entflammen. Sie führten noch ihre wütenden Streiche, wenn ihre Opfer sie schon lange nicht mehr fühlen konnten. Die Ströme von Blut glichen den Wogen eines Gießbachs, und sein Anblick machte die Eingeborenen so hitzig und wütend, daß manche unter ihnen niederknieten, um unter höllischem Jauchzen die dunkelrote Flut aufzutrinken. [...] Das grausame Werk war noch nicht zu Ende. Auf allen Seiten flohen die Besiegten vor ihren erbarmungslosen Verfolgern, während die bewaffneten Kolonnen des allerchristlichsten Königs mit einer Gefühllosigkeit stehenblieben, die sich nicht erklären läßt und auf den so hohen Ruf ihres Anführers einen unauslöschlichen Flecken wirft." {13}

Parkman berichtet dagegen, daß sich Montcalm und andere französische Offiziere zwischen die Kämpfenden geworfen hätten, um das Blutvergießen zu verhindern. Angeblich habe er gerufen: "Tötet mich, aber verschont die Engländer, die unter meinem Schutz stehen." {14} Dieser menschlichen Haltung des französischen Oberbefehlshabers steht allerdings ein zynischer Satz gegenüber, den er in einem Brief im August 1757 niederschrieb: "Ich kann Ihnen nicht verheimlichen, daß die Kapitulation seitens der Indianer unglücklich verletzt worden ist. Aber was in Europa ein Vertragsbruch gewesen wäre, kann in Amerika nicht so angesehen werden." {15}

Insgesamt gesehen stimmt Coopers Beschreibung der Ereignisse weitgehend mit Darstellungen in historischen Werken überein. Selbstverständlich stehen im Roman die fiktiven Personen im Vordergrund der Geschehnisse, doch werden die Hintergründe in stärker berichtenden Einschüben in genügender Weise veranschaulicht, um so ein eindringliches Bild dieses wichtigen Abschnittes des "French and Indian War" in einer romanhaft unterhaltenden Weise zu bieten. Cooper steht mit seinen Lederstrumpfromanen insgesamt - und mit der hier etwas näher betrachteten Episode besonders - in der Tradition des historischen Romans Walter Scotts. Seine Hauptfiguren sind neben historisch verifizierbaren Personen Vertreter des 'einfachen' Volkes - der Jäger und Fallensteller Falkenauge und der Indianer Chingachgook, die obzwar teilweise idealisiert, doch glaubhaft bleiben. Cooper beschreibt in seinen Lederstrumpfromanen ähnlich wie Scott historische Ereignisse aus der Vergangenheit seines Heimatlandes. So dürften auch seine Schilderungen der Belagerung von Fort William Henry auf das gründliche Studium vorhandener Quellen über die Kämpfe zurückzuführen sein.  {16} Deutlich zeigt sich in diesen Werken Coopers die enge Verbindung zwischen dem historischen Roman, um den es sich bei den Lederstrumpfromanen gattungsmäßig eigentlich handelt und dem auf die Lederstrumpfromane thematisch aufbauenden in Nordamerika spielenden Indianerroman des 19. und 20. Jahrhunderts.


Der Beitrag erschien ursprünglich im Jahr 1989 im Magazin für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungslitreratur. Für diese WEB-Fassung wurde das Layout angepaßt 

Über James Fenimore Cooper und sein Werk informiert unter anderem im WEB
die Homepage der amerikanischen James Fenimore Cooper-Society.


Anmerkungen:

  1.   Es sei auf die reichhaltige Sekundärliteratur verwiesen. Einen verhältnismäßig aktuellen Forschungsbericht bietet James Franklin BEARD: James Fenimore Cooper. - In: Fifteen American Authors before 1900: Bibliographic Essays on Research and Criticism, rev. ed., Madison, Wisc. 1984, S.80-127. Die wichtigste biographische Quelle zu Cooper sind die sechs Bände der ebenfalls von James Franklin Beard herausgegebenen "Letters and Journals ..." (BEARD, James Franklin (Hrsg.): The Letters and Journals of James Fenimore Cooper, Bde. 1-6, Cam-bridge, Mass. 1960-1968). An älteren englischsprachigen Arbeiten seien zudem die Biografien von Spiller und Grossman (SPILLER, Robert E.: James Fenimore Cooper. Critic of his Times, New York 1931/ GROSSMAN, James: James Fenimore Cooper. American Men of Letters, New York 1949) sowie die stärker der Werkinterpretation verpflichtete Arbeit von Dekker erwähnt (DEKKER, George: James Fenimore Cooper. The Novelist, London 1967). Einen aktuelleren Überblick bietet die revidierte Neuausgabe von Ringes ursprünglich 1962 publiziertem Werk (RINGE, Donald A.: James Fenimore Cooper (Twayne's United States Authors Series), New Haven 1988, rev. Ed.). Von der deutschsprachigen Sekundärliteratur sei hier nur das sehr informative, wenn auch teilweise zu unkonventionellen Ergebnissen kommende Nachwort Arno Schmidts zu seiner Übersetzung von Conanchet... genannt (SCHMIDT, Arno: Nachwort. - In: Cooper, James Fenimore: Conanchet oder die Beweinte von Wish-Ton-Wish, Frankfurt 1977, S.375-414).
    Anläßlich von Coopers zweihundersten Geburtstag erschienen auch in deutschen Medien Würdigungen. Erwähnt seien der am 13.9.1989 in WDR III (Fernsehen) gezeigte Film der Reihe "Rückblende" (Der Dichter des Lederstrumpf James Fenimore Cooper geb. 15.9.1789) oder auch die mir bislang bekannt gewordenen Zeitungsbeiträge: "Vater des Indianerromans" wurde vor 200 Jahren geboren (Siegener Zeitung, 9.9.1989); STEINFELD, Thomas: Edel sei der Trapper, hilfreich und gut (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.9.1989); GIGER, Romeo: Begründer des amerikanischen Mythos. Zum 200. Geburtstag von James Fenimore Cooper (1789-1851) (Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe 15.9.1989)

  2.  Hinsichtlich der Primärliteratur ist es schwierig deutschsprachige Ausgaben zu nennen, da es sich bei den auf den Buchmarkt befindlichen Texten zumeist um stark gekürzte Bearbeitungen handelt, und die vielbändigen Ausgaben des vorigen Jahrhunderts normalerweise kaum noch greifbar sind. Empfehlenswert ist die Ausgabe der Lederstrumpfromane des Insel Verlags in Frankfurt, die 1977 erschien. Auch die von Arno Schmidt übersetzten Bände der Littlepage-Triologie und Conanchet ... bieten eine weitgehend zutreffende Übersetzung.

