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Freitag, 7. März 2025

Leg' dich nicht mit Pablo an! (Ray Nafziger)


Leg' dich nicht mit Pablo an!

von Ray Nafziger

(Original: "Pablo the Proud", 1933 - Übers.: Reinhard Windeler, 2025)



Geboren in Kansas und aufgewachsen in Nebraska, stammte Raymond Earl Nafziger (1895 – 1946) aus dem Mittleren Westen der USA. Später hatte er seinen Wohnsitz in New Mexico, dann in Kalifornien und in Colorado, wo er schließlich starb, und zwar ausgerechnet in Denver. Ironischerweise hatte er als Schriftsteller neben seinem bürgerlichen Nachnamen auch das Pseudonym „Robert Denver“ bzw. „Robert Dale Denver“ verwendet, das übrigens offenbar so echt klang, dass sogar der renommierte Experte für Westernliteratur, Jon Tuska, überzeugt war, dass er tatsächlich so hieß.

Erst Jahrzehnte nach seinem Tod wurde bekannt, dass er sich auch hinter dem Pseudonym „Grant Taylor“ verbarg. Unter diesem Namen wurde 1950 in der Juni-Ausgabe von „Walt Coburn’s Western Magazine“ die hier präsentierte Kurzgeschichte abgedruckt. Erstmals erschienen war sie jedoch bereits 1933, wobei allerdings unklar ist, wann und wo genau. Es könnte die September-Ausgabe des „Dime Western Magazine“ gewesen sein, deren Inhalt aber mehr oder weniger verschollen zu sein scheint.

Bemerkenswert ist, wie der Verfasser schon damals die Klischees konterkarierte, die zu jener Zeit häufig anzutreffen waren, wenn Mexikaner in einem Western eine Rolle spielten. Wer Sinn für eine Sorte Humor hat, den man schon fast als schwarz bezeichnen kann, dem steht ein leicht morbides Vergnügen bevor.

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Forest Ranger Caney hatte die Nachricht von einem Todesfall im Gepäck. Noch war niemand gestorben, aber es würde jemand sterben. Immer starb jemand, wenn Sleeper Brock zur Waffe griff – und bisher war es immer die andere Partei gewesen. Jetzt hatte Sleeper Brock, gerade aus dem Zuchthaus entlassen, angekündigt, dass er den alten Dobe McGilloway töten würde.

Ihr Stolz hatte die McGilloways weit gebracht – auf dem Weg zum Boothill!


Ranger Caney brachte seine Neuigkeit zuerst zu Pablos Schafsranch, die in einem kleinen felsigen Winkel der McGilloway Ranch lag.

Ein harmloser kleiner Kerl war Pablo – schmächtig, mit braungebranntem Gesicht, sehr höflich und sehr gastfreundlich. Als der Waldhüter ankam, war Pablo damit beschäftigt, einen neuen Brunnen zu graben; das heißt, Pablo kommandierte zwei Männer, die die Arbeit machten. Einer kurbelte mit einer einfachen Seilwinde, um die Kübel mit Erde herauf zu holen, die der andere Mann unten am Boden füllte.

Mit der Nachricht von der Bedrohung durch Sleeper Brock herauszuplatzen, wäre ein zu großer Schock für Pablo gewesen. Daher machte Caney den Schafsrancher zunächst behutsam darauf aufmerksam, dass er sich ohne Erlaubnis aus Bäumen im Wald Zaunpfähle zugeschnitten hatte.

Pablo war wie vom Donner gerührt. „Die Erlaubnis!“ rief er aus. „Klar, weiß ich. Ich hätte mir die Erlaubnis von Ihnen holen müssen. Aber ich hab’s vergessen. Ich bin so gedankenlos. Ich habe keinen Kopf unter meinem Hut“, gestand er niedergeschlagen. „Was ich auf meinen Schultern trage, ist kein Kopf – es ist nur eine sandia, eine Wassermelone.“

„Ach ja?“ sagte Ranger Carey mit einem bissigen Brummen. Aber jeder Versuch, Pablo gegenüber streng zu sein, war sinnlos, also fügte er hinzu: „Ach, verdammt!“ und beließ es dabei. Die Todesnachricht, die er zu überbringen hatte, war wichtiger als Onkel Sams Zaunpfähle.

