Donnerstag, 6. Februar 2025

Wenn die Karten aufgedeckt werden (Gunnison Steele)


Wenn die Karten aufgedeckt werden

von Gunnison Steele

(Orig.: "Showdown", 1946; Übers.: Reinhard Windeler)


Gunnison Steele ist das Pseudonym, das der aus dem Nordosten von Texas stammende Ben Wilson Gardner (1906 – 1948) für die meisten seiner Kurzgeschichten benutzte, die seit 1932 in verschiedensten Magazinen erschienen. Über sein Leben und seinen frühen Tod – mit nicht einmal 42 Jahren – ist kaum etwas ausfindig zu machen, ebensowenig wie ein Porträtfoto.
Als Schriftsteller beschränkte er sich auf das Western-Genre, in dem er wegen seiner Short Stories – und auch einiger Romane – einen guten Ruf genoss. Der bekannte Autor und Pulp-Experte James Reasoner bezeichnete ihn als den „wahren Meister der Western-Kurzgeschichte, der Action, eine plausible Handlung und zum Schluss eine überraschende Wendung in zwei oder drei Magazinseiten packen konnte“ [Quelle: https://jamesreasoner.blogspot.com/2005/11/ sowie https://jamesreasoner.blogspot.com/2014/11/].
Die Poker-Story, die 1946 in der November-Ausgabe von „Famous Western“ veröffentlicht wurde, kann zwar nicht mit Action punkten, wohl aber mit einem gelungenen Clou am Schluss.

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Diesmal will ich nicht so sein, Tuck“, sagte Sid Jarret mit seinem verschlagenen, boshaften Grinsen, während er weiteres Geld in die Tischmitte schob. „Ich erhöhe nur um hundert!“


Ich spürte eine Kälte in mir. Ich hatte bereits achthundert bei diesem Pokerspiel verloren – achthundert von den zweitausend Dollar, die ich für das Vieh bekommen hatte, das ich an diesem Morgen abgeliefert hatte, Geld, das zu verlieren ich mir nicht leisten konnte. Zu Beginn des Spiels waren noch ein paar andere dabei gewesen, aber jetzt waren nur noch Sid Jarret und ich übrig.

Ich sah zu Jarret hinüber. Er war ein großer, dunkler Mann mit schlaffen Wangen und kalten kleinen Augen. Ihm gehörte die Frying Pan Ranch – Land, das er auf krummem Weg beim Pokern gewonnen hatte, wie ich gehört hatte –, aber er gab sich nicht einmal den Anschein, als würde er arbeiten. Seine Hände waren weich und glatt. Wenn ich nicht schon ein paar Drinks intus gehabt hätte, wäre ich schlauer gewesen, als mich an seinen Tisch zu setzen. Aber jetzt war es passiert, und ich musste versuchen, die achthundert zurück zu bekommen.

Ich warf noch einmal einen Blick auf meine drei Buben, in jedem Pokerspiel ein ordentliches Blatt. Jarret hatte drei Karten gezogen.

„Ich gehe mit“, sagte ich, legte einhundert dazu und drehte meine Karten um.

Jarret breitete sein Blatt offen aus. Er hatte drei Könige.

„Wie schade, Junge“, sagte er spöttisch und strich den Pot ein.

Falls er falsch spielte, war es mir nicht gelungen, ihn zu ertappen. Rund ein Dutzend Männer waren um den Tisch versammelt und fieberten bei dem Spiel mit, aber im Raum war es ziemlich ruhig. Sie wussten genauso gut wie ich, dass ich es mir nicht leisten konnte, dieses Geld zu verlieren. Sie mussten mich für ziemlich dumm gehalten haben – einen sommersprossigen, rothaarigen Knirps von zwanzig Jahren, der sich mit einem Pokerwolf wie Sid Jarret anlegte. Aber ich war zu stur, um jetzt aufzugeben.

Ich hätte Jarret am Liebsten mit meiner Faust in sein grinsendes Gesicht geschlagen. Stattdessen sagte ich: „Sie geben – und Sie geben besser regelgerecht!“

Seine schwarzen Augen zogen sich zusammen. „Was meinst du damit, Junge?“

„Geben Sie einfach“, sagte ich. 

Er gab, und er gewann auch diesen Pot. Ruckzuck hatte ich tausend verloren. In meinem Magen spürte ich immer noch diese Kälte. Wenn ich pleite ging, bedeutete das mehr als nur mein Geld zu verlieren. Es bedeutete, dass Rose Tully mich wahrscheinlich nie heiraten würde. Ich hatte noch nie ein hübscheres Mädchen als Rose gesehen. Sie hatte versprochen, mich nächsten Monat zu heiraten. Aber sie würde niemanden heiraten, der dumm genug war, zweitausend Dollar Rindergeld zu verspielen.