  3.  Aus der umfangreichen Literatur zu dieser Thematik sei hier die klassische Darstellung von Francis Parkman: Montcalm and Wolfe aus dem Jahre 1884 erwähnt. (Neuausgabe: PARKMAN, Francis: Montcalm and Wolfe; with a new Foreword by C. Vann Woodward and Illustrations ..., New York 1984). Einen kurzen Überblick in deutscher Sprache bietet: DOBAT, Klaus-Dieter: Indianer im Kampf um Nordamerika. Der "Siebenjährige Krieg" in der neuen Welt. - In: Damals. Das Geschichtsmagazin, 20.1988, S.866-891, 959-985

  4.  Vgl. zu der Thematik Geschichtsdarstellung in dem Roman "Der letzte Mohikaner" auch: MARTIN, Terence: From the Ruins of History. The Last of the Mohicans. - In: FIELDS, Wayne (Hrsg.): James Fenimore Cooper. A Collection of Critical Essays, Englewood Cliffs, N.J. 1979, S.80-92. - und: DIEDRICH, Maria: Die Wildnis als historischer Ort und Heimat in The Last of the Mohicans. - In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, 140.1988, 255. Bd., 1. Halbjahresband, S.64-80

  5. COOPER, James Fenimore: Der letzte Mohikaner. In der Bearbeitung der šbersetzung von E. Kolb u.a. durch Rudolf Drescher ..., Frankfurt 1977, S. 169ff. - Bei aller Problematik der Verwendung eines übersetzten Textes, erschien hier die Benutzung deutschsprachiger Zitate sinnvoll. Zu der benutzten Übersetzung schrieb Rudolf Drescher: "Dem Text unserer Ausgabe liegt die von 1841 bis 1843 bei J.G. Liesching in Stuttgart erschienene Übersetzung von Dr. C. Kolb zugrunde. Die eingehende Vergleichung der Kolbschen Übertragung mit dem englischen Original zeigte, daß selbst die Kolbsche Übertragung Kürzungen aufweist. Diese Lücken sind von uns sorgfältig ergänzt worden." (Drescher, im Vorsatz zu seiner Ausgabe von Der letzte Mohikaner). Die Zitate wurden jeweils von mir nochmals am Original überprüft, wobei sich keine größeren Abweichungen in der deutschsprachigen Ausgabe ergaben. Entsprechende Hinweise auf den Originaltext Coopers (O:) nach einer Gesamtausgabe des vorigen Jahrhunderts füge ich jeweils bei. [O: COOPER, James Fenimore: The Last of the Mohicans. A Narrative of 1757. Illustrated from Drawings by F.O.C. Darley, Hurd & Houghton, New York 1871, S.177-178]

  6. PARKMAN, Francis: Montcalm and Wolfe, a.a.O., S.288

  7. COOPER, James Fenimore: Der letzte Mohikaner, a.a.O., S.200 - [O: COOPER, James Fenimore: The Last of the Mohicans..., a.a.O., S.208f.]

  8. PARKMAN, Francis: Montcalm and Wolfe, a.a.O., S.292

  9. Wenn Martin in seinem Essay schreibt, daß Cooper in den Szenen des Kampfes um das Fort absichtlich die Hauptfiguren in den Hintergrund treten läßt, um so der dargestellten Geschichte einen höheren Stellenwert zubilligen zu können, so ist dieser Ansicht nur in Bezug auf Falkenauge, Chingachgook und Unkas zuzustimmen, während die anderen wichtigen Figuren handelnde oder leidende Rollen in der Darstellung der Kämpfe um das Fort einnehmen. - Vgl. MARTIN, Terence: From the Ruins of History ..., a.a.O., S.83ff.

  10. COOPER, James Fenimore: Der letzte Mohikaner, a.a.O., S.213 - [O: COOPER, James Fenimore: The Last of the Mohicans..., a.a.O., S.221f.]

  11. "carnival of atrocity", MARTIN, Terence: From the Ruins of History ..., a.a.O., S.83 ebd., S.83ff.

  12. zitiert nach: DOBAT, Klaus-Dieter: Indianer im Kampf um Nordamerika, a.a.O., S.974

  13. COOPER, James Fenimore: Der letzte Mohikaner, a.a.O., S.214, 219 - [O: COOPER, James Fenimore: The Last of the Mohicans..., a.a.O., S.222f., 228]

  14. PARKMAN, Francis: Montcalm and Wolfe, a.a.O., S.296 (Übersetzung K.J.R.)

  15. DOBAT, Klaus-Dieter: Indianer im Kampf um Nordamerika, a.a.O., S.975

  16. Arno Schmidt weist auf die tiefschürfenden Studien Coopers bei der Entstehung von "Lionel Lincoln" hin. Vgl. SCHMIDT, Arno: Nachwort. a.a.O., S.381ff. 05ff., 321ff., 337ff., 353ff., 369ff., 385ff., 401ff.


Inferno (Abenteuer-Romanheftreihe)

INFERNO 
Abenteuerromane aus dem Marken Verlag 


Abenteuerromane waren im Vergleich zu Western, Science Fiction oder Krimis im Segment der Spannungsromane unter den Romanheftreihen der 1970er und 1980er Jahre eher unterrepräsentiert. So mancher Versuch, solche Reihen auf dem Markt zu etablieren, scheiterte

Von INFERNO erschienen 1976 und 1977 nur 22 Ausgaben ohne Verfasserangaben im Kölner Wolfgang Marken-Verlag. Die Hefte kosteten damals 1,50 DM, hatten den üblichen Umfang und auch das normale Romanheftformat. Es handelte sich um monographische Titel ohne Fortsetzungscharakter.

Sonntag, 26. Januar 2025

Brazos (Frederick R. Bechdolt)


Brazos

von Frederick R. Bechdolt


(Orig.: "Brazos", 1924; Übers.: Reinhard Windeler)


Frederick Ritchie Bechdolt (1874 – 1950) kam in Pennsylvania als Sohn eines deutschen Einwanderers zur Welt, der aus Reutlingen in Württemberg stammte und es in den USA bis zum Universitätsprofessor brachte. Fred führte in jungen Jahren ein abwechslungsreiches Leben voller Unternehmungslust, was er für seine schriftstellerische Laufbahn gut zu nutzen wusste. In der Heimat seines Vaters blieb er jedoch erstaunlicherweise völlig unbekannt. Die Kurzgeschichte „Brazos“ erschien im Jahre 1924 in der August-Ausgabe des zu jener Zeit bereits angesehenen Magazins „Cosmopolitan“, übrigens unmittelbar hinter einem Beitrag eines fast gleichaltrigen Engländers namens Winston Churchill. 