„Pablo, es gibt schlimme Neuigkeiten. Sleeper Brock ist aus dem Gefängnis entlassen worden, und er will den alten Dobe töten, weil er in der Sache mit dem Rinderdiebstahl gegen ihn ausgesagt hat. Sag’ es allen Reitern, die vorbeikommen. Sag’ ihnen, sie sollen Dobe, wenn sie ihn sehen, warnen, dass Sleeper wieder hier in der Gegend ist, um ihn zu erschießen … Hey, was ist los? Du tust, als wäre Brock hinter dir her.“

Pablo stand da wie eine Statue, sein fröhliches Gesicht war plötzlich ernst und blass geworden. Der alte Dobe McGilloway war zum Tode verurteilt. Verurteilt von einem jungen Burschen, halb so alt wie er, eine Schlange von einem Halbblut mit kalten Nerven, der jeden Tag stundenlang übte, seinen Revolver aus dem Halfter zu reißen.

„Aber Mister McGilloway hat sehr schwache Augen“, protestierte Pablo. „Und er hat einen lahmen Arm, einen sehr langsamen rechten Arm. Ein Pinto-Hengst hat ihn vor drei oder vier Tagen getreten. Er kann kaum eine Waffe in der Hand halten, selbst wenn er genug sehen könnte, um damit zu schießen.“

„Das ist wirklich Pech“, stöhnte der Ranger. „Dieser verdammte Brock mit seinem Schießeisen wird nicht abwarten, bis sein Arm wieder gesund ist oder seine Augen besser werden, und McGilloway wird nicht zulassen, dass sich jemand einmischt. Ich mach’ mich schleunigst auf den Weg, um ihn zu warnen. Du bleibst hier, und wenn Brock vorbeikommt, schnappst du dir ein Pferd, haust ab und sagst auf der Ranch Bescheid.“

Si“, sagte Pablo traurig. Tränen standen ihm in den Augen. Er konnte schon sehen, wie Dobe McGilloway dalag, kalt, tot.

„Du hältst viel von Dobe, oder?“ fragte der Ranger.

Pablo nickte. „Er war wie ein Papa für mich“, erklärte er schlicht. „Als ich ein Junge war, ganz allein auf mich gestellt, ohne Verwandte, außer im alten Mexiko, was passierte dann, na? Dieser Dobe McGilloway kommt vorbei geritten und sagt: ‚Sohn, du kommst mit und wohnst bei uns.‘ Ich bin in der Familie McGilloway aufgewachsen – wie eines von Dobes eigenen Kindern. Deshalb spreche ich so gut Englisch. Dobe behandelt mich genauso wie einen richtigen Sohn. Mein Name ist Pablo Salazar, aber ich nenne mich immer Pablo McGilloway. Als ich groß geworden war, aber überhaupt nicht gut mit Rindern umgehen konnte, kaufte Dobe mir ein paar Schafe. Einer aus der Familie – ein McGilloway –, das bin ich. Und wir McGilloways sind eine sehr stolze Familie.“

Pablo hob die Schultern. „Und als einer, der zu so einer großartigen Familie gehört, bin ich zu stolz, um nicht daran zu denken, was ich schuldig bin. Wenn Sleeper hier vorbeikommt, werde ich Streit mit ihm bekommen. Ich erschieße ihn ohne Vorwarnung. Einfach so! Ha! Er wird nicht damit rechnen, dass Pablo kämpft. Ich werde ihn überraschen.“

***

Ranger Carey wusste, dass dies keine leere Drohung war. „Vergiss es“, warnte er. „Der alte Dobe kämpft für sich selbst, ob er einen lahmen Arm hat oder nicht. Es gibt eine Menge Freunde, die für Dobe gegen Brock antreten würden, wenn er sie ließe. Aber das ist nun ’mal eine persönliche Sache. Dobe ist alt, aber nicht zu alt, um seine eigenen Schlachten zu schlagen.“