***

Jarret gewann immer weiter. Ein halbes Dutzend Mal war sein Blatt nur ein wenig besser als meins. Es schien, als könnte er die Rückseiten der Karten lesen.

Einmal klopfte mir Jim Sabin, der Besitzer des Saloons, in dem wir spielten, auf die Schulter und sagte: „Glaubst du nicht, dass du genug hast, Junge? Das ist nicht deine Kragenweite –“

„Lass den Jungen in Ruhe“, sagte Sid Jarret kalt. „Es ist sein Geld, oder nicht?“

„Allerdings“, sagte ich. „Mein Glück wird sich wenden!“

Aber es wendete sich nicht, und es dauerte nicht lange, bis ich fünfzehnhundert verloren hatte. Da wusste ich, dass ich keine Chance hatte, aber ich würde nicht aufgeben.

„Etwas dagegen, wenn ich einsteige, Gentlemen?“

Ich sah schnell hoch. Ein hagerer alter Mann mit blassen Augen stand neben dem Tisch. Er hatte einen ordentlich gestutzten Spitzbart, der zum Teil grau war. Er trug einen schwarzen Anzug mit einer schwarzen Krawatte und einem weißen Hemd. Ich hatte nicht bemerkt, dass er dort stand und das Spiel verfolgte, aber mir war klar, dass er mehrere Minuten dort hinter mir gewesen sein musste.

Nick Hawn war Eigentümer der 77 Ranch drüben am French Creek. Ich schätze, er hatte mehr Freunde als jeder andere Mann in der Gegend um Kettledrum. Früher war er ein Spieler gewesen – ein ehrlicher Spieler, wie ich gehört hatte, und die Leute nannten ihn „Zwei-Karten-Hawn“ –, aber jetzt spielte er nicht mehr – außer um niedrige Einsätze mit ein paar alten Kumpels. Er hatte sich zwar ein paar Mal mit mir unterhalten, aber sonst hatten wir nichts miteinander zu schaffen.

Sid Jarrets achatfarbene Augen blickten jetzt nachdenklich auf Nick Hawn. Er wusste, dass Hawn einmal ein Spieler gewesen war, aber er musste geglaubt haben, dass der Oldtimer aus der Übung war und eine leichte Beute sein würde.

„Ihr Geld ist so gut wie jedes andere, alter Mann“, sagte Jarret. „Kein Limit, keine Begrenzung auf Tischeinsätze – spielen Sie mit allem, was Sie haben, erbetteln, leihen oder stehlen können!“

Nick Hawn nickte knapp und setzte sich. Er nahm eine Geldrolle aus seiner Tasche und legte sie vor sich auf den Tisch.

Das Spiel ging wieder los. Ich konnte nicht erkennen, wie es mir helfen sollte, dass Nick Hawn am Spiel teilnahm. Wahrscheinlich würde es nur zusätzliches leichtes Geld für Sid Jarret bedeuten.

Ich gewann den ersten Pot, einen kleinen, und Jarret gewann die nächsten drei. Jarret grinste auf diese kalte, verschlagene Weise. Nick Hawn schien sich nicht viel darum zu scheren, ob er gewann oder verlor. Er spielte vorsichtig und beobachtete Jarret mit seinen blassen, klugen alten Augen. Ich konnte sehen, dass er Jarret abschätzte, so wie ein Mann einen Kerl abschätzt, gegen den er kämpft, bevor er zum entscheidenden Hieb ansetzt. 

Trotzdem half mir das nicht. Ich hatte nur noch zweihundert. Ich musste zusehen, wie mir das Ergebnis der Arbeit eines ganzen Jahres entglitt – und ein schlankes blondes Mädchen namens Rose.

Nick Hawn gewann ein paar gute Pots gegen Jarret – und jetzt hatte Jarret aufgehört zu grinsen. Er gab bedächtiger, und in seinen Augen lag ein unruhiges, unsicheres Leuchten.

Bevor diese eine Runde anfing – die Runde, in der ich vier Könige auf einen Schlag erhielt –, sah ich, wie Jarret mich und dann Nick Hawn ansah, bevor sich eine Art Kapuze über seine schwarzen Augen senkte. Mein Herz machte einen Sprung und schlug hoch bis zu meinem Hals, als ich die vier Könige sah. Dann sank es genauso schnell hinab.