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 Er wurde Brazos genannt. Selbst die Gesetzlosen, mit denen er ritt, hatten keinen anderen Namen für ihn. Woher er kam, wusste niemand außer ihm selbst; er sprach nie von Zuhause oder seinen Angehörigen. Aber denen, die darauf achteten, fiel eine Gewandtheit in seinem Sprechen auf, die die anderen Geächteten nicht besaßen; und sie bemerkten, dass, während seine Gefährten sich in lauten Tanzlokalen vergnügten, er sich in aller Stille betrank und sich mit Whisky geißelte, so wie die Penitentes in den Bergen von New Mexico sich mit Kakteen auspeitschten. 

 Am Abend von Chiricahuas letztem großem Feuergefecht war er – an Jahren gemessen – noch jung; noch keine dreißig, schlank von Gestalt, anmutig wie eine Katze; er wäre gutaussehend gewesen, wenn nicht eine Düsternis seine Gesichtszüge entstellt hätte. Als die Rauchschwaden sich nun lichteten und den Blick auf die ausgestreckten Körper der Toten und Sterbenden auf der breiten Hauptstraße freigaben, lag ein satanisches Leuchten in seinen dunklen Augen. 

 Vom ersten heftigen Krachen der abgesägten Schrotflinte des Sheriffs bis zum letzten scharfen Revolverknall waren etwa dreißig Sekunden vergangen. Das war alles. In den Ohren der nicht am Gefecht Beteiligten, die hinter Türen Zuflucht gesucht hatten, hatte es sich angehört, als wäre nacheinander ein Dutzend gewaltiger Feuerwerkskörper gezündet worden. 

 Brazos, der nun allein das Feld beherrschte, blickte um sich und schätzte die Folgen seines Sieges ein. Vor wenigen Augenblicken hatte er noch drei Verfolger gehabt; jetzt hatte er keine mehr. Zwar waren der Sheriff und seine beiden Stellvertreter tot; aber das Gesetz lebte noch. Am morgigen Tag würde ein neuer Sheriff neue Stellvertreter ernennen und ein Kopfgeld auf Brazos aussetzen. 

 So weit war es gekommen. Ein weiteres Gemeinwesen stellte sich gegen ihn. Noch eine Stadt, die er bei Todesstrafe nicht betreten durfte. 

 Vergangen waren die Zeiten, in denen ihm der gesamte Südwesten offen gestanden hatte. Jetzt war er vom Pecos bis zum Colorado ein Mann auf der Flucht. 

 Die kühneren Bürger sahen, als sie aus den Hauseingängen auf beiden Seiten der Hauptstraße kamen, wie Brazos aus Chiricahua hinausritt. Jedes Mal, wenn er das von den Laternen vor den Fenstern eines Saloons oder Tanzlokals ausstrahlende Licht passierte, erhaschten einige dieser wagemutigeren Seelen einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht. Seine Lippen waren zu einem sardonischen Lächeln verzogen. 

 Zwei Tage später kam er morgens aus den finsteren grauen Bergen heraus geritten, wo er seine Spur verwischt hatte, und erreichte die Talebenen weit im Osten. Hier zog er die Zügel an. 

 Jenseits des Horizonts im Osten befanden sich andere Täler – und Städte; er nannte für sich selbst ihre Namen: Socorro, Las Cruces, Tularosa. Sie kannten ihn gut. Vor und hinter ihm war sein Weg durch seine schlimmen Missetaten blockiert. Er blickte nach Süden. 

 Die weite Ebene erstreckte sich endlos zwischen Gebirgszügen aus Stuck; ausgedehnte Schichten aus Lavafragmenten durchzogen sie, lohfarbene Streifen mit Rot und Violett, die in der Sonne pulsierten; und in weiter Ferne, nahe der Stelle, wo die heiße Erde und der heiße Himmel aufeinandertrafen, schimmerte unheilvoll das Bett eines ausgetrockneten Sees. Ein wildes Land – und ohne Wasser. Jenseits davon – drei Tagesritte von hier entfernt – winkten ihm einladend die zum Himmel aufragenden gespenstischen Gipfel einer mexikanischen Sierra zu. Ein Moment verging, in dem die tödliche Bedrohung, die zwischen ihm und diesen Bergen lauerte, wie eine Verlockung wirkte. Er schüttelte ihn ab und lenkte sein Pony in Richtung Norden. 

 ,Ich werde nach Bitter Wells gehen‘, sagte er zu sich selbst, ,und dort Unterschlupf suchen, bis ich eine Gelegenheit finde und aus dem Land verschwinden kann.‘ 

 Es war der einzige Zufluchtsort, an dem er sich aufhalten und warten konnte, bis es sich ergeben würde, dass er sich auf ein unglückliches Opfer stürzen und sich die Mittel für seine lange Flucht zu Orten besorgen konnte, wo niemand ihn kannte. 

 *** 

 Einst war Bitter Wells eine Postkutschenstation gewesen, aber die Postroute war nach Norden verlegt worden, um die neuen Silberlager in der Nähe der Mogollons zu bedienen, und die Kutschen kamen nicht mehr vorbei. Ein paar Reisende gab es immer noch, zumeist Wagenkolonnen, die auf der Durchreise Richtung Westen waren. Der Verkauf von Futter und Proviant zu Wucherpreisen an diese unglückseligen Verirrten und eine Gebühr für Wasser – deren Höhe sich im umgekehrten Verhältnis zur Kultiviertheit der Kunden veränderte – gaben dem Ort eine Existenzberechtigung. Aber die Betreiber machten ihre wahre Beute bei den hartgesottenen Besuchern, die zu Pferd ankamen. Manchmal wollten die Ortschaften, aus denen diese Reiter kamen, sie nicht mehr haben; manchmal wollten diese Ortschaften sie unbedingt haben. In beiden Fällen lief es auf dasselbe hinaus; die Gäste zahlten gut und beschwerten sich nicht über die Preise. Hin und wieder, wenn andere Geschäfte schlecht liefen oder die Jicarilla-Apachen bei Fort Bayard unruhig wurden, machten sich die Betreiber mit beladenen Packpferden auf den Weg in die Berge, wo Patronen oft ihr Gewicht in Silber einbrachten. Alles in allem ging es dem Duo, das hier durchgehalten hatte, also gut. 