„Verstehe“, sagte Pablo. „Bin ich nicht auch ein McGilloway? Ich sage Ihnen, wir sind schon eine verdammt stolze Familie. Zu stolz, als gut für uns ist.“

Die Hufe seines Blauschimmels klapperten schwer, als der Ranger auf dem Weg davonritt, der zum Hauptquartier der McGilloway-Ranch führte. Pablo sah zum Himmel hinauf und fragte sich, was damit passiert war. Bevor Caney gekommen war, war er so schön gewesen, die Sonne so hell. Jetzt verdunkelte eine Wolke ihn, und auf dem Hügel ragte bedrohlich das riesige Holzkreuz auf, das man über dem Grab eines Mannes aufgestellt hatte, der dort getötet und begraben worden war. Pablo schauderte.

Er drehte sich um und sah, dass die beiden Männer, die an seinem Brunnen arbeiteten, während des ganzen Gesprächs untätig gewesen waren. „Du Faulpelz, wie lange brauchst du, um einen Kübel voll zu machen?“ schrie er den Mann unten im Brunnenschacht an.

Der Kübel kam nach oben und geriet bei Pablo umgehend in Vergessenheit.

„Oh, dieser Kojote von einem Sleeper Brock“, murmelte er. „Dieser Apache, diese Klapperschlange, die auf ihrem Bauch kriecht.“

Er entließ die Brunnenarbeiter. „Ihr könnt nach Hause gehen. Ich möchte allein sein“, sagte er zu ihnen.

Der Mann, der am Boden des engen Brunnenschachts gegraben hatte, kam im Kübel nach oben. Seine nackten Füße waren lehmverkrustet, denn der Brunnen war schon ungefähr fünfeinhalb Meter tief, tief genug, dass der Boden vom Durchsickern aus dem wasserhaltigen Sand nass war.

„Oh, dieser Kojote!“ wiederholte Pablo, während er die beiden davonreiten sah. Erst am Tag vorher hatte Pablo gesehen, wie Dobe McGilloway einen erfolglosen Wurf nach dem anderen machte, als er versuchte, sein Reittier einzufangen. Welche Chance hatte der Rancher mit einem Arm, den er kaum anheben konnte, gegen den blitzschnell ziehenden Sleeper Brock?

***

Pablo stand immer noch am Brunnen und murmelte vor sich hin, als auf einem zu seiner Ranch führenden Weg mit lautem Geklapper der Hufe seines Pferdes auf den Felsen ein Reiter näher kam. Sleeper Brock! Pablo dachte an die Schrotflinte in seiner kleinen Adobe-Kate und daran, wie ihre beiden Läufe, wenn sie ruhig auf einem Fenstersims liegen würden, die Bedrohung in Gestalt von Sleeper Brock in Stücke schießen könnten. Aber damit würde nur sein Freund und Wohltäter verraten und ihm die Ehre genommen werden. Nie wieder wäre der stolze Dobe McGilloway in der Lage, sein Haupt zu erheben. Die Leute würden sagen, dass er Pablo aus Angst gebeten hatte, Sleeper zu ermorden. Und dass es soweit kam, dass die Leute sagten, dass ein McGilloway Angst vor einem Stinktier wie Brock hatte, das war undenkbar.

„Ach, dass wir McGilloways aber auch so stolz sein müssen“, klagte Pablo laut, als er beobachtete, wie Brock sich näherte, der Killer mit den Kerben in seinem Revolvergriff.

„Wenn das nicht Pablo ist, der alte Nichtsnutz!“ sagte Brock abschätzig. Sleeper hatte eine Art, einen anzusehen, als würde er darüber nachdenken, wie amüsant es wäre, einem eine Kugel zu verpassen, nur um dabei zuzusehen, wie man zuckte. Als sein Blick nun verächtlich über den kleinen Mexikaner wanderte, hatte Pablo das unangenehme Gefühl, als Kandidat für eine Schandtat in Augenschein genommen zu werden. Dann grinste Brock, wobei er seine zusammengepressten Lippen tückisch verdrehte.