Selbst wenn ich das Spiel mit den Königen gewinnen würde, hatte ich doch nicht genug Geld, um mehr als nur einen winzigen Teil dessen zurück zu bekommen, was ich verloren hatte.

***

Ich sah zu Jarret und Nick Hawn. Jarret runzelte die Stirn und starrte auf seine Karten. Hawns graues Gesicht war ausdruckslos. Er wirkte irgendwie gelangweilt.


Ich war mit dem ersten Einsatz dran. Ich wollte mein Blatt nicht dadurch verraten, dass ich zu hoch setzte, also schob ich fünfzig Dollar in die Mitte. Nick Hawn zuckte mit den Achseln und legte sein Blatt beiseite. Jarret warf nochmals einen Blick auf seine Karten und legte sie dann sehr vorsichtig verdeckt auf den Tisch.

„Tuck“, sagte er, „für heute habe ich keine Lust mehr, Poker zu spielen. Ich werde einfach um den Rest erhöhen, den du hast!“

Ich zählte meine letzten hundertfünfzig ab und verfluchte das miese Geschick, das mir vier Könige und zu wenig Geld gegeben hatte, um daraus Kapital zu schlagen.

„Mehr Geld habe ich nicht, Sie Gauner – und das ist ein Glücksfall für Sie!“ sagte ich.

„Gutes Blatt, was?“ schnurrte Jarret.

„Gut genug, um aufzustocken, wenn ich mehr Geld hätte –“

„Du hast doch etwas Land, oder nicht?

„Yeah, ich habe etwas Land –“

„Aber nicht die Nerven, oder, Junge?“

„Hey, seien Sie verflucht, Sie räudiger Hund!“ brüllte ich und stand auf. „Stehen Sie auf, und ich zeige Ihnen, wer die Nerven hat!“

„Diese Art von Nerven habe ich nicht gemeint“, sagte Jarret. Seine Augen waren kalt und unbarmherzig. „Denk’ dran, wir spielen ohne Begrenzung auf die Tischeinsätze. Deine kleine Kuhfarm ist nicht viel wert, aber ein bisschen schon. Tu’ sie in den Pot – oder schmeiß dein Blatt hin und überlass’ mir den Pot!“



Ich setzte mich wieder hin. In meinem Inneren fühlte ich mich ziemlich matt. Ich hatte hart gearbeitet, um mein kleines Anwesen am Hungry Creek aufzubauen. Es war alles, was ich hatte. Wenn ich es verlieren würde, zusammen mit dem Geld, das bereits weg war, würde ich zum Gespött des ganzen Landes werden.

Alle sahen mich an. Sie wussten, dass Jarret mich dort hatte, wo es keinen Ausweg mehr gab. Nick Hawn zündete sich eine Zigarre an und starrte mich über das Streichholz hinweg an.

Diese fünf Karten – die vier Könige und eine Drei – kamen mir in meiner Hand so groß wie eine Scheune vor. Nicht ein einziges Mal in einer Million Fälle hätte ein Mann ein Blatt, das vier Könige schlagen würde.

„Ich schätze, damit ist das Spiel gelaufen“, sagte Jarret und griff nach dem Pot. „Pech gehabt, Junge –“

„Nicht so schnell, Sie Gauner!“ sagte ich. „Lassen Sie Ihre schmierigen Finger von diesem Pot. Ich gehe Ihren Bluff mit. Meine Ranch müsste doch für viertausend gut sein, oder?“

Jarret lehnte sich zurück. Ich konnte sehen, wie er seine Augen argwöhnisch zusammenkniff, als er mich ansah. Dann grinste er dünn.

„Du hast dich also doch entschieden, es auf dieses Blatt ankommen zu lassen, was?“ sagte er spöttisch. „Nun, für mich ist dein Land nur zweitausend wert. Ich setze die zweitausend – und du unterschreibst eine Quittung über den Verkauf deines Grundbesitzes. Wir tun alles in diesen einen Pot. Mach’ mit oder lass’ es bleiben!“

Ich machte mit. Sid Jarret zählte zweitausend in bar ab. Jim Sabin brachte Stift und Papier, und ich schrieb eine Verkaufsquittung auf Jarrets Namen für meine Ranch. Diese vier Könige schienen die ganze Zeit immer mächtiger zu werden. Ich fühlte mich ziemlich gut.

Nick Hawn hatte kein Wort gesagt. Er saß einfach nur da, und durch den Rauch seiner Zigarre beobachtete er Jarret mehr als mich.

***

Gerade als ich das Papier in die Tischmitte schieben wollte, sagte er in scharfem Ton: „Moment mal, Tuck Boone! Ich gebe dir ein kleines Darlehen!“

Im Raum wurde es mucksmäuschenstill. Sid Jarret beugte sich vor, sein schmales Gesicht verriet seinen schnell aufkommenden Argwohn.