 An diesem Abend herrschte in Bitter Wells ein ziemlich reger Geschäftsbetrieb. Gabe Means spielte im Hauptraum des langen einstöckigen Stationsgebäudes, an dem ehemals die schwerfälligen Concord-Kutschen zum Pferdewechsel anhielten, als Bankhalter Monte. Ein halbes Dutzend Spieler kauerte um die auf dem Lehmboden ausgebreitete Decke und beobachtete ihn genau, während er die Karten mal von oben, mal von unten verteilte; an ihren Gesichtern war das Misstrauen abzulesen. Er war ein kleiner Mann mit harten, runden Augen wie denjenigen eines Vogels und einem zusammengepressten Mund, der aussah, als hätte die Sonne ihn ausgetrocknet. Auf die Art, wie sie ihn ansahen, erwiderte er mit einem prüfenden Blick, den er argwöhnisch umherschweifen ließ. Sein Partner Bulltoad Jones saß auf einem wackligen Stuhl neben dem Whiskyfass, die Hände über seiner aufgeblähten Taille gefaltet, ein Auge auf das Spiel gerichtet, das andere auf die offene Tür. Er war der Erste, der Brazos sah. 

 Der Gesetzlose stand vor der Türschwelle und betrachtete schweigend die Szene. Etwas an ihm erinnerte an einen grauen Wolf, der eine Gruppe von Kojoten beobachtet, die sich an den Knochen eines toten Pferdes zu schaffen machen; ein einsamer Wolf, der vor Hunger ausgezehrt ist, aber keine Lust auf so dürftige Beute wie die hat, um die sich die niederen Tiere streiten. Jones’ rechte Hand zuckte zu seinem Revolver; dann, als er den Neuankömmling erkannte, stand er von seinem Stuhl auf und ging rasch zur Tür. 

 „Alles im Lot?“ fragte er halb geflüstert mit heiserer Stimme.

 Brazos ließ die Frage unbeachtet. „Wer ist hier?“ Er nickte in Richtung des Raums. 

 „Ein Kerl aus Silver; ist die ganze Zeit betrunken, seit er angekommen ist. Die beiden Jungen hat man letzte Woche aus Shakespeare rausgeschmissen. Die anderen beiden werden in Las Cruces wegen Mordes gesucht.“ 

 „Unten am Corral habe ich einen Planwagen gesehen, als ich angekommen bin“, fuhr Brazos leise fort. 

 „Ach, die!“ Die Lippen des dicken Mannes verzogen sich verächtlich. „Das sind Grünschnäbel. Von der dümmsten Sorte. Die haben keine Ahnung von gar nichts.“ 

 „Dann werde ich wohl meinen Gaul unterstellen“, sagte Brazos zu ihm. „Er hat sich die Füße wund gelaufen. Du kannst mir etwas zu essen besorgen, während ich weg bin. Ich bin so abgemagert wie eine Wölfin mit Welpen.“ 

 „Heute Morgen ist ein Trupp aus Chiricahua hier durchgeritten.“ Bulltoad Jones kam einen Schritt näher, als er die Information an den Mann brachte. „Es wurde gesagt, dass fünfhundert Dollar auf dich ausgesetzt sind, tot oder lebendig. Sie nehmen an, dass du auf dem Weg über die Grenze bist.“ 

 Wenn die Nachricht bei dem anderen eine Gefühlsregung auslöste, ließ er es sich nicht anmerken. Sein Gesicht blieb unverändert düster. „Vielleicht verkrieche ich mich hier für eine Woche oder so“, war die einzige Antwort, die er gab. 

 Er wandte sich ab und ging zu seinem Pony, das müde in der Dunkelheit wartete. Als er das Tier zum Corral führte, hörte er Stimmengemurmel von dem Planwagen her, den er bei seiner Ankunft gesehen hatte. Eine brennende Laterne stand auf dem Boden vor dem Wagen. Er hielt sich außerhalb des Kreises des Lichtscheins und sah die beiden Grünschnäbel. Unwillkürlich hielt er inne. 

 Der Sitz des Wagens war so auf dem Boden platziert, dass sie sich mit dem Rücken an eines der Vorderräder lehnen konnten. Sie saßen Seite an Seite und blickten geradeaus in die Dunkelheit nach Westen. Die beiden waren kaum mehr als ein Junge und ein Mädchen. Sein großes, glattes, junges Gesicht hatte einen seltsamen, halb verständnislosen Ausdruck; irgendwie erinnerte es an jemanden, der unerwartet einen Schlag erhalten hat und verdutzt aufschaut, um nach dem Grund zu suchen. Das Mädchen war rundum in Decken gehüllt, obwohl die Nacht nur angenehm kühl war, und ihr Gesicht lugte aus ihnen heraus wie eine Blume – ein blasses Blütenblatt, das überhaupt nicht hierher in die Wüste zu gehören schien. Offensichtlich hatten sie Brazos nicht kommen hören, denn der Junge sagte: „Na, na. Wir werden es schon schaffen. Mach’ dir keine Sorgen, Schatz. Das schaffen wir.“ Und während er sprach, legte er seinen Arm um sie. 

 Brazos entfernte sich. „Bulltoad hatte recht“, sagte er im Corral zu seinem Pferd, nachdem er das Tier gefüttert hatte. „Dumme Grünschnäbel.“ 

 Damit verdrängte er sie aus seinen Gedanken. In diesem düsteren Grenzland war das oberste Gesetz der Natur unerschütterlich, und niemand wusste das besser als Brazos. Als er vom Corral zurückkehrte, dachte er über das Problem der Selbsterhaltung nach. Fünfhundert Dollar sind fünfhundert Dollar, und die Nachricht von dieser Belohnung würde andere zum Nachdenken bringen, nicht nur ihn selbst. Früher oder später würde die Zeit kommen, in der es einige dieser anderen es darauf ankommen lassen würden. Man kann nicht ewig mit einem offenen Auge schlafen. Er musste sich davonmachen, bevor sie zu begierig auf das Blutgeld wurden. Aber sobald er diesen Zufluchtsort verließ, musste er schnell und weit vorankommen, um eine Gegend zu erreichen, in der man ihn nicht kannte; und wenn die Mittel eines Mannes aus einem müden Pferd und fünfzig Dollar bestehen, kann er weder weit noch schnell vorankommen. 