„Gut befreundet mit Dobe McGilloway, oder nicht?“ sagte er. „In der Familie aufgewachsen?“

„So ist es“, gab Pablo mit tonloser Stimme zu.

„Heute ist Dienstag. Am Donnerstag wird man dich bitten, Sargträger für deinen guten Freund zu sein“, sagte Brock. „Um ihn in einem schwarzen Sarg in sein Grab zu legen.“

Pablo schauderte. Dieser Mann war ein Dämon, so kaltblütig und so selbstsicher, wie er war. Doch hatte er allen Grund, sich seiner Sache sicher zu sein. Der arme alte Dobe mit einem lahmen Arm und seiner nachlassenden Sehkraft würde wie ein Kind gegen Sleeper sein.

„Vielleicht lasse ich mich nach der Beerdigung noch einmal blicken und bringe ein paar von den Sargträgern um“, verkündete Brock unbekümmert.

Pablo, der mit einem Ohr einer Reihe von Geräuschen lauschte, die er oben im Canyon hörte, sagte nichts zu dieser Ankündigung. Ein schnelles leises Trommeln fegte durch den Canyon und wurde immer lauter. Ein Haufen Pferde kam im Galopp herunter, war aber noch nicht zu sehen.

„Sie haben einen großen Fehler gemacht, Mister Brock“, sagte Pablo plötzlich. „Sie haben zu früh damit geprahlt, Dobe McGilloway umzubringen. Das sind seine Cowboys, die da kommen, verstehen Sie? Hören Sie ihre Pferde? Die kommen mit einem Seil, um Sie zu lynchen.“

Brock blickte zum Canyon hinauf, aber die Reiter waren noch nicht in Sicht. „So hat er sich das also gedacht!“ knurrte er. „Dobe schickt seine Männer, damit sie seinen Kampf austragen? Hab’ ich doch gewusst, dass er ein Feigling ist. Und die McGilloways haben immer behauptet, ein mutiger Haufen zu sein. Ohne Angst – vor nichts und niemandem.“ Er lachte höhnisch, und dann brach sein Lachen auf einmal ab.

***

Es gab eine Sache, über die Sleeper Brock nur ungern nachdachte: die Möglichkeit – und sie war sehr wahrscheinlich –, dass er eines Tages sterben könnte, indem er zappelnd an einem Seil baumelte.

Sein Reittier war kein Rennpferd und konnte den auf Rinderarbeit abgerichteten Ponies, die den Canyon hinabgedonnert kamen, nicht davonlaufen. Es waren zu viele, als dass er gegen sie kämpfen könnte. Er sah sich nach einem Versteck um. Er war zu weit weg von Pablos Häuschen. Dort, wo er stand, gab es nichts anderes als ein Schafsgehege mit einer niedrigen Einfriedung – und das Loch des ausgehobenen Brunnens.

Brock schaute in die Grube hinein und war zufrieden. Er drehte sich zu seinem Pferd um, zerrte den Sattel herunter, nahm rasch das Zaumzeug ab und schleuderte beides in den Brunnen.

Blitzschnell zog er seinen Revolver und bedrohte Pablo. „Du willst doch sicherlich am Leben bleiben“, krächzte er. „Ich verstecke mich da unten. Wenn du mich verrätst, bringe ich dich um!“

Pablo wich vor der Waffe zurück. „Nicht schießen, Mister Brock!“ flehte er. „Ich verspreche, ich sage nichts.“

„Gut!“ sagte Brock, zufrieden, dass er sich auf die Angst des Mexikaners verlassen konnte. Und schon huschte er über die Kante und rutschte am Kübelseil hinunter. Er war anderthalb Meter über dem Grund, als das Seil plötzlich nachgab. Es gab einen dumpfen Aufprall, als Brock landete. Er stieß einen verärgerten Schrei aus. Pablo hatte das Seil durchgeschnitten.