„Sie geben was?“ fragte er ungläubig.

„Na, ich gebe dem Knirps ein kleines Darlehen“, sagte Nick Hawn ruhig und nahm einen Geldgürtel von seiner Taille. „Man könnte es eine Art Investition nennen – in sein Blatt. Ich glaube, er hat Sie im Sack! Ist daran irgendwas auszusetzen?“

Jarret leckte sich über die Lippen, sagte aber nichts. Mit einer Art verzweifelter Wut in seinen Augen sah er zu, wie Hawn anfing, große Scheine aus dem Geldgürtel abzuzählen. Ich fühlte mich, als hätte mir ein Maultier in den Bauch getreten, als der Stapel vor mir immer größer wurde.

„Das sind fünfzehntausend, Junge“, sagte Nick Hawn. „Mach’, was du für richtig hältst – und zahl’s mir zurück, wenn du kannst. Ich habe Vertrauen zu dir.“

„Und ich habe Vertrauen in dieses Pokerblatt“, sagte ich. „Ich sehe Ihre zweitausend, Jarret – und erhöhe um fünfzehn!“

Ich habe niemals einen Mann gesehen, der blasser wurde als Sid Jarret. Er schien mich vergessen zu haben. Er starrte Nick Hawn an, mit dieser verzweifelten Unsicherheit in seinen Augen – und Nick Hawn starrte zurück, lächelte ein wenig, und Verachtung war deutlich in seinen blassen Augen zu sehen. Jarret befeuchtete seine Lippen.

„So viel Geld habe ich nicht“, murmelte er.

„Sie haben Land“, sagte ich. „Aber nicht die Nerven, oder, Jarret?“

„Ich werde mein Land nicht aufs Spiel setzen!“ sagte er barsch.

Er riss seine fünf Karten entzwei. Dann stand er auf und stolzierte aus Jim Sabins Saloon, ohne sich noch einmal umzusehen.

„Er hat die ganze Zeit geblufft“, sagte ich grinsend. „Er wusste, dass ich die besseren Karten hatte. Da sind Ihre fünfzehntausend, Mister Hawn – mit Zinsen.“

„Nur das Darlehen, Tuck.“ Nick Hawn sah irgendwie traurig aus, als er das Geld zurück in seinen Geldgürtel steckte. „Ich bekomme meine Zinsen mit dem Wissen, dass ich einem jungen Mann, der kurz davor steht, ein blondes Mädchen zu heiraten, aus einer üblen Patsche geholfen habe.“

„Üble Patsche? Mit diesen vier Königen hatte ich bereits mein Geld zurückgewonnen. Nur vier Asse – oder ein Straight Flush – können sie schlagen!“

Und ich breitete mein Pokerblatt offen aus.

***

Nick Hawn sah sich die Karten nicht einmal an.

„Schon bevor ich anfing zu spielen“, sagte er und schnallte sich den Geldgürtel wieder um seine schmale Taille, „wusste ich, dass Sid Jarret jede Karte im Stapel mit seinem Daumennagel markiert hatte. Du konntest die Markierungen nicht fühlen, Tuck, denn deine Hände sind rau vom Hantieren mit Seilen, Spaten und dergleichen. Aber Jarrets weiche Finger konnten sie spüren, und meine auch. Also habe ich seine Markierungen ein bisschen verändert und ein paar eigene hinzugefügt. Dadurch hat Jarret das Vertrauen in seine eigenen Karten verloren.“

„Sie meinen, das Stinktier hat mit gezinkten Karten gespielt?“

Nick Hawn nickte.

„Als er dir das letzte Blatt gab, war er sicher, dass er dich geschlagen hatte. Als ich dir dann die fünfzehntausend zum Erhöhen geliehen habe, war er sich nicht mehr sicher. Er bekam Angst, dass er die Markierungen falsch gelesen hatte, und hat gekniffen.“

„Er wusste, dass ich ihn geschlagen hatte!“ grinste ich. „Das war jedenfalls ein einziges Mal, dass ein Gauner seinen gesunden Menschenverstand bewiesen hat!“

„Im Gegensatz zu dir“, sagte Nick Hawn mit mildem Tadel.

Langsam drehte er die vier Asse und eine Zehn um, die Sid Jarret entzwei gerissen und verdeckt auf den Tisch geknallt hatte. Dann drehte er sich um und ging hinaus in den Sonnenschein.


© für die deutsche Übersetzung: Reinhard Windeler, 2025