 Die Gruppe der Monte-Spieler war bis spät in die Nacht auf der Decke aktiv. Das Klirren des Silbers machte ein angenehmes Geräusch, wenn die Einsätze den Besitzer wechselten. Hin und wieder warf einer der Spieler einen Blick auf Brazos, der abseits in einer Ecke des langen Raums saß, und fand die mürrischen Augen des Gesetzlosen auf ihn gerichtet. In seinem dunklen Blick lag etwas Unheimliches; dasselbe Bild wie vorhin, als er durch die Tür auf sie geschaut hatte, wie ein großer grauer Wolf, der außerhalb des Kreises der fressenden Kojoten auf seinen Hinterbeinen sitzt und halb geneigt ist, zwischen sie zu springen und sie zu vertreiben, und sich nur zurückhält, weil die Knochen, um die sie sich streiten, nicht verlockend genug sind. 

 *** 

 Er schlief für sich. Und wo er sich in seine Decken rollte, wusste keiner der anderen. Vor Sonnenaufgang hatte er sein Bettzeug zurück zur Station gebracht. Während er vor dem Frühstück eine Zigarette rauchte, kam der junge Grünschnabel, den er am Abend zuvor neben dem Wagen gesehen hatte, mit einem Eimer in der Hand vom Corral. 

 „Guten Morgen“, grüßte er Brazos. „Ein schöner Tag.“ Er lächelte, und in dem Lächeln lag eine eifrige Schüchternheit, die gegenüber dem knappen „Howdy“ des Gesetzlosen verblasste. 

 Gabe Means kam zur Tür; der Blick seiner vogelartigen Augen wurde härter, als er auf dem Eimer ruhte. 

 „Zwei Bits“, sagte er; seine Stimme war so trocken wie die Landschaft, die ihn umgab. Er nahm den Vierteldollar, den ihm der Junge reichte, und die beiden gingen zur Pumpe am Wassertrog neben der Straße. Jetzt bemerkte Brazos zum ersten Mal, dass der Pumpenschwengel angekettet und die Kette mit einem Vorhängeschloss versehen war. Der Wirt öffnete den Verschluss, und der Grünschnabel pumpte seinen Eimer voll. Sein Gesicht hatte den verständnislosen Ausdruck angenommen, den es am Abend zuvor gezeigt hatte. Als er sich auf den Weg zum Corral gemacht hatte, blickte Means Brazos in die Augen und lächelte. Mit gedämpfter Stimme profanierte der Gesetzlose den Namen seines Erlösers. 

 „Kleinvieh macht auch Mist“, sagte der andere unbekümmert zu ihm. „Sechs Bits am Tag von denen, und sie sind seit zehn Tagen hier. Ein Kommen und ein Gehen. Auf Dauer ist es besser, als Kutschen zu überfallen oder Kühe zu stehlen.“ 

 Brazos gewann seine Fassung wieder. „Das glaube ich dir aufs Wort“, sagte er. „Und jetzt, bevor du die Pumpe wieder abschließt, nehme ich einen halben Eimer oder so aufs Haus. Ich will mich waschen.“ 

 Nachdem er seine Ablutionen beendet hatte, ging er sein Pferd füttern. Das Paar vom Planwagen begegnete ihm am Tor des Corrals. Die beiden gingen langsam, und die junge Frau stützte sich schwer auf den Arm ihres jungen Ehemannes. Die blasse Schönheit ihres Gesichts hatte etwas, das Brazos verwirrte, einen Ausdruck, in dem sich auf seltsame Weise Hoffnung, Angst und eine Müdigkeit, die fast an Leiden grenzte, zu vermischen schienen. Die Decke, die am Abend zuvor noch ihre Gestalt verhüllt hatte, war jetzt verschwunden; und als seine Augen erkannten, dass sie auf dem Weg war, Mutter zu werden, nahm er schnell den Blick von ihr. Sie lächelte, als sie mit ihm sprach, und es lag etwas Tapferes in der Art, wie sie ihre Lippen formte. 

 „Guten Morgen“ – das war alles, was sie sagte. Er lüftete seinen Hut und ging mit einer gemurmelten Antwort weiter. Während er die Ballen minderwertigen Heus durchkämmte, die seine Gastgeber im Stall deponierten, sah er sein Pony finster an. „Hier“, knurrte er, „ist zu viel Betrieb für uns. Wir müssen bald weg. Ganz sicher müssen wir bald weg.“ 

 Als er den Corral verließ, sah er sich wieder mit dem jungen Grünschnabel konfrontiert. 

 „Mein Name“, erklärte der, „ist Wilson.“ Die ausgestreckte Hand des Jungen konnte er nicht übergehen. Brazos ergriff sie mit einem finsteren Blick. 

 „Ach ja?“ 

 „Ja, Sir.“ Es lag eine Art von hilflosem Eifer in dem Verhalten des Sprechers, als er neben dem Gesetzlosen her ging. „Ich wollte Sie nach der Straße nach Westen fragen.“ 

 „Mit der Straße ist um diese Jahreszeit nichts verkehrt“, erklärte Brazos ihm kurz angebunden. 

 Wilson lächelte hoffnungsvoll. „Das freut mich zu hören. Sehen Sie, ich habe nämlich Pech gehabt. Ich und meine Frau sind aus Iowa gekommen, mit einem Vierergespann, alles gute Pferde. Nun, Sir, wir kamen gut zurecht, bis wir vor zehn Nächten hier ankamen. Während wir hier lagerten, haben die Apachen unsere Pferde weggetrieben.“ Er legte seine große Hand auf Brazos’ Arm, und seine Stimme klang jetzt etwas heiser. „Ich weiß nicht, ob Sie es bemerkt haben. Meine Frau. Sie wird nämlich ein Baby bekommen. Sie wissen sicher, wie Frauen sind – vielleicht sind Sie ja selbst verheiratet?“ 

 Brazos gab keine Antwort; er blickte finster vor sich hin. 