Hufe hämmerten um eine Biegung im Canyon und fegten an der Ranch vorbei. Die Pferde waren sämtlich reiterlos, sie gehörten zur McGilloway-Remuda und wurden von einer Weide auf der Mesa zum Roundup gebracht. Getrieben wurden sie von Link Butters, der früh am Morgen vorbeigekommen war und Pablo gesagt hatte, wohin er unterwegs war. Mit einer Hand winkend ritt Butters vorbei.

Pablo beobachtete, wie sich der von den Pferden aufgewirbelte Staub legte, während er sich gemütlich eine Zigarette drehte. Eine Stimme kam von unten.

„Hey, du, Pablo“, rief Sleeper vorsichtig. „Sind sie alle weg?“

Si, sind alle weg“, sagte Pablo und begann, gedankenverloren La Paloma zu summen. 

„In Ordnung!“ knurrte Brock. „Hol’ mich hier ’raus, du verdammter Mex. Lass’ ein anderes Seil ’runter.“

„Sie geben einem McGilloway einen Befehl?“ fragte Pablo empört. „Die McGilloways tun Dinge, wenn man sie bittet, nicht, wenn man es ihnen befiehlt.“

„Du wirst mich jetzt hier ’rausholen oder ich schneide dir das Herz ’raus und werfe es den Bussarden zum Fraß vor!“ rief Brock. „Ich schieße dich in Stücke!“

„Haben Sie vielleicht eine Waffe, mit der man in einem Bogen aus dem Brunnen schießen kann?“ fragte Pablo zweifelnd.

Daraufhin stieß Brock alle Schimpfnamen aus, die er auf Englisch und Spanisch kannte, dazu ein paar Brocken aus der Sprache der Hopi-Indianer. Pablo strafte sie mit Nichtachtung, indem er sich außer Hörweite begab.

Die Sonne ging unter und ließ die Nacht hereinbrechen; die Nacht ging vorbei und ließ die Sonne wieder aufgehen.

Im Laufe des Vormittags versorgte Pablo Sleeper Brock mit Essen und Wasser, ein paar Lammrippchen und einem Stapel Tortillas, die er in einen Eimer legte und an einer Schnur hinunter ließ. Die Kommentare, die von unten kamen, nahm er ohne Interesse zur Kenntnis.

Nachdem er seinen Gefangenen gefüttert hatte, fertigte er eine Abdeckung für das Brunnenloch an, indem er ein paar Bleche aus verzinktem Eisen an zwei Brettern befestigte. Über das Loch geschoben und mit ein wenig Erde bedeckt machten sie es schalldicht und verhinderten, dass Brocks Rufe von vorbeikommenden Reitern gehört werden konnten, die ihn hätten befreien können.

***

Wieder spielten Sonne und Nacht miteinander Fangen, und dann noch einmal. Brock befand sich seit fast zweiundsiebzig Stunden auf dem Grund des feuchten und dunklen Brunnenlochs, wo er täglich zu essen und zu trinken bekam, als Dobe McGilloway zufällig bei der Schafsranch vorbeiritt. Pablo begrüßte den gebeugten, leicht ergrauten Rancher mit dem Respekt, den er seinem eigenen Vater erwiesen hätte. Dobe erwiderte Pablos Gruß mit derselben Herzlichkeit, mit der er einen seiner eigenen Söhne bedacht hätte.

Leben oder Tod – der alte Dobe McGilloway achtete den Kodex des Westens, der besagte, dass jedermann seinen eigenen Kampf ausfechten muss, und alles, was ein Sohn in einem solchen Kampf für seinen Vater tun kann, ist, ihn anständig zu begraben!


„Dein Arm ist noch nicht besser, was?“ fragte Pablo besorgt, als er Dobe zu einer Stelle etwa vierzig Meter vom Brunnen entfernt führte.