 „Sie hat eine Schwester in Tucson“, fuhr der Junge einfach fort, „und wir dachten, ich könnte dort einen Job bekommen und die Pferde verkaufen. Es waren zwei gute Gespanne. Wir wollten nicht unterwegs stecken bleiben. Sie meint, sie wäre gern bei ihren eigenen Verwandten, wissen Sie.“ Er machte wieder eine Pause. In seinen Augen war zu erkennen, wie durcheinander und voller Sorgen er war. „Die beiden Männer, denen das hier gehört, sagen, sie könnten uns ein Zweiergespann für zweihundert das Stück verkaufen. Die Pferde taugen nicht viel, aber sie könnten uns durchbringen. Und das hier ist kein Ort für meine Frau. Was halten Sie davon?“ 

 „Ich denke“, antwortete Brazos grimmig, „Sie sollten sich besser so schnell wie möglich auf den Weg machen.“ Er warf dem anderen einen finsteren Blick zu. 

„Diese Apachen kamen nachts?“ „Um Mitternacht“, antwortete der Junge, „und sie machten einen furchtbaren Lärm. Der große Mann da – der dicke, wissen Sie – hat sie verfolgt und war drei Tage lang weg. Aber er hat die Spur verloren, als sie in die Berge nördlich von hier führte.“ 

 Brazos lächelte, und dieses Lächeln ließ sein Gesicht noch düsterer wirken als sonst. 

 „Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar“, sagte der andere zu ihm, „für Ihren Ratschlag.“ 

 „Nicht der Rede wert“, antwortete der Gesetzlose säuerlich. 

 Als die Decke an diesem Abend auf dem Lehmboden ausgebreitet war, beobachtete er die Spieler schweigend von Weitem. Jetzt wurde Poker gespielt. Ab und zu tauchte ein Goldstück zwischen den Einsätzen auf. Der betrunkene Mann aus Silver wurde allmählich nüchtern; die anderen beugten sich noch eifriger über die Decke als am Abend zuvor. In seiner Ecke ging Brazos nicht aus dem Kopf, was der Junge gesagt hatte. 

 ,Ein Vierergespann, alles gute Pferde.‘ Das brachte in den Minenarbeiterlagern im Norden mindestens achthundert Dollar.

 ,Apachen!‘ sagte Brazos zu sich selbst. ,Und Bulltoad hat ihn glauben lassen, er würde sie jagen. Man muss wirklich so eine Sorte Kojote sein, um an das Geld eines Anderen zu kommen und es ihn auch noch gut finden zu lassen.‘ 

 *** 

 Als die nächste Morgendämmerung den Himmel im Osten rot färbte, brachte das Knarren der Pumpenschwengels Brazos vor die Postkutschenstation. Die Praktiken der Betreiber von Bitter Wells übten eine unheimliche Faszination auf ihn aus. Er stand da und beobachtete das Schauspiel am Wassertrog, als wäre es ein Theaterstück, das speziell zu dem Zweck inszeniert worden war, seinen sardonischen Sinn für Humor anzusprechen. Wilson tränkte zwei altersschwache weiße Pferde; Gabe Means saß auf dem Rand des Trogs und drehte den Schlüssel des Vorhängeschlosses in seinen Fingern. Als der Grünschnabel fertig war und sich anschickte, das Gespann wegzuführen, erhob sich Means. 

 „Moment ’mal, Freundchen. Du hast etwas vergessen, oder?“ 

 Brazos lächelte säuerlich. ,Das hab’ ich mir doch gedacht‘, sagte er zu sich selbst. 

 Der Junge hielt inne; der Ausdruck von Verständnislosigkeit lag auf seinem Gesicht. 

 „Ein Dollar beträgt unsere Gebühr für Pferde“, verkündete Means trocken. 

 „Aber die hier – das waren doch Ihre“, protestierte Wilson. 

 „Sie waren es.“ Die Stimme des Wirts knisterte. „Aber jetzt gehören sie dir. Du hast sie doch bezahlt, oder nicht?“ 

 Der Junge griff langsam in seine Tasche und überreichte schweigend das Geld. Auf dem Weg zum Corral sah Brazos wenige Augenblicke später, wie Wilson sein neu erworbenes Gespann anschirrte. In der Nähe des Planwagens brannte ein kleines Feuer; das Mädchen beugte sich darüber. Sie hatten dem Gesetzlosen den Rücken zugewandt, und in der Stimme des jungen Mannes lag fast schon Verzweiflung. 

 „Keine zehn Dollar mehr übrig“, sagte er. „Ich weiß nicht, wie wir das jemals schaffen sollen, Letty.“ 

 „Aber, aber.“ Sie verließ das Feuer und kam rasch an seine Seite; ihr Arm legte sich um ihn. „Wir werden es schaffen, Liebling. Mach’ dir nur keine Sorgen. Wir kriegen das hin. Mir geht’s gut.“ 

 Sie küssten sich dort neben den knochigen Pferden, und Brazos wollte gerade weitergehen, als sie ihn bemerkte. 

 „Guten Morgen“, rief sie. „Möchten Sie nicht eine Tasse Kaffee?“ Er blieb stehen. „Ich bin sicher, er ist besser als der, den Sie drüben bekommen.“ Sie lächelte den mürrischen Fremden tapfer an. 

 Er schüttelte den Kopf und ging mit einem knappen „Nein, danke“ in den Corral. 

 *** 

 Eine halbe Stunde später sah er, wie sie davon fuhren. Das weiße Gespann schlurfte mit unsicherem Tritt dahin; der Wagen kroch über die Ebene; der Junge lehnte sich auf dem Fahrersitz nach vorn und hatte einen Arm um seine Frau gelegt, und Brazos sah wieder das tapfere Lächeln auf ihren Lippen. So brachen sie, ohne dass ihnen irgendjemand gute Wünsche mit auf den Weg gab, in Richtung der Bergkette am westlichen Horizont auf. 

 „Glaubst du, die schaffen es mit den beiden Kleppern bis nach Tucson?“ fragte einer der beiden aus Las Cruces Bulltoad Jones. Der dicke Mann schüttelte den Kopf. 

 „Auf gar keinen Fall“, antwortete er fröhlich. 

 „Es sollte ein Gesetz geben“, verkündete Gabe Means, „das solche Idioten daran hindert, ihr Zuhause zu verlassen.“ Seine Stimme strotzte nur so vor Selbstgerechtigkeit. 

 Welche Gedanken Brazos auch immer an die Chancen des Paares verschwendet haben mochte, sie wurden durch einen anderen Vorfall unterbrochen, der sich an diesem Nachmittag ereignete. Der Mann aus Silver war völlig ausgenüchtert und machte sich auf den Weg nach Norden. Er ritt davon, wie die meisten Gäste in Wells es taten, ohne ein Wort über seine Absichten oder sein Ziel. Brazos blickte ihm hinterher, und sein Gesicht war finster. 

 Die Straße, der er folgte, führte durch die Minenarbeiterlager dort oben in den grauen, mit Eichen bestandenen Bergen. Morgen um diese Zeit würde der Reiter die erste Siedlung erreichen, und mit seiner Ankunft würde die Nachricht von Brazos' Anwesenheit in diesem Teil des Landes die Runde machen. Es gab nur eine Möglichkeit – an etwas Geld zu kommen und den Reiter zu überholen, bevor der Weg nach Norden versperrt war. Während er nachdachte, wurde das Gesicht des Gesetzlosen immer ernster. Schließlich presste er die Lippen zusammen; er hatte einen Entschluss gefasst. An diesem Abend schlich er sich, nachdem die anderen sich zu ihrem Pokerspiel hingesetzt hatten, zum Corral und sattelte sein Pferd. Er führte es hinaus und band es an den Zaun. 

 „Ein Kommen und ein Gehen“, sagte Gabe Means, als er in den Raum zurückkehrte. „Ich gebe.“ 

 Jones lachte heiser. „Apachen!“ Er schüttelte den Kopf. „Diese beiden Dummköpfe sind so ahnungslos, die hätten zu Hause bleiben sollen. Die können von Glück reden, wenn sie es bis zum Gila schaffen.“ 

Er warf ein Goldstück auf die Decke und nahm seine Karten auf. „Wie viel hast du für ihre Pferde bekommen, Bulltoad?“ fragte Brazos in ruhigem Ton. 

 „Achthundert Dollar in Shakespeare“, antwortete der dicke Mann über seine Schulter. „Und hab‘ ihnen zwei alte Gäule für noch ’mal vierhundert verkauft. Warum machst du nicht mit, Brazos? Vielleicht kannst du dir etwas von diesem Grünschnabelgeld holen. Wie gewonnen, so zerronnen.“

 „Ja, vielleicht.“ Der Gesetzlose lächelte freudlos. „Was soll’s, ich werd’s versuchen.“ Er nahm seinen Platz neben der Decke ein. „Zwölfhundert Dollar habt ihr Jungs an denen verdient. Tja, ,wie gewonnen, so zerronnen‘ ist richtig. Da kann ich auch etwas davon abhaben, schätze ich.“ 

 „Wenn du Glück hast“, sagte Gabe Means. 

 „Normalerweise“, sagte Brazos gedehnt, „habe ich Glück. Gib’ mir einfach ein paar Karten.“ 

 Offenbar war ihm heute Abend das Glück hold; und es war offensichtlich, dass er das Beste daraus machen wollte, solange es anhielt. 

 Mit seinem Einstieg verlor das Spiel jeden Anschein von Lustlosigkeit; und als die Einsätze höher wurden, wurden die Gesichter um die Decke herum vor Begierde immer angespannter. Nach einer Stunde hatte er zweihundert Dollar vor sich liegen. 

 „Das geht mir zu schnell“, erklärte einer der beiden aus Las Cruces schließlich. „Ich steige aus.“ Sein Kumpan folgte seinem Beispiel. 

 „Fünfzig Dollar“, knurrte Brazos und schob das Geld in die Mitte der Runde. 

 „Und fünfzig“, sagte Gabe Means. Wenn Brazos den raschen Blick sah, den dieser seinem Partner zuwarf, ließ er sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Er ging den erhöhten Einsatz mit und konterte mit einer weiteren Erhöhung. Innerhalb von fünf Minuten lag in der Mitte der Decke ein Haufen Gold. In diesem kleinen gelben Haufen befanden sich mehr als tausend Dollar. 
 
„Ich will sehen“, erklärte Brazos. Das Paar aus Shakespeare war schon früh bei den Einsätzen ausgestiegen. Gabe Means legte sein Blatt offen. Es waren drei Asse. 

 Der Gesetzlose schaute Bulltoad Jones an. Der dicke Mann lächelte. 

 „Full House“, sagte er und zeigte sein Blatt. „Schade.“ 

Brazos legte seine Karten offen hin, damit sie sie sehen konnten. „Asse und Achten. Ich gewinne.“ 

 Erstaunt über seine Worte blickten sie auf, doch ihr Erstaunen wurde von einer tiefer gehenden Empfindung verdrängt, als sie plötzlich in die Mündung seines Sechsschüssers blickten. 

 „Bleibt, wo ihr seid“, befahl er ihnen seelenruhig und strich mit der linken Hand das Geld zusammen. „Wie gewonnen, so zerronnen.“ Sein höhnisches Grinsen verlieh seinen Lippen einen hässlichen Zug. Aus seinen Augen blitzte ein teuflisches Licht. Er erhob sich, ging hinter ihnen herum und zog ihnen ihre Waffen aus den Holstern. Einige Augenblicke, nachdem er den Raum rückwärts gehend verlassen hatte, hörten sie die leiser werdenden Hufschläge seines Ponys. 

 „Ich hätte es wissen müssen“, sagte Gabe Means zu seinem Partner, „dass er etwas abziehen würde, nachdem dieser Kerl Richtung Silver weggeritten ist. Das war seine einzige Chance.“ 

 *** 

 Dort, wo die Straße von Bitter Wells in einer Schleife nach oben zum Pass führte, der auf dem Gipfel der zerklüfteten Berge im Westen eine Kerbe bildete, befand sich zwischen den kargen Bergrücken ein kleines Amphitheater. Hier wuchs Büschelgras, und aus dem Granit sickerte eine Quelle, um sich in einem seichten Teich zu sammeln, bevor sie in den Spalten zwischen den durstigen Felsen verschwand. Als die ersten Vorboten der Morgendämmerung den Horizont im Osten erhellten, flackerte eine Flamme neben der Wasserstelle, die den Blick auf den Wagen mit seiner weißen Plane, die verstreuten Lagerutensilien und die altersschwachen Pferde frei gab, die in der Nähe grasten. Das rötliche Licht schien auf die Gesichter der beiden jungen Reisenden; es zeigte die Sorgenfalten auf der Stirn des Jungen und die dunklen Ringe unter den müden Augen des Mädchens. 

 „Müde Klepper, alle beide.“ Seine Stimme war tonlos vor Hoffnungslosigkeit. „Sie sind jetzt schon erschöpft, Letty. Für mehr als zwei oder drei Tage sind sie nicht zu gebrauchen.“ Seine Augen suchten die ihren. „Ich hätte dich nie in ein solches Land mitnehmen dürfen. Es war alles meine Schuld“, rief er. 