„Nein“, sagte Dobe. „Eher noch schlechter. Ich habe jede Sorte von Pferdesalbe auf der Ranch ausprobiert, aber keine hat etwas gebracht, verdammt.“ Er hob seine rechte Hand und seinen rechten Arm und verzog dabei vor Schmerzen das Gesicht.

„Dann ist es also nicht möglich“, sagte Pablo, „dass du schnell eine Waffe ziehst. Du siehst auch nicht mehr so gut wie früher, oder, Dobe?“

„Nein, das tue ich wirklich nicht, du scharfäugiger kleiner Mistkerl. Es ist schon komisch – ich kann ein Brandzeichen von Weitem perfekt lesen, aber wenn ich es direkt vor meiner Nase habe, sehe ich nur einen verschwommenen Fleck.“

„Das habe ich mir gedacht“, sagte Pablo. „Und trotzdem würdest du es nicht zulassen, dass sich jemand anders um diesen Sleeper Brock kümmert?“

„Ich werde mich selbst um ihn kümmern“, sagte Dobe ruhig. „Es ist mein Kampf, und wenn ich so alt bin, dass ich meine eigenen Kämpfe nicht mehr ausfechten kann, bin ich darauf vorbereitet, dass ich getötet werde.“

„Ay, wir sind eine sehr stolze Sippe, wir McGilloways“, sagte Pablo voller Bewunderung. „Ich bin stolz darauf, zu einer Familie zu gehören, in der ein Mann seine Angelegenheiten selbst in die Hand nimmt, sogar vom Krankenbett aus. Deine Waffe ist geladen, ja, Dobe? Dann bleibst du hier stehen, und sei bitte auf der Hut.“

„Was soll das alles?“ fragte Dobe verwundert.

„Du wirst schon sehen“, versprach Pablo. Er streckte seine Hand aus und klopfte seinem Wohltäter auf die Schulter. „Ich habe nur eine Wassermelone auf meinen Schultern“, sagte er bescheiden, „aber ich habe das Gefühl, dass alles gut ausgehen wird.“

Dobe McGilloway blieb dort, wohin er dirigiert worden war, ein großer Mann, der fest auf seinen zwei Füßen stand, ein Mann, der von Natur aus friedlich war und nach dem Kodex des Landes lebte, einschließlich der Regel, dass ein Mann, wenn er kämpfen muss, seine eigenen Schlachten allein schlagen muss.

Pablo ging zum Brunnen hinüber und zog die Blechabdeckung weg. „Möchten Sie immer noch heraufkommen?“ fragte er höflich. Und dann, mitten zwischen den geknurrten Verwünschungen, befahl er: „Dann geben Sie zuerst Ihren Revolver nach oben – im Eimer.“

„Ich will verdammt sein, wenn ich das tue!“ knurrte Sleeper Brock. 

„Dann sind Sie verdammt“, erwiderte Pablo. „Sie werden Ihren Revolver hochschicken.“ Er ließ den Eimer an der Schnur hinunter, und Brock, der keine andere Wahl hatte, ließ seinen Revolver mit einem lauten Klirren hineinfallen. Pablo zog ihn hoch und legte die Waffe gut einen Meter von der Brunnenöffnung entfernt auf den Boden.

„Und jetzt machen Sie einen Knoten in das Seil und werfen es zu mir hoch“, befahl er. „Es wird mir ein Vergnügen sein, es wieder an der Winde zu befestigen und Sie hochzuziehen.“

Brock befolgte auch dies, und eine halbe Minute später stieg er aus dem Kübel und sah sich blinzelnd um. In seinem Gesicht waren drei Tage alte Bartstoppeln gewachsen. Seine Kleidung war schmutzig, da er gezwungen gewesen war, sich zum Schlafen in den feuchten Dreck zu legen.

Ein paar Sekunden lang stand Brock da, dann brüllte er: „Du verdammter!“ und ging auf Pablo zu. „Ich werde –“

„Ihr Revolver liegt da auf dem Boden“, sagte Pablo. „Sie sind hergekommen, um Dobe McGilloway zu töten. Er wartet auf Sie.“

Dann sah Brock den Mann, den zu töten er angekündigt hatte, in einer Entfernung stehen, die größer war als eine, auf die Sleeper sich mit einer Handfeuerwaffe zu schießen traute. Aber er bückte sich, um nach seinem abzugslosen Sechsschüsser zu greifen, allerdings ganz und gar nicht in seiner üblichen blitzschnellen Art und Weise. Stattdessen beugte er sich steif zu der Waffe hinab und umklammerte sie mit Fingern, die sich nur langsam um den Griff schlossen. Kurzum, er war wie ein unbeholfener alter Mann, der vergeblich versuchte, sich flink zu bewegen.

Dann folgte das übereilte Krachen der Pistole, die er schließlich anhob, und ein Schuss, der McGilloway weit verfehlte, nur eine Sekunde, bevor der Rancher feuerte. Dobes erster Schuss, sorgfältig gezielt, traf Brock mitten ins Herz.

Leider hat der von „Walt Coburn’s Western Magazine“ beauftragte namenlose
Illustrator die Geschichte offenbar nur ungenau gelesen.

Der alte Dobe legte seine starken Arme um Pablos dünne Schultern. „Ich verstehe das alles nicht ganz“, sagte er. „Was hattest du vor, Pablo? Aber lass’ uns das auf später verschieben. Er hat zuerst geschossen und nicht getroffen, das erste Mal, soweit ich weiß, dass Sleeper Brock nicht getroffen hat.“

***

Die Untersuchung durch den Leichenbeschauer war nur eine Formsache. Das Urteil lautete, dass Brock eines natürlichen Todes gestorben war: Die Kugel war in sein Herz eingedrungen und hatte ihn natürlich getötet.

Caney, der Waldhüter, hatte seine eigenen Vorstellungen von gewissen Aspekten dieser Angelegenheit, und als er mit Pablo allein war, stellte er ein paar Fragen, die an ihm nagten.

„Es heißt, Brocks Kleidung war feucht und schmutzig“, erklärte er. „Er war schon eine ganze Weile in diesem Brunnen, oder?“

„Vielleicht hab’ ich’s vergessen und ihn ein paar Tage da drin gelassen“, gab Pablo zu. „Aber ich habe daran gedacht, ihm ab und zu ein bisschen zu essen zu geben. Er ist in den Brunnen gestiegen, um sich vor Dobes Cowboys zu verstecken, aber ich hatte es vergessen und ihm falsch gesagt – es war nur die Remuda. Da ist kein Gehirn drin“, sagte er und tippte sich an den Kopf.

„Und Sleeper muss da unten in der Feuchtigkeit irgendwie rheumatisch und steif geworden sein?“ vermutete Ranger Caney.

„Ich fürchte, ja“, gab Pablo voller Bedauern zu. „Steif und langsam wie der alte Dobe.“

„Mit einem Deckel über dem Brunnen muss es da unten auch stockdunkel gewesen sein“, meinte Caney. „Ich nehme an, als Sleeper in die Sonne kam, konnte er nicht sehr gut sehen.“ 

Pablo warf seine Hände in die Luft. „Mister Caney, es ist wahr, was Sie sagen!“ rief er aus. „Ja, ich fürchte, das stimmt. Er konnte nicht sehr gut sehen“, fuhr er bekümmert fort. „Ich habe nicht über seine Augen nachgedacht. Die Dunkelheit machte ihn genau wie Dobe, er konnte kaum etwas sehen. Aber wenn ich daran denke, dass ich vergessen habe, was die Dunkelheit und die Nässe anrichten würden! Ach, mein verdammter Dummkopf. Er ist nur eine sandia – eine Wassermelone.“

U.S. Forest Ranger Caney sah Pablo Salazar McGilloway streng an. Dann schüttelte er in gespielter Fassungslosigkeit den Kopf und ritt davon, um seinen Aufgaben nachzugehen.

© für die deutsche Übersetzung: Reinhard Windeler, 2025