 „Nicht doch, Liebling. Den Mann möchte ich sehen, der es besser hätte machen können als du“, sagte sie leise zu ihm. „Es ist nicht deine Schuld, dass wir an solche Leute wie die da hinten geraten sind. Du hast das Beste draus gemacht, was ein Mann nur tun konnte. Wir werden es schaffen. Ich weiß, dass wir es schaffen.“ 

 Sein Arm legte sich um sie. Einen Moment lang standen sie schweigend da, während es im Osten heller wurde. Dann küsste er sie sanft. 

 „Du bist die Beste!“ sagte er. 

 Doch als er sie verließ, um die Pferde her zu holen, war ihm das Herz schwer, und der Blick aus seinen jungen Augen wurde hart, als er nach Westen zu dem Pass hinauf schaute. Zwei oder drei Tage da draußen und das wertlose Gespann, das er so teuer bezahlt hatte, würde den Geist aufgeben. Während er die Pferde anspannte, wanderten seine Gedanken zurück zu den üppigen grünen Prärielandschaften, die sie im vergangenen Frühjahr so frohgemut verlassen hatten. Er sah die Weizenfelder, die sich auf den Ebenen bis zum Horizont erstreckten, die kleinen ungestrichenen Fachwerkhäuser, die Gesichter der Nachbarn, die sie seit ihrer Kindheit gekannt hatten. Arme Leute, die jahrelang gegen Missernten und Heuschrecken gekämpft hatten; aber unter ihnen gab es nicht einen, der einem Fremden seine Hilfe verweigert hätte. Er dachte an Bitter Wells, und seine Verwirrung vertiefte die Falten in seinem jungen Gesicht. Sie waren da, als er neben dem Mädchen auf den Fahrersitz kletterte und die Bremse löste. 

 „Nun, wir werden unser Bestes geben.“ Er seufzte. 

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 Und so fand Brazos sie vor, als er sie auf der Passhöhe einholte, wo sie mit umeinander geschlungenen Armen da saßen und das erschöpfte Gespann sich nach dem steilen Aufstieg ausruhte. Der Blick des Gesetzlosen war düster, als er sein Pferd zügelte. Auf seinem finsteren Gesicht leuchtete kein Funken der Begrüßung. 

 „Howdy“, sagte er nur knapp. „Ich habe ein kleines Geschäft mit Ihnen abzuwickeln.“ Er löste einen Fuß aus dem Steigbügel und verlagerte seine Haltung im Sattel. Die Besorgnis in ihren Augen entging ihm nicht. Er lächelte freudlos angesichts ihrer Hilflosigkeit. 

 „Mit dem Gespann kommen Sie nicht weit“, knurrte er. 

 Wilson wandte ihm sein verzweifeltes Gesicht zu. 

 „Wollen Sie sich über uns lustig machen?“ rief er. 

 Aber Brazos schien ihm keine Beachtung zu schenken. „Zwei oder drei Tage“, sagte er grimmig. „Für mehr taugen die nicht. Aber bei dem Tempo, zu dem sie in der Lage sind, müssten Sie es in zwei Tagen bis zum Gila schaffen. Dort stoßen Sie auf die Postkutschenstraße.“ 

 Er fummelte an einem Knoten in seinen Sattelknaufschnüren herum. Als er ihn gelöst hatte, lenkte er sein Pony näher an den Wagen heran. 

 „Hören Sie auf meinen Rat und fahren Sie mit der Kutsche nach Tucson. Dieses Land ist zu rau für Grünschnäbel.“ 

 Mit diesen Worten legte er einen Leinensack auf den Sitz neben dem Mädchen; das Klirren von Gold war unverkennbar. Er drückte dem Pony einen Sporn in die Seite, und bevor einer von beiden zu Wort kommen konnte, fuhr er wie beiläufig fort: „Ihre vier Pferde wurden letzte Nacht gefunden. Ich gebe Ihnen zweihundertfünfzig pro Stück dafür. Das kann ich für sie bekommen – und mehr.“ Er ritt davon, während er die letzten Worte sprach. Er drehte sich nicht im Sattel um, als das Mädchen ihm hinterher rief. 

 Am Fuße des Abhangs, wo die Ebene begann, zog er die Zügel an. Hinter ihm war die Straße nach Westen versperrt, und nach Osten ebenfalls. In den Bergen im Norden würden die Leute jetzt nach ihm suchen. In Bitter Wells gab es keine Zuflucht mehr. Er blickte nach Süden. Die weiten Talebenen erstreckten sich endlos zwischen den aschgrauen Bergen. In weiter Ferne sah er die Betten alter ausgetrockneter Seen, die das gleißende Sonnenlicht widerspiegelten. Ein wildes Land – und ohne Wasser. Es war der einzige Weg, der ihm geblieben war. 

 „Wenn in den Sandsteintanks Wasser ist“, sagte er zu seinem Pony, „dann schaffen wir es. Wenn keines da ist –“ Er zuckte mit den Schultern. 

 *** 

 In den Sandsteintanks war kein Wasser. Die Vertiefungen im Felsgestein, in denen sich die Niederschläge des Winters sammelten, waren so trocken wie Asche, als Brazos sie erreichte. Und so fanden Männer Monate später seine Leiche dort, wo er gestorben war, als er mit bloßen Händen im harten Erdboden gegraben hatte. 

 In Tucson, wo das Baby zur Welt kam, sprachen die Wilsons manchmal von ihm. Und der Blick der jungen Mutter wurde weicher, wenn sie sich daran erinnerte, wie er losgeritten war, um sie einzuholen und sie für die gestohlenen Pferde zu bezahlen. 

 „So wie er aussah und sich verhielt“, sagte sie, „hätte man nicht gedacht, dass er ganz anders war als die übrigen Männer in Bitter Wells.“ 

 © für die deutsche Übersetzung: Reinhard Windeler, 2025
 


Cosmopolitan, August 1924

Cosmopolitan, August 1924 - Contents


Anmerkung des Übersetzers 
An der einen und anderen Stelle verwendete Bechdolt Fremdwörter mit religiösem Bezug, als er die Geschichte vor mehr als einhundert Jahren schrieb. Da anzunehmen ist, dass er dies nicht zufällig, sondern bewusst tat, habe ich sie in der Übersetzung beibehalten, auch wenn sie dem heutigen Sprachgebrauch fremd und damit vermutlich auch den meisten Lesern nicht geläufig sind.